Der Pope als Verräter

Aus dem Brief eines Feldwebels.

T., 2. 09. 1914


Meine Lieben!

Damit Ihr auch ein Lebenszeichen von mir erhaltet, kann ich Euch die freudige Nachricht mitteilen, dass ich vorgestern gesund von Russland zurückkehrte. Ich war drei Wochen in Russland, und nachdem wir täglich kleine Gefechte hatten, wurden wir bei Wl. auf der Strecke A. — W. durch einen Popen verraten, und zwar am 27. August. Der Kerl ließ plötzlich die Kirchenglocken läuten, und es dauerte auch nicht lange, da kamen Kosaken, Infanterie und Maschinengewehre auf uns zu. Wir waren nur eine kleine Truppe von 120 Mann, da wir Patrouille waren, und standen nun einer kolossalen Übermacht gegenüber. Wir dachten, dass keiner von uns zurückkehren werde, oder dass wir in Gefangenschaft gerieten. Geführt wurden wir von einem Feldwebelleutnant, und ich war der Zweitälteste. Wir eröffneten ein mörderisches Feuer, und die Kosaken fielen wie die Fliegen vom Pferde. Nachdem nur noch ein paar Mann von den Kosaken übrig blieben, hat der Rest die Flucht ergriffen. Von zwei Kugeln der Infanterie getroffen, ist der Feldwebelleutnant gefallen, und ich habe das Kommando übernommen. Trotzdem wir alle nur Landwehrmänner waren, haben meine Kerls geschossen, dass es eine Freude war. Da ich keinen Angriff mit meinen paar Mann machen konnte, so haben wir die ganze Munition verschossen, und ich konnte wenigstens zu meiner Freude sehen, wie der Feind fluchtartig den Kampfplatz verließ. Eine Verfolgung unterließ ich ebenfalls, da wir zu schwach waren. Nach dem Gefecht musste ich leider die Wahrnehmung machen, dass mir außer dem Feldwebelleutnant noch 27 Leute gefallen waren. Wir haben uns die Zeit genommen, die armen Menschen gemeinsam zu begraben und ein Stück Holz als Denkmal mit Kreideinschrift zu setzen. Meine Kompanie hatte uns schon für verloren erklärt, und als ich abends um elf Uhr wieder anlangte, wurde ich mit Hurra in A. empfangen. Es wurde sofort Protokoll aufgenommen.

Die Russen hatten mindestens 100 Tote zurückgelassen. Bis auf eine Kugel hatte ich meine Munition ebenfalls verschossen, aber sobald ich gesehen hätte, dass ich in Gefangenschaft gerate, hätte ich mich sofort erschossen. Sollte ich gesund den Feldzug beenden, so bleibt diese Kugel zum ewigen Andenken in meinem Besitz. Ich habe sie mir tadellos aufbewahrt. Den Popen habe ich gefangengenommen. Erschießen wollte ich ihn nicht, da die Kugel zu schade war. Heute wurde er hier erschossen. Leider wurden wir vorgestern abgelöst, doch tat es mir sehr leid, da ich zu gern dort geblieben wäre. Die Bevölkerung besteht fast ausschließlich aus Polen und Juden. Ich musste auch in polnischer und hebräischer Schrift Aufrufe ankleben lassen, dass sie nunmehr deutsche Untertanen sind. Hoffentlich bleiben wir nicht zu lange hier. Trotzdem ich große Strapazen und Entbehrungen hatte, fühle ich mich frisch und gesund. Wenn ich auch hin und wieder etwas Heimweh verspüre, tröste ich mich immer mit meinen Kameraden, denen es ebenso geht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kriegsbriefe deutscher und österreichischer Juden