Soldatenbewirtung in Galizien.

Kolomea, am 29. August. Teure Eltern! Obwohl ich Euch heute schon geschrieben habe, so tue ich das noch einmal, um Euch interefssante, echt jüdische Taten zu erzählen. Heute habe ich vormittag Urlaub gehabt und war in der Stadt. Schon beim Näherkommen zum Ringplatz fiel mir das trotz der Kriegszeiten ungewöhnliche Treiben auf. Endlich erblickte ich in der Rudolfstraße, das ist die Straße, in der die Lokalbahn fährt, eine riesige Menschenmenge. Ich erkundigte mich und erfuhr, daß die Nachricht angelangt war, Militär werde durch Kolomea marschieren. Und zwar werde es seinen Weg durch die Rudolfstraße nehmen. Da hättet Ihr nun sehen sollen, wie die jüdischen Familien, die ja hier das Gros der Bevölkerung bilden, auf langen Tischen alles Ess- und Trinkbare auf die Straße geschafft hatten, um die durchziehenden Soldaten zu bewirten. Überall standen Frauen und Kinder, in Sonntagskleidern, und schnitten Kuchen und Brotstücke. Inzwischen schafften die Männer Fässer und Krüge voll Wasser heraus. Es war ein seltener Anblick, vor einem Haus eine Gruppe älterer Juden, ebenfalls im Seidenkaftan, mit aufgeschürzten Hemdärmeln um ein Fass stehen zu sehen. Die einen hackten Eis in kleine Stücke und warfen sie ins Fass voll Wasser, die anderen schnitten Zitronen in dünne Scheiben und zerkleinerten einige Hüte Zucker. Ein alter, ehrwürdiger Jude mit weißem Bart rührte inzwischen mit einem langen Löffel die erfrischende Limonade. Man merkte es den Leuten, lauter besere Geschäftsleute, an, dass sie am liebsten ihr ganzes Hab und Gut hingegeben hätten, um die erwarteten müden Soldaten zu laben. Aus einer Gasse kam eine alte Jüdin mit einer Schüssel voll gebratener Äpfel. Auch sie wollte etwas beitragen. An einem Tisch ging es besonders hoch zu. Junge jüdische Mädchen standen da in ihrer feinen Promenadentoilette und machten kleine Pakete, in denen je ein Kuchen, zwei Brotschnitte (lauter riesige Kriegsportionen) mit Butter bestrichen, zwei saure Gurken, einige Stück Bäckerei und zehn Zigaretten sich befanden. Ich sah einen Haufen von etwa 500 Paketen, und noch immer wurde gepackt und neues Material gebracht. Die Sodawasserfabrikanten, durchweg Juden, hatten auch das Ihrige getan und große Sodawasserstationen errichtet.

Plötzlich erblickte man von einer anderen Richtung, vom Bahnhof her, eine lange Proviantwagenkolonne, die von Trainsoldaten eskortiert wurde. Sofort lief alles auf die Ankommenden zu, und dem voranreitenden Offizier wurde die Wahl schwer unter den verschiedenen Getränken, wie Milch, Wein, Sodawasser, Limonade usw., die ihm von allen Seiten gereicht wurden. Aber auch den Soldaten und mitfahrenden Bauern ging es nicht besser. Ein wahrer Sturmhagel von Obst, Semmeln, Backwerken und Zigaretten ging auf sie nieder. Von allen Seiten streckten Hände labende Getränke hin, ja sogar für die Pferde schleppte man Heubündel her. Inzwischen hatte man erfahren, dass auch mit der Bahn Militär angekommen war. Hilfsbereite Leute eilten sofort dorthin, um Erfrischungen und Labemittel zu bringen. Das währte bis spät in den Nachmittag hinein. Man dachte gar nicht mehr ans Mittagsmahl. Auch Onkel Schmaje hatte eine Labestation errichtet. Er verfügte über eine besondere Spezialität; aus den nächsten Gassen hatten ihm alle Frauen ihre für Sabbathnachmittag bestimmten Sauermilchtöpfchen abgeliefert und erwarteten nun die Soldaten. Leider konnte ich den Empfang selbst mir nicht mehr ansehen, weil ich zurück ins Spital mußte.


Heute sind hier aus Kolomea 1800 ruthenische Pfadfinder abgegangen; vorige Woche polnische und jüdische. In den Gassen ziehen lauter Freiwillige herum und singen:

Hurra dchlopcy, hurra ha!
Od Warszawy, do Petersburga!
Za moskalami marsz, marsz!

Hurra, Jungen, hurra, los!
Auf Warschau, dann nach Petersburg!
Auf die Russen los, marsch, marsch!