Rekrutenleben.

Einen leider urlaublosen Sonntag benutze ich ausgiebig, um meinen Korrespondenzverpflichtungen endlich einmal nachzukommen, nachdem uns Musketieren in den wenigen freien Minuten während der Wochentage der Kopf nicht danach steht, lange Briefe zu schreiben.

Wenn ich kurz auf die allererste Zeit meines Kasernenhofdaseins zurückgreife, muss ich zunächst die Annehmlichkeiten betonen, in unserer kleinen Garnison außer unter den Rekruten auch im Kreis der Vorgesetzten eine beträchtliche Anzahl von Glaubensgenossen gefunden zu haben, was mir das Eingewöhnen in die neuen Verhältnisse etwas erleichterte. Allerdings fehlte auch die Schattenseite nicht, die erstmals in die Erscheinung trat, als einige von uns Neueingetretenen (militärisch: „Hämmeln“) sich mit der Bitte an die in Betracht kommende Stelle wandten, sich rituell verköstigen zu dürfen. Da wurde uns entgegengehalten, dass die vielen anderen jüdischen Soldaten ohne Sonderwünsche sich die Kafernenkost gut schmecken lassen. Und stellt man diese lieben Kampf- und Glaubensgenossen darüber zur Rede, dann hört man immer dieselbe Begründung: „Im Feld werden wir auch essen müssen, was wir kriegen, und da ist es im Interesse der Kampffähigkeit geraten, sich heute schon ans Treso-Essen zu gewöhnen.“ Doch genug hiervon.


Es ist einem meiner Kameraden gelungen, unter den hiesigen jüdischen Familien, die der Nationalität nach zu unseren Verbündeten gehören, eine in bezug auf Kaschrus durchaus verlässliche ausfindig zu machen, und es muss gesagt werden, dass die dem jüdisch-deutschen Geschmack durchaus angepasste Kochkunst der Hausfrau und deren mütterliche Besorgnis für unser Wohlergehen neben der elterlichen und geschwisterlichen Fürsorge für unser leibliches Wohl viel zur Hebung und Erhaltung der Lust und Fähigkeit zum Militärdienst beitragen.

Doch nun einiges aus dem eigentlichen Dienstleben. Morgens in aller Frühe heraus (und das lernen selbst die sehr bald, die sonst sich vielleicht jeden Rausch Chaudesch mal morgens zum Schulengehen entschlossen haben). Geht's dann hinaus in den jungen Morgen, dann lassen die durch schwarzen Kaffee genässten Soldatenkehlen frohe Weisen erschallen, die so manche Neuigkeit enthalten, wie:

„. . . Und sterbe ich noch heute.
So bin ich morgen tot.“


Da es genügt, sich diese Wahrheiten einmal zu Gemüt gezogen zu haben, benutze ich meist die Zeit dieser Morgenspaziergänge zum Oren, während das Tesillin-Legen bei passender Gelegenheit nachgeholt werden muss.

Das erste Gebot beim Exerzieren im Glied lautet: Nichts reden! Bei Übertretung dieses Paragraphen legt sich die Mannschaft x-mal (je nach der Ansicht des betreffenden Vorgesetzten) in den dichsten Morast oder (was besonders wirksam ist) in Pfützen oder Wassergräben; ein Rezept, das den Herren Rabbinern wärmstens empfohlen werden kann.

Nun noch ein kurzes Wort über die Wandlungen, die der Soldat durchmacht. Zunächt, wenn man den Bürorock: mit dem bunten Rock vertauscht, heißt es bekanntlich: „Meine Herren, Sie sind keine Herren, Sie sind jetzt Soldaten!“ und das „Zivilistenpack“ ist geächtet.

Aber das verdirbt dem deutschen Soldaten die Laune nicht; und waren die Antrengungen im Dienst auch noch so groß, so geht’s gegen Abend doch mit munterem Gesang zur Kaserne zurück. Von den Straßenpassanten und von den Fenstern herab Zurufen und Winken; an so manchem Fenster aber auch vergrämte Gesichter, die erkennen lassen, dass dort der Krieg sein Opfer gefordert hat. Das lässt mich dann immer mit Schmerz zurückdenken an so manchen lieben jungen Freund, der frohgemut noch vor einer kurzen Zeitspanne Abschied genommen und der von feindlicher Kugel getroffen, in die Welt des dauernden Friedens hinübergegangen ist. Und solches Gedenken gibt dann neuen Mut, hinter diesen wackeren Kameraden nicht zurückzustehen, und stärkt das Vertrauen zu dem Lenker der Schlachten, der das Kampfgeschichk nicht von der überwältigenden Heeresmacht abhängig sein läßt.

Gehts dann in einigen Wochen vielleicht hinaus aus unserer kleinen Garnison ins Feld, so freue ich mich heute schon auf die Konserven der „Freien Vereinigung“, die mir zu Schabbos, Kuchel oder Apfelschalet — ganz wie zu Hause — bescheren werden.

Hoffentlich habe ich zuvor nochmals Gelegenheit, Sie und Ihre lieben Kleinen zu sprechen. Inzwischen seien Sie sowie alle lieben Freunde — insbesondere die Aguda-Jugend — freundschaftlich gegrüßt

von Ihrem

Baal Milchomo N.