Rauschhaschonoh im Kanonendonner

Brief des Unteroffiziers der Artillerie Leo Lehmann, Hamburg (vgl. Brief S. 25).

Meine lieben Alten!


Der Rauschhaschonoh- Abend ist doch ganz anders verlaufen, als ich es mir vorher aus gemalt hatte; nicht einmal ein Zelt, keine Kerzen, keine Ruhe und keine Betgenossen hatte ich. Es regnete in Strömen, der Feind überschüttete uns bis in die späte Nacht hinein mit einem mörderischen Granatfeuer, mein Schanzloch, in dem meine Kanone stand, und das auch uns Soldaten Unterschlupf gewähren muß, war wieder mal voll Wasser gelaufen und bot gerade kein festtägliches Unterkommen. Kurz, alles in allem nicht das richtige Milieu für den Jaumtauw- Abend. Meine Tefilloh, die in meiner Krokitasche am Sattel ihren Platz hat, hatte ich mir nachmittags von der Ordonnanz mit in die Feuerstellung heraufbringen lassen. Zwischen Kanonendonner und Regengepeitsch orte ich dann nach Sonnenuntergang die vorgeschriebenen Gebete, einsam auf einem Stein sitzend, und habe — das dürft Ihr mir glauben — vielleicht ebenso andächtig gebetet, wie Vater zu Hause.

Soeben habe ich mein lukullisches, wirklich „jaumtowdickes“ Mahl beendet: einen Becher Brunnenwasser und dazu eine Scheibe uraltes Kommißbrot mit einer rohen Zwiebel. Die Sache hat tadellos geschmeckt und muß bis heute abend vorhalten. Heute abend wollen wir uns aus einer Erbskonferve und Kartoffeln mal eine schöne Suppe kochen; im Augenblick wissen wir allerdings noch nicht, woher wir trockenes Holz und Streichhölzer dazu nehmen. Überhaupt habe ich mir lekowed Jaumtauw einen unverantwortlichen Luxus heut gestattet; ich habe mich seit dem 6. d. M. zuerst wieder gewaschen, Gesicht und Hände, richtig in reinem, klarem Wasser gewaschen! Das war eine Wohltat, die den dreiviertelstündigen Marsch zur Quelle wohl aufkriegt. Es geht mir noch immer vortrefflich, und wenn sich keine feindliche Kugel zu mir verirrt, werde ich mit Gottes Hilfe in absehbarer Zeit hoffentlich wieder bei Euch fein.

Es küßt Euch Euer

Leo.