Ein Fahnenschwur.

Brief des Einj.-Freiwilligen Werner H. im Rgt. Nr. 104.

Kriegslazarett Waulsart (Belgien).


Heute, nach sechs Tagen, fide ich erst den Mut, Euch von dem furchtbaren Geschehnis zu berichten, das uns alle betroffen hat. Unser lieber, guter Walter ist fürs Vaterland gefallen. Ich glaube, diese Nachricht habt Ihr bereits erhalten, denn ich schrieb es vor drei Tagen an Onkel Siegfried, und durch die Kompagnie seid Ihr wohl auch benachrichtigt worden. Da bleibt nur der eine Trost, er ist auf dem Schlachtfeld geblieben und hat getreu bis zur letzten Sekunde seinen Soldatenberuf ausgefüllt. Wir ahnten ja beide, dass wir die Heimat nicht wiedersehen würden. Bei ihm hat es sich bewahrheitet!

Lasst Euch nun vom Hergang des Gefechts erzählen. Am Sonntag, den 23. August, gegen Abend wird unserm Bataillon die Aufgabe zuteil, das Dorf nördlich vom Dorf Lenne zu stürmen. Schon tagsüber tobte allerorten der Kampf um Dinant. Am Vormittag waren wir über die Maas gesetzt worden und lagen bis zum Einbruch der Dunkelheit in Reserve. Gegen acht Uhr abends erhalten wir Befehl zum Vorrücken. Unter furchtbarem Artilleriefeuer geht meine Kompagnie gegen das Dorf vor, das schon vollständig in Flammen steht (denn unsere Artillerie hat gut vorgearbeitet), und das sich blutigrot vom Horizont abhebt. Als wir hinter einem Gebüsch für einige Minuten Deckung suchen, knien Walter und ich zufällig neben der Fahne. Da haben wir beide denselben Gedanken. Wir fassten das Fahnentuch mit der einen und drücken uns die andere Hand und schwören so im stillen noch einmal der Fahne und uns selbst die Treue. Schon geht's weiter vor. Sprungweis arbeiten wir uns heran. Um uns pfeifen die Flintenkugeln, und in der Luft sausen und platzen die Schrapnells. Wir bleiben Seite an Seite, stets einer den andern ermutigend, stets einer auf den andern bedacht, dass wir uns im Trubel des Sturms nicht verlieren. Mit uns stürmen die 181 er, 139 er, 106 er, 107 er vor. Wir kommen dem Feind immer näher, doch dürfen wir selbfst nicht schießen, denn es sind eigene Truppen vor uns, und in der Dunkelheit ist Freund und Feind schwer zu unterscheiden. Wie wir ungefähr ans Dorf herangekommen sind, da hat der Feind sich schon zurückgezogen und beginnt einen Vorstoß von der Flanke. Nun kommt das Kommando: Links schwenkt, marsch! Wir lagen gerade in voller Deckung und sollten nun in heftigsten Kugelregen hinein. Da überlegte es sich wohl erst mancher. Als wir aber unsere Offiziere sahen, da sprangen wir beide auf und rannten vor. Fünf Minuten stürmten wir so mit aufgepflanztem Seitengewehr vorwärts; da höre ich Walter mich noch einmal rufen, und während ich antworte, trifft ein Geschoss meinen rechten Unterarm. Es war nur ein Streifschuss, aber indem ich das denke, trifft ein zweites Geschoss den linken Oberschenkel und reißt mich zu Boden.

Am nächsten Nachmittag schickt mir die Kompagnie Brieftasche und Tagebuch vom lieben Walter, mit der Nachricht, dass der gute Bruder soeben beerdigt worden fei. Er hatte mich nach der Schlacht suchen wollen, dabei erreichte ihn das tödHiche Blei! Nun hat der Tod mir meinen besten Kameraden genommen und uns allen den geliebten Bruder. Wir waren beide gern in den Kampf gezogen und hatten mit allem gerechnet, aber das Schicksal hat uns getrennt. Tröstet Euch, Ihr Lieben, wir gehören dem Vaterland. Mich traf der Schuss am Oberschenkel, so dass ich einen schweren Bruch davontrug, aber ich befinde mich auf dem Weg zur Heilung. Ich kann jetzt nicht mehr schreiben, bald hört Ihr mehr. Lebt wohl, Ihr heben Geschwister, und tröstet die liebe Mutter.