Das einende Band.

Antwortschreiben an den Provinzialrabbiner Dr. Bamberger, Hanau, der zu den hohen Feiertagen an die im Felde stehenden Angehörigen des ihm unterstellt«n Bezirks seinen Segenswunsch gesandt hat.

S., 27. Okt. 1914.


Mit Ihrem Brief vom 26. Sept. haben Sie mir eine große Freude bereitet, für die ich Ihnen herzlichst danke. Leider kam die Sendung erst vorgestern in meinen Besitz, also zu spät für den Versöhnungstag, an welchem Tag ich besonders das Gebetbuch gut hätte brauchen können. Es ist merkwürdig, Sie kennen ja meine religiösen Anschauungen und wissen, daß ich auf Formen nichts gebe. Und zu diesen Formen rechne ich auch die herkömmlichen „Gebete“, die ja meist keine Gebete, sondern Betrachtungen sind. Und doch, je ferner man der Heimat weilt, desto enger schließt man sich naturgemäß an das an, was einen mit der Heimat verbindet, und das ist eben wieder die — Form! Man fühlt sich der Heimat näher, wenn man weiß, daß die daheim zur selben Stunde genau dasselbe tun wie wir. Und so habe ich mich auch bemüht, den Versöhnungstag so zu halten, wie ich es von zu Hause gewöhnt war. Ich habe gefastet und habe im Geist den Gottesdienst daheim der Zeit nach verfolgt. — Gottesdienst selbst habe ich freilich an jenem Tag nicht gehabt, und doch war ich vielleicht andächtiger als oftmals! Drei Tage nach dem Versöhnungstag hatten wir hier einen Feldgottesdienst, veranstaltet von einem katholischen Geistlichen. Ich muß sagen, ich habe nicht leicht eine erhebendere Feier erlebt. Wir Soldaten bildeten ein Viereck um den Geistlichen, der selbst vor einem Granatenloch auf einer Wiese stand. Im Hintergrund sahen die in Brand geschossenen Häuser von S. zu uns herüber. Der Geistliche ließ zuerst die erste Strophe des Chorals: Großer Gott, wir loben dich! fingen und hielt dann eine von Begeisterung getragene Ansprache, worin er, ausgehend vom Begriff des Gottesgnadentums, uns aufforderte zur höchsten Pflichterfüllung , und schließlich für Kaiser und Reich, für Fürst und Volk, für Land und Heer um Sieg und Frieden flehte. Die Feier schloß dann wieder mit einer Choralstrophe.

In Ihrem Brief erwähnten Sie, dass in dieser Zeit die Fernen einander so nahe sind im Denken und Fühlen. Das ist wirklich wahr! Ich habe mit meinem Bruder anlässlich des Neujahrsfestes korrespondiert und dabei daran erinnert, wie zeitgemäß eigentlich unsere vor Jahrtausenden entstandenen Gebete und Psalmen sind. Und denselben Gedanken finde ich nun in dem zweiten Ihrer so zu Herzen gehenden „Gottesdienstlichen Vorträge“ wieder, welche für mich eine Stunde weihevollen Genusses waren. Außer den von Ihnen angegebenen Stellen darf ich hier vielleicht noch auf Psalm 3 und Psalm 27 verweisen. Und gibt es einen schöneren und zugleich zeitgemäßeren Wunsch heute als den letzten Satz im Kaddisch: „Auseh Sdiolaum bimraumov, hu jaase Scholaum«?

Ihr

Dr. E. W., Leutnant d. Ref