Kotzebue, August Friedrich Ferdinand von (1761-1819). Biographie

Autor: Meyers Konversationslexikon. Band 10, Erscheinungsjahr: 1888
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August Friedrich Ferdinand von Kotzebue (spr. -buh), der fruchtbarste und gewandteste Lustspieldichter der Deutschen, geb. 3. Mai 1761 zu Weimar, wo sein Vater Legationsrat war, widmete sich zu Jena und Duisburg juristischen Studien und ließ sich hierauf als Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt nieder, ging aber schon 1781 nach Petersburg, wurde Sekretär bei dem Generalgouverneur v. Bawr, 1783 Assessor des Oberappellationstribunals in Reval und 1785 Präsident des Gouvernementsmagistrats der Provinz Esthland, gleichzeitig in den Adelstand erhoben.

Inzwischen hatte er sich durch eine Reihe von Erzählungen, wie "Leiden der Ortenbergischen Familie" (1785 f.), und mehrere sentimentale Dramen (namentlich "Menschenhaß und Reue" und "Die Indianer in England") zum Liebling des Publikums gemacht, wogegen ihm das 1790 in Pyrmont (wo er eine Brunnenkur gebrauchte) unter Knigges Namen herausgegebene Pasquill "Doktor Bahrdt mit der eisernen Stirn" in der öffentlichen Meinung sehr schadete. Nach dem Tod seiner ersten Gemahlin (einer Tochter des russischen Generalleutnants v. Essen) nahm er seine Entlassung aus dem Staatsdienst, privatisierte in Paris und Mainz und zog sich 1795 auf sein Landgut Friedenthal bei Reval zurück, fortwährend nur mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt. "Die jüngsten Kinder meiner Laune" (Leipz. 1793-96, 6 Bde.) sowie über 20 Schauspiele, darunter als die bedeutendsten: "Armut und Edelsinn" (1795), "Die Spanier in Peru" (1796), "Die Negersklaven" (1796) und "Die Verleumder" (1796), waren die Frucht dieser Muße.

1798 folgte er einem Ruf als Theaterdichter nach Wien, sah sich indessen infolge von Intrigen, die er zum Teil selbst angezettelt hatte, noch vor dem Jahresschluss genötigt, seine Entlassung zu nehmen (vgl. seine Schrift "Mein Aufenthalt in Wien und meine erbetene Dienstentlassung", Wien 1800), und ließ sich zunächst in seiner Vaterstadt nieder. Das Erfolglose seines Strebens, mit Goethe in nähere Beziehung zu kommen, sowie die immer heftiger werdenden Angriffe der Koryphäen der romantischen Schule, welche er durch die Posse "Der hyperboreische Esel" (1799) gereizt hatte, verleideten ihm indessen den Aufenthalt in Weimar und in Deutschland überhaupt, und er beschloß, nach Russland zurückzukehren.

Kaum hatte er jedoch die russische Grenze überschritten, als er (im April 1800) aus bis jetzt noch nicht aufgehellten Ursachen verhaftet und nach Sibirien geführt wurde. Ein kleines Drama: "Der Leibkutscher Peters III.", eine indirekte Lobrede auf Paul I., die Krasnopulski ins Russische übersetzt hatte, brachte ihm plötzlich nicht nur die Freiheit, sondern erwarb ihm auch die Gunst des Kaisers, der ihn mit dem Krongut Worroküll in Livland beschenkte und zugleich zum Direktor des deutschen Theaters in Petersburg ernannte. Der kurze Aufenthalt in Sibirien gab K. Gelegenheit zu einer romanhaften Beschreibung, die er unter dem Titel: "Das merkwürdigste Jahr meines Lebens" (Berl. 1801, 2 Bde.) veröffentlichte.

Nach Pauls I. Tod nahm er seine Entlassung aus dem russischen Staatsdienst, ging wieder nach Weimar und nach einem Zerwürfnis mit Goethe 1803 nach Berlin, wo er in der von ihm mit Merkel herausgegebenen Zeitschrift "Der Freimütige" eine heftige Polemik gegen Goethe und die romantische Schule eröffnete.

Anfang 1806 begab er sich nach Königsberg, um für die beabsichtigte Bearbeitung einer Geschichte Preußens das dortige Archiv zu benutzen. Das Werk, mit dem Titel: "Ältere Geschichte Preußens", erschien auch wirklich (Riga 1809, 4 Bde.), hat aber nur durch den Abdruck zahlreicher Urkunden literarischen Wert.

Nach der Schlacht bei Jena kehrte K. auf sein Gut nach Esthland zurück und gab von hier aus die Zeitschriften: "Die Biene" (1808-1809) und "Die Grille" (1811-12) heraus, worin er gegen Napoleon und das Franzosentum in satirischer Weise und zwar im Interesse Rußlands auftrat. Infolgedessen ward er 1813 vom Kaiser Alexander I. zum Staatsrat ernannt, folgte als solcher 1814 dem russischen Hauptquartier, gab dann in Berlin eine Zeitlang ein "Russisch-deutsches Volksblatt" heraus und erhielt nach dem Sturz Napoleons I. die Stelle eines russischen Generalkonsuls in Königsberg.

Hier beschäftigte er sich wieder vorzugsweise mit historischen Forschungen und schrieb neben verschiedenen Lustspielen eine "Geschichte des Deutschen Reichs" (Bd. 1 u. 2, Leipz. 1814-15; fortgesetzt von Rüder, Bd. 3 u. 4, 1833), die sich freilich nur durch ihre Beschränktheit und Einseitigkeit auszeichnet. 1816 nach Petersburg zurückberufen, ward er als Staatsrat im Departement des Auswärtigen daselbst angestellt, erhielt aber schon 1817 die Erlaubnis, nach Deutschland zurückzukehren, und zwar unter Beibehaltung seines russischen Gehalts gegen die Verpflichtung, von Zeit zu Zeit Berichte über die öffentlichen Zustände in Deutschland einzuschicken.

Er nahm zuerst seinen Wohnsitz in Weimar, sodann in Mannheim und gab zugleich ein "Litterarisches Wochenblatt" heraus, das viel gelesen wurde, seinem Autor aber bald den Hass aller liberal Gesinnten erwarb. Namentlich rief der Hohn und Spott, mit welchem K. die patriotischen Bestrebungen der deutschen Burschenschaft übergoss, unter der deutschen Jugend allgemeine Entrüstung hervor. Dies trieb den schwärmerischen jenaischen Studenten K. L. Sand (s. d.) bis zum Fanatismus, und in Kotzebue den Todfeind aller Freiheit erblickend, erdolchte er denselben zu Mannheim 23. März 1819.

Kotzebues Talent als Lustspieldichter mußte der verschiedenartigsten Beurteilung unterliegen. Wer nur die Leichtigkeit seiner Phantasie, die Schlagkraft seiner Situationskomik, die theatralische Behendigkeit seines Dialogs und überhaupt seine Kenntnis der Bühnenwirkungen in Anschlag brachte, erklärte ihn für einen bedeutenden Schriftsteller; wer umgekehrt die bare Äußerlichkeit, Hohlheit und die Effekthascherei seiner tragischen und sentimentalen Erfindungen und Gestalten, die Frivolität seiner Komik und den unkünstlerischen Grundcharakter seines auf die Lieblingsneigungen und Schwächen des laxen und unterhaltungsbedürftigen Publikums fast allein gestellten Talents in Betracht zog, konnte ihn nur verurteilen. Schließlich ward das Gesamturteil über Kotzebue bis zur Ungerechtigkeit herb und verkannte selbst seine unleugbare Begabung.

Im ganzen veröffentlichte Kotzebue 15 Trauerspiele, 60 Schauspiele, 73 Lustspiele, 30 Possen, 11 Parodien und Travestien, 13 Vor- und Nachspiele und 17 Opern und Singspiele. Zu seinen besten Lustspielen, die begabten Darstellern noch heute Gelegenheit zu seiner Charaktermalerei bieten, gehören: "Die Verwandten", "Die beiden Klingsberge", "Der Wildfang", "Die deutschen Kleinstädter", deren Fortsetzung "Carolus Magnus", "Pachter Feldkümmel", "Der verbannte Amor", "Der gerade Weg ist der beste", "Das Intermezzo", "Die Pagenstreiche" und "Die Zerstreuten". Gesammelt erschienen seine "Sämtlichen dramatischen Werke" in 28 Bänden (Leipz. 1797-1823) und in 44 Bänden (das. 1827-29; neue Aufl. unter dem Titel: "Theater von K.", das. 1840-41). Eine neuerliche "Auswahl dramatischer Werke" (Leipz. 1868, 10 Bde.) und eine Sammlung "Ausgewählte Lustspiele" (2. Aufl., das. 1873) erweisen die in gewissem Sinn unverwüstliche Wirkungskraft seines theatralischen Talents. Seine Romane verfolgen meist eine frivole, verwerfliche Richtung; seine rhetorisch-pathetischen "Gedichte" (Wien 1818, 2 Bde.) sind ohne Wert. Vgl. "August v. K. Urteile der Zeitgenossen und der Gegenwart", zusammengestellt von W. v. Kotzebue (Berl. 1881).