Kosten und Nutzen der Kolonisation - Aus Erfahrungen lernen

Aus: Die deutschen Ansiedlungen in Russland - Einleitung 07
Autor: Matthäi, Friedrich (?-?) Offizier der kögl. Sächs. Armee, corresp. Mitglied der Kaiserl. freien ökonomischen Gesellschaft, sowie der Gartenbaugesellschaft zu St. Petersburg, Erscheinungsjahr: 1866
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Deutsche, Heimat, Auswanderung, Auswanderer, Kolonisten, Das Geschäftsleben der Bäcker und Apotheker, der Schneider, der Kaufleute, der Buchhändler, der Lehrer, Privatlehrer, Hauslehrer, Gymnasiallehrer, Universitätslehrer, Das Gesellschaftsleben, Die gute Gesellschaft, Die schlechte Gesellschaft, Die Frauen, Die Karten, Die Musik
Nur muss man von der Vergangenheit lernen, man muss nicht die Herbeiziehung fremder Kulturkräfte einem blinden Zufalle überlassen, wie es bisher gewissermaßen bei allen Kolonisationen in Russland geschehen, sondern man kann, man muss eine genaue Auswahl treffen und nur solche Kulturkräfte aus dem Auslande nach Russland ziehen, die dem Lande wirklich von Nutzen sind.

Die Kolonisation in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts muss sich ebenso von der der ersten Hälfte und jener des verflossenen Jahrhunderts unterscheiden, wie die Kulturentwicklung jener beiden Zeitepochen selbst. Die Opfer, welche der Staat heute bringt, müssen sich rascher und besser bezahlt machen, wie in früheren Zeiten. Überhaupt soll heute von einem Opferbringen in dem Sinne, wie zu Zeiten der Kaiserin Katarina, gar nicht die Rede sein. Ganz ohne pekuniäre Vorauslagen des Staates wird es freilich nicht abgehen können, allein diese Vorauslagen sollen nach dem von mir entworfenen Plane zu den besten Kapitalanlagen werden, welche einem großen Staate überhaupt geboten werden. Die Lage der russischen Staatskasse verbietet jetzt nicht nur mehr denn je jedes kostspielige Experimentieren, sondern sie fordert dringend, dass Russland anfange alle seine natürlichen Hilfsquellen auszubeuten, mit ihnen die Steuerkraft des Landes zu heben, und dem Staate von Innen heraus die Mittel zu schaffen, um den großen finanziellen Anforderungen zu genügen, die von allen Seiten in so gewaltigen Verhältnissen an ihn gestellt werden.

In der Kolonisation der in verschiedenen hierzu geeigneten Gouvernements gelegenen Staatsländereien, und zwar in einer geordneten, nach festen und bewährten Prinzipien eingeleiteten und streng durchgeführten Kolonisation wird eines der gesichertsten Mittel liegen, nicht nur den erweiterten Bedürfnissen der Staatskasse, sondern auch den Interessen des Landes zu dienen.

Diese Kolonisation, die ich vorzugsweise in die Hände der Staatsregierung gelegt sehen möchte, hat nicht den Zweck, den deutschen Staaten das Mittel zu bieten, sich ihres arbeitsscheuen Proletariats zu entledigen, sondern sie soll tüchtige, gebildete, strebsame und bemittelte Landwirte nach Russland führen. Ihnen kann hier, und zwar in erster Linie, auf den Staatsländereien Gelegenheit geboten werden, sich eine sichere und blühende Existenz, eine erfolgreiche Zukunft zu schaffen; sie sollen die Produktion durch ihre Kraft und ihre Mittel heben und beleben, sie sollen den russischen Bauern Gelegenheit bieten, sich mit den Fortschritten der Landwirtschaft vertraut und sich dieselben zu eigen zu machen, sie sollen von der russischen Regierung zwar geschützt werden, allein von ihr kein Almosen empfangen, sie sollen als freie Käufer von Grund und Boden auftreten, dafür soll ihnen aber der Weg, den sie betreten, vorher geebnet fein, so dass sie mit aller Kraft und Energie an ihre Kulturarbeit gehen können, und nicht genötigt sind auf kostspielige und zeitraubende Nebendinge ihre wertvolle Zeit zu verwenden. Der Nutzen, der aus einer solchen Kolonisation hervorgeht, soll nicht nur den Kolonisten, sondern auch der Krone und dem Lande zu Gute kommen.

Diese Grundsätze sind es, die mich beim Entwurfe meines Vorschlages hinsichtlich einer ausgedehnten ausländischen Kolonisation geleitet haben. Heute, wo es in ganz Deutschland Eisenbahnen gibt, wo der Krone Dampfschiffe zur Disposition stehen, wird sich eine geordnete Kolonisation weit rascher und zweckmäßiger durchführen lassen, als in jenen Zeiten, wo die einwandernden Kolonisten, wie es wirklich mit vielen württembergischen Ansiedlern geschah, um im Frühjahre an ihrem russischen Bestimmungsorte anlangen zu können, in Ungarn überwintern mussten. Heute werden zwischen der Abreise aus der Heimat und der Ankunft der Kolonisten an ihrem Bestimmungsorte nur höchstens einige Wochen, in einigen Fällen nur einige Tage liegen, und dadurch werden die Übersiedlungsunkosten sich so vermindern, dass die Ankömmlinge einen nicht unbedeutenden Teil derselben dazu verwenden können, ihre Ackergeräte, sogar ihr Vieh mit nach Russland zu bringen. Die Zukunft der russischen Landwirtschaft beruht, alle Verhältnisse deuten darauf hin, auf der Ausbreitung und dem rationellen Betrieb der Viehzucht. Letztere ist aber ohne gute Kulturrassen nicht möglich. Mit Ausnahme guter Pferderassen, deren Russland für verschiedene Zwecke ganz vortreffliche besitzt und mit Ausnahme des südrussischen Merinoschafs und des nordischen Cholmogoe’schen Rindviehstammes, fehlt es Russland in jeder Beziehung an guten Kulturrassen. Diese besitzt Deutschland in hohem Grade. Das Allgäuer, Oldenburger, Holländer und Voigtländer Rindvieh, ganz abgesehen von den für Niederungsgegenden weniger geeigneten Tiroler- und Schweizer Bergvieh, hat sich in allen Gauen Deutschlands eingebürgert und verbreitet; selbst das deutsche Landvieh hat seine Vorzüge und ist sehr veredelt worden, so dass es in jeder Beziehung dem einheimischen russischen Vieh vorzuziehen ist. Dasselbe gilt von den Schweinen, welche durch nachhaltige Kreuzung mit englischen Kulturrassen sehr veredelt worden sind. Wird die Kolonisation nach den von mir befürworteten Grundsätzen durchgeführt, so wird Russland ein Mittel geboten, sich ohne große Kosten in den Besitz der besten Kulturrassen, nicht in einzelnen Exemplaren, sondern zu Tausenden zu setzen. Überall wo Ansiedelungen entstehen, wird auch eine veredelte Viehzucht Platz greifen, und dadurch den russischen Landwirten Gelegenheit geboten werden, auch sich edle und zugleich akklimatisierte Viehstämme anzuschaffen. Der Vorteil, der hieraus für die russische Landwirtschaft erwächst, ist kein geringer, und allein schon des Versuches mit einzelnen Kolonisationsgruppen wert.

Vielfache praktische Erfahrungen, die zugleich auch auf dem historischen Studium der Kolonisationsgeschichte vieler Länder beruhen, haben mir die Überzeugung aufgedrängt, dass es für alle Verhältnisse zweckmäßig erscheint, wenn in Mitten der einzelnen Kolonisationsgruppen kultiviertes und kultivierbares Land reserviert werde, dessen Zweck es ist, verschiedenen Bestimmungen zu dienen. Ich habe hierbei vorzugsweise das Interesse des Staates und der Kolonisten im Auge gehabt, und in dem, dem zweiten, praktischen Teile, folgenden Kolonisationsplan, die Anlegung von Staatsgütern vorgeschlagen. Geht die Krone auf diese Idee ein, so gewinnt sie Ländereien, die mit der Zeit die wertvollsten in ganz Russland werden müssen, denn sie werden mitten in einer gut angebauten und kultivierten Gegend liegen, sie werden, in Verfolgung meines Planes mit guten, genügenden und verhältnismäßig billigen Arbeitskräften versehen sein, und es wird sich immer Gelegenheit bieten, dieselben oder einen Teil derselben je nach Wunsch und Bedürfnis zu den höchstmöglichen Preisen zu verpachten oder zu verkaufen. Diese Güter haben auch ihre volks- und landwirtschaftliche Bedeutung und Bestimmung, sie sollen nicht nur den neuen Kolonien als Anhalte- und Anlehnepunkt dienen, sondern auch dem Lande als Musterwirtschaften, als Stätten, wo vorzugsweise sich die Herde einer veredelten Viehzucht bilden. Sie können und sollen nach meinem Plane das russische Rambouillet werden. Wenn ich auf die russischen Privatkolonisationen wenig Wert gelegt, und gewissermaßen nur in negativer, abratender Beziehung Rücksicht genommen habe, so hat dies lediglich seinen Grund darin, dass ich nicht nur nach der bisher gemachten Erfahrung, sondern auch in Berücksichtigung der obwaltenden Umstände, mich veranlasst sehe, ihr jede praktische Bedeutung abzusprechen. Ich hoffe, dass eine Zeit kommt, wo diese Angelegenheit mit mehr Erfolg in Angriff genommen werden kann, als es jetzt möglich ist, wo ein Vorgehen in dieser Beziehung nur dazu dienen würde, Russland im Auslande allen Kredit zu nehmen. Neue Privatkolonisationen, es müsste denn sein, dass sie von tüchtigen, reich mit Mitteln versehenen Gesellschaften in die Hand genommen würden, werden nur dahin führen, wohin die alten geführt haben, zu Enttäuschung auf allen Seiten. Zur Kolonisation, d. h. zur erfolgreichen, dem Lande wahrhaft Nutzen bringenden Kolonisation gehören Mittel, die wohl dem Staate, aber nicht den Privatpersonen zu Gebote stehen. Für den Staat wird die Gewährung dieser Mittel kein Opfer, sondern sie wird zur nutzbarsten Anlegung seiner Kapitalien, zu einem reiche Zinsen tragenden Sparpfennig, dessen Kapitalwert nie angegriffen wird, sondern sich von Jahr zu Jahr mehrt. Dass ich mein Hauptaugenmerk dahin gerichtet habe, alle jene Mittel aufzusuchen, die geeignet sind, das Gedeihen der jungen Kolonien zu fördern, kann mir wohl nicht zum Vorwurf gemacht werden. Ist es konstatiert, dass die Kolonisation zu einem der wichtigsten Kulturmittel Russlands werden kann, und dass durch sie dem Staate und dem Lande Vorteile erwachsen, so müssen auch alle Hebel angewendet werden, um das was man will, möglichst vollkommen durchzuführen. Die großen Erfolge der Staatskolonisation liegen im Süden Russlands vor uns. Sie haben der Krone Millionen gekostet, welche die Kolonisationen der Gegenwart und Zukunft nicht kosten werden, und doch haben sich alle Opfer reichlich bezahlt gemacht, alle Vorschüsse sind längst zurückerstattet, und die Steuerkraft des Landes ist allein durch diese Kolonisation um 1.127.000 R. S. jährlich, der Wert der Produktion um viele Millionen jährlich gestiegen. Wir können bei künftigen Kolonisationen auf gleiche, ja wahrscheinlich noch raschere Erfolge rechnen und dadurch die Kultur in Gouvernements einbürgern, die derselben, um in das rege, schaffende Leben der Gegenwart hineingeführt zu werden, im hohen Grade bedürfen.

In dem Verhältnis aber, in welchem die Kultivierung Russlands vorwärts schreitet, wächst auch dessen Macht, sein Volksreichtum, sein Ansehen. In der Kultur des Landes liegt allein der Schlüssel zur inneren Konsolidierung Russlands. Kultur gibt Macht und Größe.

Russischer Gutsherr und Bauern

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Russischer Adel

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Russischer Muschik

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Russische Bäuerin

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Graf Tolstoi

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Armenisches Büffelgespann

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Tarantaß - Russlands Postkutsche

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Gasthaus im Kaukasus

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Kaukasische Kinder

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Pferdeschlitten

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Die Börse

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Volksleben in Petersburg

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Mutterliebe

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Russicher Bauer in Wintertracht

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Russisches Bauernmädchen

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Russischer Dorfmusikant

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Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

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