Germanische Zeit und Römischer Freistaat.

Die Schicksale dieses Gebietes in germanischer Zeit liegen im Dunkel, doch reicht die sicher beglaubigte Überlieferung noch 5) in die letzten Tage des römischen Freistaates zurück. Nachdem Marcus Agrippa im Jahre 38 vor Christus die rechtsrheinischen Ubier auf das linke Ufer des Stromes verpflanzt hatte, fand der Stamm seinen gottesdienstlichen und staatlichen Mittelpunkt bald eben dort, wo 6) heute das Haupt der Rheinlande sich erhebt. Den rechten Grund zu städtischem Ausbau im römischen Sinne legte dann Agrippina, die Tochter des Germanicus, da sie im Jahre 50 unserer Zeitrechnung bei der Ara Ubiorum eine Veteranenkolonie ansiedelte und zugleich diesen Ort, an dem sie geboren worden, durch die Beilegung 7) ihres Namens auszeichnete. Die Verquickung germanischer Art mit römischer Bildung vollzog sich schnell, gefördert insbesondere durch Ehebündnisse der italischen mit den rheinischen Bewohnern. Schon wenige Jahrzehnte nach der Gründung erwiesen die Ubier der Colonia Agrippina sich unzugänglich für die Aufforderung freiheitliebender Volksgenossen, die Fremden in ihrer Stadt zu tödten und ihre Festungswerke niederzulegen: während die große vaterländische Bewegung vom Gebiete der Bataver her alles rings erfasste, galten ihnen die engen Mauern eher als willkommene Schutzwehr für die Errungenschaften einer höheren Gesittung, denn als schmachvolle Denkmäler der Knechtschaft. Diese 8) Gleichgiltigkeit gegen das Schicksal der vaterlandstreuen Stämme, die bis zum offenen Verrate sich steigerte, ließ der Eroberer 9) nicht ungelohnt. Ausgestattet mit dem Vorzuge des ius Italicum, bald auch zum Hange einer Provinzialhauptstadt, zum Sitze zahlreicher Behörden erhoben, nicht selten sogar zeitweiliges Hoflager der Weltbeherrscher, gedieh das römische Köln zu immer größerem Ansehen. Hier wurde Vitellius zum Cäsar ausgerufen, hier empfing Trajan die Kunde, dass auf ihn die höchste Macht des Erdkreises übergegangen sei, hier erhoben und stürzten mehr denn einmal aufrührerische Prätorianerhaufen die Eintagskaiser des wankend gewordenen Staatsgefüges. Dass solcher politischen Bedeutung dieser 10) Stadt auch ihr äußerer Glanz entsprach, davon legen zahllose Baureste heute noch Zeugnis ab; geschieht doch im Bereiche der ältesten Umfassungsmauern Kölns in unseren Tagen kaum ein Spatenstich, der nicht römisches Gestein an das Licht brächte, dürftige Trümmer vielleicht von ähnlichen Prachtgebäuden, wie sie das Trier des konstantinischen Zeitalters schmückten. In der Sage 11) lebt vor allem noch die Erinnerung an eine gewaltige Wasserleitung, welche durch die Täler der Eifel hindurch das Haupt der Germania secunda mit der Cäsarenstadt an der Mosel verbunden habe. Auch die steinerne Brücke, welche Konstantin hier im Anfange 12) seiner Herrschaft über den Strom führen ließ, wird als ein kühnes Seitenstück zu der großen Donaubrücke Trajans gepriesen. 13)

Allein aller Prunk und alle Größe der Kaiserzeit war dem Untergange in den vernichtenden Stürmen der nächsten Jahrhunderte geweiht und nichts würde der jungen Ansiedlung eine lange, ruhmvolle Zukunft gesichert haben, hätte nicht in minder wandelbaren Verhältnissen auch für sie der weitschauende Blick des städtegründenden Römerthumes sich bekundet.


Fern genug entlegen von den steileren Uferhöhen, um den Überfällen eines aus dem Gebirge hervorbrechenden Feindes entrückt zu sein, im Beginne der grossen Rheinniederung aber die einzige beträchtliche Bodenerhebung am schiffbaren Strome, war der Hügel, auf dem Köln entstand, für alle Zeiten der günstigste Punkt zur kriegerischen Deckung des Flachlandes. Andersartige Vorteile der natürlichen Lage gesellten sich zu diesen. Ein Rheinarm, der bis in das zwölfte Jahrhundert hinein dicht an dem Standorte des heutigen Rathhauses vorbeiströmte, die nächste Umgebung der Abtei St. Martin und der ehemaligen Pfarrkirche St. Brigida zur Insel gestaltend, schuf in Verbindung mit der weiten, halbmondförmigen Bucht des Flusses einen Hafen, wie er geräumiger und sicherer weit und breit nicht mehr zu finden war. Und gerade an dieser Stelle beginnt zugleich die Beschaffenheit des Strombettes die Fahrt mit Schiffen von sehr bedeutender Tragfähigkeit zu gestatten. Ähnliche Förderung gewährt dem Verkehre das Höhenverhältnis der beiden Ufer zu einander, durch welches hier einer der wichtigsten Fähr- und Brückenpunkte für den niederrheinischen Übergang nach dem Osten begründet wird. Der Andrang musste schon in früher Zeit um so mehr sich steigern, als bei Köln auch der kürzeste Weg von der oberen Maas her mündete und ebenso die Straße, welche von den Ausflüssen der Scheide längs der Ardennen sich bildete, hier den gelegensten Endpunkt fand.14)

Diese glückliche Verbindung örtlicher Vorzüge vermochte keine Zerstörung durch Menschenhand hinweg zu tilgen. Es ging aber vielfältige Verwüstung über Köln dahin. In den Tagen der Völkerwanderung und in den unruhvollen Zeiten, da die germanischen Stämme sich einzurichten suchten auf dem Boden des Weltreiches, ward der Römerstadt ihr blühender Reichtum, ihr Ansehen und ihr Rang als Waffenplatz, ihre bedeutsame Lage am Rheinstrome zum schlimmen Verhängnisse. Wie oft sie damals den Herrn gewechselt hat, wie oft ihre Mauern erfüllt waren von den Feinden Roms, wie oft sie in Asche gesunken ist, das entzieht im 15) einzelnen sich unserer Kenntnis.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Köln im Mittelalter