Einführung.

Wer aufmerksam beobachtet hat, wie in den letzten Jahrzehnten die Mittelpunkte des Handels und der Gewerbtätigkeit am Niederrhein und im angrenzenden Westfalen sich entwickelt haben, der wird leicht zwei Arten städtischer Gebilde hier zu unterscheiden vermögen: die einen aus dem Nichts hervorgetreten, gleichsam lose zusammengefügt aus Häusermassen, welche rings um Kohlenschachte, Eisenschmelzen und Riesenwerkstätten oder an wichtigen Kreuzungsstellen der großen Verkehrswege in rascher Folge sich gelagert; die anderen, erwachsen auf geschichtlichem Boden, zu neuer Blüte gediehen durch die Zurücklenkung alter, befruchtender Strömungen in ein verlassenes Bett, durch die Beseitigung von verjährten Hemmnissen einer freieren Entfaltung, durch die Anerkennung der Lebensbedingungen einer veränderten Zeit. Es ließen in jenen Gebieten sich Orte nennen, welche, groß angelegt wie die Städte des amerikanischen Westens, mit schnurgerade verlaufenden Straßenzüge weit in die Heide sich verlieren, den zugemessenen Raum aber niemals auszufüllen vermocht haben, weil jede Schwankung des Weltmarktes alles geschäftige Treiben stocken ließ, die Vollendung alles Werdenden in Frage stellte. Solchen unfertigen Gestaltungen eines hastigen Aufstrebens gegenüber stehen in gesunder Fülle die Gemeinwesen von geschichtlicher Bedeutung wie Duisburg, Dortmund, Düsseldorf, Köln.

Köln vor allen gewährt in unseren Tagen den Anblick kraftvoller Blüte. Noch die jüngeren aus dem heute lebenden Geschlechte haben gesehen, wie diese ehrwürdigste Großstadt des alten Reiches einen vielhundertjährigen Mauerring zersprengte, um in weniger als einem Jahrzehnte zu ihrem bisherigen Flächenraume ein doppelt und dreifach so großes Gebiet hinzuzugewinnen. Wall und Graben sind eingeebnet, weite Prunkstraßen haben zauberhaft schnell sich gebildet, die ringsum erwachsenen Tochterstädte, von denen manche schon seit langer Zeit selbständiger Bedeutung sich rühmen durften, sind in den Schutz der übermächtig gewordenen Metropole getreten und vorüber an den spärlichen Resten der Torburgen von ehedem flutet jetzt ein stärkeres Leben auf neuen 1) Bahnen. Und selbst der alte Rheinstrom erscheint gewaltiger, seit Handelsschiffe ihren Weg von unserem Dome bis zur Londonbrücke 2) nehmen.


All dieses frische Leben aber ist in seinen Hauptzügen nichts als eine Erneuerung, nichts als eine breitere Entfaltung lange angesammelter, lange gehemmter Kraft. Denn Köln ist eine geschichtliche Stadt in hervorragendem Sinne. Die volkstümlichen Chronisten des fünfzehnten Jahrhunderts rühmen gerne von ihr, 3) dass sie eine Altersgenossin der Gottesmutter Maria sei, und deuten damit an, wie sie recht eigentlich berufen war, an der Wiege des Christenthums in Deutschland zu stehen. Mit nicht geringerem Stolze preist die gelehrte Geschichtschreibung späterer Zeit den römischen Ursprung der Vaterstadt, als lägen in solchem Zusammenhange mit dem Weltreiche die Bedingungen wie die Anfänge 4) der künftigen Größe. Und in der Tat empfängt durch die Verbindung dieser beiden Elemente, des römischen und des christlichen, die ältere Geschichte Kölns ihr eigentümliches Gepräge und ihre besondere Bedeutung für den Gang aller Kulturentwicklung am Niederrhein.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Köln im Mittelalter