Fortsetzung

Unabsehbar sind die Reihen der Dreck- und Aschenhaufen in den Straßen, denn wurde auch die Asche und der Kehricht in den belebteren Straßen zum Abholen für den „Dreckmann" in Körben hingestellt, so war es aber eine Lieblings-Beschäftigung der Knaben, diese Körbe umzuwerfen, und zudem wurde aller nur denkbare und undenkbare Abfall und Unrat ungescheut vor den Häusern ausgeschüttet, der an manchen Stellen, selbst mitten in der Stadt oft hügelhoch angewachsen. Menschlichkeiten findet man aller Orte, und namentlich um die Kirchen und öffentlichen Gebäude, wie dies eine Menge Sprichwörter und sprichwörtlicher Redensarten bekundet. Die Natürlichkeit tut sich dabei eben so wenig Zwang an, wie noch heutigen Tages in den Städten Italiens und Spaniens. An diese Länder erinnern uns auch die vor allen Kirchtüren, besonders an Festtagen, haufenweise lungernden Bettler und Bettlerweiber, die von Geschlecht zu Geschlecht das Bettlergewerbe trieben, denn selbst die Plätze der Bettler an den Kirchen waren erblich, wie auch die der „Kähzemöhne", welche den frommen Seelen die kleinen Unschlitt- und Wachs-Lichter zu ihren frommen Opfern verkaufen.

Scharenweise ziehen, besonders an Freitagen und Sonnabenden, die Bettelweiber, die Röcke über den Kopf geschlagen, durch die Straßen zu ihren Kunden, wo sie der Gabe gewiss sind. An den Türen schnarren sie ihre Gebete monoton herunter, und auf „Tods Amen" folgt wohl zuweilen ein eben nicht erbauliches Schimpfwort, werden sie mit dem altherkömmlichen: „Joht e God’s Name" abgewiesen, was übrigens eine Seltenheit. Jeder ordentliche Bürger hatte seine Anzahl „Aerm Lück", wodurch die Bettlerklasse stereotyp, so dass die meisten der Professionsbettler eine wahre Meisterschaft im Bettlen oder „Kötten" 1) besaßen, in der Italiens Bettler ihnen den Preis nicht streitig machen konnten.


Streng durchgeführte, regelmäßige Straßen-Reinigung hielt man für Überfluss. Noch vor Tagesanbruch rasseln die Schürres- oder Handkarren der so genannten „Mistschröfler" polternd durch die Straßen, um den Unrat fortzuschaffen; sie nehmen aber bloß, was sie als Dung benutzen können. Am Morgen sieht man allenthalben Weiber in Tätigkeit, die neu entstandenen Aschenhaufen aus einander zu wühlen, um die Kohlen zu suchen, die vielleicht durch den Rost gefallen, wenn auch in einer echten Bürgerhaushaltung selbst die Asche noch zum zweiten Male durch den Ofen muss. Eine stehende Beschäftigung der Bettlerklasse ist dieses Aschedurchwühlen, umsonst hieß es da nicht: „Dae Drickes deit ene goden Heroth." — „Wae kritt hae dann?"" — „Et Sting, datt hatte ene Stüver Geld, ene neue Korf, un auch en god Hand zom raafen.“ — Hieran reiht sich das „Sodenschrappen", das Durchsuchen der unbeschreiblichen Straßenrinnen nach altem Eisen, Nadeln und dergleichen, die gewöhnliche Beschäftigung des Bettler-Nachwuchses beiderlei Geschlechts.

Die Mistsultane mit ihren Harems scharren im Laufe des Tages die Kothaufen völlig aus einander, denn Hühner werden in allen Straßen gehalten. Meist sind die Keller ihr Obdach für die Nacht; die Straßen im Tage ihr Reich. Nach dem Mittagessen liegen die Eigentümer auf der „Gader", so heißen die halben Türen an den Häusern der Handwerker und Krämer, und weiden sich mit genüglichem Selbstgefallen an ihren stolzen Gockeln. Hahnenkämpfe sind an der Tagesordnung. Die Herren der befiederten Gladiatoren nehmen Partei, und gewöhnlich endigt in einer Nachbarschaft der Kampf mit einer Schimpferei der Hahnenkönige, gegen welche die Helden Homers wahre Schulbuben sind.

Öde, menschenleer sind die meisten Straßen. Nur wer muss, geht bei Tage aus; an Werkeltagen ist Spazierengehen etwas Abnormes. Ich habe noch alte Leute gekannt, die nie vor die Stadttore gekommen, nicht wussten, ob das Korn am Halme oder auf den Bäumen wuchs. Besonders auf Frauenzimmer, die sich viel auf der Straße sehen ließen, wurde mit Fingern gezeigt, sie erhielten den bezeichnenden Namen „Laeufersche", und waren sie in ihrer Toilette etwas modisch auffallend, noch andere.

Gar oft beizt Dir in den gangbarsten Straßen scharfer Holzdampf die Augen; es sind die Fassbinder, welche auf der Straße ihre Fässer ausbrennen, wie sie denn überhaupt ihr Geschäft meist mit betäubendem Gehämmer auf offener Straße treiben. Dichter Kaffee- aber noch häufiger Zichorien-Dampf qualmt uns an manchen Orten erstickend entgegen, da man auch die Straße zum Kaffee- und Zichorien-Brennen benutzt, besonders des letzteren — es war die Blütezeit des „Zuckereis", welcher eben nebst so manchen Surrogaten, mit denen uns die französische Zeit beglückte, aufkam.

An den gangbareren Straßenecken und Plätzen hatten die Freundinnen der Kinder, die „Appeltiffen" ihre Stände, ihre urherkömmlichen Sitze, oft Familien-Privilegien. Ich werde nie „et dauv Griet" an der Bechergasse vergessen, nie die Frau Ködtjes, ein wahres „Roß Bayard" 2), „mieh als en Rihpäht", wie der Kölner ein die gewöhnlichen Formen-Verhältnisse überschreitendes Frauenzimmer nannte, der kolossale Diktator der Fladdergaß auf dem Markte. Welche Freuden, wenn die ersten „Kesche-Steckelcher" an de „Kröhm", dann de „Katömmelcher, de fresch geleute Nöß, de Melacatungse 3), de gekochte Kruschteien (Kastanien), die Kruschteien-Kränzcher, de gebacke Birren" kamen. Die „Huschpöttcher" der Apfelweiber und Kappesbäurinnen im Winter, die Feuerkieken, die holländischen Stoofjes, in die mitunter eine mit Schießpulver gefüllte Holzkohle praktisiert wurde, oft mehr als komisch in ihrer Wirkung, zum Jubel der den Schelmenstreich verübenden Knaben. Die Apfelkräme waren der grüne Tisch der Knabenwelt, von den hier gepflegten Spielen werden wir uns später noch unterhalten.

In der Nähe der Kräme, an den Ecken der Hauptstraßen lungern nach urherkömmlichen Gebrauche unsere Eckensteher, die „Schürger", die Help en bandoulière, und die aufgesteckte blaue Schürze fehlt nie, die Factota der gesamten Nachbarschaft, da sie nicht selten mehr als ein Menschenalter eine Stelle behaupten, die Stammbäume ganzer Straßen kennen und selbst in die Mysterien zarter Natur eingeweiht sind, denn die besaß Köln auch vor fünfzig Jahren, wie ich mir erzählen ließ.

Der alte Kölner setzte einen Stolz darin, eine „Zo Döhr" zu haben, d. h. kein Geschäft zu betreiben, nur machte hierin eine Ausnahme alten Herkommens, dass einzelne Familien den Wein, den sie selbst gezogen, aus dem Hause verzapften. Man hielt es sogar für afgruntierlich Zimmer zu vermieten, und hatte man des Raumes noch so viel. Zimmer-Bewohner wurden mit einer Art Geringschätzung als „Kammerhäre" bezeichnet.

Die Geschäftstreibenden haben meist halbe Türen, so genannte Gader mit einer Schelle, und, was der Mann zu verkaufen hat, selbst Brot, Fleisch und Fisch, und wie sonst die Handelsartikel heißen, sie müssen auf irgend eine Weise, auf Stellagen, an Krampen auf die Straße gehängt werden; an Straßensperre konnte da nicht gedacht werden, es war kein Straßenverkehr. Höchst originell sind die Inschriften der Aushängeschilder der kleinen Herbergen in den Torstraßen. Bei den Branntweinbrennern „Brandewingstöcherer", wo ein „Dröpche" gezapft wird, fehlt nie über oder neben der Tür der Wachholderstrauch, den unsere Väter „Hand Gottes" nannten. Die größeren Laden in Manufaktur-Waren, Laken, wie der Kölner das Wollentuch nennt, Zitz, Kattun u. dergl., haben den größten Teil des Vorrates berghoch auf Stühlen vor den Türen ausgekramt, nach dem Erfahrungssatze: „Wat der Boor nitt süht, dat en kaeuf hae nitt"! Auf dem Altenmarkte, dem „jolde Bödemchem", wie seine Umwohner den Platz mit selbstgefälligem Stolze nannten, in der Bechergasse, alten Stils: „Gürtler-Gässchen", dem Zentralpunkte des Detailhandels, lag die größte Kunst im „Usstievel" und in der Suade, mit welcher die „Voerstaendesche" oder die Ladenjungfern die Vorübergehenden zum Kaufen von der Türschwelle einzuladen suchten. Eine Kunst, in der sie den Damen des ehemaligen Pariser Temple nicht nachstanden und selbst mit russischen Ladenbesitzern wetteifern konnten. Echt patriarchalisch war aber noch damals die Sitte, dass jeder einzelne Laden sich auf bestimmte Waren beschränkte, es für eine Sünde gehalten wurde, zu führen, was der Nachbar führte.

Das Ladengeschäft war sehr häufig die Aufgabe der Hausfrau, wenn der Mann noch ein Amt oder einen Dienst hatte. So finde ich noch in einem Adressbuche des Jahres 1797: „Filzengraben 61, Jacob Bender, Advokat, und tut in allen Gattungen von Ehlenwaren", oder, um wenigstens einige Proben zu geben: „Holzmarkt 230, Joh. Jos. Ortmann, Ratsverwandter, Kammer-Assessor und schwarzer Seife Fabrikant", auf der Hoch
Pforte 6613: „Wilh. Jos. Wecus, Ratsverwandter, Stimmmeister, Ratsrichter und Kriegs-Commissarius, Pulver-Fabrikant, Spediteur und handelt auch mit Wechseln", oder Heumarkt 1074: „J. P. Kramer, Ratsverwandter, Kammer-Assessor, und tut in Specerey."

Damals gab es auch noch Kaufleute und Fabrikanten, die ihr Journal, Memorial, Kassen- und Hauptbuch im Kopfe hatten, da sie Schreibens unerfahren. Ihr Comptoir bestand in Notizstrichen hinter der Tür, oder in dem uralten Kerbholze, dem Hauptbuche der Bäcker meiner Kindheit. Außerordentlich reell müssen aber die Geschäfte gewesen sein, denn noch steht es lebendig vor meiner Seele, dass wir Knaben die Kinder eines Kaufmannes unserer Nachbarschaft, welcher fallierte, mit einer Art Abscheu betrachteten, mieden, als ob sie den Aussatz gehabt hätten. Mord und Todschlag hätte schwerlich unter der Bürgerschaft keine größere Wirkung hervorrufen können, als ein Bankerott in damaliger Zeit. Jahre lang war ein solcher Fall Gegenstand der Unterhaltung! In dem Schimpfworte: „Bankrotter", oder „Bankröttisch Pack" lag für uns Kinder der Inbegriff alles Schlechten. Und nun erzählte man uns, wie in alten Zeiten in Köln die Bankerottierer Jahr und Tag, das heißt ein Jahr und sechs Wochen mit einem Strohhut umhergehen, und an den Festtagen an der Domtür sitzen mussten, die Vorübergehenden um Almosen anflehend, damit sie ihre Schulden bezahlen konnten. —

Welch' ein Leben auf dem Markte an den Markttagen, besonders am Freitage, dem Hauptmarkttage. Das Anrufen der Gemüsehändlerinnen, der Marktweiber, welche über dem allgemeinen Kopftuch, gegen Sonnenschein und Regen, noch den eigen geformten schweren flämischen Strohhut tragen, das Anpreisen ihrer Waren und das laute Handeln. Keine Bürgerfrau ließ sich den Marktgang nehmen. Mitunter wird der Markt an einem Tage ein paar Mal besucht, um zu sehen, ob ein „Rämschge" zu machen, d. h. zufällig irgend etwas vorteilhafter einzukaufen. Haushälterisch waren unsere Mütter.

Was drängt sich dort das Volk zusammen? Weshalb eilt Alt und Jung an die Türen. Wildes Geschimpfe; in den Ausdrücken nicht weniger originell und kräftig und saftig, wie die berühmten Sachsenhäuser bei Frankfurt, sind die kölnischen Dames de la Halle, unsere Poissarden. Von Worten sind sie zu Taten gekommen, zuerst wird der Kampf mit Körben und Bleivchen gekämpft, dann geraten sich die Markt-Mänaden in die Haare, zerkratzen und zerzausen sich, wie die Furien, reißen sich die Kleider vom Leibe zum Jubel der Umstehenden. Wer schildert das Wutkreischen der Rasenden? Wer ist im Stande, die Schimpfreden und Einladungen wiederzugeben? Selbst Shakespeare hätte bei den Vorkäuferschen und Marktträgerinnen Kölns noch Manches lernen können. Ein Markttag ohne ein ähnliches Schauspiel war nicht denkbar.

Jeder Markttag bringt seine neuen Bänkelsänger, stets von hellen Haufen umlagert, besonders von Landleuten, die bei den grässlichen Mordgeschichten, den überschwänglichen Ungeheuerlichkeiten, von der heiseren Stimme eines Weibes mit dem größten Pathos erzählt und gesungen, gar oft, von ihren Gefühlen überwältigt, in Tränen zerfließen. An Scharlatanen auch kein Mangel; hier stickt einer Porzellan, versilbert Kupfer und Messing, macht Flecken aus und preist der Himmel weiß, welche Mittel an, bis zu der englischen Wichse, deren Wunder wir als eine neue Erfindung bestaunten, denn außer Tran, kannten wir nur Eierwichse; beim gewöhnlichen Bürger aber auch nur ein Sonntags-Luxus, zu welchem die sparsamen Hausmütter selbst die faulen Eier aufbewahrten. Und dann in der Kirche als Knabe auf den Steinplatten neben Jemanden knien, dessen Schuhzeug also parfümiert.

Auf mich machte immer einen unheimlichen Eindruck die fremde Erscheinung der ungarischen „Triakelkrämer", die gelben Gesichter mit den kleinen, scharfen, pechschwarzen Augen, den aufgewichsten, weitabstehenden, schwarzen Schnauzbärten, den blauen oder grauen Schanzläufern, den hellblauen, reich mit Metallknöpfen besetzten Jacken, den anliegenden Hosen und den bespornten Stiefeln. In viereckigen Kistchen trugen sie ihre Medikamente, ihre Panaceen feil, kannten Mittel für jede Krankheit und jedes Gebrechen bei Menschen und Vieh — und hatten stets große Kundschaft, besonders unter den Frauen. Man schilderte sie zudem uns Kindern als Seelenverkäufer, welche besonders in Deutz hausten, wie man uns vormalte, um uns nur jedes Gelüste zu nehmen, uns jemals über den Rhein zu wagen.

Einen eben so ängstlichen Respekt, wie vor den Triakelkrämern, hatte ich vor den Häusern, auf deren Türen oder Fensterladen ein weißes Kreuz auf schwarzem Schilde angebracht war. Dem vorwitzigen Knaben hatte man gesagt, dort wohnten Kartenschlägerinnen, selbstredend Hexen. Es waren, wie ich später erfuhr, die Wohnungen der Hebammen.

Jedes Stadtviertel hat seine komische Persönlichkeit, irgend ein männliches oder weibliches Original, einen Spielball der harmlosen Spötterei der Knaben und selbst älterer Leute. Die „Alles ist vergänglich"! der „Bombom", das „Hungsmadämche" waren an allen Enden der Stadt bei Jung und Alt eben so bekannt, wie der „Hat er jet zo binge"?! das „Melcherche", das „Schötzengelche", der „gecke Habilius", „Herr Pax ä Papierche"? der „Krumme Siebenundsiebenzig", „Et Elsteraugen Evche" und wie die sonstigen komischen Straßentypen alle hießen. Zu den Straßenstaffagen gehören auch die immer im Trabe daherschlänkernden Barbiere, die Perückenmacher mit den aufgemachten Perücken daherrennend, oder mit den Schachteln, in denen sich die zurechtgemachten Haartouren der Damen befanden, und zu gewissen Tageszeiten die Bäckerburschen in den blauen Schürzen, welche Brot zu ihren Kunden trugen, oder mit den Hefenbüttchen bei den Brauern Jagd auf Hefe machten.

Auf den meisten öffentlichen Plätzen nach den Schulstunden oder an den Spieltagen immer munteres Kindertoben. Jede Jahreszeit, jeder Monat brachte sein Spiel, seine Unterhaltung, wie wir später hören werden, und mit der größten Gewissenhaftigkeit wurden diese Fristen von der lauten Knabenwelt, die ungestört an allen Orten nach Herzenslust spielen durfte und spielte, inne gehalten. Damals gab es noch keine Protokolle wegen „Platsch und Ross" spielen, wegen eines unschuldigen Kreisels oder Fangballes, der vielleicht einmal den Unrechten getroffen, oder unglücklicher Weise seinen Weg in eine Scheibe oder Straßenlaterne genommen hatte. Mutwillig, voller Schelmenstreiche, „Leckspönerei", sagt der Kölner, spieltoll war die Jugend, aber nicht so gemein frech, so raffiniert, so zerstörungssüchtig, wie es unsere Straßenjugend jetzt ist, trotz allen Schulzwangs, trotz aller Polizei-Agenten und aller Konstabler. Die Stadtpolizei stand damals unter dem Bürgermeister. Die Stadt hatte einen Polizei-Inspektor, vier Polizei-Kommissare, deren jeder zwei Polizei-Diener, nach kölnischer Bezeichnung „Sergeanten" oder „Zäbelchesmänner", zur Verfügung standen. Des öffentlichen Straßenspiels schämten sich selbst Jünglinge nicht, denen die Konskription mit allem ihrem bitteren Herzleid vor der Tür stand.

Oft sehen wir auf den Plätzen, in den Straßen die Jugend heiße Schlachten fechten; denn feindselig standen sich die einzelnen Plätze, wie der Domhof, der Altenmarkt, der Heumarkt und der Augustinerplatz und die verschiedenen Schulen entgegen, und gar oft bricht dieser Hass unter den Knaben in wilde Treffen aus, bei denen Fenster und Straßenlaternen eben nicht verschont blieben, und welche häufig das Einschreiten der Polizei notwendig machten. Ein ewiger, unversöhnlicher Krieg bestand zwischen den Zöglingen der Sekundar-Schule — früher Jesuiten-Gymnasium — der Boosch 6), wie die Kölner sagten, und den Schülern der umgrenzenden Pfarrschulen, ein Hass, der sich bis in die freireichsstädtischen Zeiten verfolgen lässt, wo sich außerdem die so genannten Studenten der drei damals bestehenden Gymnasien stets in den Haaren lagen und die Zipfel ihrer Mäntel, in die selbst Steine geknüpft wurden, mit der größten Hartnäckigkeit gegen einander gebrauchten. Diese im Sommer sich oft wiederholende Knaben-Krawalle hatten die Folge, dass sich ein Knabe nicht ohne Begleitung aus seinem Bezirke in einen anderen wagte, weshalb uns, außer unserer Nachbarschaft, dem Kirchspiel, das übrige Köln eine wahre Terra incognita war.

Einen allgemeinen Straßenaufruhr gibt es, wenn zuweilen ein armer Hund, dem böse Buben ein altes Blechgeschirr an den Schwanz gebunden haben, wie rasend durch die Straßen rennt, und durch das Geschrei der Straßenjugend: „Geis do heim! Geis do heim!“ aufs Äußerste verwirrt in einen Leichenzug gerät, der unter herkömmlichem Choralgesang langsamen Schrittes dahinzieht. Unter großem Geleite von Geistlichen und Verwandten wurden die Leichen aller nur etwas wohlhabenden Bürger von Alexianer-Brüdern durch die ganze Pfarre, in der sie gestorben, getragen. Die Protestanten hatten schon einen Totenwagen, immer für uns Kinder im Geleite der Schreibrüder eine auffallende Erscheinung. Straßenauflauf veranlasste das Begräbnis; eines Juden.

Nicht geringeren Lärm setzte es ab, wenn im Sommer die Schinder durch die Straßen zogen, um die frei laufenden Hunde tot zu schlagen, immer gefolgt von einer Rudel Knaben, welche es darauf anlegten, mit dem Rufe: „Geis do heim! Geis do heim!" die Hunde zu verscheuchen, und nun die Hundejäger verhöhnten, hatten sie, zum Jubel der Bürger, denselben einen armen Hund abgejagt.

In einigen entlegenen Straßen, wie Diepengasse, Griechenmarkt, Löhrgasse, Entenpfuhl und Altengraben, wohin sich jedoch selten Jemand ohne Notwendigkeit verlief, finden wir im Sommer ein Stück Italien, italienisches Straßen-Leben, den reichsten halb nackt, oder ganz adamitisch sich herumtummelnden Kindersegen. Vor den Türen der niederen, hüttenähnlichen Häuser, in langen Reihen im zwanglosesten Negligé, die Spitzenklöppelerinnen, die „Wirkeschen". Derber Scherz und Witz, die originellsten Lieder begleiten die künstliche Arbeit. Da singt die Eine:

      „Dausend Seufzer schecken ich zo Der
      Durch einen kalten Wind vun mer.
      Wann ich an Dich denke,
      Wann ich denk’ an Dich.“

Unerschöpflich ist der Reichtum an ähnlichen Liedern, welche die kunstgeübten Finger der Wirkerinnen beflügeln.

Die Erscheinung eines Fremden erregt Aufmerksamkeit. Er wird verspottet, verhöhnt, und weh' ihm, lässt er sich mit diesen Weibern in Wortstreit ein, tritt er Einer zu nahe, „Dae kraeg si Fett", wie der Kölner sagt 7). Unerschöpflich ist die Sturmflut der Schimpfreden, besonders aber, wenn sie unter sich in Wortkampf geraten; hier kann die zungenfertigste Sachsenhauserin in die Schule gehen, an schlagendem Wortwitze wird sie übertroffen. In diesen Straßen kommt es auch noch vor, dass den Zimmerbewohnern Tür und Fenster ausgehoben werden, wenn sie die Miete, den Zins nicht bezahlen können, um so der Freigäste ohn zu werden.

Ein trauriges Bild „weißen Sklaventums" waren die so genannten Wirkschulen, etwa fünfzig an der Zahl, in denen vielleicht 800 bis 1.000 Mädchen, die für gewisse Jahre an die Vorsteherinnen dieser Schulen völlig verkauft waren, im Spitzenklöppeln unterrichtet wurden, der unverschämtesten, schnödesten Gewinnsucht ihre Jugend und ihre Gesundheit zum Opfer bringen mussten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Köln am Rhein vor fünfzig Jahren - Straßen-Leben