Köln am Rhein vor fünfzig Jahren - Straßen-Leben

Sittenbilder nebst historischen Andeutungen und sprachlichen Erklärungen
Autor: Weyden, Ernst (1805-1869) Kölner Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1862
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Straßen-Physiognomie — Pflaster — Equipagen — Das alte Dom-Kapitel — Bettler — Straßen-Reinigung — Hahnenkämpfe — Läuffesche — Äpfelweiber — Schürger — Usstievel — Ladengeschäfte — Marktleben — Ausrufen in den Straßen — Straßen-Unterhaltungen — Stadt-Originale — Kinderspiele in den Straßen — Spitzenklöppeln — Wirkschulen.
Inhaltsverzeichnis
Der alttestamentarische Fluch: „Es soll Dir Gras vor der Tür wachsen!" ist der Mehrzahl der Häuser, wenigstens in den dem Verkehr fern liegenden Gassen und Straßen in Erfüllung gegangen. Und diesen Fluch, der verderbendrohend auf der Stadt lastete, konnte Napoleon dadurch nicht bannen, dass er Köln unter die 49 „bonnes villes de l’Empire" aufnahm.

Wo es die Breite der Straße nur einiger Maßen zulässt, sind vor einzelnen Häusern ein paar Linden- oder Kastanienbäume gepflanzt, hat man die Enge des Weges durch eine Reihe von Grenzsteinen, an den Häusern der Vornehmern mitunter durch Ketten verbunden, noch mehr verengt. An einzelnen Häusern sind steinerne Sitzbänke angebracht, schwere Basaltblöcke fast an allen Türen und auf den Häuserscheiden eingelassen. Sie haben, wer weiß, wie vielen Geschlechtern zu Sitzen gedient, sind durch die Zeit ordentlich poliert, und wurden teilweise beim Neubau des Sicherheitshafens weggeschafft, als Baumaterial benutzt.



Gepflastert sind die Hauptstraßen; aber wie? Ich hörte noch unseren seligen Herrn Erzbischof, den Grafen Ferdinand August von Spiegel, auf die Frage, wie ihm die Stadt gefalle, sich dahin äußern, „die Stadt fei sehr interessant, aber nur schade, dass man in den Straßen weder gehen, noch reiten, noch fahren könne." Und welche Tierquälerei in den Straßen! Gestürzte, unter den Lastfuhren zusammengebrochene Karrengaule sind ein gewohntes, tagtägliches Straßenschauspiel, um das wir an allen Enden Haufen von Gaffern gruppiert finden, so glatt rund sind die großen, abgeschliffenen Basaltsteine, so lückenhaft ist die unregelmäßige Pflasterung, zu der man zuweilen, so unter sechszehn Häusern, viele Fuß breite Blöcke, halbe Mühlensteine und dergleichen verwandt hatte. Dass uns Knaben das regelmäßige Pflaster auf dem „Platz", wie man, nach mittelalterlichem Herkommen, den in seinen drei Eingängen durch schwere Gittertore geschützten Raum vor dem Rathause und das Rathaus selbst, den eigentlichen Bürgerplatz, hieß, als wahre Mosaik-Arbeit erschien, wird Niemanden wundern.

Die wenigen Equipagen, die in der Stadt gehalten wurden, — nur Herstadt, Mumm und Schaaffhausen hielten Luxuspferde und fuhren auch wohl vierspännig —, waren auf das Pflaster gebaut. Die gewichtigen Kasten hingen in schwerem Riemenwerk an massiven Federn oder Schwanenhälsen, hatten schwerbeschlagene Räder, und wirkten Nieren, Herz und Nerven erschütternd. Fahren gehörte übrigens zu den seltenen Vorkommnissen des Lebens. Die Bürger bedienten sich bei festlichen Gelegenheiten der ungeheuren Kasten der Lohn- oder Heuerkutscher, deren die Stadt siebzehn zählt. Selbst Kaufherren, die eigene Wagen besaßen, hielten keine Pferde, denn nur „keine fressenden Möbel"! war ein Grundsatz der alten Kölner. Hielt ein Kaufmann Pferde, so bediente er sich derselben auch zum Gütertransport; doch war dies noch eine Seltenheit, denn der echte Kölner hätte sich ein Gewissen daraus gemacht, weil dadurch die „Rihführer", oder Fuhrleute am Rhein in ihrem Verdienste beeinträchtigt. „Leven, un leve lôsse“!war der Haupt-Lebensgrundsatz unserer Väter.

Welch' ein Jubel für die liebe Jugend, wenn bei vornehmen Hochzeiten oder Kindtaufen der „Engelches- oder Himmelches"- Wagen zum Vorschein kam, mit diesen Namen bezeichnet, weil das Panelwerk mit Amouretten à la Boucher staffiert. Wahrscheinlich, wie die meisten Stadtwagen, noch eine Reliquie aus der Zeit der Domgrafen und Domherren, die gerade in prachtvolle Equipagen, kostbare Pferde-Geschirre, Vorläufer, Haiducken und Lakaien ihren Stolz setzten. Mit welchem Staunen horchte ich meiner Großmutter, schilderte sie mir die Pracht der Equipagen des Domprobstes Grafen von Oettingen, mit der er der letzten Kaiserkrönung in Frankfurt beigewohnt hatte. Stand die alte Frau am Fenster und hörte in der Ferne einen Wagen schwerfällig heranrasseln, trat sie gewöhnlich von demselben zurück, und gab mir einmal, als ich sie nach der Ursache fragte, die Antwort: „Ich mag dä Beddelskrohm nitt an sinn"! Und nun schilderte sie eine Auffahrt des alten Dom-Kapitels am Drei-Königenfeste, wobei kein Pferd, kein Beschlag eines Geschirrs, kein Läufer, kein Kutscher und Bedienter, keine Livree irgend eines Grafen oder Domherren vergessen wurde — und welche Pracht!? Die weit wallenden rotsamtenen, reich mit Gold gestickten und mit Hermelin verbrämten Talare der Prälaten. Man muss nämlich wissen, mein Großvater war Stadtsattler und Volkstribun, ein Vierundvierziger seiner Zunft gewesen, auf seiner Boutique, wie man die Sattler-Werkstätte nannte, waren diese Herrlichkeiten zum großen Teil geschaffen worden. Die Dom-Kapitulare waren alle reich, und dabei sei nur beiläufig gesagt, unser altes Dom-Kapitel hatte täglich 3.000 Goldgulden zu verzehren. Herkömmliche Sitte war es auch, bei den Festmahlen der Domgrafen, Geld unter das Volk werfen zu lassen.

Aufsehen machte in meiner Kindheit schon die Erscheinung einzelner Portechaisen, weil man in denselben die Kranken ins Hospital abholte; doch waren sie noch in vornehmen Familien für die Frauen in Gebrauch. Vor französischer Zeit standen die „Pottechaisen" auf einzelnen Plätzen, namentlich auf dem Rathausplatze, mit den sie als Träger bedienenden Stadtsoldaten, den Funken, wie jetzt die Droschken aufgestellt sind. Die als Raritäten in den Straßen sich zeigenden sind oft reich vergoldet, mit Schnitzwerk ausgestattet, und mochten wohl Bürgermeister- und Ratsherren-Frauen gedient haben, wenn diese sich in den Straßen herumtragen ließen, um mit guten Worten, freundlichen Blicken und klingender Sprache Stimmen für die Wahl des Herrn Gemahls zu sammeln.

012. Inneres von St. Alban

012. Inneres von St. Alban

006 Dom-Inneres. Chorpartie

006 Dom-Inneres. Chorpartie

005 Blick auf die Westfassade des Doms

005 Blick auf die Westfassade des Doms

011 Einzelheiten vom Dreikönigenschrein im Dom

011 Einzelheiten vom Dreikönigenschrein im Dom

000 Köln

000 Köln

004 Aus dem Strebewerk des Domes

004 Aus dem Strebewerk des Domes

010 St. Ursula, Madonna und St. Gereon aus dem Dombild

010 St. Ursula, Madonna und St. Gereon aus dem Dombild

003 Ansicht des Domes von Osten

003 Ansicht des Domes von Osten

002 Ansicht des Domes vor dem Ausbau zu Anfang des 19. Jahrhunderts

002 Ansicht des Domes vor dem Ausbau zu Anfang des 19. Jahrhunderts

001 Der alte Dom. (Aus einer Miniatur des 11. Jahrhunderts)

001 Der alte Dom. (Aus einer Miniatur des 11. Jahrhunderts)

009 Vom Grabmal Friedrichs von Saarweden im Dom

009 Vom Grabmal Friedrichs von Saarweden im Dom

008 Figuren vom Grabmal Engelberts III. im Dom

008 Figuren vom Grabmal Engelberts III. im Dom

007 Ansicht der Chorpartie des Domes

007 Ansicht der Chorpartie des Domes