Fortsetzung

Folgen wir dem Feldbach, so begleiten uns rechts bis zur Büttgasse Weingärten, zur Linken meist ärmliche Wohnungen, eine Baumreihe mit wenigen ansehnlichen Häusern. Über die Hochpforte hinaus sehen wir uns links in das mittelalterliche Köln versetzt, uralte Häuser und Häuschen mit charakteristischen Überbauten, in der Mitte der Bach durch eine gemauerte Rinne geleitet, die Kloake der ganzen Nachbarschaft, auf der rechten Seite aber Wohlstand verkündende Wohnungen, meist Sitze von Kaufherren. An der Malzmühle klappern die Räder einer Mühle, welche der Bach treibt. Im Filzengraben begrüßt uns wieder ein malerisches Stück Mittelalter. Hier haben die edlen Geschlechter mit ihren Mundmannen gehaust. Die linke Seite der ganzen Straße, in deren Mitte am Eingange eine Hufschmiede, bildet eine düstere Laube durch die von hölzernen, in Ziegeln gemauerten und steinernen Pfeilern getragenen Vorbauten der malerisch verfallenen Häuser, welche zu den in der Rheingasse gelegenen Sitzen der Edlen gehörten, unter denen das Haus „Ov erstolz" mit seinem majestätischen architektur-schönen Giebel, ein Bau des 13. Jahrhunderts, sich noch in seiner zwar verfallenen Bauherrlichkeit erhalten hat 2). Die übrigen Edelhöfe der engen Rheingasse sind größtenteils umgebaut, die Wohnungen protestantischer Kaufherren.

Unter den stattlichen Bauten der rechten Seite des Filzengrabens erhebt sich bürgerstolz das in seinen Bauverhältnissen schöne, vielstöckige Zunfthaus der Fassbinder, bei denen in reichsstädtischer Zeit die meisten Kaufherren und Weinhändler eingeschrieben waren, weshalb die Söhne der bei dieser Zunft eingeschriebenen Kaufleute auch den Namen „Prinzen-Lehrlinge" führten und ein silbernes Bandmesser zum Abzeichen trugen. Es musste jeder Weinhändler seine Lehre als Fassbinder gestanden haben. Eine viereckige Vertiefung, rings ummauert, durch welche der Bach fließt, und in der links Pferdeställe angebracht sind, nimmt hier fast die ganze Breite der Straße ein und macht mit den alten Bauten der Mehlwaage an der Stadtmauer ein äußerst malerisches Bild.


Im Straßenlabyrinthe der eigentlichen Altstadt erzählen die Überbleibsel der alten römischen Gußmauern, die achtzehn Jahrhunderten und allen Stürmen der Zeit trotzten, mit ihren Türmen, mit dem so genannten Pfaffentore, das stolz den Namen der Gründerin der Römer-Kolonie: C. C. A. A. — „Colonia Claudia Augusta Agrippina“ 3) — an der Stirne trug und leider 1828 niedergelegt wurde, mit dem Römertor, den Türmen auf der Burgmauer, an St. Claren, am Laach und die Griechenpforte von der Römerzeit, an welche auch die runden Grenzsteine auf den Plätzen und vor einzelnen Häusern erinnern, vom späteren Mittelalter römischen Vorbildern nachgeahmt, ohne die Bedeutung des Symbols zu ahnen.

Die majestätisch bauprächtigen Kirchen bieten, zwar verfallen, vernachlässigt und unbeachtet, einen Schatz der monumentalen Architektur vom zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert, wie denselben in solchem Reichtum keine Stadt Europas, selbst Rom nicht, aufzuweisen hat. Sie verkünden das geistliche Ansehen des mittelalterlichen Kölns in ihrem Verfalle, wenn auch noch zum Gottesdienste benutzt, in ihrer mehr als trostlosen Verwahrlosung, die schon seit länger denn zwei Jahrhunderten vernichtend an ihnen gezehrt hat, aber auch den ewigen notwendigen Wechsel der Dinge. An diesen mahnen auch nicht minder ernst die selbst in den volkreichsten Teilen der Stadt um die Kirchen liegenden und noch benutzten Friedhöfe mit ihren altersgrauen, bemoosten, zerfallenen Leichensteinen, ihren halbversunkenen Steinkreuzen, den frischen Grabhügeln und den in den Beinhäusern bleichenden und modernden Gebeinen und Schädeln. Wie allgewaltig auch die Macht der Gewohnheit: schauerlich unheimlich war der Eindruck, besonders für uns Kinder. Leichen- und Moderduft umfängt uns auch betäubend, sinnraubend in den meisten Kirchen, deren Krypten und Gewölbe Totenkeller 4). Ohnmachten, das „Flauwerden" einzelner Andächtigen während des Gottesdienstes eine alltägliche Erscheinung.

Hat auch die Spekulation schon unter den hundert und neunzig Kirchen und Kapellen der vorfranzösischen Periode mit blindem schonungslosen Wandalismus aufgeräumt, Wallraf aber mit seinem lebendigen Sinn für das Schöne, die bauschönsten gerettet; stoßen wir auch an allen Enden auf Schutthaufen und Ruinen, da die Mehrzahl der Gotteshäuser und Klöster auf den Abbruch verkauft wurden, und gewöhnlich an Blei und Eisenwerk den Ankaufspreis aufbrachten: so gab doch es noch Kölner Bürger, die zu fromm gewissenhaft, um Kirchengut zu kaufen. War dieses Zerstören auch für Viele ein einträgliches, ihren Wohlstand begründendes Geschäft, so haben doch manche einzelne Stifte und Klöster ihre bauschönen Kreuzgänge, ihre altertümlichen, malerischen Umbauten noch erhalten, nur um so malerischer in ihrem Verfalle. Mit dem Abbruch vieler der Kirchen und Klöster fing die Stadt an, einmal ein wenig freier zu atmen, Luft zu schöpfen. Unbegreiflich ist es, wie Alles in einander gebaut und verbaut war; so soll die Augustiner-Kirche bis weit in die Straße gestanden, dieselbe ganz eingeengt haben. In der Zeit, von der wir reden, war der Augustinerplatz schon geebnet, eine Art Gartenanlage mit Oleanderhecken.

Auch der Dom ist eine Ruine. Die Egalitäts-Männer der Revolutionszeit, die in Köln toll gespukt hatten, wie uns unsere Eltern erzählten, schleppten Wappenschilder und ähnliche Zeichen der Feudalzeit aus dem Dome zusammen und verbrannten sie feierlichst auf dem Neumarkte. Bei dieser Gelegenheit hatte man auch die Grabstätten der Erzbischöfe und Kirchenfürsten durchwühlt, die zinnernen Särge in den Schmelztiegel wandern lassen und weggeschleppt, selbst was niet- und nagelfest war, unter Anderen die bronzenen Grabbilder, so auch dasjenige des Dom-Gründers, des Erzbischofs Conrad von Hochstaden, das zu retten unserem Wallraf gelang.

Selbst die Heiligenbilder an den Straßen-Ecken — wobei zu bemerken, dass an der Ecke der großen Budengasse auf der Hochstraße, an der Helfs Apotheke, wie sie jetzt heißt, im dreizehnten Jahrhundert das erste Muttergottesbild errichtet worden —, so wie die Heiligenbilder an einzelnen Häusern waren, zum größten Schmerz der frommen Bürger, durch die Egalitäts-Männer fortgeschafft worden. Sie hatten auch den Abbruch des Domes beantragt. Später machte der Präfekt Ladoucette, dessen Residenz Aachen, alles Ernstes den Vorschlag, den Bau mit italienischen Pappeln zu umpflanzen, um diese partie honteuse der Stadt zu verbergen.

Die bauherrliche Chorrundung des Domes wird durch die fast an dieselbe von Süd nach Nord stoßende Kirche St. Maria zu den Staffeln (Maria ad Gradus) den Blicken entzogen. Hinter dieser Kirche zieht sich um den Dom sein Friedhof, auf demselben trug ein weißer Kirschbaum kostbare Früchte, von denen ich oft in verbotener Weise genascht habe. Schauerlich düster, unheimlich, selbst am Tage, ist die ganze Umgebung der Kirche St. Maria zu den Staffeln. An derselben, nach dem Platze zu, war in einer Nische ein Kreuz angebracht, vor dem allnächtlich eine Lampe brannte, welche eine Familie Titel aus meiner Nachbarschaft versorgte. Von der großen Sporgasse und von der Trankgasse führten mehrere ausgeschlissene Stufen hinan, zum Wege an der Kirche vorbei, eine wahre Kloake, die Lagerstätte von urherkömmlichen Professionsbettlern, daher auch die urkölnische sprichwörtliche Redensart, wenn Jemand viele Kupfermünze in der Tasche hatte: „Do haess gewess an der Marjriete Trapp jesesse!" Düster rauschen turmhohe Pappeln auf dem, dem Abhange zum Mariengraben Platze oder Kloster, einem weiten, schmutzigen Grasplatz von verfallenen Häusern, den ehemaligen Wohnungen der Stiftsherren eingeschlossen, an der Ostseite von dem als Kriminal-Gefängnis benutzten Frankenturme schauerlich überdroht.

Rings um den weiten Bau des Domes drängen sich H?user und Häuschen aller Gattungen, selbst an die Südseite ist noch ein Kirchlein, die Hofpfarrkirche St. Johann angeklebt, als hätte man sich der Schmach des hohen Baues in seinem Verfalle geschämt. Gleich Schwalbennestern sind Hütten und Gademen, wo Rosenkränze, Dreikönigen-Briefchen, Hubertus-Riemchen und Heiligenbilder verkauft werden, dem gewaltigen Torso, wie zum Spotte, angeheftet, zwischen seine Grundpfeiler eingezwängt; sogar auf dem Stumpfe des nördlichen Turmes baut sich eine Wohnung; mit spärlicher Ausnahme aber alle so traurig, schaurig, düster, dem Verfalle preis gegeben, wie der Bau selbst. Seine, vom scharfen Zähne der Zeit seit Jahrhunderten benagten, von der Wut der Stürme zerrissenen und zerbröckelten Pfeiler, Phialen und Laubkreuze, das verwitterte Laub- und Maßwerk der Fenster sind mit Gräsern und Schmarotzerpflanzen überzogen, durch bunte Moosdecken gefärbt; auf den Giebeln, zwischen den Klüftungen der Galerien wiegt die Nelkenviole ihre goldbraunen, süßduftenden Blütendolden; aus allen Ritzen und Fugen des Turmes wuchern Sträucher und Büsche, wilde Rosen, Holunder, selbst stämmige Mispelbäume. Reiches Pflanzenleben schlingt seine lebensfrischen Gewinde um alle Teile des hohen Werkes, dessen Heiligkeit die Menge so wenig achtet, so wenig ehrt, welches sie in seiner nächsten Umgebung dergestalt verunreinigt, dass es an manchen Stellen eine Kunst, ja, eine Unmöglichkeit, sich dem Dome zu nähern.

Das Innere entspricht dem Äußeren, im traurigsten Verfalle. Das Langhaus ist in der Höhe der Säulen mit durch die Zeit braun gewordenen Brettern verschalt; aber im Vergleiche zu anderen Kirchen ist das Innere immer möglich rein gehalten. Beim geringsten Regen rauscht das Wasser in Strömen von allen Enden herein. An den Markttagen benutzen die Gemüseweiber mit ihren Korbpyramiden, mit ihren Lasten auf dem Kopfe den Dom zur Durchgangstraße, um sich die Wege abzukürzen.

Und welche Umgebungen umtrauern die herrliche Ruine! Die Häuser, welche das Domkloster umziehen, entsprechen als Wohnungen der ehemaligen Domherren im Äußeren ihrer Bestimmung, so an der Westseite die Wohnung des Weihbischofes von Merle, an der Südseite die der Domkapitularen von Mylius und von Geyer. Nur in der nordwestlichen Ecke hinter der Rentei liegt das düstere Dom-Backhaus, und der schauerliche Durchgang „et Doom Gängelche" nach der Pfaffenpforte.

Aber wie schildere ich den Domhof selbst? Wellenförmig läuft der Platz von West nach Ost jäh ab, fußhohes Rietgras, Malven, die kölnischen Katzekiescher und Unkraut überwuchern im Sommer die ganze Fläche, von einer Cloake durchzogen, deren ewiger Inhalt nichts weniger, als Weihrauch. In der südwestlichen Ecke droht unheilverkündend das Kriminal-Gefängnis, die „Hacht", ein schauerlicher Bau, dessen düsteres grauenhaftes Äußere von den Gräueln erzählt, welche derselbe in seinen Verließen mit ihren steinernen Fuß- und Handstöcken, ihren Halseisen und schweren Fesseln birgt. Wir Kinder schlugen ein andächtiges Kreuz, wenn wir vorüber gingen, und dies nicht minder bei dem, an die, dem südöstlichen Eingange des Domes vorgebauten Häuser stoßenden unheimlichen Bau, den wir das „hohe Gericht" nannten, wo den armen Sündern ihr Todesurteil verkündet, wo der Stab über sie gebrochen, wo sie dem Henker zum letzten Gange überantwortet wurden. Den an der Kirche St. Johann früher eingemauerten „blauen Stein", eine zerbrochene Schieferplatte, über der das kurfürstliche Wappen angebracht war, hatten die Revolutionsmänner vernichtet. Wer kannte aber nicht des Nachrichters Spruch, mit welchem dieser den armen Sünder drei Mal mit dem Rücken an den Stein stieß, ehe er den Karren bestieg, ehe die Armsünderglocke von dem Turme dröhnte: „Ich stüsse dich an der bloe Stein, Do küss dingen Vader un modern ni mih heim!"

Haarsträubende Erzählungen knüpfen sich an diese schaurigen Stätten, wie an die Geschichte des Domhofes selbst. Ihrer Schauerlichkeit entspricht aber auch die Umgebung des Platzes. Das neben der Kirche St. Johann gelegene Seminar-Gebäude, auf der anderen Seite, fast neben der Hacht, das Official-Gericht mit der Thomas-Cavelle, damals Sous-Préfecture, und neben der Kirche zum heiligen Geist das Ehl'sche, so genannte Ballhaus ausgenommen, umtrauern verfallene Gademen oder Hütten, morsche hölzerne, von Schuhflickern oder Altruyschern bewohnte Baracken, an deren Bedachungen ein Mann mit der Hand reichen kann, die ganze Süd- und Ostseite, in der südlichen Ecke von einem hohen Baue mit einem schweren Satteldache überragt, der „Glaser-Hütte", so genannt, weil hier der Bürgermeister von Beywegh 1697 durch zwei Italiener, Bartolomeo und Ottavio Masari, eine Glasfabrik anlegen ließ. Der Volksüberlieferung gemäß sind aber in der Glaser-Hütte die schönen Glasgemälde des Domes angefertigt worden, und daher der Name. In einer Stadt, wie Köln, konnte man sich nichts trostlos Vernichtenderes denken, als den Dom in seiner Trauer, nichts Bettelhafteres, als den damaligen Domhof.

Den reichsten Stoff zu ähnlichen Schilderungen böten mir die meisten anderen Plätze und Klöster (claustra), wie man die ursprünglich abgeschlossenen Umbauten der Stifter nannte, wo die Stiftsherren, nachdem das klösterliche Zusammenleben aufgehoben worden, in einzelnen Häusern wohnten. Werfen wir nur einen Blick auf den „Altenmarkt", der sich in seinem Baucharakter wenig verändert, nur einzelne neue Giebel erhalten, und hier oder da aus mehreren vier- und fünfstöckigen schmalen Häusern ein einziges Lokal entstehen sah. Jedes Haus hat sein Aushängeschild, seinen bestimmten Namen, wie früher alle Häuser der Stadt, als man noch an kein Nummerieren derselben dachte. Im Allgemeinen hat der anstoßende Heumarkt den Charakter der Wohlhäbigkeit, einzelne Prachtgiebel neben bauschönen aber verfallenen alten Fassaden aufzuweisen, und seit 1730 in seiner Mitte das Börsengebäude. Eine altherkömmliche Staffage des Heumarktes sind am Nordende die Bänke der „Altruyscher" oder Schuhflicker, aber nur mit altem Leder, von denen man uns erzählte, sie hätten die Stadt einmal vor einem feindlichen Überfalle gerettet, und daher genössen sie dieses Rechtes.

Ein Bürgermeister, Johann Balthasar von Mülheim, schuf der Stadt 1740 den jetzigen Neumarkt, vordem ein verödeter Platz, in dessen Mitte eine Lache, eine Pferdeschwemme, neben der eine Windmühle, die erste im fünfzehnten Jahrhundert in der Stadt errichtete. Der Platz war ehedem von den Bürgern zum Vogelschießen benutzt worden.

Die südliche Seite des Neumarktes war mit neuen Häusern bebaut, auf der nördlichen Seite die jetzt niedergerissene Kapelle St. Gertrud, dann die Stadt Prag, mit ihrem bauprächtigen Erker, jetzt die Richmodstraße, und das Haus der Familie von Haquenay, uns Kindern ein Ort des Unbegreiflichen, wo der Gott sei bei uns, wie man uns erzählte, seinen Sabbath hielt, denn dort hausten die Freimaurer. Dann auf der anderen Ecke, Caseusgasse, das Haus zur Papageien, in welchem die wiedererstandene Frau Richmod von der Aducht gewohnt hatte. Die Ecke des Platzes bildet hier der Blankenheimer-Hof, seit 1811 kaiserliche Tabaks-Manufaktur, und daran stoßend das Arresthaus, die „Bleche Boz", früher ein Clarissen-Nonnenkloster. Dasselbe wurde als Domaine von dem Vater des Architekten Hittorff in Paris gekauft, später von dem Baumeister Butz zu seinem jetzigen Zwecke umgebaut, und daraus machte der Kölner Volkswitz den Namen. Der Ankäufer, ein Klempner, führte den Spitznamen „Blechen Alexander". Die Ostseite der Umgebung des Platzes bildet der Gymnicher-Hof, die Westseite an Aposteln stoßend, das Klöckerwäldchen, eine Baumpflanzung zu einsamen Spaziergängen, wo früher die Schaubühne errichtet war. Und hinter demselben der schauerliche Kirchhof von St. Aposteln, das Kloster des Stifts, eine idyllische Gänseweide.

Für uns Kinder war die Abbildung des Platzes mit dem riesigen Ochsen mit den plastischen, vergoldeten Hörnern, welche das Vorhaus des Heimann'schen Hauses, jetzt Mosler's Konditorei schmückte, und aus der alten Goldschmiedezunft herrührte, ein wahres Kunstwunder.

Der Platz selbst kann uns mancherlei von den politischen Schicksalen der Stadt erzählen. Am 4. Oktober 1794 sah er die ersten Franzosen, am 9. wurde der Freiheitsbaum auf demselben errichtet, und er hieß „Place de la République", dann „Place des Victoires" und trug eine Pyramide zur Verherrlichung der Siege Napoleon's, dessen Name „Place de l’Empereur", auch „Place d’armes", der Neumarkt später führte, bis die Franzosen am 14. Januar 1814 von demselben aus abzogen.

Wählen wir auch die Hauptader des Stadtverkehrs, die Hochstraße, von St. Paul die Fettenhenne entlang, an der Huhschmitt, unter Goldwagen vorbei, wo uns neben der Ecke der großen Budengasse aus dunkeln Taxusbüschen Sommer und Winter Tausende von Spatzen mit ihrem melodischen Gezwitscher erfreuen, gehen dann an den vier Winden entlang, unter Wappenstecker, an den Augustinern unter Pfannenschläger, wo von früh am Tage bis spät in den Abend das weittönende Gehämmer der Pfannenschmiede schallte: freundlich, geschäftig, lebendig ist das Bild der Straßenreihe keineswegs. Wir Knaben machten uns im Vorbeigehen den Spaß, die Schmiede zu fragen, wie viel Uhr es sei? und ließen uns durch die uns nachgeworfenen Hämmer nicht abschrecken, so oft als möglich den Schabernack zu wiederholen.

Der allgemeine Eindruck der engen, unregelmäßigen, von vielen verfallenen Häusern eingerahmten Straßen ist eben kein freundlicher. Selten verlief sich Jemand über den Bering der Altstadt hinaus, es sei denn zum Besuche einzelner Kirchen. Aber um so düsterer, um so trostloser, je mehr wir uns von den belebteren Stadtteilen entfernen, jedoch malerisch über alle Beschreibung. Welch' ein Wechsel der Bauformen, welche romantische Mannigfaltigkeit in der Färbung! jeder Giebel eine Maler-Studie.
Die bauschönen, romanischen, bis ins dreizehnte Jahrhundert hinaufreichenden Bogenfassaden aus Tuff, mit Säulenstellungen aus schwarzem Marmorschiefer, die Wohnungen der edlen kölnischen Geschlechter, jetzt Privathäuser, die Burgvesten ähnlichen Edelsitze und Höfe der benachbarten Abteien und adligen Familien mit ihren Zinnen, Erkern und schlanken Lugtürmen — jeder Bau ein Blatt Geschichte —, an welche sich einzelne vier- und fünfstöckige Treppengiebel des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts reihen, in deren Schatten wieder kleine, oft nur ein
stöckige, spitzgegiebelte, nicht selten zu zweien unter ein Dach gezwängte Häuschen gleichsam Schutz suchen, während selbst in den Hauptstraßen viele Häuser mit ihren Überbauten den Bewohnern Licht und Luft nehmen. Hohläugig, spukhaft blicken manche derselben in die engen, grasbewachsenen Straßen, auf die verödeten Plätze, die, mit Bäumen staffiert, meist, wie manche außerhalb des eigentlichen Berings der Altstadt gelegenen Straßen in ihrem Verfalle malerische Brunnenhäuschen aufzuweisen haben, indem man in jenen Stadtteilen noch keine Pumpen kennt.

Manche Gebäude, über alle Beschreibung verkommen und verwittert, dienen den einzelnen, im gefälligen Mansarden-Style des achtzehnten Jahrhunderts erbauten Häusern, die wir Knaben als wahrhafte Paläste anstaunten, zu einer mehr als malerischen Folie. Und sind diese stattlichen Wohnungen einzelner Patrizier- und Bürgermeister-Familien, weniger Kaufherren, keine Paläste im Vergleich ihrer ärmlichen Umgebung? Die Worte fehlen mir, wollte ich, um nur ein Beispiel anzuführen, die damalige Umgebung des von Zuydtwick'schen Hofes, welchen der oben genannte Bürgermeister von Mülheim für sich baute, des jetzigen erzbischöflichen Palastes schildern, die alle Gräuel des Verfalles aufzuweisen hatte. Als Napoleon I. bei seiner letzten Anwesenheit in Köln im von Zuydtwick'schen Hofe abgestiegen, hatte man die mehr als trostlose Nachbarschaft mit Bäumen und Maien zu maskieren gesucht, und dem Hause gegenüber das Elend hinter mit allegorischen Figuren bemalten Theater-Versetzstücken, in denen man es damals stark tat, versteckt. Bei dieser Gelegenheit hörte ich einen Bürger, vom Kaiser und seiner Gemahlin sprechend, sagen: „Hae es ald he, un Idt kütt disse Nommendag!"

Auf den meisten stattlichen Treppengiebeln, und selbst auf den niederen Spitzfronten, knarren die alten, rostigen Wetterfahnen, die „Wimpeln". Drohend ragen unter den Giebelschlüssen die phantastischen Greinköpfe in die Straße hinaus, zum Hinaufziehen von Lasten bestimmt, und auch wohl zum Aufhängen der geschlachteten Ochsen und Schweine benutzt. Geschäftig umflattern die heimlichen, für heilig gehaltenen Schwalben die langgewohnten Nester in den über vielen Türen angebrachten Fratzenköpfen, welche die Sage bis ins elfte Jahrhundert, in die Zeiten des Erzbischofes Anno I. versetzt, als Erinnerung an die Bürger, denen der streng zürnende Bischof, nach einer Empörung der Bürgerschaft, die Augen ausstechen ließ. Sie sind aber zur Aufnahme der Schrotbäume angebracht, denn die däftigen Bürger legen sich ihren Wein ein, sei es nun Propre crû von ihren Weingütern, oder beim Produzenten selbst gekaufter Ahrbleichart. Jedes ordentliche Haus hat seinen Schrot, auch wohl eine besondere Schrottür.

An Stangen befestigt, schaukeln sich noch hier und da, besonders in den Vorstädten, die uralten, eisernen Aushängeschilder, flattern die zum Trocknen ausgehängten Tücher, das wollene Garn der Blaufärber. Wie gemütlich gießen bei der geringsten Regenschauer die mit reichem, phantastischen Laub- und Schnörkelwerk aus Blei verzierten, weit hinausstarrenden Dachrinnen ihre Wasserströme in die Straßen, während zu allen Tageszeiten die Küchenkaskaden, vulgo Spülsteine, in allen Höhen vom Boden ihre Brühe auf das Plaster plätschern, und zwar ganz schonungslos gegen die Vorübergehenden.

Die mit starken Eisengittern oder oft kunstvoll geschmiedeten Eisenkörben verwahrten Fenster der Erdgeschosse, ihre schweren äußeren Holzblenden, die mit Eisen oder doch mit dreiköpfigen Nägeln beschlagenen Türen, mit ihren, von durchlöcherten Eisenplatten geschützten Lugschaltern, den schweren eisernen oder messingenen Kumpen zur Aufnahme der Hausschlüssel, geben manchen Häusern das düstere Ansehen von Gefängnissen, und uns einen eigenen Begriff von der früheren Sicherheit der Bürger.
Einen wahrhaft unheimlichen, spukhaften Eindruck machen auch viele der alten, schauerlich düsteren himmelhohen Giebel mit ihren halbverfallenen, an einem Angelhaken hängenden Laden, ihren hohlen Fensteröffnungen, den kleinen grünen, runden, meist tauben Scheiben, die in allen Farben des Prismas spielen, und nicht selten in ihren papiernen Sternen, mit welchen sie zusammengeklebt, ein ganzes Firmament zeigen. Fast ein jedes dieser unheimlichen Häuser war der Schauplatz einer grauenvollen Sage. Was erzählten sie uns Kindern nicht Alles, was wussten sie nicht zu erzählen? Selbst von den, in den mannigfaltigsten Gestalten geformten messingenen und eisernen Türklopfern, wie Drachen, Löwen, Seeweibchen, Engel und Teufel, Schlangen, alte Männer und Frauen, in sonderbaren Trachten und sonstigen phantastischen Ungetümen gestaltet, erzählt sich die Phantasie die buntesten Märlein. Die schauerlichsten Sagen und Spukgeschichten machen der lieben Jugend viele Plätze und Häuser unheimlich, so dass sich ein Knabe im Tage nur mit Grausen, aber nicht leicht bei Nacht und Unzeit in ihre Nähe wagte.

Düster ist das Aussehen vieler Straßen auch dadurch, dass die Mehrzahl der Häuser noch den natürlichen Ton des Tuffs, der Ziegel und des Mörtels haben in allen nur möglichen Nuancen der so malerischen Färbung der Zeit, zerfressen und zerbröckelt. In den entlegenen Stadtteilen putzt der Tünchquast zur Kirchweihzeit die kleinen Giebel jährlich auf. Ölanstrich der Giebel war eine solche Seltenheit, dass ich mich noch erinnere von einem Bürger, der seinen Giebel in Öl anstreichen ließ, sagen gehört zu haben, er müsse nicht wissen, wie er's aufkriegen sollte. Als an Lyskirchen ein Bürger sein Haus hatte anstreichen lassen, und die wüste Schuljugend ihm die Marktafel des Wasserstandes von 1784 beschmutzte, ließ er dieselbe so hoch am Giebel anbringen, dass die Knaben sie nicht mehr erreichen konnten 5).

Hier und da wurden Spitzgiebel gekappt und mit flachem Sims versehen; uns Knaben Wunderwerke der Baukunst. An verschiedenen Enden der Stadt baute man einzelne neue Häuser, aber als Seltenheit; und unter diesen ward als ein Non plus ultra bewundert das Haus in der Schilderergasse auf der Ecke der Kreuzgasse, dessen Fassade der jetzige Präsident der Pariser Académie des Beaux-Arts, der Kölner Hittorff, als Steinmetz-Lehrling beim Baumeister Leisten, entworfen hatte. Sonst begnügte man sich damit, hier und da einzelnen Häusern einen ganz neuen Giebel zugeben mit größeren Fenstern und der nüchternsten Formen-Monotonie, ließ aber die alten Dispositionen des Inneren ungestört mit allen Kämmerchen und Hängstübchen, man baute bloß, wie der Kölner sagte, — einen Flabes 6).