Knaben entscheiden einen Rechtsfall bei Tondern

Autor: Ueberlieferung
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Ein Arm der Widau bei Tondern führt den Namen Renzau, von dem kleinen Dorf Renz, im Kirchspiel* Burkall. Da, wo die Ufer ziemlich hoch und steil zum Fluß abfallen, stürzte einst ein Mann ins Wasser; er wäre ertrunken, wenn nicht ein Bauer, der in der Nähe arbeitete, sein Geschrei gehört hätte und herbeigeeilt wäre. Der wackere Helfer hielt dem mit den Wellen Ringenden eine Stange entgegen, und der Mann half sich daran heraus, stieß sich jedoch dabei ein Auge aus. Darum erschien er auf dem nächsten Gerichtstag, verklagte seinen Retter und verlangte von ihm Ersatz für das verlorene Auge. Die Richter waren ratlos und verschoben das Urteil auf den nächsten Gerichtstag. Aber der dritte Gerichtstermin war da, und der Vogt war noch immer nicht mit sich einig. Mißmutig stieg er zu Pferd und ritt langsam und nachdenklich Tondern zu, wo Gericht gehalten wurde.

So kam er nach Rohrkarrberg. Dort saßen drei Hirtenknaben beisammen und berieten eifrig. "Was macht ihr da, Kinder", fragte der Vogt.

"Wir spielen Gericht", war die Antwort.

"Was habt ihr denn für eine Sache vor?" forschte er weiter.

"Wir sitzen zu Gericht über den Mann, der in die Renz gefallen ist", antworteten sie.

Da hielt der Vogt sein Pferd an, um auf das Urteil zu warten. Die Jungen kannten ihn nicht und ließen sich daher auch nicht stören.

Von ihnen wurde nun zu Recht erkannt, daß der gerettete Mann an der gleichen Stelle wieder in den Fluß geworfen werden solle; könne er sich dann selbst retten, so solle er Ersatz für das Auge bekommen; könne er es aber nicht, so habe der andere gewonnen. Ehe der Vogt weiter ritt, gab er den Jungen einen schönen Geldbetrag und ritt dann erleichtert nach Tondern. Bei der Gerichtstagung entschied er wie die Hirtenknaben. Der Schurke konnte sich nicht allein retten und mußte ertrinken. Der hilfsbereite Bauer hatte also gewonnen.