Klopstocks erster Besuch bei Meta Möller?

Meta, oder richtiger gesagt, Margaretha Moller, war ein reines und holdes Abbild der deutschen Jungfrau, wie sie uns in „Goldschmieds Töchterlein“ entgegentritt, wie sie uns vor allem in Goethes Gretchen zur Anschauung gebracht wird. Von jener süßen Verschämtheit, von jenem traumhaften, unbewussten Verlangen nach ergänzender Gegenliebe, von jener sittigen Beschränktheit auf das Haus, wo die ganze Öffentlichkeit der Mädchenwelt im Kirchenbesuch bestand, von jenen holden Jungfrauenblumen des Mittelalters finden wir, dass uns das Unglück zu Teil ward, den Damen in herausforderndster Crinoline und im koquettesten Hütchen tagtäglich begegnen zu müssen, nur noch seltene, sehr vereinzelte Beispiele. Solche Jungfrauen, die uns an die sittige Einfalt ihrer mittelalterlichen Schwestern erinnern, gedeihen nicht in dem Gewühl und Gelärm unserer großen Städte, sondern erblühen auf einsamem Landgute, oder im stillen Gebirgstale.

Meta Möller war nun in dem freigeistigen, alle Bande des Staates, der Kirche und des Hauses zersprengenden achtzehnten Jahrhunderte eine solche keusche und liebliche Blume des Mittelalters.


Am 4. April 1751, wo Klopstock der anmutigen Meta seine erste Aufwartung machte, ging es im Moller'schen Hause gerade ganz besonders geschäftig zu. Wenn Fleiß und ununterbrochene Arbeitsamkeit noch jetzt mit wenigen Ausnahmen ein Schmuck der Hamburger Frauen und Jungfrauen sind, so besaßen sie diese Zierde vor einem Jahrhunderte in noch viel höherem Grade. Es war nun im Anfange des Monats eine große Wäsche im Moller'schen Hause abgehalten worden - bei der holländischen Reinlichkeit, die Hamburg eigentümlich ist, wäscht man dort sehr häufig — und am 4. April regten sich alle weiblichen Hände der ganzen Familie, so wie des Gesindes, um das im schönsten Weiß strahlende Leinenzeug zusammenzunehmen und später zu plätten. Auch Meta mit ihrer Schwester „Schmidtin“ (als solche kommt sie häufig in dem Klopstock'schen Briefwechsel vor, und wir bezeichnen sie demnach am Besten und Kenntlichsten mit diesem Namen) waren sehr fleißig dabei, Wäsche zusammenzulegen und für das Plätten vorzubereiten. Gerade in diesem Augenblicke ließ nun Klopstock um die Erlaubnis bitten, seine Aufwartung machen zu dürfen.

Gewiss wird es Vielen beim ersten Lesen sehr prosaisch vorkommen, dass, gerade in dem Augenblicke, wo Klopstock seiner künftigen so sehr geliebten und im Gesange von ihm so hochgefeierten Gattin seinen Besuch ankündigen ließ, diese mit dem Zusammennehmen von Wäsche beschäftigt sein musste. Beim ersten flüchtigen Blicke will es bedünken, als wäre es viel poetischer und schöner gewesen, wenn Meta gerade in der Messiade gelesen, oder träumerisch zum Himmel emporgeblickt hätte. Wenn man aber der Sache tiefer nachdenkt, so kommt man von diesem ersten befangenen Eindrucke sogleich zurück. Würde man nämlich Klopstock haben fragen können, in welcher Situation ihm Meta lieber sei, ob träumerisch dem Zuge der Wolken folgend, oder mit ihren Gedanken auf der Erde haftend und Zeug zusammennehmend, er würde sich ohne Zweifel für die zweite Anschauung entschieden haben. Denn wie Klopstock in Allem das Urdeutsche erstrebte und französische Leichtfertigkeit und Unhäuslichkeit, die damals als Mode-Artikel herrschten, im tiefsten Herzen verabscheute, so wünschte er auch, dass das deutsche Weib seiner Zeit in der alten schönen Sinnigkeit und Sittigkeit, in regem Fleiße und züchtigem Walten ihren eigentlichen Ruhm erblicken möge. Dass keine Wirtschaft eine gesegnete sein könne, wo die Frau nur nach außen, nach vielen Gesellschaften und anderen Vergnügungen strebt, während sie das Innere dem oft gewissenlosen Schalten von Mietlingen überlässt, war Klopstock aus einem zwiefachen Grunde ganz besonders fähig zu beurteilen; einmal hatte er im Allgemeinen viel darüber nachgedacht, welches die eigentlichen und wesentlichen Vorzüge des so häufig gepriesenen, aber nur noch in seltenen Exemplaren vorhandenen „germanischen Weibes“ seien, und zweitens hatte er im Engern, da er in beschränkter, bürgerlicher Atmosphäre groß geworden, das Wohltätige und Heilsame eines verständigen, unablässigen Schaffens im Hause an seiner eigenen, von ihm hochverehrten Mutter erkennen gelernt. Es hätte den Sänger der Messiade deshalb durchaus nicht unangenehm, sondern wohltuend berührt, wenn er unangemeldet eingetreten und Zeuge dieses geschäftigen Waltens geworden wäre. Freilich dachten Meta und ihre Schwester, als angefragt ward, ob Klopstock seine Aufwartung machen dürfe, ganz so, wie wahrscheinlich die Mehrzahl der verehrten Leser denkt, dass es doch schrecklich sein würde, wenn man die Blicke eines so hochpoetischen Sängers durch einen so urprosaischen Anblick beleidigen wolle. Beim ersten Vernehmen der Ankunft Klopstocks und bei der Gewissheit, dass sie den Verfasser der Messiade bald von Ansicht zu Angesicht sehen sollte, ließ allerdings die Freude bei Meta keine andere Reflexion aufkommen, sondern erfüllte ihr Denken und Fühlen ganz allein. Der einzige Gedanke, dass sie mit Klopstock bald dieselbe Luft atmen und den Ton seiner Stimme vernehmen solle, durchwogte ihre Brust mit schwellender Begeisterung. „Klopstock! Klopstock!“ rief sie entzückt aus und hüpfte dabei im Zimmer umher, wie ein Kind, wenn es den strahlenden Weihnachtsbaum umkreist. Die ruhigere Schwester kam aber mit Anstandsrücksichten in Metas Begeisterung hineingefahren und erklärte, dass durch das Zusammennehmen der Wäsche und durch die Vorbereitungen zum Plätten die ganze Wohnung einen so ungeselligen und unordentlichen Anblick darböte, dass man unmöglich einen so berühmten Dichter darin aufnehmen könne. Doch Meta, die bei aller Weichheit des Gemüts eine schon früh entwickelte Willenskraft hatte, war nicht geneigt, sich durch leidige Anstandsrücksichten ein Glück, was sie kaum zu ahnen gewagt hatte, in weite Ferne rücken zu lassen. „Ei was!“ antwortete sie ihrer Schwester, „Klopstock soll den Augenblick kommen.“ Dem Bedienten ward demnach, da Metas Sündhaftigkeit über die Bedenken ihrer Schwester siegte, die Antwort gegeben, dass man seinen Herrn je eher, je lieber empfangen werde. Aber jetzt ging es auch mit vereinten Kräften an ein Ordnen der Wohnung und an ein Wegschaffen der zusammengenommenen und noch zu plättenden Wäsche. Der eifrigen Anstrengung des gesamten Hauspersonals gelang es bald, der Wohnung alles Unlustige zu benehmen und sie wieder traulich und gastlich zu machen.

Meta hatte Klopstocks geistige Bekanntschaft, der sich jetzt die körperliche hinzugesellen sollte, auf eine eigentümliche Weise gemacht. Sie befand sich eines Vormittags bei einer Freundin zum Besuche und sah auf dem Tische eine Menge Haarwickel umherliegen. Mechanisch nahm sie einige derselben in die Hand, entrollte sie und las den Inhalt der bedruckten Oktavblätter, die sich zu diesem niedrigen Dienste hatten bequemen müssen. Ihre Aufmerksamkeit ward gefesselt und sie rief aus: „Ei! was ist das?“ „Dummes Zeug,“ antwortete gähnend ihre Freundin, „das kann kein vernünftiger Mensch verstehen.“ Allein Meta ward von dem Gelesenen dermaßen gefesselt, dass sie sich an dem Ganzen zu erbauen wünschte und nicht rastete, bis sie sich das Buch, wozu jene Oktavblätter gehörten, von einer andern Bekannten verschafft hatte. Als sie einige Seiten darin gelesen, entzückte sie der Inhalt in dem Grade, dass sie ihrer Freundin grollte und nur mit Unwillen daran zu denken vermochte, wie jemand im Stande sein konnte, so schnöde mit der Messiade umzugehen und sie zu Haarwickeln zu missbrauchen.

Es ist heutigen Tages Mode geworden, zu erklären, dass es unmöglich sei, die Messiade durchzulesen, oder sie überhaupt nur zu lesen. Wir entsinnen uns, dass ein, wegen tüchtiger historischer und literar-historischer Leistungen wohl angesehener Professor Bonn's, der nach einer norddeutschen Residenz berufen ward, um einem durch den jähen Tod seines Vaters dem heiteren Universitätsleben entrissenen und zum Throne berufenen Fürsten geschichtliche und literarische Vorträge zu halten, und der sich auf dringendes Ansuchen auch entschloss, einem größeren Publikum die deutsche Literatur des achtzehnten Jahrhunderts zu entrollen, wir entsinnen uns, dass ein Professor Bonns, als er bei Klopstock angelangt war und sich zur Besprechung der Messiade anschickte, nicht anstand, die Erklärung abzugeben, dass jeder Mensch, der ehrlich sei, bekennen müsse, wie es ihm unmöglich gewesen, mit dem heiligen Epos zu Ende zu kommen. Heine ferner, der um einen verwegenen und herabziehenden Ausdruck nie in Verlegenheit ist, erklärt in seinem Romanzero die Messiade als das Non plus ultra der Langweiligkeit. Er behauptet nämlich, dass die interessant-geistreichste Frau Momente habe, wo sie langweilig sein könne, wie Voltaires Henriade, ja schlimmer noch, als Klopstocks Messiade. Es ist dies eine jener vielen Behauptungen Heines, die man ihm weiter nicht übel nimmt, weil man bei ihm die ruhige objektive Beurteilung einer Person oder einer Sache durchaus nicht erwartet. Schlimm ist es aber, dass die Mehrzahl der heutigen Generation sich durchaus in ähnlich absprechender Weise, wie Heine, über die Messiade zu äußern liebt, und dass dabei die Meisten, wenn sie ehrlich sein wollen, einräumen müssen, sie niemals in die Hand genommen zu haben. Dass die Messiade aber im achtzehnten Jahrhundert von vielen Tausenden, ja Hunderttausenden voller Erquickung und Erhebung gelesen ward, ist ein durch unzählige Beispiele zu belegendes Faktum. Wie tief die Messiade in das Volk eingedrungen war, und wie sie Vielen fast zur gleichen Erbauung gereichte, wie die Bibel, beweist die Erzählung von einer alten Bergmannsfrau in Freiberg. Diese hatte alle Gesänge der Messiade gelesen, bis auf zwei, die sich noch unter der Presse befanden. Sie war schon hochbejahrt und sehr kränklich. Als sie nun hörte, dass die beiden letzten Gesänge des von ihr so geliebten Epos nach langer Zögerung endlich ausgegeben werden sollten, so flehte sie zu Gott, er möge ihr nur noch so lange zu leben vergönnen, bis sie sich den Schluss der Messiade habe vorlesen lassen. Dieser Wunsch ward ihr gewährt. Sie überlebte die Veröffentlichung der Messiade noch um mehrere Monate. Nachdem sie sich die erhebenden Verse des von ihr so hochverehrten Dichters hatte vorlesen lassen, bestimmte sie, dass die Messiade während der ganzen Zeit ihrer Krankheit stets geöffnet auf ihrem Bette liegen sollte. So fand eine schlichte Bergmannsfrau in der Messiade Erquickung im Leben und Trost und religiöse Stärkung im Sterben. Demnach muss es doch nicht so schwer und unmöglich sein, die Messiade zu verstehen. Freilich wird sie mit einem frommen, gläubigen Gemüte gelesen werden müssen. Wie die Maler der Jetztzeit keine Madonnen zu malen verstehen, weil ihnen die Glaubensinbrunst des Mittelalters fehlt, so versteht auch die heutige Generation nicht die Messiade zu lesen, weil sie in ihrer Selbstüberschätzung auch das Unerforschliche ergründen will, jedes Wunder leugnet und die gottumstrahlte Erscheinung des Welten-Heilandes herabzudrücken bemüht ist, zu dem besten und edelsten Menschen. Glaubt sie doch gegen den Messias noch sehr gnädig zu verfahren, wenn sie ihn mit Sokrates und Schiller auf eine Linie stellt. Es gibt fürwahr keinen auffallenderen Gegensatz, als die unbeschreibliche, zündende Wirkung, welche die Messiade bei ihrem ersten Erscheinen hervorrief, und die gänzliche Gleichgültigkeit, ja Kälte, die ihr im neunzehnten Jahrhunderte begegnet. Dass wir dies beklagen und sehr unrecht finden, geht deutlich aus unserer Auseinandersetzung hervor. Aber die historische Wahrheit nötigt uns, dieses Faktum ganz und uneingeschränkt zuzugeben. Von einer Million Deutschen haben nicht Hundert die Messiade gelesen. Es bleibt demnach nur zu wahr, was ein Kritiker von anerkanntem Namen einst zu äußern sich gedrungen fühlte: „So wie man die Messiade auf Klopstocks Sarg gelegt hat, möchte man sie nur in wenigen Studierzimmern finden, nämlich — aufgeschlagen.“ Für das achtzehnte Jahrhundert hatte dieser Ausspruch allerdings keine Richtigkeit. Denn damals lag die Messiade in jeder gebildeten Familie aufgeschlagen und übte auf Unzählige die wohltätigste Einwirkung aus. Was die edle Gemahlin des Grafen Leopold Friedrich von Stolberg an Klopstock schrieb, dass er ihr eine unaussprechliche Sehnsucht, gut zu werden, ins Herz gesenkt habe, das dachten und danach handelten viele tausend fromme Christenherzen.

Meta nun hatte, nachdem sie mit Klopstocks Messiade in so wenig geziemender Weise bekannt geworden war, nicht geruht und gerastet, bis sie sich alles verschafft, was bis dahin von diesem herrlichen Epos in die Öffentlichkeit getreten. Bekanntlich erschien ja die Messiade in großen Zwischenräumen. Meta hielt die geweihte, von heiligem Schweigen erfüllte Nacht für die würdigste Zeit, um die hohen und ernsten Schönheiten der Messiade in sich aufzunehmen. „Einst in einer glücklichen Nacht las ich meines Mannes Gedicht, der Messias,“ schreibt sie an Richardson. „Ich war sehr gerührt; den folgenden Tag fragte ich einen Freund nach dem Autor dieses Gedichtes, und dies war das erste Mal, dass ich Klopstocks Namen hörte. Ich glaube, ich liebte ihn gleich; meine Gedanken waren immer erfüllt von ihm, weil sein Freund mir so viel Gutes von seinem Charakter sagte. Doch hatte ich keine Hoffnung, ihn zu sehen, bis ich unerwartet erfuhr, dass er durch Hamburg kommen würde. Gleich schrieb ich demselben Freunde, er möchte mir Gelegenheit verschaffen, den Verfasser des Messias zu sehen, wenn er nach Hamburg käme. Dieser erzählte ihm, dass ein junges Mädchen ihn zu sehen wünschte, und zur Empfehlung zeigte er ihm einige Briefe, worin ich kühne Kritiken über Klopstocks Verse gemacht hatte.“

Man ersieht aus diesen letzten Worten, dass, so sehr Meta die Messiade bewunderte, sie keineswegs ihr Urteil gefangen gab, sondern sich gestattete, dort zu tadeln und Ausstellungen zu machen, wo sie fand, dass ein Wort, oder eine ganze Stelle zu dem Schwunge und dem geweihten Fluge des Ganzen nicht in vollkommenem Einklange stehe. Der erste Tadel demnach, der in Klopstocks Ohr im Gegensatz zu den unaufhörlichen und sich stets steigernden Lobeserhebungen über seine Messiade wie ein Misslaut zu dringen sich erkühnte, war der in Metas Briefen ausgesprochene. Als ihm nun sein Freund Giseke, an den sie gerichtet waren, bei seiner Durchreise durch Braunschweig diese zu lesen gab und ihn aufforderte, ja doch die Briefstellerin in Hamburg aufzusuchen, so sagte Klopstock in einem Tone, bei dem man nicht ganz gewiss war, ob er scherzhaft, oder verdrießlich sei: „So? Meine Tadlerin?“

Doch wenn wirklich etwas wie Verdruss in Klopstocks Seele aufgestiegen war, so hatte diese Empfindung jedenfalls keine Dauer. War doch neben dem Tadel ein solch' liebevolles und eingehendes Verständnis der einzelnen Schönheiten seines Werkes, und musste ihn in dem ewigen Einerlei des Lobes und der Bewunderung ein anders klingender Ton, sei es auch nur der Abwechselung wegen, welche der Mensch ja einmal nicht entbehren kann, wenn ihn nicht Monotonie anekeln soll, gar nicht so unangenehm berühren. Übrigens dachte Klopstock vielleicht nur allein so. Denn die Mehrzahl der damaligen Deutschen war sicher geneigt, es als ein Majestätsverbrechen anzusehen, wenn Jemand sich erkühnte, Klopstocks Messiade auch noch so leise tadeln zu wollen. Da die Messiade, wie wir schon vorhin bemerkten, in großen Zwischenräumen erschien, so nahmen die Meisten einen fast leidenschaftlichen Anteil an der Durchführung der einzelnen Charaktere, und namentlich zitterten die Orthodoxen davor, dass Klopstock den Abbadona schließlich doch noch selig werden lassen könne. Klopstock nun vermochte trotz seiner großen Gutmütigkeit sich nicht zu entschließen, die streng frommen Gemüter, die dem armen Abbadona die Seligkeit durchaus nicht gönnen wollten (noch immer glauben die Orthodoxen, dass für sie allein die Himmelspforten aufgetan werden), über diesen Punkt zu beruhigen. Zur Steuer der Wahrheit darf indes nicht zu erwähnen vergessen werden, dass dem Messiasdichter auch viele Briefe zugingen, welche die Seligwerdung des Abbadona dringend befürworteten. Und Klopstock in seinem milden Geist hörte mehr auf die zur Verzeihung, als die zur Strafe drängenden Stimmen, und am Tage des Weltgerichts ertönte es: „Komm, Abbadona, zu Deinem Erbarmer.“

Hatte Metas Schwester, wie wir vorher gesehen haben, in ihrer Ansicht, dass es unpassend sei, Klopstock am heutigen Tage zu empfangen, gleich nachgegeben, so war sie doch keineswegs davon überzeugt, dass ihre Meinung nicht die richtige gewesen. Obgleich sie nun ihre Schwester aufs Emsigste unterstützte, in den Zimmern alle Spuren von Unordnung zu vertilgen, so unterließ sie es doch während dieser Beschäftigung nicht, mit einigen unangenehmen Redensarten um sich zu werfen. Fürwahr, ein jeder, der einen tieferen Blick in das Familienleben hineingeworfen, wird Gelegenheit gehabt haben, zu beobachten. wie Schwestern, auch wenn sie noch so wohlerzogen und hochgebildet sind, dennoch von Zeit zu Zeit ihr Temperament über die Regeln des Anstandes siegen lassen und sich gründlich schelten und auszanken. Zu einem gründlichen Zanke kam es glücklicher Weise zwischen den Geschwistern Moller nicht, wohl aber musste Meta einige bittere Pillen hinunterschlucken, was sie übrigens in aller Geduld und Sanftmut tat, da der Gedanke, Klopstock bald sehen zu sollen, sie mit solcher Seligkeit erfüllte, dass alles Übrige ihr im Vergleich dazu nichtig erschien und unwert, überhaupt beachtet zu werden.

„Aber Meta,“ sagte die Schwester, indem sie die zusammengelegte Wäsche ziemlich unwirsch in einen großen Korb hineinwarf, „aber Meta, es reimt sich sehr wenig mit Deiner übertriebenen Verehrung für Klopstock, ihn nach wenigen Minuten empfangen zu wollen, wo doch die prosaischen Eindrücke von unserer jetzigen Beschäftigung unmöglich schon verwischt sein können, Du mithin nicht im Stande bist, ihm eine solche geweihte Stimmung entgegenzutragen, wie sie der Dichter der Messiade zu beanspruchen ein Recht hat.“

„Wie Du mich doch schlecht kennst!“ antwortete Meta mit Milde im Blick, aber mit etwas Schärfe im Ton. „Ich sollte, wenn Klopstock mit mir in demselben Zimmer weilt, auch nur noch einen Augenblick an Wäsche und sonstige Prosa des Lebens denken! Wohl klingen die begeisterten Verse eines Gedichts, die geweihten Worte eines Priesters, die erhabenen Klange eines Chorals, das Rauschen des Waldes, das Brausen des Meeres, das Lispeln des Schilfes noch lange im Gemüte nach, aber diesen Vorzug des Nachbebens und Nachzitterns im Innern hat nur das Schöne, Hohe und Göttliche. Das, was wir im Alltagsleben mechanisch wirkten und schufen, liegt hinter uns und beeinflusst uns nicht mehr, sobald wir es vollendet haben.“

Meta hatte diese Worte in erregter und erhöhter Stimmung gesprochen, so dass sie das sie zunächst Angehende ganz und gar darüber vergaß. Daher war es nicht zu verwundern, dass sie einem Haufen Wäsche, den sie in den Korb werfen wollte, eine fasche Richtung gab, und Handtücher, Taschentücher“, Tischtücher in bunter Unordnung auf den Fußboden zu liegen kamen.

„Vorläufig,“ bemerkte Metas Schwester, „tätest Du doch klüger, Deinen Geist dem Sänger der Messiade nicht schon entgegenfliegen zu lassen, sondern ihn alleweile noch hier zu behalten, damit er über das Werk Deiner Hände zu wachen im Stande sei.“

Meta antwortete nichts, sondern beugte sich zum Erdboden nieder, um die auf demselben zerstreut umherliegende Wäsche wieder aufzulesen. Sie ward von ihrer Schwester aufs Emsigste bei dieser wenig anziehenden Beschäftigung unterstützt, da Letztere bei ihrer großen Gutmütigkeit und innigen Liebe zu Meta das tadelnde Wort schon zu bereuen anfing, das soeben ihren Lippen entflohen war.

Kaum hatten beide Schwestern sämtliche Wäsche wieder aufgelesen und den schweren Korb mit vereinten Kräften in die angrenzende Kammer getragen, als es an die Tür klopfte und auf ihr mit befangener Stimme gesprochenes „Herein!“ Klopstock ins Zimmer trat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Klopstock und Meta