Klopstocks Frauen-Bedürftigkeit und sonstiges Charakteristische

Als die Geschwister Moller Klopstocks zuerst ansichtig wurden, und er auf ihre Einladung Platz genommen hatte, so war die Unterhaltung Anfangs keine sehr belebte, da die jungen Damen dem berühmten Manne gegenüber ihre große Befangenheit nicht sogleich zu bemeistern vermochten. Doch die leichte, anspruchslose Art und Weise, mit der sich Klopstock benahm, sowie seine weit mehr muntere als ernsthafte Unterhaltung minderte die Befangenheit bald um ein Beträchtliches. War Meta gleich durch ihre genauen Erkundigungen nach Klopstocks Charaktereigentümlichkeiten, die sie bei einem seiner Freunde eingezogen hatte, bereits von dem Irrtum zurückgeführt worden, in ihm einen orthodoxen Kandidaten der Theologie zu vermuten, der entweder auf die Erde, oder in den Himmel blickt, aber niemals in die, Sonnenwärme verbreitenden, Augen einer schönen Frau, so war sie doch nicht darauf gefasst, in dem Messiassänger einen so muntern, fast ausgelassenen Gesellschafter zu finden, im Vergleich zu Dem, die meist ernsten Kaufleute Hamburgs wie Fastenprediger erschienen. Wenn Meta, weil vorbereitet auf die Klopstock'sche Munterkeit, demnach nicht in so hohem Grade erstaunt war, wie sie es ohne die vorausgegangenen Erkundigungen zweifelsohne gewesen sein würde, so konnte sich ihre Schwester in diesen gleichsam profanen, ganz gegen ihre Vorstellungen anlaufenden Charakter des Sängers der Messiade zuerst gar nicht hineinfinden. Ihr Erstaunen war kein geringeres, wie das der Schweizerischen Freunde Klopstocks, die sich Anfangs versucht gefühlt hatten dem Dichter der Messiade, mit Palmenzweigen in den Händen, Hosiannah singend, entgegen zu wallen, und die sich vor Verwunderung gar nicht zu lassen wussten, als ihnen in Klopstock ein so lebensfroher, scherzender und Mädchen küssender junger Mann entgegentrat. Denn — weil dies ein wichtiger Charakterzug in Klopstocks Persönlichkeit ist — vergessen wir nicht, darauf aufmerksam zu machen, dass der Sänger der Messiade es sehr liebte, junge Mädchen zu küssen, und dass diese wiederum es gar nicht übel nahmen, von einem so berühmten, fast wie ein Heiliger angesehenen Manne geküsst zu werden. Die deutschen Damen des achtzehnten Jahrhunderts hatten in Bezug auf das Unbedenkliche der Küsse von Seiten berühmter Männer demnach ganz dieselbe Ansicht, wie heutigen Tages die Misses Nordamerikas. Wer hätte es nicht mit Erstaunen gelesen, dass Henry Clay (freilich hatte er damals schon graue Haare, während Klopstock bei seiner Kussmanie noch „mit der Jugend Nervenmarke pochte und mit der Flamme, die im Auge zückt“), wenn er bei seinem ersten Erscheinen in einer großen Metropole Nordamerikas von der gesamten Bevölkerung mit echt transatlantischer Überschwänglichkeit gefeiert ward, sämtliche Damen, die nur irgendwie Ansprüche zu erheben berechtigt waren, bongré malgré mit einem Kusse beglücken musste? Am Abend beim Bankett nämlich, das die Stadt zu Ehren des berühmten Kongressredners veranstaltet hatte, musste er den Hauptsaal, der dicht mit Damen angefüllt war, die bei seinem Nahen eine Gasse bildeten, langsam durchschreiten. Während er nun mühsam vordrang, erhoben sich bald rechts, bald links die Damen auf ihren Fußspitzen, machten ein niedliches Mündchen, lächelten gar holdselig mit dem ganzen Antlitze und riefen ihm in sehr determiniertem Tone zu: ,,Kiss me! Kiss me!“ Der glückliche oder unglückliche Henry Clay (je nachdem die zum Küssen auffordernde Dame beschaffen war) wandte sich also bald rechts, bald links und presste seinen Mund auf die entweder in Purpurglut prangenden Lippen einer reizenden Miss, oder auf die welke, blut- und zahnlose Mundhöhle einer noch Küsse begehrenden, aber nicht mehr Küsse verdienenden Mistress im vorgeschrittensten Mittelalter — das einzige Mittelalter, das man in Nordamerika kennt. Wir haben es mit Absicht unentschieden gelassen, ob diese Kussgier der amerikanischen Damen den berühmten Henry Clay beglücken oder verstimmen musste. Uns will es bedünken, als ob diese Frage auch nicht so leicht gelöst werden könne. Es kommt alles auf den sehr schwer zu entscheidenden Punkt an, ob der Kuss von den Rubinlippen einer reizenden Miss beglückender oder die Umhalsung einer welken, runzeligen und zahnlosen Mistress schrecklicher sei. Vielleicht hebt sich Beides gegenseitig auf, so dass Henry Clay auf dem Punkte der Indifferenz anlangte und seiner gesellschaftlichen Verpflichtung ganz mechanisch nachkam.

Übrigens verdiente es Henry Clay ganz unbedingt, von den frischesten und rosigsten Lippen geküsst zu werden. Erinnerte man sich auch nur des einen großen Moments in seinem Leben, als er in der Halle der Repräsentanten am 10. Dezember 1821 Lafayette, ,,lhomme des deux mondes“, den vereinigten Mitgliedern der beiden Kongresshäuser vorstellte. Lafayette gestand später ein, dass, so vielen großartigen geschichtlichen Auftritten er auch in Frankreich während der Revolution beigewohnt habe, er doch niemals so bis in das innerste Herz getroffen worden sei, als während jenes Zeitmoments, wo Henry Clay mit einer Beredsamkeit, die Mirabeaus gewaltige oratorische Kraft weit hinter sich ließ, ihn den vereinigten Vertretern der mächtigsten Republik vorstellte, und diese ihn in ehrerbietigem Schweigen umstanden, ihm mit bewegter Miene dankend für die Großtaten seiner Jugend in ihrem Befreiungskriege.


Dass Klopstock nicht bloß sehr gern mit liebenswürdigen jungen Damen verkehrte, sondern sie auch, wenn sie von anziehendem Äußern waren, mit großer Bereitwilligkeit umarmte, davon zeugen vielfache Beispiele aus seinem im Ganzen wenig gekannten Leben.

Als er im Sommer des Jahres 1750 in Magdeburg mit dem damaligen Hofprediger Sack aus Berlin zusammentraf und mit ihm und in einem größeren Kreise von Damen häufig verkehrte, so zeigte er sich zum Küssen gerade ganz besonders aufgelegt. Es wird diese Lust zum Küssen junger Damen ganz schrecklich in das Ohr der Orthodoxen klingen, die Klopstock nicht anders dargestellt wissen, als heilige Verse dichtend oder ernsten Betrachtungen nachhängend; aber wir dürfen mit ihren Beängstigungen kein Mitleid haben, sondern müssen der Wahrheit die Ehre geben. Als der Hofprediger Sack nämlich, der Klopstock wegen seiner Messiade überaus schätzte, sich den berühmten Dichter hatte malen lassen, so ward dessen Bild einem zahlreichen Kreise von Damen gezeigt, damit sie ihr Urteil über die Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit abgeben möchten. Sie fanden es nun alle, bis auf Fräulein Sack, sehr ähnlich. „Da die Frauenzimmer das sagten“, erzählt Klopstock, „belohnte ich sie alle mit einem Kusse“. Gleich darauf berichtet er, dass Fräulein Sack sich in ihrer Ansicht auch bekehrt habe. Es scheint demnach, dass die Damen diese Küsse sehr gut aufgenommen hatten, und dass die Einzige, die bis dahin keine Ähnlichkeit zu finden vermochte, sich noch schnell bekehrte, sei es aus Überzeugung, sei es aus kluger Berechnung, um ebenfalls von Klopstocks Lippen berührt zu werden.

Die heutigen Dichter haben es in Bezug auf das Küssen junger Damen lange nicht so gut, wie der fromme Messiassänger. Wir geben zu bedenken, ob die Ansichten der Damen des achtzehnten oder des neunzehnten Jahrhunderts die richtigeren seien.

Die große Leichtigkeit Klopstocks, mit Damen zu verkehren, floss aus seiner Frauen-Bedürftigkeit, von der wir bereits bei einer andern Gelegenheit gesprochen haben. Überall steckte er seine Fühlhörner aus, ob er nicht auf anmutige und liebenswürdige Gestalten des oft nur aus Artigkeit sogenannten schönen Geschlechts stoßen möchte. Wir geben hier einige Beispiele seines steten Beflissenseins, mit Damen zusammenzukommen.

Als es sich darum handelte, Bodmer in der Schweiz zu besuchen, so schrieb er an diesen:

„Und noch eine Frage, die auch einigermaßen bei mir mit zur Gegend gehört: denn Mein Leben ist nun zum Punkt der Jünglingsjahre gestiegen — wie weit wohnen Mädchen Ihrer Bekanntschaft von Ihnen, von denen Sie glaubten, dass ich einen Umgang mit ihnen haben könnte? Das Herz der Mädchen ist eine große, weite Aussicht der Natur, in deren Labyrinth ein Dichter oft gegangen sein muss, wenn er ein tiefsinniger Wisser sein will.“

Eben weil Klopstock die Frauen so hoch stellte und sich so gern ihres Verkehrs erfreute, unterließ er es auch nie, es rühmend hervorzuheben, wo sie geistig ebenbürtig an die Seite des Mannes traten. Auf seiner Reise nach der Schweiz, wo er von Schuldheiß und Sulzer begleitet war, rastete er mit seinen Freunden in Nürnberg. Diese waren ausgegangen und hatten ihn gebeten, verweilen zu wollen, da sie bald zurückkehren würden, um ihn zu der besten Blumenmalerin Deutschlands abzuholen. Er bemerkt in Betreff dieser mit sichtlicher Genugtuung:

„Es gefällt mir unvergleichlich, dass ein Mädchen und nicht ein Jüngling diese schönen Sachen am Besten malt, die schöner sind, als Salomo in seiner Herrlichkeit.“

Als Klopstock die Demoiselle Dietsch, die geschickte Blumenmalerin, aufsuchen wollte, so fand er diese zwar nicht zu Hause, wohl aber ihre Schwester. Die Nürnberger Jungfrau gefiel dem Messiasdichter ganz ungemein. „Das Mädchen hatte“, wie er schreibt, „ziemlich schlaue Augen, ob es gleich ein stilles Mädchen war“. Herr Dietsch, der Vater, zeigte auch von dieser Tochter den beiden Freunden, nämlich Klopstock und Sulzer, Gemälde vor. Nach der Behauptung unsers Dichters näherten sie sich den Meisterstücken der Schwester. Später führte der Vater dieser hochbegabten Töchter Klopstock und Sulzer noch in ein Naturalienkabinett seines Hauses. Während Sulzer mit großer Genauigkeit die einzelnen merkwürdigen Muscheln betrachtete, stahl Klopstock sich hinaus, um zu sehen, „ob die Augen des Mädchens, wenn es mit ihm redete, noch ein wenig schlauer werden würden“. „Aber nein!“ ruft er verstimmt aus, „es machte ein Mal über das andere einen Nürnberg'schen Knicks, und die Augen wurden nicht schlauer“.

Da nun die Augen der Demoiselle Dietsch durchaus nicht so schlau hatten werden wollen, wie Klopstock es gewünscht, so suchte er sich auf der Straße zu entschädigen, und spähte allenthalben umher, ob er nicht schelmischer Mädchen ansichtig werden könne.

Sulzer berichtet über diese Sehnsucht des Messiasdichters nach Repräsentantinnen des schönen Geschlechts Folgendes:

„Klopstock allein sah sich nach etwas um; er wollte mit Gewalt schöne Mädchen sehen, aber das Schicksal hatte es anders beschlossen. Weil er nicht Augen genug hatte zum Spähen, so nahm er die unsrigen zu Hilfe. Wir gaben ihm ein Zeichen, sobald wir ein Kopfzeug erblickten; Alles umsonst; er sah nichts, als gemeine Menschengesichter, nicht einen einzigen Engel. Da betrübte sich der Menschenfreund, denn nun glaubte er, dass in Nürnberg keine Freude wohnen könne.“

Wenn Klopstock während seiner ganzen Reise mit ungeschwächter Aufmerksamkeit nach schönen Mädchen spähte, so war es unausbleiblich, dass die eigentümlichen und oft sehr wenig geschmackvollen Anzüge der Dörflerinnen in den verschiedenen Provinzen, die er auf seinem Wege nach der Schweiz berührte, ihm auffallen mussten, und zwar nicht immer in wohltuender Weise. Besonders wollte ihm der Anzug der Schwäbinnen gar nicht gefallen. Nachdem er erzählt, wie ihn die Mienen einiger Mädchen in Ulm zu manchem Argwohn gebracht (also wiederum ein Beweis, wie genau er sich die jungen Damen angesehen), äußert er sich über den Anzug der Schwäbinnen folgendermaßen:

„Die Kleidung der Frauenzimmer kam mir hier unbeschreiblich neu vor. Drei Enden von ihrem Kopfputze gehen ihnen tief und zugespitzt ins Gesicht. Doch, bei den Pudeln und bei der Trille der Sachsinnen! ich will nichts weiter von dem labyrinthischen Anzuge sagen. Nur Das muss ich noch anmerken: denjenigen, welche sich recht artig geputzt haben wollten, gingen die spitzen Enden der Kopfzeuge ganz unter die Augen, dass sie einer halben Unteraugenbraune ähnlich schienen. In dieser Gegend war auch etwas wie Ohrgehänge angebracht. Ich habe ein rundes blaues Auge eines artigen Mädchens recht sehr bedauert, dass es so fürchterlich hervorblicken musste!“

Da die Schwäbinnen, vielleicht wegen ihres Anzugs, vielleicht auch wegen ihrer plumpen Körperbeschaffenheit, auf Klopstock einen sehr wenig guten Eindruck gemacht hatten, so begann dem wackern Sulzer bei seinem Patriotismus bange zu werden, dass seine Landsmänninnen, nämlich die Schweizerinnen, dem berühmten Dichter eben so wenig gefallen möchten. Sulzer verfehlte deshalb nicht, Klopstock auf das Unvorteilhafte in dem Anzuge der Schweizerinnen vorzubereiten. Vor allem war er bemüht, zu verhindern, dass Klopstock die Schweizerinnen nicht zuerst im Kirchenhabit sehen sollte. Sulzer erwähnte gegen Klopstock, wie der Anzug der Schweizer Landmädchen noch viel Gotisches an sich habe, und wie von ihrem Kopfputze ein breites Band von dem Nacken um die Wangen und das Kinn liefe. Sogleich äußerte Klopstock die Besorgnis, dass die Mädchen dies breite Band als Schutzwaffe gebrauchen und dasselbe sofort auf den Mund rücken würden, wenn man ihnen einen Kuss geben wolle. Klopstock schloss wahrscheinlich, und gewiss mit sicherster Logik, dass die Landmädchen der Schweiz, weil sie seine Messiade nicht gelesen hatten, lange nicht so bereit sein würden, ihm einen Kuss zu gestatten, wie die jungen Damen in Magdeburg. Je gebildeter die Frauen sind, desto begeisterter umfassen sie ja die Poesie und Diejenigen, „auf deren Brauen einst süßer Tau des Himmels fiel.“ Als Lenau bei einer Reise durch Schwaben neben einer Dame im Postwagen saß, die eine große Bewunderin seiner Gedichte war, so konnte diese sein Schmauchen aus einer großen Tabakpfeife sehr wenig gut vertragen. Da sie aber durch den Kondukteur auf Lenau aufmerksam gemacht worden, mithin über die Identität ihres Reisegefährten nicht in Zweifel war, so erklärte sie mit Überwindung ihres Widerwillens, um ihrem Lieblingsdichter etwas Angenehmes zu sagen, wie sie den Tabaksdampf überaus gemütlich finde. Lenau erwähnte im Laufe des Gesprächs, ganz ohne Absicht, da er sich den Anzug der mit ihm reisenden Dame gar nicht so genau betrachtet hatte, dass ihm seine Pfeife noch viel besser schmecken würde, wenn er leider nicht ein Stückchen Flor mitzunehmen vergessen hätte, das er immer oben auf den Tabak zu legen pflege, wodurch der Genuss sehr gesteigert werde. Sogleich zerriss die ihn bewundernde Dame ihren Florschleier, um ihm die einzelnen Stücke desselben zum Gebrauche anzubieten.

Man sieht aus diesem Beispiele, welche Artigkeiten ausgezeichneten Dichtern von begeisterten Damen erwiesen werden.

Es hat demnach gar nichts Auffallendes, dass die Magdeburger Damen, die mit Klopstock in den Gesellschaften des Hof-Predigers Sack zusammen getroffen und die ohne Ausnahme von seiner Messiade entzückt waren, sich so ruhig und ohne alle sittlichen Bedenken von ihm küssen ließen. Sie glaubten, nicht von den Lippen eines Mannes, sondern eines Seraphs berührt zu werden. Übrigens war Klopstock lebenserfahren genug, um bei derben Schweizer Landmädchen, die nie etwas von seiner Messiade gehört hatten, nicht ebenso einen Kuss zu wagen, wie bei jenen Damen Magdeburgs. Während diese den Liebeshauch des Seraphs mit Andacht einschlürften, hätten die Schweizer Landmädchen ihm wahrscheinlich eine tüchtige Ohrfeige appliziert.

In keinem Frauenkreise aber ist Klopstock wohl vergnügter und ausgelassener gewesen, als in demjenigen, von dem er sich während einer Fahrt auf dem Zürcher See umgeben sah. Klopstock war wahrscheinlich deshalb (wenn bei einem so berühmten Dichter ein so vulgärer Ausdruck am Platze ist) „aus Rand und Band“, weil er endlich einmal nach langer Pause ganz ungezwungen und vertraulich mit einer größeren Anzahl holder Evastöchter verkehren konnte. In der Schweiz nämlich war es Mode, dass, um mit Klopstock zu reden, die Mädchen die Mannespersonen ausschweifend selten sprachen und sich nur untereinander Visiten gaben.“ Dass diese Sitte durchaus nicht nach Klopstocks Geschmack war, geht aus der Schilderung seiner Charaktereigentümlichkeiten sattsam hervor. Deshalb jubelte er förmlich auf, als er hörte, dass während dieser Seefahrt sehr angenehme Damen sich mit ihm im Schiffe befinden würden. Unter den Damen musste die Frau des Doktors Hirzel als die Herrin der Gesellschaft angesehen werden. Sie war die Tochter eines Zürcher Ratsherrn und eine geborene Anna Maria Ziegler. Weil sie ein liebenswürdiges Wesen und angenehmes Äußere hatte, auch die angesehenste oder, um mich des obigen Klopstock'schen Ausdrucks zu bedienen, die Herrin der Gesellschaft war, so hatte man ihn zu ihrem Kavalier bestimmt. Die Schweizer verfehlten überhaupt nie, den Sänger der Messiade bei jeder sich darbietenden Gelegenheit auszuzeichnen. Obgleich nun die Doktorin Hirzel, wie Klopstock selbst eingesteht, jung war und vielsagende blaue Augen hatte, auch ein Lied von Haller unvergleichlich wehmütig sang, mithin der Verdienste genug aufzuweisen vermochte, so war Klopstock doch ungalant genug, „ihr bei Zeiten untreu zu werden.“ Die Veranlassung zu dieser Untreue gab eine Demoiselle Schinz. Sie war das jüngste Mädchen der Gesellschaft und zugleich das schönste unter allen; überdies hatte sie, wie Klopstock bemerkt, „die schwärzesten Augen.“ Kaum hatte der Messiasdichter dies jugendfrische Antlitz, aus dem zwei nachtschwarze Augen hervorleuchteten, angeblickt, so fing ihm schon das Herz zu pochen an. Diese junge Schweizerin rief nämlich Gedanken an eine Liebe seiner Kindheit wach. Hatte er doch in seinem Knabenalter ein holdes zwölfjähriges Mädchen angebetet, von der seine Liebe erwidert und ihm versichert worden, dass sie ganz sein wäre. Kaum bot sich eine günstige Gelegenheit dar, so entwischte Klopstock der Doktorin Hirzel und erzählte der Demoiselle Schinz, welche liebe und süße Erinnerungen sie in ihm wach gerufen habe.

Man ersieht aus dieser frühzeitigen Liebe Klopstocks, dass nicht bloß die Phantasie bei den Dichtern glühender ist, als bei den gewöhnlichen Menschenkindern, sondern auch das Herz. Auch Dante, der in Dunkelheit und Erhabenheit seiner Ausdrücke manches Ähnliche mit Klopstock hat, wurde schon im neunten Lebensjahre aufs Mächtigste von dem Anblick eines reizenden Mädchens, Beatrice Portinari, getroffen, die durch ihn nicht minder berühmt ward, wie Heloise durch Abälard, Laura durch Petrarca, Meta durch Klopstock.

Wir haben gesehen, dass der Messiassänger ungalant genug war, die Doktorin Hirzel zu verlassen und mit der Demoiselle Schinz schön zu tun. Doch das vertrauliche Benehmen Klopstocks gegen die junge, schwarzäugige Schweizerin wird so pikant, dass wir es mit seinen eigenen Worten schildern müssen, da man uns leicht der Ausschmückung beschuldigen könnte. Klopstock nun berichtet:

„Das Mädchen in seiner siebzehnjährigen Unschuld, da es so unvermutet so viel und ihm so neue Sachen hörte, und zwar von mir hörte, vor dem es sein schwarzes schönes Auge mit einer so sanften und liebenswürdigen Ehrerbietung niederschlug, öfters große und unerwartete Gedanken sagte und einmal in einer entzückenden Stellung und Hitze erklärte, ich sollte selbst bedenken, wie hoch Derjenige von ihm geschätzt werden müsste, der es zuerst gelehrt hatte, sich würdigere Vorstellungen von Gott zu machen, - - - -“

Jetzt kommt das eigentliche Pikante, indem Klopstock in einer Note hinzufügte:

„Ich muss hier noch die Anmerkung machen, dass ich dem guten Kinde auch sehr viele Küsse gegeben habe; die Erzählung möchte Ihnen sonst zu ernsthaft scheinen.“

Klopstock ward durch die dunklen Augen der Demoiselle Schinz so gefesselt, dass er sich nicht scheute, die angesehenste Dame der Gesellschaft, die Doktorin Hirzel, die man, wie wir oben erzählten, um ihn zu ehren, unter seinen Schutz gestellt hatte, gänzlich zu verlassen und sich immer an der Seite Derjenigen zu halten, durch die das Andenken an seine erste Jugendliebe in ihm war wach gerufen worden.

Man ersieht aus diesen Einzelheiten der Zürcher Seefahrt, dass dem Messiassänger manches gestattet war, was prosaischen Naturen nun und nimmermehr ungestraft und ungerügt hingegangen sein würde.

Bevor wir von der Zürcher Seefahrt gänzlich Abschied nehmen, möge Klopstock bei allem Respekt vor seiner großer Dichterbegabung uns noch die Bemerkung gestatten, dass er trotz seines vielfachen Verkehrs mit Damen ihre Natur, wenigstens damals, noch durchaus nicht vollständig ergründet hatte. Wenn Demoiselle Schinz, während Klopstock von seiner ersten Liebe und wahrscheinlich seinen gegenwärtigen sehr glühenden Empfindungen für seine Nachbarin aufs Schwungvollste redete, ihre Augen verlegen niederschlug und wiederholt errötete, so war dies eins jener Manöver, welches die Frauenzimmer jedweden Ranges und jedweden Altes so meisterhaft verstehen. Der „siebzehnjährigen Unschuld“ war das Kapitel von Liebe sicher kein neues und bisher unbesprochenes. Die jungen Mädchen in den Schulen wissen das Zeitwort „j’aime, tu aimes, il aime“, schon vortrefflich zu konjugieren, während die Knaben bei ,,amo“ wegen mangelhaften Memorierens noch tüchtige Hiebe bekommen. Wie das Wort „Liebe“ der Demoiselle Schinz gar nicht so fremd und unangenehm klang, geht daraus hervor, dass sie sich mit so großer Bereitwilligkeit von Klopstock küssen ließ.

Dass übrigens die Dichter des achtzehnten Jahrhunderts es in Bezug auf das Küssen junger Mädchen sehr gut gehabt haben müssen, und dass nicht bloß der Messiassänger sich diese Erlaubnis nehmen durfte, ersehen wir aus einem Briefe Schmidts an Klopstock, wo er gegen das Ende seines Schreibens folgende Frage stellt:
„Haben Sie vor Gleim bei den Magdeburger Mädchen ankommen können, oder rauschten die Küsse nur neben Ihnen hin? Wenn ich da gewesen wäre, so hätte ich alle Küsse auffangen wollen, wie Ajax im Homer mit seinem Schilde alle trojanische Pfeile auffängt.“

Die Schweizer Damen würden Klopstock den Aufenthalt in ihrer pittoresken Heimat gewiss zu einem Elysium gemacht haben, wenn er, da wir nun einmal auf Erden nie ganz glücklich sein sollen, nicht von manchen Eigenheiten Bodmers zu leiden gehabt hätte. Da es uns hier vorzüglich darauf ankommt, seine bevorzugte und freie Stellung zu dem weiblichen Geschlechte der Schweiz zur Anschauung zu bringen, so lassen wir nach der bereits gegebenen Probe noch einige Stellen aus einem Briefe Schmidts an Gleim folgen, wo Ersterer von der überaus günstigen Situation spricht, in der sich Klopstock gegenüber den Landsmänninnen des großen Haller zu befinden das Glück hatte. Schmidt schreibt hierüber:

„Klopstock freut sich wie ein Jüngling seiner Jugend und mag nicht gar oft über die Alpen an uns zurückdenken. Mädchen und Alles sieht ihn dort für einen vom Himmel gesandten Propheten an, und er hat dort so viel Ansehen, als Mahomed in Medina. Wenn er eine neue Lehre aufbringen wollte, so würde das weibliche Geschlecht nicht säumen, ihm Beifall zu geben.“

Dass Klopstock, der ein so leichtes, ja mutwilliges Benehmen im Umgange mit Frauen hatte, kein Kopfhänger sein konnte, leuchtet jedem, der nur die oberflächlichsten psychologischen Studien machte, sofort ein. Er trug vermöge seines Naturells, das, wie wir sahen, zum Muckertume durchaus nicht hinneigte, keinen Augenblick Bedenken, während seiner Reise nach der Schweiz auf einem Kirchhofe, dessen Gräber mit schönen Rosenstöcken bepflanzt waren, in Gemeinschaft mit seinen Freunden eine Flasche Wein zu trinken. Wir ersehen aus einem seiner Briefe, dass es eine Flasche Eremitage gewesen, die sie austranken, und dass diese ihnen von einem sehr liebenswürdigen Mädchen mit auf den Weg gegeben worden. Wahrscheinlich schmeckte ihm der Wein aus diesem Grunde so vortrefflich. Aber nicht bloß gut zu trinken, auch gut zu essen verstand Klopstock. Freilich entwickelte er nicht jenen außerordentlichen Appetit, worin der große Königsberger Philosoph, dessen Essgier in der überaus sinnlichen Bildung seines Unterkiefers deutlich ausgeprägt ist, ebenso unerreicht dasteht, wie in seiner Kritik der reinen Vernunft. Während Sulzer’n auf der gemeinsamen Reise nach der Schweiz das wenig beneidenswerte Los zufiel, sich mit Posthaltern, Postillons, Schmieden und sonstigen, meist nicht allzu höflichen Leuten herumzuzanken, trank Klopstock in aller Gemütlichkeit seinen Kaffee, worin man ihm das Gelbe vom Ei hatte rühren müssen, oder verzehrte ein gutes Mittagbrot, worauf er als angenehmstes Dessert das Umherspähen nach hübschen Mädchen folgen ließ. — Als Klopstock des Rheinfalls bei Schaffhausen ansichtig ward, so erfüllte er ein zuvor getanes Gelübde, das übrigens keineswegs große Opfer auferlegte, wie so manches mittelalterliche, wodurch damaliger einfältiger Kinderglaube sich ein Verdienst im Himmel zu erwerben wähnte. Er trank nämlich den Nymphen des Rheinfalls zu Ehren einige Gläser des schönsten und goldigsten Weins, den Deutschland hervorbringt.

Wie Klopstock nun gut zu essen und zu trinken liebte, auch sehr gern nach hübschen Mädchen umherspähte, so war er gleichfalls keineswegs beständig in die Bibel und die Kirchenväter vertieft, sondern las sehr gern Bücher muntern und launigen Inhalts. Als er einst in Quedlinburg an einem kalten Fieber darniederlag, so lud er sich Gleim aus dem nur wenige Mieten entfernten Halberstadt zum Kaffee auf den Nachmittag ein und forderte in seinem Schreiben den deutschen Anakreon auf, ihm „einige neue scherzhafte Bücher“ mitzubringen.

Aus unserer obigen Darstellung geht deutlich hervor, dass Klopstock kein Kopfhänger und kein Verächter der weltlichen Freuden war, wenn sie nur mit Maß genossen wurden. Dass er bei seinem fleißig gepflogenen Umgange mit Damen in jedem Lebensalter und aus jedem Lebenskreise gute Manieren und eine große Leichtigkeit des Verkehrs erlangt hatte, bedarf keines weiteren Beweises. Denn nichts formt den Jüngling und den Mann besser, als Damenumgang. Bei plumpen und rohen Gestalten, bei sogenannten Bärenhäuten, ist man sicher, dass sie nie das feine Arom weiblichen Umganges geatmet haben. Klopstock nun hatte diesen süßen Duft mit vollsten Zügen eingesogen, und deshalb schwand stets den Damen, weil ihnen in dem Sänger der Messiade eine so verwandte, zartsinnige Seele begegnete, nach wenigen Minuten, mochte ihr Herz bei seinem ersten Nahen auch noch so ängstlich geklopft haben, schnell jede Befangenheit.

Auch Meta und ihre Schwester ließen ihren Anfangs so kurzen und einsilbigen Antworten bald vollere, gedankenreichere Ergüsse folgen, und noch war keine Viertelstunde verflossen, als bereits die Rede herüber und hinüber flog, wie wenn der Messiassänger den beiden Hamburger Damen seit Jahren bekannt gewesen wäre.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Klopstock und Meta