Ein Dichterfürst in Hamburg

Ein ungewöhnlich milder und heiterer Apriltag erfreute die Bewohner der alten Reichs- und Hansestadt Hamburg, die sich in drängendster, kaufmännischer Eile durch die Straßen bewegten, mit hellem erquickendem Scheine. Der geschäftige Gott Merkur ließ den Hamburgern keine Ruhe, sondern spornte sie zu unablässigem Ringen nach Mehrung ihrer Güter. Einer der größten Sänger Deutschlands erfreute seit Kurzem die alte Hansestadt durch seine Gegenwart. Klopstock, von der Schweiz kommend und im Begriff, sich nach Kopenhagen zu begeben, wohin ihn ein fürstlicher Mäzen rief, war in Hamburg eingetroffen und gedachte daselbst einige Tage zu verweilen.

Fürwahr, es gab damals in Deutschland keinen Namen von hellerem Klange, als Friedrich Gottlieb Klopstock, den gefeierten Sänger der Messiade. Erst fünf Lustra hatte er hinter sich liegen, und schon tönte sein Name von einem Ende Deutschlands bis zum andern, ja weit außerhalb der Grenzen des heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Das deutsche Volk fühlte sich stolz und beglückt, endlich einmal wieder einen Dichterfürsten sein nennen zu dürfen. Verstanden auch so Viele, ja die Meisten das Überschwängliche, das in die höchsten Empfindungen hinein sich Versteigende der Klopstock'schen Muse nicht, so ahnte doch ein Jeder, dass mit dem Sänger der Messiade und so vieler herrlicher Oden patriotischen Inhalts ein großer und vor allem ein nationaler Dichter in die literarische Arena hinabgestiegen sei. Hatte sich doch in der literarischen Arena seit dem 17ten Jahrhundert die gelehrte Poesie breit gemacht. Das deutsche Volk wandte sich diesem Sänger von Gottes Gnaden eben deshalb mit solcher Liebe, mit solcher Inbrunst zu, weil es an der neuen, so reinen und edlen Dichtererscheinung nichts gewahrte von der leidigen gelehrten Verknöcherung, von dem ellenlangen Zopfe im Nacken, von jener unverständlichen griechisch-lateinischen Phraseologie, die sich das Bürgerrecht erworben hatte auf dem deutschen Parnasse und die schönen nationalen Klänge kaum im Volksliede fortbestehen ließ. Denn, ach! auch dem Volksliede ließ man nicht seinen frischen, freien, fröhlichen und oft so frommen Klang, sondern, wie einer unserer geschätzten Literarhistoriker sich sehr richtig ausdrückt, man „verbrämte es mit gelehrtem Kräuselwerk.“ Ja, deshalb war gleich das erste Auftreten Klopstocks ein so gewaltiges und zugleich so wohltätiges, weil er das Volk im Großen und Ganzen, das, da es sich vorher mit Verachtung von den gelehrten Herren angeschaut wusste, eine Abneigung und ein Misstrauen gegen alle literarische Produktion gefasst hatte, wieder mit Vertrauen erfüllte, mit Vertrauen zunächst allerdings nur zu ihm, dem nationalen und christlichen Sänger, aber dann auch zur deutschen Poesie überhaupt. Das Volk, stets mit der liebenswürdigsten Gutmütigkeit entgegenkommend, wo man ihm nur ein wenig Freundlichkeit und Herzlichkeit zeigt, sagte sich, dass mit Klopstock eine dichterische Epoche angebrochen sei, wo auch für ungelehrte Gemüter Worte und Töne erschallen würden, die, aus nationaler Gesinnung geboren, auch der Nation in ihrer Ganzheit zum Verständnisse gelangen und auf den Geringen, wie auf den Vornehmen erhebend und veredelnd wirken müssten. Ja, sagen wir es noch einmal, das deutsche Volk ehrte und liebte Klopstock sogleich bei seinem ersten Auftreten, weil es mit jenem wunderbaren Instinkte, der allen Völkern eigentümlich ist, und der sie sicherer führt, als die Diplomaten ihre feine Spürnase, weil es sogleich instinktiv begriff, dass hier ein Dichter erstanden sei, der einmal wage, ganz Deutscher zu sein. Eben weil Klopstock keine Ehre darin suchte, lateinisch mit der gelehrten Welt, französisch mit den vornehmen Kreisen zu sprechen, sondern deutsch zu seinen deutschen Landsleuten zu reden, deshalb hob ihn das Volk sofort auf den Schild, und sein Name strahlt seit länger den hundert Jahren als der eines wahrhaften Patrioten und ächten Christen in der Ruhmeshalle vaterländischer Dichter.


Bevor wir Klopstock auf seinen Ausgängen in Hamburg begleiten und uns mit ihm vor jener edlen Meta neigen, die als das Ideal einer deutschen und christlichen Jungfrau wohl würdig war, seine Gattin zu heißen, und durch ihn in den Tempel der Unsterblichkeit eingeführt zu werden, treibt es uns mächtig, dem hohen Gerechtigkeitsgefühle des deutschen Volkes unsere ganze Anerkennung und Bewunderung darzubringen, jenem Gerechtigkeitsgefühle, das Klopstock wegen seiner nationalen Gesinnung einen so erhabenen Platz anwies, mochte auch die Art und Weise, wie der Dichter diese Gesinnung zum Ausdruck brachte, eine oft verfehlte und dem Volke so wenig zu Gute kommende sein. Wenn demnach Lessing das Verhältnis des deutschen Volkes zu den Klopstock'schen Werken sehr richtig in jenem Epigramm ausdrückt, wo er wünscht, weniger bewundert und mehr gelesen zu werden, als der Messiasdichter, so gereicht es diesem von jeher so entsagungsvollen Volke zu um so größerer Ehre, dass es die reichsten Kranze des Ruhmes für nationales Wollen und Streben austeilte, obgleich dithyrambische Überschwänglichkeit und häufige sprachliche Verrenkungen es schwer, meist unmöglich machten, zu vollständigem Verständnisse zu gelangen. Aber in einer Periode, wo französische Nachtreterei zum guten Ton gehörte, ein ganzer Deutscher zu sein, und wo enzyklopädische Freigeistern den meisten Intelligenzen als einziger Stempel des auf der Höhe der Zeit stehenden Mannes galt, sich offen und entschieden als einen gläubigen Christen zu bekennen, in einer solchen Periode den falschen herrschenden Ansichten kühn entgegen zu treten und an das Herz des Volkes zu appellieren, das einem edlen Aufrufe sich niemals verschloss, dies sicherte ihm damals und sichert ihm für immerdar jenen großen und reinen Ruf, den er sich gleich bei seinem ersten Auftreten erwarb, und der ihm für alle Folgezeit erhalten bleiben wird.

Es war also in den ersten Tagen des April 1751, wo Klopstock zum ersten Mal innerhalb der Mauern Hamburgs verweilte. Er beschloss, einige Tage in der alten Hansestadt zu rasten, um zu seiner Weiterreise nach Kopenhagen, die ihm wegen der ungewohnten Meerfahrt etwas Bedenkliches hatte, neue Kräfte zu sammeln. Wie eine Reise nach Kopenhagen in den Augen der damaligen binnenstädtischen Bevölkerung etwas Außerordentliches war und viel Unbehagliches in der bloßen Vorstellung hatte, ersieht man aus einem Briefe Fannys an Klopstock, wo sie bemerkt:

„Es wird mir angst und bange, wenn ich daran denke, dass man so viele Länder mit seinen Gedanken durchreisen muss, ehe man Sie ganz nahe unter dem Nordpole ertappen kann. Wahrhaftig, eine weite Entfernung für ein Mädchen, das es schon für ein sehr großes Unternehmen gehalten hat, sich zu einer Reise nach Leipzig zu entschließen!“

Doch nicht bloß das Bedürfnis, Kräfte zur Weiterreise nach Kopenhagen zu sammeln, hielt Klopstock in Hamburg zurück. Zu dem physischen Grunde gesellte sich noch ein moralischer und intellektueller. Er sehnte sich nämlich, da bei seinem freisinnigen Gemüt eine würdige Republik und würdige Republikaner ihm als das Höchste und Begehrenswerteste erschienen, was auf staatlichem Gebiete hervorgebracht werden könne, sein Ideal endlich einmal verwirklicht zu sehen. In der Schweiz hatte er gehofft, wahrhafte Republikaner zu Gesicht zu bekommen, aber wie arg sah er sich in seiner Voraussetzung getäuscht! Und wie sehr war diese Voraussetzung eine berechtigte! Denn wo durfte er mit größerer Wahrscheinlichkeit Republikaner zu sehen erwarten, als in dem Vaterlande Tells und Arnolds von Winkelried? Doch dass die schweizer Republikaner den Erwartungen Klopstocks keineswegs entsprachen, ersieht man aus folgender Stelle eines an Gleim gerichteten Schreibens:

„Beneiden Sie überhaupt die hiesigen Herren Republikaner nicht, es sind durchgehends Leute, die sich schrecklich tief bücken; denn fast alle, die ein Bisschen von Familie sind, wollen ins Regiment.“

Wäre Klopstock bei seinem ersten Besuche in Hamburg nicht so kurze Zeit geblieben, und hätte die aufkeimende Liebe zu Meta ihn nicht für alle sonstigen Beobachtungen weniger scharfsichtig gemacht, ihn würde wahrscheinlich die zweite Enttäuschung getroffen haben, einen Freistaat zu sehen, ohne wahrhaft freistaatliche Gesinnungen.

Die Sonne schien so freundlich und lockend in Klopstocks Zimmer, dass es ihn hinaustrieb auf die Straße, unter Menschen. Er hatte in Hamburg außer Hagedorn eigentlich Niemanden, den er aufsuchen konnte. Aber dieser genügte ihm nicht ganz. Allerdings schätzte er diesen Hamburger Dichter, der einen so frischen, natürlichen Ton inmitten so vieler Steifheit und Künstelei angeschlagen hatte, ganz ungemein, indes dem zarten, elegischen Naturell des Messiasdichters war von jeher Männer-Umgang allein nicht ausreichend zu seiner inneren Befriedigung. Um sich ganz wohl zu fühlen, mussten edle, liebliche Frauengestalten in ein Verhältnis genauerer Bekanntschaft, wo möglich warmer Freundschaft zu ihm getreten sein. Diese Frauen-Bedürftigkeit Klopstocks, wie ich das Verlangen des Messiassängers nach stetem Damenumgang einmal sehr glücklich ausgedrückt fand, diese Frauen-Bedürftigkeit Klopstocks ließ ihn in dem großen fremden Hamburg an dem muntern Hagedorn, dem Sänger des Weins und des frohen Lebensgenusses, dessen heitere, sinnliche Natur jeder Sentimentalität widerstrebte, nicht genug haben. Zum Glück besann er sich, dass sein Freund Giseke ihm bei seiner Durchreise durch Braunschweig von einer anmutigen und geistreichen Hamburger Jungfrau, Meta Moller mit Namen, gesprochen und ihn aufgefordert hatte, dies anziehende Mädchen doch ja aufzusuchen. Schnell entschlossen, entsandte er einen Diener nach dem Moller'schen Hause, um fragen zu lassen, ob er seine Aufwartung machen dürfe.

Bis zur Zurückkunst des Dieners, der Klopstocks ahnungsvolles Herz mit großer Ungeduld entgegenharrte, legte er sich in das geöffnete Fenster und labte sich an der frischen, erquickenden Luft, die ihm um Stirn und Wange schmeichelte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Klopstock und Meta