Kleist von Nollendorf, Friedrich Heinrich Ferdinand Emil Graf (1762-1823) preußischer Feldmarschall. Biographie

Allgemeine Deutsche Biographie Bd 16 (1882)
Autor: Meerheimb, Ferdinand Freiherr von (1823-1882). Preußischer Generalmajor, Militärbiograph, Erscheinungsjahr: 1882
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Kleist v. Nollendorf: Friedrich Heinrich Ferdinand Emil Graf K. von Nollendorf, wurde am 9. April 1762 in Berlin geboren. Er stammte aus einer der ältesten Familien des Landes, 58 Offiziere seines Namens waren im siebenjährigen Kriege geblieben. Der Vater, Dietrich Adrian v. Kleist., Dechant des Domstiftes Brandenburg, war in Stavenow in der Priegnitz geboren; die Mutter, Louise geb. v. Schwerin, wurde von dem Manne geschieden und heiratete in zweiter Ehe den Oberst du Trossel. Die Gemahlin des Feldmarschalls war ein Fräulein v. Retzow aus Möllow im Havellande – die Familie v. Retzow ist ausgestorben. Kleist wurde als Kind im elterlichen Hause erzogen und kam im 12. Jahre als Page an den Hof des Prinzen Heinrich von Preußen, des Bruders Friedrichs des Gr. Im 15. Jahre trat er beim Ausbruch des bairischen Erbfolgekrieges als Offizier in das Infanterieregiment v. Bülow. Nach dem Frieden besuchte Kleist die Militärschule in Berlin, die damals unter Tempelhoff’s Leitung stand, und gehörte zu den vorzüglichsten Schülern, so dass er schon 1790 bei der Vermehrung der Armee, in Aussicht eines Krieges mit Österreich, zum Quartiermeisterlieutenant ernannt wurde. In dieser Stellung blieb er in Potsdam bis 1793 und wurde dann dem Fürsten Hohenlohe als Generalstabsoffizier beigegeben; durch seine Tätigkeit, seine kaltblütige Entschlossenheit und seinen militärischen Scharfblick erwarb er sich dessen volles Vertrauen. Das Gefecht bei Oberursel (bei Homburg) wurde durch seine persönliche Einwirkung glücklich entschieden, und er erhielt dafür den Orden pour le mérite. Ende 1793 wurde Kleist Adjutant des Feldmarschall Möllendorf, als dieser das Kommando über die Rheinarmee übernahm. Hier leistete er die wichtigsten Dienste. Durch seine ernste Pflichttreue und seinen persönlichen Mut, wie durch seine seltene Bescheidenheit erwarb er sich die Liebe und Freundschaft des vortrefflichen Möllendorf, die dieser ihm lebenslänglich bewahrte. 1799 erhielt er als Major das Kommando der kombinierten Grenadierbataillone der Regimenter Arnim und Kunheim in Berlin; hier wie in aller Stellung gewann er durch seine Milde und Güte, wie durch seine Gerechtigkeit und Pflichttreue die Liebe und das unbeschränkte Vertrauen seiner Untergebenen. 1803 ernannte der König Friedrich Wilhelm III. Kleist zu seinem Vortragenden Generaladjutanten; an dem unglücklichen Feldzuge 1806–7 nahm er als Oberst Teil; nach der Schlacht bei Auerstädt wurde er zu Napoleon geschickt, um die von Bertrand überbrachten Friedensvorschläge zu beantworten. Als diese Mission, den ungemessenen Forderungen des Kaisers gegenüber, erfolglos geblieben, folgte er seinem Könige nach Preußen. Kleist hatte schon im Beginn des Feldzuges in Erfurt die eröffneten Operationen für gefährlich und nachteilig gehalten, aber er war nicht in der Stellung, dem Feldherrn gegenüber deren Änderung durchzusetzen. Auch mag ihm, wie so vielen tüchtigen Soldaten jener Zeit, die Schulgelehrsamkeit eines Massenbach oder Phull imponiert haben. Die Galerie preußischer Charaktere (von Massenbach und Buchholz) nennt ihn einen Mann ohne Studium und Gelehrsamkeit, der sich mehr durch Ordnungsliebe und Pünktlichkeit, als durch Umfassungskraft und Geschicklichkeit im Impulsieren ausgezeichnet habe; er sei mehr ein militärischer Geschäftsmann, als ein wirklicher Militär gewesen. Wie ungerecht das Urteil ist, hat Kleist 1813 und 14 bewiesen, freilich war er kein Genie, aber ein unterrichteter, sehr fleißiger und gewissenhafter Mann, von seltener Unerschrockenheit, klarem, praktischem Blick, von wohlwollendem, gütigem Herzen und ehrenhaftester Gesinnung. Er suchte Haugwitz vor Beginn des Krieges, wie in demselben Buche erzählt wird, wiederholt zu bestimmen, alle Missverständnisse mit Schweden auszugleichen, – hier hatte er doch eine Initiative, selbst in politischer Hinsicht, ergriffen.

Durch seine unermüdliche Tätigkeit und durch den Kummer über das Geschick seines Vaterlands, war seine Gesundheit so angegriffen, das er nach dem Frieden von Tilsit längeren Urlaub erbitten musste und erhielt. Schon 1808 konnte er wieder das Kommando der niederschlesischen Brigade übernehmen und wurde Zum Generalmajor ernannt. Als Chazot 1809 nach Schill’s unglücklichem Unternehmen die Kommandantur von Berlin niederlegte, wurde Kleist Kommandant von Berlin und kam wieder in die unmittelbare Nähe seines Königs. Er gehörte durchaus der patriotischen Partei an, die nur für die Befreiung des Vaterlandes von dem französischen Druck arbeitete, und die Erhebung mit allen Kräften vorbereitete. Aber klar und besonnen, wie immer, war er gegen ein zu frühzeitiges Losschlagen, was 1809 wie 1811 das Verderben Preußens herbeigeführt haben würde. Eben so wenig wollte er 1812 in russische Dienste treten, um gegen Frankreich fechten zu können, er focht als Befehlshaber der preußischen Infanterie in Kurland unter Grawert, dann unter York mit großer Auszeichnung; die treffliche Haltung der preußischen Truppen in jenem Kriege, die auch Macdonald rühmend anerkannte, wird wesentlich ihm verdankt. Auf der Bahn der Ehre und Pflicht ging er mit unerschütterlicher Sicherheit und Festigkeit voran, und auf ihn, wie auf einen Leitstern, richteten sich im Momente der Gefahr, wie in verwickelten Verhältnissen, alle Blicke. Nach Beendigung des Feldzuges wurde er Generallieutenant und erhielt den roten Adlerorden erster Klasse. Napoleon hatte ihm den Orden der Ehrenlegion verliehen. Er hat ihn nie getragen, und hing ihn, ohne alle Ostentation, wie immer, einer Gipsbüste des Kaisers um, die sich zufällig in seinem Zimmer befand.

1813 erhielt Kleist beim Ausbruch des Krieges daß Kommando über ein kleines preußisch-russisches Corps, mit dem er am 17. April Wittenberg zu überrumpeln suchte und am 28. ein kleines Gefecht bei Halle hatte. Während der Schlacht von Groß-Görschen (2. Mai) stand er mit nur 5000 Mann in Leipzig, hielt es bis zum Abend gegen den weit überlegenen Vizekönig von Italien und zog sich erst spät Abends wieder an die alliierte Armee heran. Besonders zeichnete er sich in der Schlacht bei Bautzen aus; mit nur zwei Regimentern hielt er auf den Höhen von Burk bis zum Abend das Corps Marmont fest und verwehrte ihm das Debouchiren über die Spree – erst als seine Truppen sich verschossen, verließ er seine Stellung auf Graf Wittgenstein’s besonderen Befehl. Ein Bataillon Württemberger hatte er gefangen genommen. Damals erhielt er das eiserne Kreuz erster Klasse. Als preußischer militärischer Bevollmächtigter schloss Kleist den Waffenstillstand von Poischwitz (4. Juni) ab, ward während desselben zum kommandierenden General des zweiten Armeecorps ernannt und marschierte Anfang August mit ihm und den Garden von Schlesien nach Böhmen, um zur Hauptarmee unter Schwarzenberg zu stoßen. Bei Dresden (26.–27. Aug.) focht Kleist auf dem rechten Flügel und wusste auf dem schwierigen Rückzuge nach Böhmen seine gesamte Artillerie und alle Trains mit sich zu führen. Am 29. Abends erhielt er den Befehl vom Oberfeldherrn Barclay, am anderen Morgen durch das Defilé des Geyersberges zu gehen, und sich den bei Culm kämpfenden Russen anzuschließen. Durch Wagen und Geschütze waren die engen Wege, die hier übers Gebirge nach Böhmen führen, verstopft und so entschloss sich Kleist, auf den Rat seines Generalstabschefs, Oberst Grolmann, quer über das Gebirge auf die neue Teplitzer Straße zu marschieren, die ihn gerade in den Rücken des kämpfenden Corps von Vandamme führte. Dieser Entschluss, dessen Gefahren Kleist wohl erkannt hatte, führte den glänzenden Sieg von Culm herbei, dessen moralischer Eindruck auf die Verbündeten noch schwerer wog, als die taktische Bedeutung. Hätte Napoleon, wie er versprochen, Vandamme unterstützt, so konnte Kleist im Rücken angegriffen werden, während er im Gefechte war. Als sich Kleist’s Truppen noch in Marschformation befanden, stürzten die mit den Russen kämpfenden Franzosen, die sich im Rücken bedroht sahen, auf sie zurück, die französische Kavallerie ritt die preußische Artillerie nieder, Kleist selbst war in Gefahr gefangen zu werden, aber sein Corps hielt in so schwierigen Verhältnissen tapfer Stand und durch sein rechtzeitiges Eintreffen war der Sieg entschieden. Als der König ihm noch auf dem Schlachtfelde den schwarzen Adlerorden umhängen wollte, sagte der immer bescheidene Mann: „Ew. Majestät glauben in mir einen Sieger zu begrüßen, aber ich habe meine gesamte Artillerie eingebüßt“, worauf der König treffend erwiderte, schon der Entschluss, auf Nollendorf zu marschieren, verdiene diese Auszeichnung. Am 16. Oktober stand Kleist am linken Flügel der Armee und hatte die Stellung zwischen Cröbern und Markkleeberg gegen des Feindes weit überlegene Angriffe festzuhalten, am 18. erstürmte Kleist Probsthaida und Güldengofsa und trug dadurch wesentlich zur Entscheidung bei. Nach der Schlacht wurde ihm die Blockade von Erfurt übertragen. Als er durch die Konvention vom 20. Dezember in den Besitz der Stadt und Festung – mit Ausnahme des Cyriaks und des Petersberges – gekommen, überließ er die Fortsetzung der Operationen dem General v. Jagow und trat am 6. Januar 1814 den Marsch nach Frankreich an; Kleist stieß am 10. Febr. bei Vertus zu Blücher’s Armee. Schon am 12. wurden die vereinzelten Corps derselben von weit überlegenen Kräften unter Napoleons Führung angegriffen, und in den ruhmvollen, aber unglücklichen Tagen von Bauxchamps, Champaubert und Etoges war es neben den glänzenden Taten der Kavallerie, namentlich unter Wrangel, nur die Standhaftigkeit von Kleist’s Infanterie, welche die Niederlage abwandte. Am Abend der Schlacht bei Laon (9. März) griff Kleist im Verein mit dem York’schen Corps Marmont an und sprengte dessen Corps, daß bei diesem Überfall 36 Geschütze verlor. Vor Paris kämpfte Kleist (30. März) bei Villette und zog am anderen Tage mit den Monarchen als Sieger in die feindliche Hauptstadt ein. In der Erinnerung an seinen Anteil am Siege bei Culm wurde er nach dem Frieden zum Grafen Kleist von Nollendorf ernannt und ihm als Dotation die Domäne Stetterlingenburg bei Halberstadt verliehen. Auch wurde er in die kleine Zahl der Großritter vom eisernen Kreuz aufgenommen und zum General der Infanterie befördert. Er begleitete den König nach England und erhielt dann den Oberbefehl über das dritte deutsche Bundescorps, das in den neu eroberten Provinzen am linken Rheinufer zurückblieb, mit dem Hauptquartier Aachen. In schwieriger Stellung, auch dem sächsischen Korps gegenüber, in dem eine gegen Preußen feindliche Stimmung herrschte, zeigte er die versöhnende Milde seines Charakters und sein unbestechliches Gerechtigkeitsgefühl. Im Frühjahr 1815 erkrankte er; das ihm übertragene Kommando über die Truppen am rechten Ufer des Rheins mußte er deshalb wieder aufgeben. Ein Kommando in der Feldarmee war ihm auch deshalb nicht übergeben worden, weil er als viel älterer General nicht unter Gneisenau stehen sollte, der tatsächlich, als Blücher’s Generalstabchef, die obere Leitung hatte. Nach dem Frieden erhielt Kleist das Generalkommando des vierten Armeecorps in Magdeburg. Seine zunehmende Kränklichkeit zwang ihn, 1820 seinen Abschied zu erbitten, den Kleist als Generalfeldmarschall erhielt. Von nun an lebte er in Berlin mit seiner Familie, wurde 1822 in den Staatsrat berufen und König Friedrich Wilhelm III. hatte die Absicht, ihn 1823 zum Vorsitzenden des Staatsministeriums zu ernennen, um durch ihn, dem er volles Vertrauen schenkte, einzelnen Übelständen aus der letzten Zeit von Hardenberg’s Verwaltung herrührend, abzuhelfen. Die allgemeinste Verehrung, deren Kleist sich erfreute, seine strenge Rechtlichkeit, seine wohlwollende Milde und seine Einsicht rechtfertigen diese Wahl durchaus. Aber schon am 17. Febr. 1823 entschlief der Feldmarschall nach kurzem Krankenlager und wurde in der Berliner Garnisonkirche neben seinem Ahnherrn, dem 1749 verstorbenen Feldmarschall Kleist, beigesetzt. Er hinterließ nur einen Sohn, den verstorbenen, in Ostpreußen angesessen gewesenen Grafen Hermann v. Kleist, Vater zweier Söhne.

Der Feldmarschall Graf Kleist von Nollendorf war im Privatleben wie im öffentlichen ein Mann von fleckenloser Reinheit des Charakters, wohlwollend, einfach und bescheiden, treu und herzlich. Seine großen Verdienste haben König und Vaterland dankbar anerkannt, er darf das Musterbild eines preußischen Edelmannes und Offiziers genannt werden.