Kleingärten, eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit zur Wiedergesundung

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1921
Autor: Hermann Allerd, Erscheinungsjahr: 1921

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kleingärten, Gartenparzelle, Kleingartenverein, Selbstversorger, praktischer Nutzen, Ost, Gemüse, Natur, Ernte, Ertrag,
Das deutsche Volk ist arm geworden. Wer das noch immer nicht hat einsehen wollen, den belehrt umso empfindlicher der Zwang zur Einschränkung über seine tatsachenscheue Selbsttäuschung. Es hilft nichts, wir müssen lernen, auf vieles verzichten, was sich in wohlhabenderen Zeiten als vermeintlich unentbehrlich eingebürgert hatte. Ging es nicht vielen schon so mit der üblichen Sommerreise? Heuer reicht es kaum zu kleinen Ausflügen in die nähere Umgebung. Soll man nun deshalb alle Hoffnung fahren lassen und jeder Freude aus dem Wege gehen? — Diese unnatürliche Unterbindung des Lebenswillens wäre geradeso töricht, wie der sinnliche Vergnügungstaumel unwürdig ist. Es gibt Freuden, die uns jetzt so bitter nötig sind wie geschwächten Körpern reine Höhen- oder Waldesluft, und die gesündeste ist jedenfalls die Freude an der Natur. Vor dem Krieg hat man das wohl auch schon gewusst. Viele Tausende sehnten sich danach, wenigstens auf Stunden der aufreibenden Unrast der Großstadt zu entrinnen, und sich von der Arbeit zu erholen in einem stillen grünen Waldwinkel oder in dem schmalen Revier eines Schrebergartenanteils. Wie viele hat die Hoffnung, ein kleines Stückchen Land erwerben und darauf gartenumfriedet ein bescheidenes Eigenheim errichten zu können, aufrechterhalten in aufreibendem Stellungskrieg. Nun die allgemeine Not die Erfüllung dieses Wunsches vereitelt hat, bleibt für viele, die auf Siedlungspläne verzichten müssen, doch noch das Verlangen nach einem, wenn auch engumgrenzten, Stück Heimatscholle, nach einem kleinen Garten. Manche, die in diesem Jahr noch nicht so weit waren, mit Hacke und Grabscheit die Beete zu bestellen, hat doch beim Anblick der Blütenpracht und des Erntesegens an Sträuchern und Bäumen der Gedanke nicht losgelassen: Im nächsten Frühjahr solltest du doch auch an dieser Freude teilhaben. Mag auch die deutsche Not zu manchem anderen Verzicht zwingen, wir wollen doch hoffen, dass die Siedlungs- und Kleingartenpläne, wenn auch in verlangsamtem Tempo, verwirklicht werden.

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Große Freuden können die kleinen Gärten spenden und nicht geringen praktischen Nutzen auch. Zum guten Glück hat man ja auch längst eingesehen, dass es im allgemeinen Interesse liegt, ja dass es eine der dringendsten Bedingungen für die Wiedergesundung des ganzen Volkes ist, möglichst vielen die unmittelbare Berührung mit der Mutter Erde, das freie Schaffen in der Natur auf eigenem Boden zu ermöglichen. Die allmähliche Beruhigung der erregten und verwirrten Gemüter wird umso eher gelingen, je mehr die stärkende Wirkung der gesunden Beschäftigung im Garten ausgenützt wird. Nichts ist mehr dazu angetan, in Ergänzung der vielfach allzu mechanischen Berufsarbeit dem Leben einen Inhalt zu geben, verkümmerte Gemütsbedürfnisse wieder zu wecken und zu befriedigen, als das Pflegen und Beobachten eines vertrauten Stückchens Natur. Wie viele, die bei der verkürzten Arbeitszeit drückender als früher die Leere ihres Daseinsempfinden und in dürftigen Heimverhältnissen auch nicht über die niederziehende Alltäglichkeit hinwegkommen können, atmen auf im kleinen Bereich eines Gärtchens. Mit sentimentalen Stimmungen allein ist bei solchem Umgang mit der Natur nichts getan. Er stärkt aber das Selbstvertrauen, gibt das seelische Gleichgewicht wieder und erhebt über die tausend Nichtigkeiten, die Verdrießlichkeiten, wie die künstlich und teuer inszenierten Genüsse, von denen zumal der naturentfremdete Großstädter früher nicht loskam. Je mehr Menschen im Kleingarten zum Glück schlichter und natürlicher Freuden zurückfinden, desto allgemeiner ist die Zufriedenheit und neidlose Verträglichkeit, desto gesünder und arbeitsfroher wird das Heranwachsende Geschlecht.

Aber nicht nur für Geist und Gemüt ist das Leben und Schaffen im Garten ein Jungbrunnen, auch der wirtschaftliche Nutzen ist nicht gering. In unserer Abgeschnittenheit von ausländischer Zufuhr durch die Valutahindernisse ist die Steigerung der Produktion durch Tausende von Kleingärtnern keine gering zu schätzende Hilfe. Der einzelne ist glücklich daran, der seinen Kohl- und Gemüsebedarf selbst anbauen kann, und die Ernte von Beeren der eigenen Sträucher macht mehr Freude als gekauftes Obst. Gewiss darf man sich keinen Illusionen über rasche Ertragsfähigkeit hingeben. Erst gehört viel Arbeit, viel Samen und viel Düngung dazu, ehe im zweiten oder gar dritten Jahr der Reingewinn größer ist als die Kosten. Das Handwerkszeug ist auch viel teurer als früher, und wer nicht klug wirtschaftet, kann schnell ein so schönes Stück Geld vergebens in seine Gärtchenanlage gesteckt haben, dass ihm die ganze Freude daran vergeht. Bei einigermaßen sachverständiger und aushaltender Arbeit lohnt der Ertrag doch bald die Aufwendungen. Wenn eine fünf- oder sechsköpfige Familie aus dem Eigengärtchen von etwa zweihundert Quadratmeter den gesamten Bedarf an Gemüse und Obst gewinnt, so ist dies doch eine beträchtliche Erleichterung, und meist wird auch ein Teil des Bodenzinses dadurch erarbeitet. Ist gar der Kleingarten die erweiterte Wohnung, dann sind die Vorteile noch vielseitiger. Alle Küchenabfälle und Fäkalien können als Düngung verwertet, also Anschaffungskosten gespart werden. Bei Siedlungen fallen auch die Ausgaben für Abfuhr und Kanalisation weg, und für die Hausfrau gibt der Garten willkommene Gelegenheit zum Trocknen und Bleichen der Wäsche, zum zeitweisen Aufheben mancher Vorräte, die im Keller Platz wegnehmen und im Garten rascher zur Hand sind. Das Häuschen kann ein schlichter Bau sein, wenn durch das Grün der Bäume und Sträucher das Gesamtbild des Heims so viel schöner und traulicher wird.

Dass im Kleingarten durch dilettantisches, willkürliches Wirtschaften beachtliche Werte verloren gehen, Zeit, Geld und Boden verschwendet werden, die besser zu nützen wären, ist klar. Wer nicht Arbeitsfreude, den ernsten Willen zu ausdauernder Pflege mitbringt und ohne Beratung von sachverständiger Seite drauflos pflanzt und sät, der wird verbitternde Enttäuschungen erleben. Wird ein Häuschen erbaut, so muss schon bei der Wahl des Bauplatzes der Baumeister und auch der Gartenarchitekt sein sachkundiges Urteil abgeben. Die Eigenart des Bodens, seine Wasserdurchlässigkeit und chemische Zusammensetzung kann nur der Fachmann zuverlässig erkunden. Der Verkäufer preist oft Vorteile an, die das Grundstück gar nicht hat, und die Erkenntnis kommt dem Käufer zu spät. Auch die Bodenoberfläche ist von Bedeutung. Eine mäßige Neigung nach Süden oder Südost und Südwest ist völlig ebener Lage vorzuziehen. Ebenso wollen Größe und Form des Gartens wohl erwogen sein. Die Größe muss im richtigen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit des Bebauenden stehen. Traut man sich für die Feierabendstunden zu viel zu, so bewältigt man doch nicht, was der Garten an Arbeit und Pflege unausgesetzt erfordert. Für die Versorgung mit Gemüse sind erst etwa achtzig Quadratmeter für den Kopf ausreichend. Unter zweihundert Quadratmeter sollte das ganze Gartenstück nicht haben. Wer aber nur einen kleineren Anteil kaufen oder pachten kann, braucht ebenfalls sachkundige Beratung, damit er sich nicht von vornherein um Ertragsmöglichkeiten bringt.

Bei ausgedehnteren Siedlungsgärten kommt es viel auf die Aufteilung an. Unzweckmäßige, bodenverschwendende Wege, alle Künstelei und falsche Effekthascherei sollten vermieden werden.

Blumen und Gemüse, das Schöne und das Nützliche, müssen zur Geltung kommen, und die Fruchtfolge im Lauf des Jahres verlangt sorgsame Erwägung. Der eine glaubt, die Menge der Bäume bestimme den Wert, und bedenkt doch nicht, dass sie sich selbst leicht im Weg und dem Gemüse im Licht stehen und das Haus verdunkeln. Weniger Bäume und mehr Zwerg- und Spalierobst ist das Vorteilhaftere. Hecke und Laube können mit geringen Mitteln die Schönheit des Ganzen um vieles heben, ebensogut aber alles verderben. Gerade die Einfachheit ist ein Kunststück, das dem Unkundigen nicht leicht glückt. In manchem Garten sieht man wohl ein wirres Durcheinander, aber kein das Auge erfreuendes sinnvoll geordnetes Nebeneinander. Da ist das Wachstum der Pflanzen zurückgehalten, weil sie viel zu dicht stehen, dort sind kahle Flecke, weil die betreffende Saat an den Stellen überhaupt nicht gedeihen konnte. Schon beim Erwerben des Saatgutes und der jungen Pflanzen wie der Düngemittel kann der Unerfahrene durch eigene Fehler und Übervorteilung durch andere zu Schaden kommen. Ist das Grundstück zu teuer gekauft oder unvorteilhaft gepachtet, so wird leicht aus der ersehnten stillen Freude am eigenen Gärtchen eine Kette von Verdrießlichkeiten und Verlusten. Mit dem einzelnen leidet aber auch das Ganze der Volksgemeinschaft. Menschenkraft, Bodenwert und Saatgut sollen nicht vergeudet werden. Der Kleingartenbau muss bleiben, was er sein kann, eine Gesundheitsquelle für Körper und Geist, und soll einbringen eine angemessene Aushilfsernte.

Deshalb hat das Reichsamt des Innern eine „Zentralstelle für Kleingartenbau“ gegründet, der in den einzelnen Gemeinden Beratungsstellen angeschlossen sind. „Die Erfahrung hat erwiesen, dass der beste Weg, den gesamten Kleingartenbau eines Stadtgebietes planmäßig unter Ausnützung aller Mittel zu betreiben, die Schaffung von Kleingartenbaiämtern in den Gemeinden ist.“

Die sollen nun freilich nichts weniger sein, als eine bürokratische, alle Freude am eigenen Schaffen und eigenen Gestalten versalzende Aufsichtsbehörde. Nein! Die Bauämter sind dazu da, zu helfen durch Rat bei der Wahl und durch sachkundige Leitung bei der Erschließung und Aufteilung des Geländes. Die Anlage von ganzen Kleingartenkolonien, die Urbarmachung des Gebietes, das vielleicht durch Abtragung von Gebäuden oder Befestigungen frei wird, soll diesen Fachleuten anvertraut sein, und sie sorgen für die geschickteste Weganlage, die Bewässerungseinrichtungen, die vielen, den kleinen Privatmann so leicht lange hinhaltenden Korrespondenzen mit amtlichen Stellen. Sie sollen mit Nachdruck bei maßgebenden Behörden für Schonung und Erhaltung schon bestehender Kleingartenanlagen eintreten und schützen vor Vertreibung durch Bodenspekulanten und vor Bewucherung bei der Verpachtung. Zur Vereinfachung und Verbilligung werden sie für gemeinsamen Bezug einwandfreien, besten Saatgutes, guter junger Bäumchen und Sträucher, ausgiebiger Düngemittel sorgen. Sie werden aber auch darüber wachen, dass die Kleingärtner als Selbstversorger nicht eine Erwerbsquelle aus dem ihnen vielleicht besonders billig von der Gemeinde überlassenen Gartenbauland machen zur Schädigung des Berufsgärtners. Dieser soll nicht eine Konkurrenz befürchten müssen, vielmehr für seine Hilfe, seinen Rat und seine Unterstützung angemessene Entschädigung haben. Kleinliche Beargwöhnung verdienen die Kleingartenbauämter von keiner Seite. Es handelt sich hier um eine für den Wiederaufbau unserer Volkswirtschaft und unseres Volkslebens außerordentlich wertvolle organisierte Zusammenfassung von Einzelkräften und eine gemeinnützige Steigerung des Nutzens, den der rationelle Bodenanbau abwerfen kann. So haben der Bodenpolitiker und Reformer, der Städtebauer und der Gartenfachmann mitzuwirken an der Förderung des Kleingartenwesens. Gerade weil uns die Not zwingt, nur Erreichbares anzustreben, jede Verschwendung zu vermeiden, gilt es, das Bestmögliche herauszuholen aus dem, was uns feindliche Kurzsichtigkeit noch gelassen hat. Die Schaffung von Freude und Kraft spendenden Kleingärten und die Unterstützung solcher Kolonisation kommt vor allem auch den kommenden Geschlechtern zugute. Damit gesunde, frohe und aufrechte Menschen heranwachsen, sollen die Kleingärten — gleichviel ob Siedlungsgärten oder Lauben- und Schreberkolonien — als Daueranlagen die Lungen der Stadt und die Spender reinster und edelster Freude für Jung und Alt sein. Wer sein Volk und seine Heimat liebt, dem muss daran liegen, dass die Pflege des Kleingartenbauwesens von allen Seiten Verständnis und jede nur mögliche Förderung erfährt. Heraus aus dem Sumpf und der Verbitterung und hinauf zu einem innerlich und äußerlich gesunden naturverbundenen Volkstum!

Die Siedlung Lindenhof in Berlin-Schöneberg mit Hausgärten.
Gartenpflege im Vorort.
Tierhaltung im Eigenheim.
Verkaufsladen für Kleinsiedlungsartikel in einer Laubenkolonie.
Preisgekrönter Entwurf eines Siedlergartenwettbewerbs.

Kleingäten, die Siedlung Lindenhof in Berlin-Schöneberg mit Hausgärten

Kleingäten, die Siedlung Lindenhof in Berlin-Schöneberg mit Hausgärten

Kleingäten, Gartenpflege im Vorort

Kleingäten, Gartenpflege im Vorort

Kleingärten, Tierhaltung im Eigenheim

Kleingärten, Tierhaltung im Eigenheim

Kleingärten, Verkaufsladen für Kleinsiedlungsartikel in einer Laubenkolonie

Kleingärten, Verkaufsladen für Kleinsiedlungsartikel in einer Laubenkolonie

Kleingärten, preisgekrönter Entwurf eines Siedlergartenwettbewerbs

Kleingärten, preisgekrönter Entwurf eines Siedlergartenwettbewerbs