Kleine Historische Schriften - Band I. - 11 Philipp Melanchthon.

Vom Werden der Nationen
Autor: Lenz, Max (*1850 in Greifswald-†1932 in Berlin) Historiker, Professor, Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Erscheinungsjahr: 1897
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Reformation, Reformationszeit, Reformator, Humanist, Epoche, Gesellschaft, Humanismus, Aufklärung, Glauben, Religion, Luther, Schutzherr, Rebell, Nation,
Inhaltsverzeichnis
  1. Fortsetzung
Uns Deutschen ist es selten vergönnt, unsere Feste gemeinsam zu begehen. Jede Erinnerung an die Epochen, welche die Marksteine in unserer Entwicklung setzten, an die Bildner unserer Nationalität, die Helden des deutschen Geistes reißt alte Wunden auf; und schmerzlich können wir an der Gleichgültigkeit und Abneigung oder auch dem Hasse aller Gegner der Reformation jedesmal ermessen, wie tief die Kluft in unserem Volke geworden ist, seitdem Luther und seine Freunde es unternahmen, die lateinische Kirche zu den Quellen der Religion und der Bildung zurückzuführen. So an dem Tage, als die protestantische Welt in freudiger Bewegung das vierte Säkularfest ihres Reformators feierte, und so auch jetzt wieder, da wir uns zu der gleichen Ehrung Melanchthons vereinigten. Und wenn unsere Widersacher, welche damals die Reformation und ihre Helden mit Wogen von Schmutz übergossen, diesmal stiller geblieben sind, so verdanken wir das vielleicht nur dem Verhalten unserer Regierung, welche vor ein paar Jahren zu Ehren eines tschechischen Schulmeisters, dessen Name die wenigsten kannten, einen ganzen Apparat in Szene setzte, heute aber, da es dem Schildträger Luthers, dem Verfasser der Augustana, dem Reorganisator, ja dem Schöpfer der protestantischen Schule und Gelehrsamkeit, dem Praeceptor Germaniae galt, sich mit der Anweisung begnügen zu können glaubte, der Verdienste des Mannes gelegentlich im Laufe der Unterrichtsstunden zu gedenken.

Freilich würden wir weder die historische Wahrheit noch die eigene Meinung des selbstlosen Gelehrten treffen, wenn wir Melanchthon als einen religiösen Heros, ebenbürtig seinem großen Freunde, schildern wollten. Solche Rolle hat ihm von allen Zeitgenossen nur noch Luther in bescheidener Selbstverkennung zuschreiben wollen. Melanchthon selbst ist fern davon gewesen, seine Gaben so hoch einzuschätzen. Und wenn man in unserm Jahrhundert einen Fortschritt der religiösen Idee gegen Luther in ihm hat wahrnehmen wollen, wenn man ihm einen freieren und lichteren Geist vindiziert, seine tolerante Natur der starren Lehre und Unbeugsamkeit Luthers gegenüber gepriesen hat, so hat man damit mehr von ihm behauptet, als er selbst ohne Frage zugegeben oder auch nur gewünscht haben würde. Zum Teil wenigstens entsprang seine Friedensliebe, gestehen wir es nur, eher augenblicklicher Schwäche als einer freien oder gar tieferen Auffassung der religiösen Probleme; und mehr als einmal ging bei ihm die Nachgiebigkeit gegen altgläubige Gegner Hand in Hand mit unduldsamer Gesinnung gegen die geringen Lehrdifferenzen, welche Wittenberg von Straßburg oder Zürich schieden.

Als er nach Sachsen kam, im Sommer 1518, begann Luther eben aus seinem theologischen Winkel hervorzutreten und die Aufmerksamkeit weiterer Kreise zu erregen. Kürzlich erst war er in Heidelberg gewesen, Melanchthons alter Hochschule, wo er dem Kreise seiner Jugendfreunde und Lehrer nahe trat, und schon hatte er mit Johann Eck und anderen Vorkämpfern des Papstes seine ersten Fehden ausgefochten. Auch ein vatikanischer Theologe, Silvester Prierias, hatte bereits einen Pfeil gegen den deutschen Ketzer abgeschossen, und soeben war in Wittenberg die Zitation eingelaufen, welche ihn nach Augsburg zum Verhör vor Cajetan beschied. Hinter ihm lagen die Jahre des Klosters, der Zeit, „da er den Kampf in banger Brust verhüllt trug, der bald der Erde halben Kreis erfüllen sollte“; die Universität stand ihm treu zur Seite; und der Kurfürst, von Spalatin beraten, hielt die schützende Hand über seinem Professor. Aber niemand konnte bereits ahnen, welche Stürme so bald aus diesem Kreise von Gelehrten über Staat und Kirche Deutschlands daherbrausen würden, und in voller Pracht ragte noch der Dom der Hierarchie himmelan; kein Stein war bis jetzt aus dem wie für die Ewigkeit gegründeten Gemäuer losgebröckelt.

Am wenigsten sah wohl der junge Gelehrte, den Spalatins Eifer für die Elb-Universität gewonnen hatte, in die Zukunft. Recht im Gegensatz zu Luther, dem schon als Knabe in die Welt Hinausgeworfenen, war Melanchthon niemals von den Latein- und Hochschulen seiner Heimat und aus der Obhut der Verwandten und väterlicher Freunde weggekommen. Bretten, Pforzheim und die beiden Neckar-Universitäten, die anmutigen Täler Oberdeutschlands, waren die Stätten seines Lebens und Lernens gewesen und die klassischen Autoren des heidnischen und des kirchlichen Altertums seine geistige Welt. Niemals hatte er das Bedürfnis eines Bruches mit den alten Ordnungen in sich empfunden, jenen Widerwillen gegen Wissenschaft und Welt, der Luther von dem bunten Treiben an der Universität in das Kloster, von der Jurisprudenz zur Theologie getrieben hatte.

Begabung, Erziehung, die Verwandtschaft mit Reuchlin, vorzüglich aber die angeborene Neigung hielten Melanchthon im gewohnten Geleise fest. Er kannte nicht Süßeres als die Schultriumphe, durch die er schon als Knabe in Pforzheim das Erstaunen seiner Lehrer erweckt und die Liebe seines Großoheims gewonnen hatte. Und niemals ist er glücklicher gewesen als in den Jugendjahren; nie vergaß er die Stunde, da ihn Reuchlin mit dem Segen Abrahams in die Fremde gesandt hatte, und noch unter den Schrecken des Schmalkaldischen Krieges erinnerte er sich seufzend des Tages, da er in das sächsische Land gekommen sei, „unwissend, wie süß das Vaterland ist“.

Es waren die Jahre, da der Humanismus auf deutschem Boden seine Blüte fand, da sich die Schar der Poeten sammelte zur lustigen Fehde gegen die Dunkelmänner; zu keiner Zeit waren sie kecker, übermütiger, selbstzufriedener gewesen. In ihrem Kreise hatte auch Melanchthon, so jung er war, eine ehrenvolle Stelle gewonnen. Lebte er doch gleichsam als Schildknappe in der Nähe des würdigen Gelehrten, zu dessen Schutz sich die Humanisten damals zusammenscharten. Von ihm stammt die Vorrede zu den Briefen der Berühmtheiten aus dem gelehrten Lager, die als Ehrengabe dem schwer gekränkten Manne dargebracht wurden; und in den Episteln der obscuri viri wird er selbst als einer der ärgsten Theologenfeinde geschildert.

Noch immer spukt in unserer historischen Literatur die Vorstellung von einem ausgesprochenen Gegensatz zwischen der älteren, korrekt-kirchlichen und der jüngeren Humanistenschule, den Stürmern und Drängern, die berauscht von dem Schönheitssinn und Geistesadel der Antike der hierarchischen Weltanschauung grundsätzlich den Krieg erklärt hätten. Luther habe, so pflegt man weiter zu sagen, diese freie Weltauffassung, die jung erwachte Lust am Schönen und an der Kritik, durch seine starre Theologie geknickt oder doch eingeschnürt in die Fesseln der Konfession; und man hat wohl gar gemeint, dass erst das achtzehnte Jahrhundert die humanen Ideale eines Hutten und Erasmus wieder aufgenommen habe. Sogleich sind dann unsere römischen Freunde geschäftig gewesen, den von uns geschaffenen Riss zu erweitern: weil die jungen Humanisten, die Glaubenslosen, die Revolutionäre von der Kirche abgewichen wären (so schallt es in dem Chor, den Janssen führte), sei die Wissenschaft, die unter dem Schutz der Kirche fromm und frei emporgeblüht, verkommen; ihres Geistes sei Luther schon vor der Klosterzeit gewesen, und sie seine Bundesgenossen geworden in der Zerstörung der Kirche und damit aller wahrhaft freien Studien.

Wenn irgendwo, so lässt sich bei dem Lebenslauf Melanchthons die Verworrenheit solcher Anschauungen klarmachen. Zu den Geschorenen stand er, wenn nicht schon in Heidelberg, so doch gewiss in Tübingen kaum anders als der Spötter Erasmus, dem er, wie die Humanisten ohne Ausnahme, eine grenzenlose Bewunderung widmete, und der die seinem Ohr so süßen Kosenamen mit nicht weniger glänzenden Zensuren vergalt. Nirgends waren die Dunkelmänner heftiger gezwackt worden als in jenen Briefen, worin sie ihre eigene Barbarei zur Schau stellen mussten; und derbere Possen über die faulen und geilen Mönche hatte auch Erasmus niemals drucken lassen als in den Fazetien Heinrich Bebel, Melanchthons Kollege und Lehrer, „der Vater der Schwarzwälder Musen“, wie er ihn in der griechischen Totenklage, die er ihm widmete, nennt. Aber derselbe Melanchthon war in Heidelberg Schüler des gefeierten Theologen Pallas Spangel gewesen, der noch ganz im Bann der scholastischen Doktrinen stand; zeitlebens hat er ihm das treueste Andenken bewahrt. Auch in Tübingen hat er noch den scholastischen Studien Zeit gewidmet; er hat damals versucht, zwischen dem nominalistischen und dem realistischen System, die beide dort recht friedlich miteinander auskamen, eine Brücke zu schlagen, und dabei schon die Klarheit der Disposition und die Leichtigkeit der Begriffsbestimmung entwickelt, welche wir in seinen protestantischen Lehrschriften bewundern. Und wenn er auch den scholastischen Spitzfindigkeiten keinen Geschmack abgewinnen konnte, gab es doch kaum einen eifrigeren Freund theologischer Studien. Aufs tiefste ergriff ihn die Lektüre des Neuen Testaments in der Ausgabe des Erasmus: „welche Blitze!“, schreibt er bewundernd, indem er sie mit der Vulgata vergleicht. Auch darin stand er nicht allein. Denn der Ruhm jenes großen Humanisten gründete sich nicht bloß auf seine Angriffe gegen die überlieferte Theologie und die Trägheit ihrer berufenen Lehrer, sondern viel mehr noch auf seine Studien in den heiligen und kanonischen Schriften. Seit frühester Jugend war Melanchthon in diesem Sinn erzogen worden. Noch in seinem Alter gedenkt er des tiefen Eindruckes, den die Zeremonien der alten Kirche auf sein Kinderherz gemacht hatten. In dem Elternhause lebte der Geist schlichter Frömmigkeit, dem wir so oft in den deutschen Bürgerhäusern vor der Reformation begegnen. Von seinem Vater wird erzählt, dass er in jeder Mitternacht vom Lager sich erhoben und auf den Knien ein Gebet verrichtet habe; als er starb, ermahnte er seine Kinder, immerdar der Kirche treu zu bleiben. Und nicht anders empfand Reuchlin trotz aller Angriffe, die ihm von der Inquisition her widerfuhren. An einen Bruch mit der Hierarchie im Sinne Luthers dachte in diesen Kreisen niemand. So also kam Melanchthon nach Wittenberg — und von der ersten Stunde ab steht er an der Seite des Mannes, der schon zu den vernichtendsten Streichen gegen den Bau ausholt, an dem die Jahrhunderte gearbeitet hatten.

Und nicht anders wird er aufgenommen. Vor allem Luther neigt sich neidlos vor den herrlichen Gaben des Jünglings. Er eignet sich fast die Überschwenglichkeiten der Humanisten an, wenn er von ihm spricht: er sei ein wunderbarer Mensch, nichts sei an ihm, was nicht übermenschlich wäre. Aber niemals gab es eine reinere, überzeugtere Begeisterung. Der Reformator vergleicht sich dem „groben Waldrechter“, der die Bahn brechen müsse: „aber Magister Philippus fährt säuberlich stille daher, säet und begießt mit Lust, nachdem ihm Gott gegeben seine Gaben reichlich“. „Ach“, sagt er ein andermal, „Magister Philippus ist ein fromm Herz, ich verstehe ihn wohl; er versucht mit ruhigen Worten die Gegner zu bekehren; er ahmt den Propheten Joel nach; er braucht die Hacke, ich die scharfe Streitaxt“.*) Nicht die leiseste Spur von Widerspruch gegen den Geist, in dem der junge „Grammatist“, der „Graecanissimus“ aufgewachsen war, atmen Luthers Briefe aus dieser Zeit; und keinen Augenblick war Melanchthon sich bewusst, dass er in ein ihm fremdes Lager übergegangen sei. Also können wir getrost sagen, dass ein solcher Zwiespalt überhaupt nicht bestand; dass die Bildung, aus der er herkam, in Wittenberg einmündete; dass die Reform von Schule und Kirche, die sie anstrebte, sich wenigstens aufs leichteste verbinden ließ mit dem Geist, der in Wittenberg eben zur Herrschaft kam.

*) Zitiert von O. Vogt, Melanchthons Stellung als Reformator, Studien und Kritiken, XL, 90.

Dass Erasmus und so viele andere Gelehrte, Pirckheimer und Crotus Rubeanus, Beatus Rhenanus, ja selbst ein Wimpheling, zurückwichen, kann kein Gegenbeweis sein, sowenig wie die Zerstörung und Verödung mancher Schulen und Universitäten Deutschlands unter den unvermeidlichen Stürmen der Revolution, welche Staat und Kirche in ihren Grundfesten erschütterte. Der Humanismus ist doch wahrlich nicht mit der Reformation zu Ende gegangen. Wo immer die protestantische Kirche in Europa sich erhob, kamen ihre Wortführer gerade aus den humanistischen und geistig angeregten Kreisen hervor: Zwingli und Vadian, le Fèvre, Calvin und Beza, Johann Laski und Dryander sind die Zeugen; und so waren auch die analogen Bestrebungen im katholischen Lager, man denke an Männer wie Contarini und seine Freunde, mit den literarischen Idealen Melanchthons verwandt: als einer der größten Gelehrten im ganzen Abendlande ward er gerade in den Wittenberger Jahrzehnten gepriesen.

Als er kam, hatten diese Studien dort noch kaum Eingang gefunden. Auch in Erfurt war Luther, wie wir jetzt bestimmt sagen dürfen, von ihrem Geiste kaum gestreift worden. In die Tiefen, in die ihn seine Spekulationen geführt hatten, reichte dieser überhaupt nicht hinab, weder die historischen noch die philosophischen oder gar die theologischen Vorstellungen, die sich an der Wiederbelebung der klassischen Welt entzündet hatten. Die Humanisten glaubten, des scholastischen Systems durch Ignorierung Herr zu werden; sie meinten, indem sie es beiseite schoben, es schon mit allen Wurzeln ausgerissen zu haben; sie verkannten, dass es mit dem Wurzelgeflecht der Hierarchie zusammenhing, und dass sie also den Ast absägten, auf dem sie doch sitzen bleiben wollten. Luther hatte die kirchliche Philosophie von Grund aus studiert. Er dachte nicht an eine Vermittlung ihrer beiden Schulsysteme, sondern versenkte sich mit allem Ernst und ausschließlich in die fortgeschrittene, die nominalistische Doktrin, die zur Skepsis, zur Selbstauflösung der Scholastik hinführte. Und indem er die Unvereinbarkeit einer Philosophie, welche auf die Ergründung der göttlichen Geheimnisse durch die menschliche Vernunft ausging, mit der Gottesvorstellung erkannte, zu derer sich in den einsamen Kämpfen seiner Seele, ganz er selbst dem Ewigen gegenüber gestellt, hindurchrang, hob er sie mit der Wurzel aus dem Boden, den sie ganz überwuchert hatte und tausendarmig umklammert hielt. Von seinem Gottesbegriff aus zerstörte er den Gottesbegriff der Kirche, dem auch ihre Philosophie und alle ihre Wissenschaften unterworfen waren.

Dies war ein Angriff, so in der Front und gegen die stärksten Bollwerke der römischen Kirche ausgeführt, dass die literarischen Fehden der Humanisten dagegen wie ein bloßes Geplänkel und wie Scheingefechte erscheinen müssen.

Denn sie wollten ja die lateinische Bildung, welche als das Erbe Roms von den Barbaren, die es zerstörten, dennoch festgehalten war und sich immer dichter mit den Anschauungen und Ordnungen der herrschenden Kirche verwebt hatte, behaupten und dachten nur eben daran, sie in ihrer alten Reinheit herzustellen. Und wenn sie schon darüber hinaus zu den noch tieferen Quellen des antiken Geistes vordrangen, traten sie auch damit nur auf einen Boden, in dem die lateinische Kirche selbst wurzelte, und den sie nie ganz verleugnet hatte. Wie hoch sie aber auch die Kenntnis der beiden originalen Sprachen des christlichen Altertums schätzen und wie begeistert sie das Lob des hellenischen Geistes, Homers und Pindars, verkünden mochten, sie blieben dennoch weit entfernt, diese nationalen Kulturen in ihrer Eigenart und ihren Ursprüngen zu verstehen oder auch nur von der Latiums recht zu unterscheiden. Den Hauptton legten sie nach wie vor auf die lateinische Schulung, die Sprache der Kirche. In ihr lehrten, schrieben und dichteten sie; fast als die Hauptaufgabe für jeden Kenner der griechischen und hebräischen Sprache galt es, ihre Schriftsteller in das lateinische Idiom zu übertragen; und ebenbürtig standen in ihren Augen Cicero und Terenz neben Demosthenes und Aristophanes, oder Ovid und Vergil neben Pindar und Homer. Nicht einmal ihre Methode wich in Unterricht und Forschung so sehr ab von der herkömmlichen, und nie waren sie imstande, mit ihren moralisierenden und allegorischen Deutungen den Sinn der Alten recht zu erfassen. Trivium und Quadrivium blieben die Wege, auf denen sie zum Verständnis der Antike zu gelangen strebten; und die Philosophie und Eloquenz, welche Melanchthon als das Endziel aller humanen Studien hinstellte, war doch, mag man sie nun an ihren klassischen Vorbildern oder an der Religion Luthers und Roms oder gar an der Fülle und Freiheit moderner Wissenschaft und Dichtung messen, nicht viel mehr als hausbackene Moral und trockene, eklektische Imitation. Eine freie und selbständige Bildung haben die deutschen Humanisten niemals angestrebt. Sie waren von Anfang her Pädagogen und stellten in letzter Linie ihre Bemühungen um reine Latinität und die Herstellung der alten Literatur in den Dienst der Schule und der Kirche. Wenn irgend einer, so ist Melanchthon allein unter diesem Gesichtspunkt zu verstehen. Darin gleicht er ganz Jakob Wimpheling, der alle Fragen in Kirche und Welt, wie ein geistreicher Schriftsteller gesagt hat, mit dem Schulmeister lösen, alle Schäden pädagogisch heilen wollte; wie denn auch sein Lehrer in Pforzheim, Simler, der ihm in Tübingen als Kollege wieder nahetrat, in Wimphelings Heimatort zu Schlettstadt, an der Quelle des elsässischen Humanismus seine Bildung erworben hatte. Ganz so leitet auch Melanchthon in der Rede, mit der er sich in Wittenberg einführte, und die ihm mit einem Schlage die Bewunderung der neuen Kommilitonen gewann, den Abfall und das Verderben in der Kirche von dem Untergange der echten Studien ab: in den ersten vier Jahrhunderten der Kirche, meint er, in ihrer unrömischen, glaubensreinen Zeit seien auch Philosophie und Eloquenz und alle Wissenschaften auf ihrer Höhe gewesen; erst mit dem Untergange des Römischen Reiches und dem Aufkommen des Papsttums sei die Bildung erstickt worden. Darum stellt er es als seine Lebensaufgabe hin, die Wissenschaften zu pflegen; denn unrettbar sei sonst die Welt der Barbarei, der geistigen und sittlichen Verödung verfallen*). Und darum ward er in den Jahren der Revolution, die den Ahnungslosen überraschte, so vom Schrecken ergriffen, als er die Schulen und Universitäten unter der allgemeinen Verwirrung leiden und Verwüstung an Stelle des frischen und frohen Treibens seiner jungen Jahre treten sah.

Lenz, Max (1850 in Greifswald-1932) Historiker

Lenz, Max (1850 in Greifswald-1932) Historiker

RA 024 Melanchthon Philipp

RA 024 Melanchthon Philipp

RA 022 Luther Martin

RA 022 Luther Martin

RA 088 Lutherzimmer auf der Wartburg

RA 088 Lutherzimmer auf der Wartburg

Luther, Anschlag der 95 Thesen

Luther, Anschlag der 95 Thesen

Luther und Melanchthon beim Übersetzen der Bibel

Luther und Melanchthon beim Übersetzen der Bibel

000 Der evangelische Geistliche - Titelblatt

000 Der evangelische Geistliche - Titelblatt

002 Christus erscheint den Mönchen. Spottbild auf die katholische Geistlichkeit. Holzschnitt aus der Schule Cranachs ca. 1520. Nürnberg, Germanisches Museum

002 Christus erscheint den Mönchen. Spottbild auf die katholische Geistlichkeit. Holzschnitt aus der Schule Cranachs ca. 1520. Nürnberg, Germanisches Museum

003 Der Papst und seine Kardinäle an dem Galgen. Spottbild. Holzschnitt aus Luthers -Abbildung des Papsttum- Wittenberg 1545. Berlin, Kupferstichkabinett. Schuch 106

003 Der Papst und seine Kardinäle an dem Galgen. Spottbild. Holzschnitt aus Luthers -Abbildung des Papsttum- Wittenberg 1545. Berlin, Kupferstichkabinett. Schuch 106

004 Verspottung der Mönche als Löffelkrämer. Holzschnitt ca. 1520. Berlin, Kupferstichkabinett

004 Verspottung der Mönche als Löffelkrämer. Holzschnitt ca. 1520. Berlin, Kupferstichkabinett

005 Allegorie auf die Laster der Mönche. Holzschnitt des H. S. Beham ca. 1530. Leipzig, Deutsche Gesellschaft. Pauli 117

005 Allegorie auf die Laster der Mönche. Holzschnitt des H. S. Beham ca. 1530. Leipzig, Deutsche Gesellschaft. Pauli 117

006 Der Papst wird dem Höllendrachen zugeführt. Holzschnitt um 1525. Berlin, Kupferstichkabinett

006 Der Papst wird dem Höllendrachen zugeführt. Holzschnitt um 1525. Berlin, Kupferstichkabinett

007 Christus und Papst. Holzschnitt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Berlin, Kupferstichkabinett

007 Christus und Papst. Holzschnitt aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Berlin, Kupferstichkabinett