Fortsetzung

Berlichingen hat aber nicht allein das Verdienst für die mildere Haltung der Odenwälder zu beanspruchen. Es ist freilich herkömmlich, gerade die Weinsberger des Blutdurstes und der Zügellosigkeit zu zeihen. Zimmermann hat das Wort, das Florian Geyer in Rothenburg bei jenem Ausfall gegen sie gebrauchte, es seien „meist zugelaufene Buben“, in seiner Weise aufgeputzt und in Umlauf gebracht. Die Tat von Weinsberg war ein plötzlicher Ausbruch der von den Führern nur mit Mühe in Zaum gehaltenen Leidenschaft und Brutalität der Menge, welche übrigens durch das Gemetzel, das kurz vorher die Weinsberger Besatzung unter ihrem Nachzuge angerichtet hatte, schwer genug gereizt war. Die Briefe der Obersten aus den nächsten Tagen zeigen deutlich, wie deprimiert sie sich, zumal bei den drohenden Nachrichten aus dem Süden, durch die Freveltat fühlten, die sie nicht hatten verhindern können. Schon vorher aber, in den Verträgen mit den Grafen von Hohenlohe, zeigen sich die Führer dieses Haufens durchaus gemäßigt und vertreten gerade solche Forderungen wie nachher unter Götz. Von Georg Metzler wissen wir, dass er bei Weinsberg einen Knecht vor dem Tode rettete. Vielleicht hat Wendel Hipler schon damals auf diese Haltung eingewirkt, und diese Politik war es eben, die ihn und Metzler auf den Gedanken brachte, den Ritter von Berlichingen an die Spitze ihres Haufens zu stellen.

Dem entspricht es, dass der Plan einer Reichsreform, wie er in dem sog. Heilbronner Entwurf vorliegt, nur bei Hipler und seinen Freunden aufgetaucht ist. Die Franken wiesen den Gedanken an eine politische Umwälzung von sich ab. Florian Geyer erklärte den Rothenburgern ausdrücklich, ihre Bruderschaft sei allein eine Bruderschaft zur Vollstreckung des Evangeliums, des Gottesworts und der Gerechtigkeit; man denke daher nicht daran, Rothenburg vom Reich zu dringen. Nirgends kommt auf ihrer Seite der leiseste Anklang an eine Umgestaltung des Reiches vor, etwa gar an eine Zusammenfassung der nationalen Kräfte in einer starken Monarchie, wie die Poeten und Historiker davon zu phantasieren pflegen. Dass aber die Einziehung des Pfaffengutes und die Austilgung des Adels als eines besonderen Standes zu einer Umwälzung des deutschen Staates von Grund aus führen müsse, blieb ihrem blöden Blick, der über ihre Landschaft nicht hinausreichte, verborgen. Auch die politische Vernunft des „Heilbronner“ Reformentwurfes, dessen Verfasser, wie ich glaube, Weigand, der mainzische Keller zu Miltenberg, und nicht Wendel Hipler war, hat man gewaltig übertrieben. Wie eng auch sein Horizont war, zeigt z. B. der Paragraph, der die Abschaffung aller Steuern anordnet außer einer zehnjährigen Abgabe an den römischen Kaiser, unter Berufung auf Matth. 22, und ein anderer, welcher die privilegierten Münzstätten für Österreich, Bayern, Schwaben, Franken „oder“ Rheinstrom fordert, Niederdeutschland also gar nicht in Betracht zieht; der Kurfürst von Sachsen wird zu den „ausländigen Fürsten“ gerechnet. Immerhin lag in dieser Politik noch ein Moment, von dem aus, ich will nicht sagen ein Gelingen der Bewegung, aber doch ein Einlenken in gemäßigtere Bahnen denkbar schien, und war sie nicht bloß, wie die fränkische Empörung, ein wüstes Aufbäumen der Unterdrückten.


Es konnte nicht fehlen, dass dieser tiefe Gegensatz von dem Moment ab, wo die beiden Heerhaufen vor Würzburg zusammenstießen, sich in schweren Konflikten entlud. Schon in den ersten Tagen trat er hervor, als die Weinsberger, von Götz und Metzler geleitet, die Edelleute im Schloss auf die 12 Artikel verpflichten und ihnen gegen eine Geldzahlung den Abzug bewilligen, das Schloss aber unzerbrochen lassen wollten. Die Franken bestanden darauf, dass das Schloss vom Berg herunter müsse. Und selbst in ihrem eigenen Haufen fanden die beiden Obersten Widersacher und wurden überstimmt; man versetzte sich darauf, die Zwingburg der Stadt und des Bistums zu Boden zu schleifen, und verbiss sich in die Belagerung so lange, bis die Bündischen herankamen. Die Katastrophen wären gewiss nicht abgewehrt worden, wenn die Besatzung, die im ersten Schrecken ganz bereit dazu war, sich ergeben hätte, sie wären nur um ein paar Wochen hinausgezögert; denn bei der Kläglichkeit der bäuerischen Kriegführung wäre an einen Sieg ihrer Sache niemals zu denken gewesen. Mochten sie noch so gut mit Feldgeschütz und Hakenbüchsen, Spießen, Harnischen und Reiswägen gerüstet sein (und man darf sich die Masse keineswegs unbewehrt, wie auch ohne jede taktische Ordnung vorstellen), so zerstoben sie doch, wo sie sich auch stellen mochten, bei dem ersten Stoß der feindlichen Reiterei, der adeligen Waffe, die ihnen selbst ja völlig abging, der „Bauernpest“, wie man sie in grimmigem Hohn nannte. Aber freilich würde der Aufstand größere Dimensionen angenommen haben, wenn man die Kapitulation angenommen hätte. Die Franken würden zunächst wohl mit den Brüdern in der Markgrafschaft sich vereinigt haben und der Stadt Nürnberg und dem Brandenburger auf den Hals gerückt sein. So erklärten es wenigstens als ihre Absicht die Gesandten des fränkischen Haufens, welche in denselben Tagen, wie Geyer in Rothenburg, in Nürnberg erschienen und dem Rat ihre Forderungen vortrugen; sie verlangten Proviant, Pulver und Geschütz und traten zunächst recht gemäßigt auf, spielten sich auf die Freunde der Städte hinaus und wiesen auf die gemeinsame Abneigung gegen die adeligen Bedränger der freien Straßen, besonders auch den Markgrafen hin. Erst als die Herren vom Rat ihre Forderungen unter allerhand entschuldigenden Wendungen ablehnten, denn auch ihnen gebot das Verhältnis zu ihren armen Leuten drinnen in der Stadt und draußen auf den Dörfern große Vorsicht, traten die Bauern „prächtig und stolz, als ob ihnen die ganze Welt gehöre“, auf und sprengten unter dem Volk auf der Straße aus, man gedenke im Bauernlager kein Haus im ganzen Lande zu dulden, das besser sei als ein Bauernhaus. Die Weinsberger wünschten vor allem Schwäbisch Hall heimzusuchen, das sich im Württembergischen noch allein aufrecht in dem Tosen des Aufruhrs erhalten hatte. Doch würden sie vielleicht zunächst sich westwärts gewandt und das Mainzer Stift überzogen haben; so hatten sie wenigstens dem Bischof Wilhelm in Aschaffenburg gedroht, wenn die 15.000 Gulden nicht zum bestimmten Termin in ihren Händen sein würden. Die Mainzer und Rheingauer aber dachten gar nicht daran, soviel eigene Beschwerden sie gegen ihre Herrschaft haben mochten, das schöne Geld aus dem Lande zu lassen.

Alle diese Pläne wurden durch jenen Streit im Lager zu Würzburg und seine Folgen zunichte. Er würde, denke ich, auch wenn die Bündischen nicht so rasch gekommen und das Schloss wirklich erstürmt wäre, für die gemäßigte Partei und die Bauernsache überhaupt unheilvoll geworden sein. Denn es ist wohl anzunehmen, dass die anarchischen Elemente auch unter den Weinsbergern die Oberhand gewonnen und die Führer mit sich fortgerissen oder überwältigt haben würden. Götz, von Argwohn stets umlauert, fühlte sich seines Lebens niemals sicher; und auch Geyer und seine Mitgesandten wiesen die Rothenburger, als diese gegen den Artikel von der Einhaltung der Steuern Einwendung machten, mit der Erklärung ab, dass sie an den Willen des gemeinen Haufens gebunden seien; man würde sie im Lager erschlagen, wenn sie dem Rat darin zu Willen wären. Das gemäßigte Programm Götzens und Metzlers hätte also schwerlich behauptet werden können. Um so weniger, da der Konflikt über das Mainzer Oberstift noch völlig ungelöst war und sich in den widersprechenden Befehlen, die aus dem Lager an die dortigen Städte und Flecken erlassen wurden, immer mehr verschärfte. Gerade Geyer finden wir auch hierbei ganz auf selten der Franken und als den heftigsten Gegner der Odenwälder. Ich kann mir daher nicht so unbedingt den Bericht Lorenz Fries' von seiner Haltung bei dem Streit über das Schloss von Würzburg aneignen, der bisher von jedermann als Tatsache nacherzählt und auch von Hauptmann verwertet worden ist. Fries stellt hier Florian mit Götz auf eine Seite, indem er ihm das Wort in den Mund legt: hätte er der Taubertalischen und derer, die von dem Gäu wären, geschwunden Sinn anfänglich gewusst, so hätte er sie lieber erstochen werden lassen, als dass er zu ihnen gekommen wäre; er sehe wohl, dass es des Teufels Bruderschaft und dem Evangelio nit gemäß wäre. Er soll mit Bubenleben, dem Pfarrer von Mergentheim, in ein „zänkisch Gefecht“ gekommen sein, weil dieser den Vertrag gehindert habe. Da sei ihm das Wort entfallen: „es sollte kein Pfarrer in diesem Rat sitzen.“ Worauf der Pfarrer: „man sollte keinem Edelmann in diesen Sachen getrauen.“ Fries schrieb erst nach Jahren, und jene Stelle steht auf einem der nachträglich eingefügten Stücke. Auch darf man dem redseligen Manne, wie ein Vergleich mit Zweifel lehrt, keineswegs in jedem Satze aufs Wort glauben. Vor allem aber steht die Angabe mit dem, was wir sonst von Florian Geyer wissen, so sehr im Widerspruch, zumal mit der Haltung, die er unmittelbar darauf in Rothenburg einnahm, dass ich nicht wagen möchte, sie nachzuerzählen;

So zahlreich nun auch die Erklärungen von Herren und Grafen für den Bund der Odenwälder gewesen sein mögen, ist es doch völlig abwegig, wenn Lamprecht von dem Nachzittern der Sikkingischen Rebellion unter dem fränkischen Adel phantasiert und von dessen Lust, noch einmal „das Haupt zu erheben und, dann freilich rettungslos revolutionär, mit Bauern und Städten Sturm zu laufen gegen die Fürsten zur Befreiung des Kaisers, zur Errichtung des geträumten neuen, glänzenden, großen Reiches deutscher Nation“. Er schreibt, so scheint es, hier wie anderswo, Bezold nach, dessen etwas zu weitgehende Angaben er in seiner Manier aufbauscht und verzerrt. Vielmehr müssen wir sagen, dass die Edelleute, die mit den Bauern paktierten und ihre 12 Artikel unterschrieben, geradeso wie die hohen Herren, die Grafen von Hohenlohe, die von Löwenstein, Bischof Wilhelm und der Pfalzgraf, in der Mehrzahl dazu gezwungen worden sind. Sie wurden terrorisiert, wie Tausende unter den Bauern selbst, die von der lodernden Flamme des Aufruhrs mit fortgerissen wurden. Sie kauften sich von der Rache der Rebellen los; das Schicksal der Ermordeten von Weinsberg stand ihnen vor Augen. Sie mussten sich ducken, bis das Wetter vorüberging; und Verwegenere unter ihnen mochten denn auch wohl vorziehen, den Hammer zu spielen statt des Ambosses. Doch weiß ich noch gar nicht, ob die Anschuldigungen gegen Götz von Berlichingen, die heute, seitdem Sartorius sie mit dreistem Mut ausgesprochen, trotz der wackeren Verteidigung des Ritters durch Oechsle allgemein wiederholt werden, gerechtfertigt sind. Auch er verstand seine Verpflichtung jedenfalls nur auf Zeit und machte, als die vier Wochen herum waren, dass er davonkam; sein Glück wollte, dass es gerade der Tag vor Königshofen war, an dem er das Weite suchte. Direkt als Rebell und Bauernhauptmann wird in der Liste, die den Adel des Neckargebiets umfasst und noch vor Götzens Eintritt aufgesetzt ist, ein Hans von Thalheim genannt, ein alter Diener des Pfalzgrafen. Er ward von den pfälzischen Reisigen auf ihrem Zuge nach Würzburg in einem Dorf nicht weit von Heidelberg aufgegriffen; über sein Schicksal wird nichts gesagt, man hat ihn vermutlich laufen lassen.

In dem eigentlichen Franken aber, den Landschaften am Main, in den Bistümern, wo der Hauptanhang Sikkingens saß und jetzt die Frankenbauern hausten, wird es uns wirklich schwer, außer Florian Geyer einen Edelmann namhaft zu machen, der zu ihrem radikalen Programm geschworen hätte. Unter den Hunderten von Adeligen und Beamten, die in der Fries' schen Chronik vorkommen, sind es, wenn ich recht gezählt habe, kaum ein halbes Dutzend, und diese fast sämtlich gezwungen; im Gebiet der Tauberbauern finde ich überhaupt keinen. Auch in Zweifels Buch begegnet uns außer Stephan von Menzingen, der ja aber längst in Rothenburg das Bürgerrecht hatte, keiner vom Adel im Bauernlager.

Gerade die Anhänger der Reformation, die Vettern und Freunde Ulrichs von Hütten, auf die er für seinen Pfaffenkrieg gerechnet hatte, waren jetzt die festesten Stützen Bischof Konrads. Sylvester von Schaumburg, der im Mai 1520 Luthern ein Asyl auf seiner Burg gegen die Romanisten angeboten hatte, verhandelte namens der würzburgischen Ritterschaft am Palmsonntag mit den Bauern in Mergentheim, neben ihm für den Bischof der Hofmeister und Dr. iur. Sebastian von Rotenhan, er, dem Hütten einst seine Trias Romana mit jenem herrlichen Bekenntnis für die deutsche Freiheit zugeschrieben hatte. Beide waren im Kriegsrat auf dem Frauenberg, und vor allem die Umsicht und Energie Herrn Sebastians hat, nach dem Zeugnis des Chronisten, das Schloss dem Bischof erhalten. Auch den dritten großen Namen unter dem reformfreundlichen Adel des Mainlandes finden wir auf der Fürstenseite, Hans von Schwarzenberg, der mit Markgraf Kasimir gegen die Bauern zog; und das Würzburger Schloss ward von den namhaftesten Mitgliedern des Stiftsadels, den Zobel, Thüngen, Bibra, Aufseß, Castel und vielen anderen, verteidigt. Dort treffen wir auch Lorenz von Hutten, wahrscheinlich den Bruder Ulrichs, der ihn auf der Ebernburg um sich hatte, und Sebastian Geyer, den Amtmann von Bütthard, dessen Bauern in der Feldmark von Ingolstadt saßen; beide waren über eine Rotte im Schloss gesetzt. Ein anderer Verwandter Florians, Ambrosius Geyer, führte die würzburgischen Reisigen unter Jörg Truchseß und machte mit den Bündischen die Schlachten von Königshofen und Sulzdorf mit. Er hat, wie bemerkt, eine kurze Chronik von dem, was er erlebt, verfasst, ohne seines rebellischen Verwandten nur mit einem Wort zu gedenken; schwerlich, weil er sich schämte, seinen Namen zu nennen, sondern weil ihm die Tatsache nicht den Eindruck machte, wie uns Nachgeborenen. Auch die Senioren derer von Hutten, Frowin und Ludwig, an denen Ulrich so gute Gönner besessen hatte, standen den Bauern gegenüber; jener als Hofmeister des Mainzer Erzstiftes und Führer seiner Reisigen unter dem Truchseß, dieser unter dem Markgrafen als der mildgesinnte Amtmann von Kitzingen, der bei seinem brutalen Herrn vergebens ein Wort für die unglücklichen Amtsverwandten einlegte. Es wäre auch wirklich nicht zu begreifen, wie diese Edelleute, deren Existenz auf der Verbindung mit ihrem Bistum in dem Kapitel und der ganzen geistlich-weltlichen Verfassung beruhte, und deren ganzer Stand von den rasenden Bauern mit Vernichtung bedroht war (hunderte fränkischer Schlösser gingen in Flammen auf), dazu hätten kommen sollen, ihre Sache mit den Rebellen zu verbinden. Das wäre in der Tat rettungslos revolutionär gewiesen.

Was schließlich Florian Geyer dazu bewogen haben mag, ein Bauernbruder zu werden, ob wirklich die idealen Ziele, die man ihm ohne weiteres zugeschrieben hat, oder irgend welche ganz persönliche, vielleicht sehr untergeordnete Motive ihn geleitet haben — wer mag das sagen! Die Historie weiß darüber nichts zu berichten. Wohl möglich, dass auch er nur ein „Verdorbener vom Adel“ gewesen ist, wie jener „Thoma Bauer“, der den Rebellen in Bayreuth die Fahne vorantrug.