Fortsetzung

Hieraus ergibt sich, dass es nicht ausreicht, die letzte Ursache des Bauernkrieges in den wirtschaftlichen Verhältnissen zu suchen. Wir wissen noch gar nichts Genaueres über die wirtschaftliche Lage der unteren Klassen in jener Zeit. Statistische Untersuchungen sind kaum gemacht worden, und nur diese würden uns bestimmtere Folgerungen gestatten. Wo einmal nähere Beobachtungen angestellt sind, glauben wir, sehr im Gegensatz zu der herrschenden Vorstellung, statt wachsender Verarmung eher das Gegenteil zu bemerken. Gewiss gab es unter den Bauern, wie unter Rittern und Bürgern, zahllos verlorene oder wirtschaftlich bedrängte Existenzen, und diese sind sicherlich mit unter den vordersten der Aufrührer zu denken. Aber als einen Ausbruch schreiender Not, als den Verzweiflungsschritt ausgehungerter Massen haben wir uns die Erhebung nicht vorzustellen. Nichts ist gewisser, als dass jene Epoche für Süddeutschland, mehr vielleicht als für den Norden, eine Zeit des wirtschaftlichen Aufstrebens war: die Zunahme der Bevölkerung, die intensivere Bebauung des Landes, das Wachstum der Städte, der steigende, oft beklagte und bekämpfte, dadurch aber nicht verringerte Luxus aller Klassen, ebensowohl auf dem Lande wie in den Städten, das Anwachsen des Kapitals, das innerhalb und außerhalb der Mauern, an den Fürstenhöfen wie auf den Bauerngütern Unterkunft suchte, der immer regere Handel daheim und in der Fremde sind dafür vollgültige Beweise. Wäre die wirtschaftliche Not oder auch nur der Druck, der nicht geleugnet werden soll, wirklich die primäre Ursache gewesen, so hätte der norddeutsche Bauer wohl eher Anlass zum Aufstande gehabt. Denn dieser hatte an dem grundbesitzenden Adel, der schon seine Güter selbst zu bewirtschaften und abzurunden begann, einen meist überlegenen Konkurrenten. Im Süden dagegen war der Herr fast durchweg Rentenbesitzer geblieben. Fälle von Abmeierung und Bauernlegungen, wie im Norden, kamen dort nicht vor; der Bauer musste zinsen und fronden und sein Gut „bauen“, d. h. im zinsfähigen Stand erhalten, er war auch wohl leibeigen geworden, im übrigen aber wirtschaftlich unabhängig. Die Führer des Aufstandes waren fast immer die wohlhabenden Leute, die Angesehensten im Dorf, die Bürgermeister, die Wirte, die Müller. Auch die Pfaffen, Schreiber und Keller, die an der Spitze erscheinen, wie Wendel Hipler von Öhringen und Friedrich Weigand von Miltenberg, waren keine hergelaufenen Buben, sondern Männer von Besitz und Ansehen. Die Vermögenslisten der gestraften Bauern zeigen oft Einkommen von überraschender Höhe und für den Durchschnitt eine gewisse Wohlhäbigkeit oder doch wenig direkte Armut. Es ist — und darin liegt wirklich eine Analogie — wie heute bei unserer Sozialdemokratie. Auch diese nennt sich die Partei des Proletariats, wie die aufständischen Bauern sich als die „armen Leute“ bezeichneten. Und doch stellt niemand in Abrede, dass in dem sozialdemokratischen Lager viel weniger der Druck von oben als das Machtstreben von unten zur Geltung komme. Revolution ist Kraftäußerung, selbst dann, wenn sie nicht zum Ziel kommt: wer die Macht nicht hat, wird sich auch nicht regen. Gerade von den Bauern des Algäus und am Bodensee, die zuerst aufstanden und am längsten aufrecht blieben, wissen wir, dass sie, wie ihr Historiker sagt, im ganzen wohlhabend, tatkräftig, selbstbewusst und waffengeübt waren. Noch hatte jede Dorfschaft ihre gemeinsame Gemarkung, Ordnung und Verwaltung, zuweilen selbst Mauern und Tore. Unter der Gerichtslinde oder auf dem ummauerten Kirchhof, der eigentlichen Burg des Dorfes, trat die Gemeinde zusammen, auf das Zeichen der Kirchenglocke; läutete sie Sturm, mit der Wehr zur Seite, gemeinhin aber ohne die Waffe, die sonst jedermann trug. Dort suchten und fanden sie nach ihren Bauernregeln das Recht, dort berieten sie über die Angelegenheiten der Gemeinde, über Weide, Wiesen und Wald, Ackerung, Aussaat und Ernte; dort wählten sie ihre Bauermeister und bestellten die Ämter des Fronboten und des Flurschützen, des Holzwächters, des Kirchners und des Schreibers, des Hirten und des Turm Wächters ; dort nahmen sie wohl auch die Weisungen ihres Grundherrn in Empfang — und dorthin liefen sie zusammen, als die Sturmboten des Aufruhrs kamen und der vom Brand der nahen Klöster und Schlösser gerötete Horizont ihnen das Morgenrot ihrer vollen Freiheit zu verkünden schien.

Wäre ihnen nun geworden, was sie in ihren zwölf Artikeln forderten: Eigenwahl des Pfarrers, den ihnen bis dahin der Grundherr oder das benachbarte Kloster gesetzt hatte, Freiheit der Holzung, der Jagd und der Gewässer, Fortfall des kleinen Zehnten, der Leibeigenschaft und des Todfalls, dazu Minderung so vieler Dienste und Gülten, so wären sie frei genug geworden, freier fast als ihre Herren, die doch dem Kaiser und dem Reich oder einer anderen Herrschaft direkt verpflichtet waren. Und hätten sie vollends erreicht, was im Laufe der Bewegung sich immer mehr als das Programm des Aufruhrs heraushob, Ausreutung aller Stifter und Niederbrechung aller Burgen, also dass es im ganzen Land nur Bauern und Bauernhäuser gegeben hätte, so wären sie so frei geworden wie der Vogel in der Luft, wie das Wild des Waldes: es wäre die Freiheit der Anarchie, die Staatslosigkeit gewesen, die sie erreicht hätten. Der Herr, dem sie dienten, verkörperte für sie den Staat, mochte es ein bloßer Reichsritter sein oder ein Graf, ein Abt oder der Magistrat einer Reichsstadt. Nicht der Bauer unmittelbar, sondern der Grundherr war dem Reiche selbst oder einem Territorialherrn verantwortlich, sowie er seine Bauern innerhalb der ihm zustehenden Grenzen zu schützen hatte. Beides machte er gewiss schlecht genug. Aber es war doch nicht immer böser Wille, sondern sich selbst zu erhalten und voranzukommen war auch für ihn, wie für jedermann und jedes Gemeinwesen, das zwingende Gesetz. Zumal da er in eine Welt gestellt war, die, von halbfertigen staatlichen Gebilden erfüllt, von jeher durch Kampf und Eigennutz regiert war, und in eine Zeit, welche die bisher einzige einheitliche Gewalt, die Kirche, rettungslos in sich zusammensinken sah. Das schließt natürlich nicht aus, dass viele unter den Herren den Bogen allzu straff gespannt haben, und dass die wirtschaftliche Abwandelung den Wert der Naturalabgaben und Dienste weit über Gebühr erhöht hatte. Aber es bleibt dabei: auch die Herren handelten mehr unter dem Zwang als ans Willkür, und die politische Lage, nicht die wirtschaftliche Not war die bestimmende Ursache.


Dadurch erklärt es sich, dass manche unter den Herren, und wohl gerade die Leuteschinder am ersten, lieber Hammer als Amboss sein wollten und sich dem reißenden Strom der Empörung anvertrauten, wo sich dieser gegen Gewalten im Reiche lichtete, mit denen sie selbst einen Span auszutragen hatten. So rechnete der verjagte Herzog Ulrich von Württemberg, der einst den „armen Kunz“ so grob niedergeschlagen und niemals als ein Bauernfreund hatte gelten können; jetzt aber wartete er auf dem Hohentwiel, mitten unter den gärenden Bauernschaften von Stühlingen, ungeduldig auf das Signal zum Losbrechen; und nur ein höchst unvorhergesehenes Ereignis, die Niederlage König Franz' bei Pavia, die seine eidgenössischen Freunde zwang, den Zulauf ihrer Knechte zurückzuhalten, nötigte den verbannten Herzog, den schon begonnenen Zug abzubrechen und noch einmal stillzusitzen. Und wohl möglich, dass auch Götz von Berlichingen ähnlich spekulierte, als er im Kloster Schönthal und in Neckarsulm mit den Bauernfeldherrn des Öhringer Haufens zusammentraf und sich zu ihrem obersten Hauptmann sei es werben oder pressen ließ. Aber auch der städtische Ehrgeiz wurde vielfach durch die ersten Erfolge der Empörer angeregt; ja selbst die ganz Großen, wie die Bayernherzoge und die Habsburger, oder wie Casimir von Brandenburg, oder die Eidgenossen von Basel, blieben nicht frei von der Versuchung, Stücke der Bauernbeute für sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Wenn schließlich das große Wasser wieder ablief, ohne die alten Grenzen wesentlich zu verrücken, so lag das einmal an dem bald sich ermannenden und dann unmittelbar siegreichen Widerstände der geordneten Gewalten, im Süden vor allem des Schwäbischen Bundes, in Mitteldeutschland der verbündeten Fürsten von Sachsen, Hessen und Braunschweig, sodann aber an dem Radikalismus, den die rasch anwachsende Anarchie der Bauernheere emportrieb. In dem Haufen, den der Berlichinger anführte, und der die Grafen von Hohenlohe und von Werthheim wie den Adel des Odenwaldes mit sich fortriss, war von Anfang an, noch bevor Götz mit ihm seine Praktiken trieb, eine gemäßigtere Tendenz; auf die Zerreißung der Burgen hatten es hier auch die bäuerischen Führer nicht abgesehen. Es kam ihnen zunächst darauf an, das Geschütz zu bekommen, die Herren aber zu dem Eintritt in den Bund oder zum Stillsitzen zu bewegen; dafür versprachen sie ihnen Sicherung ihrer Häuser und Besitzungen. Mit Edelleuten, Geistlichen und Städten schlossen sie Verträge solches Inhalts. Die zwölf Artikel, die auch sie annahmen, milderten sie erheblich und geboten gegen Leibesstrafen allen Untertanen in Städten, Dörfern und Flecken, Gehorsam gegen ihre Obrigkeiten zu üben. Wir haben darin wohl neben Götzens Einfluss auch den Wendler Hiplers zu erkennen, der mit Weigand von Miltenberg in dem sogenannten Heilbronner Entwurf jene weitreichenden Pläne einer Reichsreform entwarf, die unter der Ägide der kaiserlichen Majestät auf Grund allgemeiner Säkularisation der geistlichen Güter eine Umgestaltung der Gerichtsverfassung und der gesamten Organisation und Verwaltung des Reiches verlangten. Aber diese Politik der Mäßigung erlitt bald Schiffbruch. Unter den Neckarbauern selbst, die über den Odenwald hin nach Würzburg dem fränkischen Heere zu Hilfe zogen, hatte von Anbeginn her eine extreme Gruppe bestanden, von der der Anstoß zu dem Sturm auf Weinsberg und zu der Ermordung des Helfensteiner Grafen, den die Bauern durch die Spieße jagten, ausgegangen war. Diese gewann nach der Vereinigung beider Heere im Lager vor dem Frauenberg alsbald die Oberhand. Denn der Radikalismus der Franken ging weit über jenes gemäßigte Programm hinaus. Sie wollten von den zwölf Artikeln nichts hören: alle Burgen, wie auch die Klöster sollten gebrochen werden; kein Schloss, kein Turm, der in ihre Gewalt fiel, wurde verschont; in ganz Franken, mainauf und mainab, loderten die Feuer; niemand sollte fortan einen gerüsteten reisigen Gaul halten dürfen, jeder Edelmann auf seinem Gute wie ein Bauer leben. Vergebens kämpften Götz und seine Anhänger gegen diese Strömung an. Ein Versuch von ihnen, auf ihre Bedingungen hin der adeligen Besatzung des Frauenberges den Abzug zu bewilligen, scheiterte an dem Widerstände der Franken und der mit ihnen stimmenden Radikalen ihres eigenen Haufens. Die Stürme aber, die von den Bauern darauf gegen die Würzburger Feste gewagt wurden, scheiterten, und damit zogen sie die Katastrophe über sich herbei.

Denn in derselben Stunde, wo der Anlauf gegen die Mauern des Frauenberges zerschellte, ward Thomas Münzer bei Frankenhausen vernichtend geschlagen und damit seiner kommunistischen Revolution das blutigste Ende bereitet. Und schon nahte den Bauern in Franken von Süden her das Verderben. Bis in den März hatte der Schwäbische Bund mit den drei Haufen südlich der Donau Verhandlungen gepflogen; sobald er aber die Waffen bereit hatte und die Gefahr vor Herzog Ulrich geschwunden war, schlug er los. Den Algäuern und Seebauern freilich konnte der Bundesfeldherr, Graf Jürgen Truchseß von Waldburg, auch dann nichts Rechtes abbrechen. Aber nachdem er durch einen vorläufigen Vertrag mit ihnen sich den Rücken gedeckt, zog er gegen die in Württemberg und am Schwarzwald versammelten Haufen und schlug sie am 12. Mai bei Böblingen aufs Haupt. Hierauf wandte er sich gegen Norden. Am 2. Juni ereilte er die Odenwälder, die ihren Dörfern zu Hilfe kommen wollten, bei Königshofen an der Tauber; so fest ihre Stellung war, wurde ihr Heer fast ohne Gegenwehr vernichtet. Zwei Tage darauf wurden auch die Franken bei Sulzdorf und Ingolstadt südlich von Würzburg zertrennt und niedergemetzelt. Hierauf beugte sich alles Land vom Fichtelberg bis zu den Vogesen. Bei Pfeddersheim nahm der Pfalzgraf an seinen Bauern, die ihn vorher zum Vertrage gezwungen hatten, seine Rache; im Elsaß trat Anton von Lothringen, nachdem er schon im Mai bei Zabern ein Bauernheer vernichtet hatte, erbarmungslos auch die letzten Funken des Feuers aus. Länger dauerte es, bis die tapferen Bauern im Algäu, in Tirol und im Salzburgischen zum Gehorsam gebracht wurden. Aber endlich gelang es allerorten, und die Freveltaten der Betörten wurden von den unbarmherzigen Richtern in Strömen von Blut gesühnt.