Kleine Historische Schriften - Band I. - 09 Der Bauernkrieg

Vom Werden der Nationen
Autor: Lenz, Max (*1850 in Greifswald-†1932 in Berlin) Historiker, Professor, Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, Erscheinungsjahr: 1904
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Reformation, Reformationszeit, Reformator, Humanist, Epoche, Gesellschaft, Humanismus, Aufklärung, Glauben, Religion, Luther, Schutzherr, Rebell, Nation, Bauernkrieg, Bundschuh, Thomas Münzer
Inhaltsverzeichnis
  1. Fortsetzung
„Das größte Naturereignis des deutschen Staates“, so hat Ranke die agrarische Revolution genannt, welche im Frühling 1525 alle Ordnungen in Staat und Kirche Deutschlands mit Vernichtung bedrohte. Wie eine Naturgewalt in der Tat, wie ein „Ungewitter der Tiefe“ brach die Empörung ans Licht. Wenige Monate nur erzitterte die deutsche Erde: ein plötzliches Aufbäumen, unwiderstehlich im ersten Anprall, dem aber ebenso rasch das Zurückschleudern folgte. Kein luftreinigendes Gewitter, sondern ein Feuer, welches rasend um sich greifend Wohlstand und Leben vieler Tausende vernichtete, um, nachdem es ausgebrannt war, nichts zurückzulassen als Asche.

In dem Momente entzündete es sich, wo die Nation vor der größten Aufgabe stand, die ihr je gestellt worden war, vor der Frage, ob sie fähig sein würde, ihren Staat und ihre Kirche auf dem Grunde einer Religion neu aufzubauen, die soeben aus der Tiefe des deutschen Herzens ihr größter Sohn geschöpft hatte. Dass beides, der Aufruhr und die Reformation, miteinander zusammenhängen, versteht sich danach von selbst. Indem Luther den Weckruf an das Gewissen der Nation, das „Los von Rom“, erschallen ließ, schnitt er auch dem politischen Deutschland, das mit dem geistlichen durch die Geschichte eines Jahrtausends bis in das Mark verwachsen war, in die Wurzel. In jede Fuge des Reichsbaues war der Zwiespalt eingedrungen. Die Edikte des Kaisers, die Beschlüsse der Reichstage, die Gebote des Reichsregiments hatten die Verwirrung nur gesteigert, auch die strengsten Mandate die Zersetzung der Kirche nicht aufhalten können; vermorscht wie sie war, fiel sie, kaum dass einer zu stoßen brauchte, in sich zusammen. Also geschah das Unvermeidliche: da der Boden, die schützende Decke der Macht zerbarst, brachen die Tiefen auf. Noch war Luther der Wortführer der Nation. Auf ihn richteten die Empörer ihre Blicke ; für sein Evangelium, so sagten sie, wollten sie fechten; ihn und seinen gottseligen Herrn, den Kurfürsten Friedrich den Weisen, riefen sie als Schiedsrichter an; und ihm, als dem Verräter an der eigenen Sache, dem Fürstenknecht, dem Vater Leisetritt, fluchten sie, als er sich gegen sie auf die Seite des Herrn gestellt hatte und das erbarmungslose Schwert der Sieger unter ihnen fraß.

Wie begreiflich aber die Wut der Enttäuschten über den Reformator sein mochte, ebenso ungerecht war ihr Vorwurf, mag er ihnen auch von Feindschaft und Unverstand tausendfach nachgebetet sein, dass Luthers Lehre wirklich des Aufruhrs Wurzel gewesen sei. Wäre dem so, so hätten die Gegenden, die von seiner Lehre besonders angesteckt waren, von dem revolutionären Gift mehr als andere infiziert werden müssen. Aber gerade dort, wohin sein unmittelbarer Einfluss reichte, in und um Wittenberg und Torgau, in dem eigentlichen Sachsen, blieb alles ruhig; nur in den thüringischen Ämtern, die mit kleineren Herrschaften, mit mühlhausischen, kurmainzer und anderen Bezirken im Gemenge lagen, und die von den alten Gegnern Luthers, Münzer und Karlstadt und ihren Trabanten, aufgewühlt waren, wurde das Landvolk wild und ließ sich mit fortreißen. So ward auch Hessen, dessen junger Landgraf vor kurzem entschlossen auf die Seite der Reformation getreten war, in Ruhe gehalten. Die paar Dorfschaften, die sich im Fuldatal erhoben, bändigte Philipp mit leichter Mühe; rasch gelang es ihm auch, in den benachbarten Abteien Hersfeld und Fulda die hier arg erschütterte Ordnung herzustellen, so dass er bald sein Land im Rücken lassen und sich nach Thüringen gegen die fanatisierten Scharen Thomas Münzers wenden konnte. Beide Fürsten aber, Kursachsen und Hessen, waren gerade die zur Verständigung geneigten: Landgraf Philipp rechtfertigte auf dem Landtage zu Alsfeld durch den Beschluss, dass den Bauern keine neuen Lasten auferlegt werden sollten, zum erstenmal den Beinamen, den ihm sein dankbares Volk gegeben hatte, des Großmütigen; Friedrich der Weise aber, der unter dem Toben des entfesselten Aufruhrs starb, hat noch auf dem Totenbette die armen Leute und ihre harten Lasten beklagt. Die Goldene Aue war überhaupt der nördlichste Punkt, den der Aufstand erreichte; über den Harz kam er nicht hinaus.

Auch in Bayern hielten die Herzoge Wilhelm und Ludwig, diese freilich mit härtester Gewalt, die Ordnung aufrecht. Weniger glückte es den habsburgischen Regierungen in ihren weitgedehnten Herrschaften, trotz der Strenge, mit der auch hier Kirche und Staat vereinigt gegen die Empörten vorgingen: von Steiermark bis ins Inntal waren die Alpenländer in tiefer Erregung, und selbst in der Eidgenossenschaft forderten die Untertanen Freiheit von Zinsen und Fronden. Immerhin waren das alles nur Ausläufer der Bewegung, deren Herdfeuer in den Vorbergen der Alpen, rechts vom Rhein und im südlichen Schwarzwald, um Waldshut, in der Stühlinger Landschaft, am Bodensee und im Algäu bis zum Lech hin lag Hier brach der Aufruhr schon im Frühsommer 1524 aus. Lange schwelte der Brand, halb gestillt und wieder neu entfacht, bis er im Februar und März des folgenden Jahres mit plötzlicher Wut aufflammend in wenigen Wochen vom Lech her bis an die Vogesen und vom Bodensee bis hin über den Thüringer Wald alles Land überdeckte.

Es waren die Gebiete, auf denen das alte Reich recht eigentlich geruht hatte, in denen die großen Kaisergeschlechter, die Salier und die Hohenstaufen, ihre Stammburgen gebaut und ihre Kraft gewonnen hatten. Auch das jetzt regierende Haus hatte dort von alters her Besitzungen gehabt ; immer hatte es in Gegensätzen, wie die jetzt neu entbrannten, gestanden, und die ihm Verbündeten und Verwandten, die schwäbischen Abteien und die um den Bodensee angesessenen Herrengeschlechter waren es, gegen die sich die Bauern zuerst erhoben. Seit dem Untergange der Staufer hatte sich zwischen Alpen und Main keine große Territorialmacht mehr bilden können, und die Elemente, welche im Norden und Osten überall zur Einheit des Staates zusammengezwungen wurden, Ritter und Herren, Städte und Stifter, waren hier ungebunden geblieben und mussten jeder für sich und gegen den anderen Luft und Licht zu gewinnen suchen. So war dies der klassische Boden der Städte- und Ritterbünde, ihrer Kriege und Fehden geworden. Noch hielt der Adel eng zusammen. Gerade in dieser Epoche bildete die Reichsritterschaft jene engeren Verbände aus, in denen sie sich bis an das Ende des deutschen Reiches erhalten hat. Noch hielten auch, wie vor alters, die Freien und Reichsstädte ihre besonderen Tage ab, und der Hass gegen die Pfeffersäcke, die „vermauerten Städtebauern“, war im Herrenstande immer noch, und bis hoch hinauf, verbreitet. Aber je mehr ein jeder sich abschloss, um so mehr war er gezwungen, sich der Umgebung anzubequemen, den Schutz, den der Bund mit den Standesverwandten nicht mehr sicherte, durch Übereinkünfte mit den Nachbarn zu erhalten. Diesen Zweck verfolgte seit mehr als einer Generation der Schwäbische Bund, der bereits alle Stände des südlichen Deutschlands bis über den Main weg vereinigte. Auch er aber, eine der stärksten Gewalten im Reiche, konnte der allgemeinen Zerrüttung nicht wehren. Im Bunde selbst stritten von jeher die verschiedensten Interessen, und die kirchlichen Irrungen brachten täglich neuen Zündstoff hinzu. Nicht einmal die Sicherheit der Straßen konnte er gewährleisten und nur durch erhöhten Druck auf die eigenen Hintersassen die Mittel schaffen, um die Widerspenstigen im Zaume zu halten. Die Untertanen aber, die Bauern, waren in jedem Falle die Geschädigten. Sie mussten reisen, bauen und steuern; an ihren Gütern erholten sich Freund und Feind; auf ihren Höfen gardeten die Reiter und die Knechte, wenn sie auf einen Herrn warteten, und in ihre Ställe und Scheunen warfen sie die Brandfackel, wenn die Fehde sie auf eine feindliche Dorfmark führte.

Ziehen wir die Summe. Wo die Macht war, wohnte der Friede. Den Norden, die Gebiete der großen Fürstenhäuser, welche in der Bildung ihres Staates bereits weiter vorangekommen waren, erreichte darum der Aufstand überhaupt nicht, und das mittlere Deutschland nur an wenigen Punkten. Und ebenso gelang es im Süden den starken Regierungen, sich zu behaupten. Die Stellung zur Reformation kam dabei kaum in Frage. Herzog Georg von Sachsen hielt seine Untertanen ebenso in Schranken, wie seine Vettern Friedrich und Johann in den benachbarten Kreisen die ihrigen. Schwierig war es nur dort, wo der neue Geist mit dem alten bereits im Kampf lag. Wo aber, wie im Wittenberger Kurkreise, die Kirche Luthers schon festere Formen gewonnen hatte und der alte Sauerteig durch eine evangelische Visitation ausgefegt war, gab dies eine stärkere Bürgschaft für die Ruhe als die brutalen Mandate, durch welche die Bayern und Österreicher sich der Revolution in Staat und Kirche zu wehren suchten. Wie sehr es in jedem Falle auf die gesammelte Macht ankam, zeigt das Schicksal der größeren Reichsstädte im Hauptgebiete des Aufruhrs. Auch in Straßburg, Augsburg, Ulm, Nürnberg gab es revolutionäre Elemente genug: die Führer, wie Thomas Münzer im Sommer 1524 in Nürnberg, haben wohl gerade dort versucht, den Hebel anzusetzen. Aber der Boden war ihnen zu heiß gewesen; und als nun der Aufruhr über das Land hinwogte, vermochten die Magistrate dieser großen Gemeinwesen nicht nur die unruhigen Köpfe in ihren Mauern, sondern sogar ihre Bauernschaften meilenweit vor der Stadt in Zucht zu halten und zu schützen.

Lenz, Max (1850 in Greifswald-1932) Historiker

Lenz, Max (1850 in Greifswald-1932) Historiker

DBK 1525 000

DBK 1525 000

DBK 1525 001 Pflügende Bauern

DBK 1525 001 Pflügende Bauern

DBK 1525 002 Predigt des Paukers von Niklashausen im Frankenland 1493

DBK 1525 002 Predigt des Paukers von Niklashausen im Frankenland 1493

DBK 1525 003 Bauern leisten einen Eidschwur auf die Bundschuhfahne, auf der der gekreuzigte Christus auf einem Schuh stehend abgebildet ist. 1513

DBK 1525 003 Bauern leisten einen Eidschwur auf die Bundschuhfahne, auf der der gekreuzigte Christus auf einem Schuh stehend abgebildet ist. 1513

DBK 1525 004 Aufständische Bauern mit der Bundschuhfahne umzingeln einen Ritter. Holzschnitt von Hans Weiding. 1539

DBK 1525 004 Aufständische Bauern mit der Bundschuhfahne umzingeln einen Ritter. Holzschnitt von Hans Weiding. 1539

DBK 1525 005 Die 12 Hauptartikel der Bauern. Titelholzschnitt. 1525

DBK 1525 005 Die 12 Hauptartikel der Bauern. Titelholzschnitt. 1525

DBK 1525 006 Plünderung eines Klosters durch die Bauern. 1525

DBK 1525 006 Plünderung eines Klosters durch die Bauern. 1525

DBK 1525 007 Weingartner Vertrag. 1525

DBK 1525 007 Weingartner Vertrag. 1525

DBK 1525 008 Kriegführung zur Zeit des Bauernkrieges. Belagerung eines kleinen besetzten Ortes durch den Schwäbischen Bund. 1523

DBK 1525 008 Kriegführung zur Zeit des Bauernkrieges. Belagerung eines kleinen besetzten Ortes durch den Schwäbischen Bund. 1523

DBK 1525 009 Die Veste Marienburg. 1493

DBK 1525 009 Die Veste Marienburg. 1493

DBK 1525 010 Thomas Münzer

DBK 1525 010 Thomas Münzer

DBK 1525 011 Mittelalterliche Wagenburg. Federzeichnung aus dem Hausbuch des Fürsten Waldburg-Wolfegg

DBK 1525 011 Mittelalterliche Wagenburg. Federzeichnung aus dem Hausbuch des Fürsten Waldburg-Wolfegg

DBK 1525 012 Gefangene Bauern

DBK 1525 012 Gefangene Bauern

DBK 1525 013 Siegel der aufständischen Bauern. 1525

DBK 1525 013 Siegel der aufständischen Bauern. 1525

DBK 1525 000 Vorsatz

DBK 1525 000 Vorsatz