Klaus Störtebeker der Seeräuber. Nach alten Chroniken.

Aus: Die schönsten Sagen und Märchen der Insel Usedom und Wollin
Autor: Bearbeitet und herausgegeben von William Forster, Erscheinungsjahr: 1895

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sagen, Märchen, Überlieferungen, Chroniken, Dokumente, Usedom, Seeräuber, Piraten, Heringsdorf, Kammin, Störtebeker,
Auf der Insel Usedom, dort, wo jetzt Heringsdorf mit seinen eleganten Villen und vornehmen Hotels aus dem grünen Buchenwald hervorleuchtet, dort lag zu jener Zeit, dem Ende des vierzehnten Jahrhunderts, nur ein dichter Wald, den große, weite Moorstrecken durchquerten. Wilde Tiere, Füchse und Wölfe, fanden hier eine sichere Zufluchtsstätte und hatten auch die Wölfe unter den Menschen, die Seeräuber, hier einen sichern Schlupfwinkel gefunden. Klaus Störtebeker war direkt von Kammin hierher gesegelt. Von einem günstigen Winde getragen, lief sein Schiff, wohlbehalten durch Klippen steuernd, in den versteckt hinter Felsen liegenden Hafen ein.

Gestrüpp und Dornenhag verbargen den Eingang einer tief in die Felsen hineinragenden Höhle. In dieser fand Helga Petersdorf das Bewusstsein wieder. Sie ruhte auf einem Lager von weichen Fellen. Mattes, rotes Licht erhellte den ziemlich wohnlich eingerichteten Raum, dessen Wände mit kostbaren, doch vom Moder zerfressenen türkischen Teppichen behangen waren. Von der Decke hing an einer eisernen Kette eine Lampe herab. Helga war allein. Verwundert richtete sie sich empor und ein fast irrer Blick streifte ihre Umgebung.

Die Höhle des berüchtigten Seeräubers ist heute noch zu sehen; auch hat man viele, viele Jahre hindurch die Gestalt der unglücklichen Helga im weißen Kleide auf den Dünen zwischen Heringsdorf und Ahlbeck im ersten Morgengrauen wandeln sehen. Sobald der erste Sonnenstrahl die Gegend erleuchtete, sank die zarte Mädchengestalt zusammen. Zum letzten Male ward sie im Jahre 1820 gesehen, kurz ehe König Friedrich Wilhelm III. mit seinen Söhnen, dem nachmaligen König Friedrich Wilhelm IV. und unserm allgeliebten Kaiser Wilhelm I. die aufblühenden Fischerkolonien an der Ostsee besuchte. Zu selber Zeit erhielt Heringsdorf durch Kronprinz Friedrich Wilhelm seinen jetzigen Namen. Landhäuser, Villen, Hotels entstanden und als dann die zierliche Kirche, zum großen Teil durch königliche Freigebigkeit erbaut ward, da verschwand die wehklagende Gestalt — denn die unglückliche Helga Petersdorf hatte nun ihre Ruhe gefunden.

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Inhaltsverzeichnis
In purpurner Glut erstrahlend ging die Sonne unter. Weithin röteten sich die Fluten des Kamminer Bodden. Die Turmspitze des altehrwürdigen Domes von Kammin, die mit einem goldenen Kreuze gekrönt war, erglänzte im letzten Strahl des scheidenden Tagesgestirnes. Der Klang der Abendglocken zitterte durch die milde Luft und heilige Sabbatstille breitete sich über die Gegend aus.

Nach des Tages Last und Mühe genossen die Bürger von Kammin mit Wohlbehagen die Stunden der Ruhe, die ihnen der Feierabend bot.

Die fleißige Hand des Handwerkers ruhte, man suchte den altgewohnten Platz auf den Steinbänken neben der Haustür auf. Hier vereinigte sich, nach damaliger guter Sitte, der Hausvater mit den Seinen, denen sich das Hausgesinde anschloss, zu einer Besprechung der Tagesneuigkeiten oder man lauschte andachtsvoll der Kunde von längst vergangenen Tagen.

Doch heute schien nirgends Ruhe eintreten zu wollen. Eilfertig huschten Gestalten von einem Hause zu dem andern und ernste Männer stützten gedankenvoll das sorgenschwere Haupt mit der Hand.

Seitdem die letzte Kriegsnot überstanden, hatte sich Kammin allmählich erholt von den Schrecknissen einer wochenlangen Belagerung, doch schon wieder tauchte ein unheildrohendes Gespenst auf. Botschafter hatten heute Morgen die Nachricht eingebracht, dass die mit Recht gefürchteten Vitalienbrüder, an deren Spitze der berüchtigte Klaus Störtebeker stand, in die Gewässer der Ostsee eingelaufen und im Begriff ständen, einen Streifzug längs der Seeküste zu unternehmen.

Deshalb zogen Sorgen und Klagen in die Herzen der aufs Neue geängstigten Bürger ein.

„Wie sieht der furchtbare Klaus Störtebeker aus?“

Niemand hatte ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen, deshalb beschrieben ihn die einen als einen älteren Mann, dessen Augen scharf und durchdringend, dessen Gesicht von Narben bedeckt sei, die nur ein langer, grauer Zottelbart zum Teil verdeckte. Andere dachten ihn sich wie einen leibhaftigen Vampir oder wie ein Ungeheuer, dessen Anblick allein genügte, um ganze Scharen seiner Gegner in die Flucht zu schlagen.

So wogten Rede und Gegenrede unter den Bürgern hin und her.

Bis in die Räume der Bürgermeisterei drang indes die Unruhe nicht. Hier saß Malte Petersdorf, der allgemein beliebte Bürgermeister, in seiner stillen, nach dem Garten hinausliegenden Studierstube, den Kopf über ein vergilbtes Pergament gebeugt.

Da klopfte es leise an die Thür, und als Malte Petersdorf nicht antwortete, öffnete sich alsbald die Tür und das liebliche Gesichtchen eines ungefähr siebzehn Lenze zählenden Mädchens lugte zur Türspalte herein. Als sie den, in völliger Versunkenheit dort sitzenden Herrn erblickte, nickte sie schelmisch und flog leise wie eine Libelle zur Stube herein, um dem Lesenden neckisch von rückwärts die Augen zuzuhalten.

„Wer bin ich?“ fragte ein feines Stimmchen. „Helga — ich erkenne Dich — gib mich frei! Hier ist Dein ausbedungener Zoll!“ fuhr der ältere Herr fort, indem er die ihm entgegen blühenden Lippen des Mädchens mit einem Kusse schloss. „Väterchen, komm zu Tisch, Muhme Ursula erwartet Dich. Die Fische sind gesotten und Du weißt, sie liebt es nicht, ein Gericht Fische warten zu lassen!“

Halb gezogen von Helga stieg der Bürgermeister hinab in den Unterstock. Hier herrschte Ursula Wendelin, die Schwester seiner früh verstorbenen Gattin, als Gebieterin und wie man sich leise in der Stadt zuraunte, herrschte sie auch in despotischer Weise über das gestrenge Stadtoberhaupt.

Mit Schweigen, wie es sich gebührt, ward das schmackhafte Fischgericht verzehrt. Schon wollte der Bürgermeister sich in sein Gemach zurückziehen, als Ursula sich ihm in den Weg stellte. „Nun, Schwager, wie steht es mit Klaus Störtebeker? Er soll ja im Anzuge auf Kammin sein?“

„Glaub' es nicht, Ursula! Ich erhielt keine amtliche Mitteilung! S'ist nur eine Erfindung müßiger Schwätzer!“

„Nimm es nicht zu leicht, Malte, mein Gewährsmann ist zuverlässig — doch jetzt komm, Helga, Vater zieht es mit Gewalt zu seinen wissenschaftlichen Forschungen und alten Pergamenten, lass uns vor das Haus treten — in den Heimgarten!“

„Mich lasst aus, beste Muhme, ich — — möchte so gern mich im Garten, hinten am Wall ergehen, dort blühen die Rosen abends am schönsten! Ach, bitte, bitte, lasst mich gehen!“

„Ursula, gib ihr Erlaubnis! Junges Blut hat solche Anwandlungen, die wir älteren Leute nicht mehr verstehen!“

„Gott sei's geklagt! Ihr versteht es nicht mehr!“ erwiderte spitz Jungfrau Ursula, dem langsam dahinschreitenden Hausherrn mit geteilten Empfindungen nachschauend; dann wandte sie sich nach Helga um, doch diese war verschwunden. „Hm, ein richtiger Springinsfeld — aber es wird Zeit, dass sie ernsthaft wird. Bald werden die Freier anklopfen, Helga Petersdorf ist eine gute Partie, Kisten und Truhen sind gefüllt, der Malschatz (Aussteuer) ist bereit!“

Während Muhme Ursula über ihrer Nichte Zukunft nachdachte, eilte diese durch den Hof in den Garten. Es war eine holde Sommernacht. Am dunkelblauen, wolkenlosen Himmel stand Stern bei Stern, sie blitzten und glitzerten um die Wette, als wollten sie dem Monde, der hinter der Sanddüne der Ostsee emporschwebte, den Rang streitig machen.

Sanfte, magische Mondenstrahlen umgaukelten Busch und Baum, sie woben seltsame Lichter um die knorrigen Stämme der Obstbäume, die den Garten der Bürgermeisterei nach dem Walle hin abschlossen. Helga blickte selig lächelnd in die wunderbare Nacht hinaus, dann flog sie den Hauptweg hinab, einer kleinen, von süßduftendem Jelängerjelieber umhegten Laube zu.

Hier war es düster, nur wenige, neugierige Mondenstrahlen fanden einen Weg durch das dichte Grün — da — eine Gestalt bewegte sich in der Laube — aber, anstatt zu fliehen, eilte Helga mit freudigem Aufschrei in die Laube hinein. — Zwei Arme umschlangen die holde Gestalt und eine tief erregte Mannesstimme flüsterte: „Endlich Liebling, endlich bricht mein Glück an! Endlich sehe ich Dich — endlich halte ich Dich!“

In einem langen, innigen Kuss verlor sich des Mädchens Gegenrede, dann saßen die Beiden, sich zärtlich umschlungen haltend, auf der kleinen Holzbank, Küsse und zärtliche Worte lauschend. „Liebste, nun rückt die Zeit heran, bald trete ich vor Deinen Vater, den gestrengen Herrn Bürgermeister, ihn um seinen besten Schatz, Deine Hand, mein geliebtes Mädchen, zu bitten!“

„O, ich zähle schon die Tage, mein Otto,“ warf heiß erglühend Helga ein.

„Aber, wird es Dir nicht schwerfallen, die Bürgermeisterei zu verlassen, Du weißt, mein Häuschen am Dom ist nur klein!“

„Sprich' nicht so Geliebter, Du kennst mich und meine Liebe. Seit unserer frühesten Jugend haben wir uns liebgehabt, unsere ersten harmlosen Kinderspiele, was waren sie anders, als erwachende Liebe? Wie ritterlich beschütztest Du mich auf dem Schulweg — Du, der vier Jahr ältere, starke Sohn des Schmiedes!“ lächelte Helga, ihr Köpfchen an die Brust des Geliebten bettend.

„Und Du zarte Maid fürchtest den Ruß, den Lärm nicht, der in einer Schmiede herrscht?“

„Otto — schaue mir ins Auge — was liest Du dort?“ gegenfragte Helga.

„Liebe, heilige, treue Liebe!“ jubelte der junge Schmied auf, und sein starker Arm umfing fest und fester die zarte Mädchengestalt. „Sag' — wie lange währt es noch, bis unser süßes Geheimnis den Leuten offenbart wird? O, es war recht schön, hier vor jedes Lauschers Blick versteckt uns zu sehen, zu sprechen!“

„Doch noch schöner, Geliebte, wird es sein, wenn Du im Myrtenkranz und Schleier mir zur Kirche folgst — denke ich daran, so will mir das Herz vor Lust uns Seligkeit zerspringen!“

Helga erhob sich — „Aber nun muss ich heim, Muhme Ursula ermahnte mich, rasch zurückzukehren! Sag', wann sehe ich Dich wieder?“

„Morgen Abend, zur gleichen Stunde!“ flüsterte Otto, sein geliebtes Mädchen an sich ziehend zum letzten Abschiedskuss. „Ach, Helga, auf einmal wird mir so weh ums Herz! Horch — hörst Du nicht, wie der Totenvogel, der Uhu schreit!“

„Verbanne die Sorgen. Natürlich dringt das schrille Schreien der Vögel hierher, dort oben in der Turmluke des St. Ägidienturms, dort nisten sie — aber lasse das scheue Nachttier schreien, unsere Liebe kann durch den Schrei eines unvernünftigen Tieres nicht gefährdet werden!“

„Und dennoch, ach Helga, bange Angst erfasst mein Gemüt — müsste ich Dir entsagen — dann ist mir der Tod willkommen!“

„Otto, welche seltsame Idee. Ich bin und bleibe Dir treu, so gewiss die goldenen Sterne auf uns hernieder blicken, aber nun schlaf wohl — leb' wohl, gedenke mein!“ Einen innigen Kuss auf seine Lippen drückend, riss sich Helga aus seinen Armen. Otto blieb im Eingang der Laube stehen, er schaute der lichtumflossenen Gestalt nach, bis sie im Hoftor verschwand.

„Meine Helga — mein Glück — mein alles!“ flüsterte der junge Schmied. Kraftvoll umspannten seine Hände einen Baumstamm: „Wollte man Helga mir rauben — den Räuber zerschmetterte ich, wie diesen Stamm!“

Krachend zerbarst der Stamm in tausend Splitter und Otto verließ den Garten am Wall.

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Auf der Höhe des Kamminer Bodden schaukelte sich anderen Tages ein schlankes Fahrzeug. Niemand hatte es kommen sehen, plötzlich war es da — zum Staunen aller deren, die diese Kunde nach dem Hafen lockte.

Offenbar war es aus der Ostsee, die Dievenow entlanggekommen. Das Deck war aufgeräumt — doch leer. Die Segel waren gerefft, das Steuer mit Tauen festgebunden; so lag es vor Anker. Von der Mannschaft des Schiffes war jedoch keine Spur zu entdecken.

Immer mehr Neugierige sammelten sich auf dem schmalen Pfad, der unterhalb des Walles sich hinzog. Man setzte Boote in Bereitschaft, um hinaus an das Schiff zu rudern, da — mit dem zehnten Glockenschlag entstand eine Bewegung auf dem Schiff. Mehrere Gestalten entstiegen der Kajüte, allen voran ein schlanker, hochgewachsener Mann, dessen edler Anstand und vornehme Kleidung den Besitzer des Schiffes kennzeichneten.

Auf seinen Befehl ward ein Boot fertiggemacht, er selbst sowie zwei Matrosen stiegen ein und nahmen ihren Kurs dem Ufer zu. „Wer mag das sein? Gewiss ein Fürst — ein vornehmer Graf!“ so flog es flüsternd durch die Menge, die aufmerksam dem Vorgang folgte.

„Führt mich zum Bürgermeister!“ befahl der Fremde.

Rasch drängte die Menge seitwärts, ihm so eine Gasse bildend, die er, als sei er es nicht anders gewohnt, hoch aufgerichtet durchschritt.

Alle Welt staunte die Prachtgewänder des Fremdlings an, so entging ihnen der Ausdruck von Spott und Hohn, der seine Lippen umspielte — einen Moment nur, dann wieder lächelte er verbindlich seinen Führern zu. Bald stand er vor Malte Petersdorf, den er fast um Kopfeslänge überragte.

„Ich komme um Ihre Gastfreundschaft zu erbitten! Mein Schiff erhielt einen Leck, deshalb verließ ich das offene Meer, hier im Bodden können Wind und Wellen meinem Schiff weniger schaden!“

„Gewiss, Ihre Gnaden sind uns willkommen,“ erwiderte der Bürgermeister. „Und fleißige Hände, das Schiff auszubessern, gibt es in der Stadt!“

„Ich danke. Mein Name ist Don Guzmann, ich komme aus Hispania. Da ich viel von den Altertümern gehört, die diese Stadt birgt, so wird mir die Wartezeit nicht lang werden!“

„Aber vor Allem genehmigt einen Willkommenstrunk!“ bat Malte Petersdorf, in dessen Seele das Wort „Altertümer“ gezündet hatte.

„Ursula — Helga — bringt Wein und Imbiss herbei!“ rief er ins Unterstockwerk hinab.

Inzwischen beschaute der Fremde seine Umgebung. Da gab es auf langen Borden vortreffliche Bücher und Pergamente, daneben in Schränken goldene Humpen und seltene Gefäße, bei deren Anblick sich Don Guzmanns Antlitz zusehends aufhellte.

„Ich preise mich glücklich, in das Haus eines so wackeren Mannes und Gelehrten gekommen zu sein!“ So weit war Don Guzmann in seiner Rede gekommen, als eine Tür ihm gegenüber sich öffnete und Helga, ein Brett mit Gläsern und Krügen in der Hand haltend, gefolgt von Ursula mit Brot und kaltem Frisch, trat ins Zimmer, sich züchtig vor dem Fremden verneigend.

Dieser stutzte und ein Ausruf des Staunens und der Bewunderung löste sich von seinen Lippen.

„Meine Tochter Helga — Ursula, meine Schwägerin! Kind reiche dem Herrn die Hand zum Willkommen!“

Klirrend setzte Helga das Glasgeschirr auf den Tisch, dann trat sie mit schüchtern zu Boden gesenkten Blicken näher.— ein Gefühl der Furcht beschlich sie.

„Ängstigt Euch nicht, schöne Jungfrau, ich tue Euch nichts zu Leide!“ entgegnete der Fremde sanft. „Ich schaue Euch an, wie der Pilger ein gnadenbringendes Madonnenbild!“

Helga versuchte ein mattes Lächeln um ihre Lippen zu zwingen, Furcht und Grauen erfassten sie, die seltsame, stumme Sprache seiner Augen tat ihr weh — noch niemals hatte sie solch heiße, ihre ganze Seele in Aufruhr jagende Blicke auf sich ruhen gefühlt.

Immer glühender funkelten die schwarzen Augen des Fremdlings dem in seiner Verzagtheit doppelt schönem Mädchen entgegen.

„Einen holden Schatz birgt das altersgraue Haus!“ wandte sich Don Guzmann an Malte Petersdorf, „glücklich der Mann, dessen Hand dies zarte Röslein einst pflücken darf!“

„Vater, erlaubt mir zu gehen!“ bat Helga, deren Angst sich steigerte, denn ihre reine Seele fühlte instinktiv die Gefahr, die ihr von diesem Manne drohte.

„So geh, Helga — entschuldigt das Kind, sie ist noch nicht gewohnt, mit Männern zu sprechen!“

Ein Glück für das junge Mädchen, dass sie den Blick nicht sah, der ihr folgte. Unverhülltes Verlangen, ungestüme Leidenschaft loderte darin auf.

„Bist Du ein töricht Mädchen!“ schalt auf dem Hausflur nun Muhme Ursula, „den vornehmen Herren mit Deinem schnöden Benehmen zu erzürnen. Ich sah es ja, Du gefielst ihm, bedenke das Glück, wenn solch vornehmer Herr um Dich freite!“

Helga erbleichte — dann rief sie laut: „Nie — niemals werde ich diesem Fremdling meine Hand zum Ehebunde reichen. Ich fürchte ihn, und er ist böse von Herzen, dies steht in seinen Mienen geschrieben. Muhme Ursula, Du bist so klug und siehst das Mal auf seiner Stirn nicht, mit dem ihn der Böse gezeichnet!“

„Närrin, was so ein Kindskopf für Torheiten ausdenkt. Der vornehme Spanier und gezeichnet vom Bösen? S'ist zum Lachen, aber ich weiß,“ fuhr sie strenger fort, „was Dir im Kopfe steckt: der Otto, der schwarze, rußige Schmied, s'ist zum Lachen, aber ich sage Dir, so lange meine Stimme im Hause noch etwas gilt, so lange sage ich: Nein, nein, dreimal nein. Aus Dir und diesem Habenichts wird nie und nimmer ein Paar! Und damit basta — nun geh' an Dein Spinnrad!“

Zerschmettert durch Muhme Ursulas letzte Worte schlich sich Helga in ihr Stübchen. Dort am Efeu überzogenen Fenster stand ihr Spinnrad; doch heute schnurrte es nicht mit den frohen Liedern der sonst so lustigen Helga um die Wette.

Mit feuchten Augen, blassen Wangen saß die junge Spinnerin dort, und trübe Gedanken waren es, die sie in das feine, goldig glänzende Gespinst einspann.

Es war Abend geworden: das Schiff schaukelte sich draußen auf den leicht vom Abendwind bewegten Wellen. In dem stillen Studierstübchen des Bürgermeisters saß Don Guzmann und unterhielt sich mit diesem über gelehrte Dinge.

Im Laufe des Nachmittags hatten sie die kostbaren, bei der letzten Belagerung aus den Händen der Schweden geretteten, wertvollen Altarkleinodien beschaut, die in festen eichenen Schränken in versteckten Gängen des Domstiftes ausbewahrt wurden.

Für alles zeigte Don Guzmann reges Interesse, und schläferte so die Wachsamkeit Malte Petersdorfs ein, sodass dieser nicht merkte, wie der Fremde sich Notizen machte und flüchtig hingeworfene Pläne der unterirdischen Kirchengänge zeichnete.

Schon dunkelte es stark, als Don Guzmann sich von seinem freundlichen Wirt empfahl. Nach allen Seiten schaute er nach Helga aus, doch nirgends war eine Spur von der lieblichen Maid zu entdecken. So eilte er die Straße entlang und da er sich in der Dunkelheit verirrte, so stand er alsbald, anstatt am Hafen, an einer schmalen Straße, die, von Bäumen eingefasst, längs dem Walle hinführte. Da der Abend verlockend schön und Don Guzmann keine Lust zum Schlafengehen verspürte, so schritt er die Straße entlang. Vor ihm her eilte eine schlanke Männergestalt, die plötzlich vor ihm verschwand. Darauf vernahm Don Guzmann den gedämpften Schrei eines Weibes — er stutzte — diese liebliche Stimme erschien ihm bekannt.

„Sonderbar — überall höre ich Helga, der Lieblichen Stimme, überall schwebt mir ihr teures Bild vor!“

Seine Neugierde war erwacht und da er dicht vor sich ein nur angelehntes Gattertor erblickte, so schritt er schnell entschlossen in den Garten hinein. Tiefe Stille umgab ihn, und schon wollte er sich zurückziehen, als ein Name an sein lauschend Ohr schlug, der ihn veranlasste, vorsichtig näher zu schleichen. „Helga, geliebtes Mädchen, Du hast geweint, noch sehe ich die Spuren auf Deinen Wangen und hier trinken meine Lippen die letzte Träne von Deinen Augen. Vertraue mir, hat Muhme Ursula Dich gekränkt?“

„Ach Otto, viel, viel Schlimmeres, als Du denken kannst ist geschehen! Du weißt, ein fremdes Schiff.“

„Was bedeutet uns und unserer Liebe dies Schiff?“

„Aber seinen Besitzer, Don Guzmann, ihn fürchte, denn er ist böse, sehr böse. Dies lese ich in seinen Mienen wie in den Blättern eines aufgeschlagenen Buches!“

Des Lauschers Antlitz überflog ein hämisches Lächeln. „Der Engel wittert den Teufel in mir! Aber diese Erkenntnis hilft ihr nichts — sie wird mein, bei der ewigen Verdammnis sei es geschworen. Doch hören wir weiter!“

„Nun und was will dieser Don Guzmann?“

„Muhme Ursula meint, er käme als Freier für mich!“

„Für Dich — Helga — dies leide ich nicht! Mein bist Du, mein bleibst Du!“ rief Otto aus.

„Geliebter, zweifle nicht, Dich allein liebe ich; aber wir müssen vorsichtig sein, Muhme Ursula scheint unser Geheimnis ausspioniert zu haben, ich fürchte, sie kennt Ort und Zeit, weiß dass wir uns heimlich treffen!“

„Gut, dann bleibt mir nur eines übrig. Übermorgen, am Sonntag, komme ich zu Deinem Vater, Deine Hand zum Ehebund zu erbitten!“

„Ja — tue dies, Otto. Bis dahin verlebe ich keine ruhige Minute mehr. Ehe nicht der feierliche Verspruch getan, fühle ich mich nicht sicher und dann ist es Dein gutes Recht, mich vor den bösen Blicken jenes Mannes zu schützen!“

Wieder lächelte der heimliche Lauscher — so hämisch wie der Gottseibeiuns selbst!“

„Morgen zur selben Zeit treffe ich Dich hier im Garten; wir wollen besprechen, wie wir am besten Deinen Vater für unsere Liebe gewinnen, es wird schwerhalten, er ist der hochmächtige Bürgermeister, mein Vater war ein armer Schmied!“

„Verlasse Dich auf meine treue Liebe und auf Vaters gutes Herz — er gibt uns seinen Segen!“

„Wenn ihm Zeit dazu bleibt! Meine Schöne!“ flüsterte Don Guzmann, es wird schon Mittel und Wege geben, diesem Herrn Otto zuvor zu kommen. Hier heißt es sich sputen, Eile ist nötig, denn ich will nicht allein das schöne Mädchen gewinnen, sondern ich will auch die goldenen Eier mitnehmen, die in den Schränken der unterirdischen Gänge von Moder und Rost angefressen werden. Hm — also der rußige Schmied macht mir das Liebchen streitig — gut, dass ich dies erfahren, der Teufel ist seinen Anhängern gefällig, er selbst leitete meine Schritte hierher!“

Dann entschwand die Gestalt in der zunehmenden Dunkelheit, ohne dass die Liebenden eine Ahnung von dem Lauscher erhielten.

Flüchtigen Schrittes eilte Don Guzmann nach dem Hafen; dort lag schon ein Boot bereit, ihn ohne Aufenthalt nach seinem Schiff zu bringen. Niemand beobachtete die geschäftige Unruhe, die unter dem Schutze der Nacht sich auf dem Schiffe des Spaniers entwickelte. Die Kajütentreppe herauf quollen Schaaren bewaffneter Männer, das Deck füllend. Aufmerksam lauschten sie den Worten des angeblichen Don Guzmann. Dazwischen klirrten Waffen und Boote wurden bereit gemacht, um die Männer ans Land hinüber zu bringen.

Ein dichter Wald, von dem heute keine Spur mehr vorhanden, zog sich seitwärts der Stadt hin; dort fanden sie ein sicheres Versteck.

Ehe der nächste Morgen graute, war die Ausschiffung vollendet und das fremdländische Schiff lag wieder so still wie vorher vor Anker. Selbst Don Guzmann verließ das Schiff nicht; er sandte einen Boten an den Bürgermeister mit der Meldung, dass er zufolge einer leichten Unpässlichkeit für den heutigen Tag die Gesellschaft seines verehrten Freundes entbehren müsse.

Helga atmete wie befreit auf und erwartete nun voller Ruhe den Abend, der ihr eine letzte geheime Zusammenkunft mit Otto bringen sollte. Tante Ursula war in Küche und Keller beschäftigt, sie traf Vorbereitungen für ein leckeres Mahl, bestimmt, die sonntägige Tafel zu zieren.

Nur langsam für ihre Ungeduld verging der liebenden Helga der Tag — ihre Augen verfolgten den Lauf des Tagesgestirns, schier gar zu langsam stieg es am Himmelsbogen hinab.

Endlich senkte der Abend sich herab, und nun konnte Helga ihrer liebenden Ungeduld nicht länger gebieten; sie huschte hinaus in den Garten — doch — immer tiefer sanken graue Dämmerschatten hernieder, die Glocken verkündeten die neunte Abendstunde, und noch immer war Otto nicht erschienen.

„Sollte ihm ein Unglück zugestoßen sein?“ fragte sich Helga, voller Unruhe den kurzen Weg zur Wallpforte ausspähend — da — Schritte — eilige Männerschritte näherten sich. Schelmisch lächelnd zog sich Helga in die Laube zurück, sie ergriff ein Körbchen, gefüllt mit Rosenblättern, diese wollte sie Otto entgegenstreuen, da — ein Schrei — nicht der Freude, nein, des Schreckens, rang sich von ihren erbleichenden Lippen; nicht der erwartete Otto, sondern der gefürchtete Don Guzmann stand vor der mit einer Ohnmacht ringenden Helga. Die Rosenblätter entsanken ihrer erhobenen Hand, als sie das teuflisch lächelnde Gesicht des Fremdlings erblickte.

„Ah, Täubchen, fürchte Dich nicht, zwar Dein zärtlich girrender Tauber ist es nicht, der Habicht kommt, Dich in seine Fänge zu nehmen — hier gilt kein Entrinnen, mein bist Du — mein bleibst Du!“

Starr, vor Entsetzen stumm, hatte Helga diesen Worten gelauscht, dann aber, wie aus einem Zauberbann erwachend, rief sie laut: „Juble nicht zu früh, mein Retter naht — fürchte den Zorn meines Freundes!“

„Mich fürchten, ich den rußigen Schmied — dafür ist gesorgt — der kommt nimmer zum Stelldichein!“

„Otto, wo ist er — wo weilt er?“

„Für ihn ist gesorgt — längst trägt ihn ein leckes Boot hinaus auf das offene Meer!“ Das junge Mädchen sank jammernd auf die kleine Holzbank. Don Guzmann lauschte. In der Stadt erhob sich wildes Geschrei — bis hierher in den stillen Garten vernahm man streitende Stimmen.

„Sie sind bei der Arbeit!“ murmelte er, „meine Jungen haben flinke Füße! Aber nun komm, mein Täubchen, damit ich Dich in Sicherheit bringe!“ Und ohne sich an Helgas Angstrufe zu kehren, nahm er die leichte Mädchengestalt auf den Arm und eilte mit ihr durch eine Seitengasse nach einem seitwärts gelegenen Tore; dem sogenannten Bautor. Hier lag seit Stunden ein Boot für ihn bereit.

„Schnell, stecht in See!“ befahl er und dahin flog das Boot, während die Wellen sich gurgelnd am Uferrand brachen. Helga lag, die Sinne durch eine gnädige Ohnmacht verhüllt, im Arm des Spaniers — da — leuchtete es grellrot über das dunkele Wasser, mehrere Häuser flammten gleich weithin strahlenden Fackeln auf, während ein großer Haufe Bewaffneter zum Ufer eilte.

Laut wimmerte ihnen die Sturmglocke nach, die Männer sprangen in bereitstehende Boote und ehe die nachsetzenden Bürger dies verhindern konnten, schwammen sie schon auf dem Bodden, ihrem sicheren Schiffe zu. „Verrat! Verrat! Feuer! Räuber!“ gellte es wild durcheinander. Da segelte das Schiff so nahe als möglich ans Land. Auf dem Reiling ward eine schwarze Gestalt sichtbar, hinter der, wie durch Zaubermacht Fackelträger erstanden und eine mächtige Stimme rief laut, sodass sie den Lärm in der Stadt und das Branden der Wellen übertönte:

„Ich grüße Dich, Bürgermeister von Kammin, ich, der Klaus Störtebeker, nehme Deine besten Schätze mit nur. — Hier, sieh her.“

Eine weiße Gestalt lag in des Seeräubers Armen.

„Helga — meine Helga. Wer rettet mein Kind!“

Das Versteck im Ostseesand

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Schatzkiste am Ostseestrand

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Zweikampf um den Kapitänsposten

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Schatzgräber in den Dünen

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Piraten fordern ihren Tribut von den Bewohnern einer eroberten Stadt

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