Klassiker der Kunst VELAZQUEZ

IN 256 ABBILDUNGEN
Autor: Velázquez, Diego (1599-1660); Gensel, Walter (1870-1910); Loga, Valerian (1861-1918), Erscheinungsjahr: 1914

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Maler, Kunst, Künstler, Gemälde, Porträts, Malerei,
VORWORT

Wie bei der neuen Auflage des Rembrandtbandes, hat sich die Verlags-Anstalt in Übereinstimmung mit dem Bearbeiter entschlossen, die biographische Einleitung, mit der sich der leider zu früh verstorbene Walter Gensel ein stolzes Denkmal gesetzt hat, unverändert wieder abzudrucken. Bei der Anordnung der Tafeln ist insofern eine Neuerung eingetreten, als in eine zum Teil neue und für manchen vielleicht befremdende historische Reihenfolge auch die nicht in originaler Ausführung erhaltenen Bilder einrangiert und neben die anerkannten Originale Atelierwiederholungen und Kopien zum bequemeren Vergleichen des Benutzers gestellt sind.

        Berlin, den 25. August 1913

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Von allen Werken der bildenden Kunst bieten die des Velazquez am wenigsten Stoff zu literarischen Ergüssen. Fünf oder sechs eigentlich religiöse Bilder, eine Darstellung aus dem Alten Testament, ein paar Mythologien, ein einziges großes Historienbild und eine mitten aus dem Leben gegriffene Szene, endlich ein paar Landschaften und Jagdbilder — alles übrige sind Bildnisse, und obendrein Bildnisse von Personen, die uns wenig sympathisch sind oder von denen wir so gut wie nichts wissen. Und doch bedürfen wiederum die Abbildungen nach keinem andern Meister so sehr der Erläuterung. Denn keines andern Vorzüge kommen in Schwarz und Weiß so wenig zu ihrem Recht.

Die Ehrfurcht, die bei uns von allen dem Namen Velazquez gezollt wird, hat beinah etwas Unbegreifliches. Wir besitzen in Deutschland Hauptwerke von Tizian und Correggio, von Dürer und Holbein, von Rubens und Rembrandt. Wir nennen die Sixtina unser. Und es gibt kaum mehr einen Gebildeten, der sich nicht rühmen könnte, wenigstens bis Florenz gedrungen zu sein. Ganz anders steht es bei dem großen Spanier. Der Berliner Katalog weist ein halbes Dutzend Bilder unter seinem Namen auf, aber kaum eins wird allgemein als ganz eigenhändig anerkannt. Dresden besitzt zwei vortreffliche Bildnisse, die aber von den farbigen Reizen seiner Hauptwerke nichts ahnen lassen und überdies unter der Fülle italienischer und niederländischer Meisterwerke kaum beachtet werden. Ähnlich steht es in München und Frankfurt. Viele mögen die Werke in Wien, Paris und London gesehen haben. Aber auch hier wird noch so viel über Echtheit und Unechtheit oder Zutaten von fremder Hand gestritten, dass der Besucher mehr durch Fragezeichen verwirrt als wirklich unterrichtet wird. Und selbst wenn man die unzweifelhaften Werke aus allen diesen Städten zusammenfasste, wie viel Lücken blieben auch dann noch in dem Bilde! Trotzdem wird jeder Velazquez mit nennen, wenn er nach den größten Malern gefragt wird. Viel mag hier die Autorität Karl Justis mitwirken, der dem Meister eins der großartigsten Bücher der neueren Kunstgeschichte gewidmet hat, viel die enthusiastischen Berichte der Madridfahrer, viel aber auch die Entwicklung der modernen Kunst. Fragt man unsre Maler, woher sie den breiten und doch lockeren Pinselstrich, die vornehmen kühlen Harmonien haben, immer wird Velazquez genannt. Freilich haben sie seine Art oft übertrieben und noch öfter missverstanden.

Wer Velazquez kennen will, muss Madrid sehen. Nicht nur, weil sich dort fast alle seine Hauptwerke befinden, sondern weil aus der ganzen Umgebung seine Art erst verständlich wird. Kastilien ist kein Land von südlichem Gepräge, wenn es auch unter dem Breitengrade von Neapel liegt. Ein kahles Hochplateau fast ohne Baum und Strauch, über das lange Monate hindurch raue Winde vom Guaderramagebirge her wehen, während die Sommerhitze fast noch unerträglicher wirkt als in den heißesten Gegenden Italiens, das ist die Umgegend von Madrid. Nicht an Orangen und Palmen, nicht an ein ewig vergnügtes Völkchen darf man denken. Ernst und herbe ist die Landschaft, ernst und fast mürrisch, dabei zum großen Teil von einem dünkelhaften Hochmut beseelt, der sie nichts lernen und nichts vergessen lässt, sind ihre Bewohner.

Die Heimat unsers Meisters ist allerdings nicht Madrid, sondern Sevilla, die Hauptstadt Andalusiens, die sich damals als Vermittlerin des Handelsverkehrs zwischen der Alten und Neuen Welt zu einem der reichsten Orte Europas aufgeschwungen, dabei aber ihren halborientalischen Charakter nicht eingebüßt hatte. Hier wurde er am 6. Juni 1599, der Sitte gemäß vermutlich nur wenige Tage nach der Geburt, getauft und erhielt den Namen Diego. Sein Vater, Juan Rodriguez de Silva, entstammte angeblich einem alten portugiesischen Adelsgeschlecht; der Name Velazquez, den er wie üblich mit dem Vatersnamen zusammen führte, gehörte seiner Mutter Geronima zu, deren Familie ebenfalls zum niederen Adel gezählt wurde. Nachdem er eine Zeitlang die lateinische Schule besucht hatte, wo „seine Schulhefte ihm schon als Skizzenbücher dienten", wurde er als etwa dreizehnjähriger Knabe zu Francisco de Herrera in die Lehre gegeben, in dem die Spanier wegen seiner großzügigen und energischen, im Alter beinah wilden Zeichnung und Malerei den Befreier von der Gebundenheit ihrer älteren Kunst und den Begründer der eigentlichen spanischen Schule feiern. Wie er aber als Menschenfeind und unverträglicher Charakter fast alle seine Schüler und selbst seine Söhne von sich stieß, so konnte er auch den jungen Velazquez nicht lange fesseln. Schon nach einem Jahre ging dieser zu dem sanften Pacheco über, der ihn bald zärtlich in sein Herz schloss und dessen Schwiegersohn er später werden sollte. Pacheco, ein Schüler von Luis Fernandez, der wiederum ein blasser Nachahmer der Raffaelschule war, schuf matte cinquecentistische Historien und verdankt seinen Ruhm eigentlich nur seiner „Arte de la Pintura". Aber er war ein feingebildeter, liebenswürdiger Herr, der seinen Schülern eine gute Grundlage zu geben wusste und im übrigen die Entwicklung ihrer Individualität nicht zu hemmen suchte. Seiner Schulung hat es unser Meister zu danken, dass seine Bilder bei der freiesten malerischen Behandlung nie die zeichnerische Sicherheit vermissen lassen.

Es ist wunderbar, dass dieselbe Stadt in derselben Zeit zwei strahlende Malererscheinungen hervorgebracht hat, die fast Gegenpole am Kunsthimmel bedeuten, den Maler der verzückten, weltentrückten Madonnen, Murillo, und den ganz auf die Wirklichkeit gerichteten Velazquez. Allerdings hat ja Murillo neben seinen Immakulaten auch Gassenbuben gemalt, aber so treu ihre Haltung und selbst der Schmutz ihrer Hände und Füße wiedergegeben sind, durch die Behandlung des Lichtes und der Farbe werden sie doch in eine ideale Sphäre gerückt, und überdies fehlt fast nie ein humorvoller anekdotischer Zug. Velazquez dagegen ging mit fast nüchterner Sachlichkeit der Natur zu Leibe. Er hat alles aus dem dargestellten Gegenstand herausgeholt, aber selten etwas von seiner Seele hineingelegt.

Es ist erstaunlich, wie schnurgerade und unbeirrbar der Meister seinen Weg gegangen ist. Von seinen frühesten Porträtzeichnungen scheint nichts erhalten zu sein. Dagegen besitzen wir von ihm eine Anzahl Küchenstücke (Bodegones), wie sie von den Niederländern schon fünfzig Jahre vorher gemalt worden waren. Was bei diesen Bildern im Gegensatz zu seinen späteren Werken zunächst auffällt, ist der Mangel an Leben und Bewegung. Die Haltung der Figuren hat etwas Versteinertes, sie harren geduldig in der Stellung aus, in die sie der Maler gebracht hat. Der Wasserverkäufer (017), die Köchin (009) machen nicht den Eindruck von Momentaufnahmen, sondern von lebenden Bildern. Befremdend ist ferner die sehr dunkle Färbung und die starke Schattenwirkung. Der junge Künstler zeigt sich als ein echter Tenebroso. Vielleicht aber erklärt sich dies nicht aus der Nachahmung italienischer Vorbilder, sondern durch die schlechte Beleuchtung seines Ateliers, in dass das Tageslicht nur durch ein hochgelegenes kleines Fenster zwischen dicken Mauern einfiel. Die Malerei ist hart und schwerflüssig, der Auftrag zumal in den Lichtpartien sehr pastos. Aber wie untrüglich sieht das Auge und wie treu übersetzt die Hand das Gesehene! Die Wasserkrüge beim Aguador, einem damals in Sevilla allgemein bekannten Korsen, die Eier und Küchengeräte der Köchin sind neben die besten Stillleben aller Zeiten zu stellen. Außer diesen beiden Werken werden jetzt vor allen noch zwei ziemlich allgemein als echt angesehen: die beiden armen jungen Männer, von denen der eine, eine Schale zum Munde führt, während der andre über dem Tische eingenickt ist, auf dem noch die Reste ihres höchst frugalen Mahles zu sehen sind (008), und das Frühstück in der Petersburger Galerie (004). Ein technisch noch unbeholfenes, also wohl noch früher anzusetzendes Bild (001) ist kürzlich für die Berliner Galerie erworben worden, ein längere Zeit verschollen gewesenes, „Der Winzerbursche" (003), jetzt wieder aufgetaucht.

Dieselben starken Kontraste von Licht und Schatten und dieselbe erdige Färbung finden wir auch bei den religiösen Bildern dieser Zeit. Zu ihnen führt uns das merkwürdige Bild „Christus bei Martha und Maria" hinüber, das im Vordergrunde eine Küchenszene darstellt, während wir den biblischen Vorgang nur durch eine Öffnung im Hintergrund erblicken (010). Die alte Frau, die das junge Mädchen auf etwas aufmerksam zu machen scheint, ist dasselbe Modell wie die Eier backende Köchin. Ganz auf dem religiösen Gebiete befinden wir uns bei der „Anbetung der Könige" in Madrid (014 u. 015). Hier hat die Kellerbeleuchtung ihren stärksten Grad erreicht. Grell fällt das Licht von links in den gewölbten Raum, der wie der Eingang zu einer Höhle anmutet, auf die Madonna und das ganz in Windeln gewickelte Bambino, für das der Künstler vielleicht sein erstes Töchterchen als Modell benutzt hat. Die Gesichter der Könige erhalten so geradezu etwas Skulpturales. Die Farben bilden den von Pacheco gerühmten Dreiklang Blau, Gelb, Rot, sind aber mannigfaltig nuanciert, durch die Zeit überdies etwas verändert. So steht das Karmin der Maria zu dem Rot des Negers, das Gelb des Kindes zu dem Gelbbraun des Mannes links vorn, das grünliche Hellblau bei diesem zu dem Dunkelblau des Rockes der Maria in eigentümlicher Wechselwirkung. Die Londoner Anbetung (225) wird jetzt ziemlich allgemein dem Zurbaran gegeben, über andre Stücke sind die Meinungen noch geteilt, so besonders über den hl. Petrus in der Höhle (013). Nur noch eine Ruine ist das Bild mit der Madonna und dem hl. Ildefonso im erzbischöflichen Palast zu Sevilla (021). Von Bildnissen aus dieser Zeit kennt man nur den jungen Mann mit der Halskrause in Madrid (016). Da aber von Velazquez jede Figur der religiösen Bilder und Küchenstücke mit voller Ähnlichkeit gemalt worden ist, so hat es ihm an Vorübungen auf dem Gebiete nicht gefehlt, auf dem er später die höchsten Ehren einheimsen sollte.

Velazquez 000 Selbstbildnis des Velazquez, um 1630

Velazquez 000 Selbstbildnis des Velazquez, um 1630

Velazquez 000 Titelblatt

Velazquez 000 Titelblatt

Velazquez 017 Der Wasserverkäufer von Sevilla, um 1620

Velazquez 017 Der Wasserverkäufer von Sevilla, um 1620

Velazquez 009 Die alte Köchin, um 1618

Velazquez 009 Die alte Köchin, um 1618

Velazquez 008 Zwei junge Männer bei der Mahlzeit, um 1618

Velazquez 008 Zwei junge Männer bei der Mahlzeit, um 1618

Velazquez 004 Das Frühstück, um 1618

Velazquez 004 Das Frühstück, um 1618

Velazquez 001 Musikanten, um 1617

Velazquez 001 Musikanten, um 1617

Velazquez 003 Der Winzerbursche, um 1617

Velazquez 003 Der Winzerbursche, um 1617

Velazquez 010 Christus im Hause der Martha, um 1619

Velazquez 010 Christus im Hause der Martha, um 1619

Velazquez 014 Die Anbetung der Könige, um 1619

Velazquez 014 Die Anbetung der Könige, um 1619

Velazquez 015 Die Anbetung der Könige, (Ausschnitt)  um 1619

Velazquez 015 Die Anbetung der Könige, (Ausschnitt) um 1619

Velazquez 225 Die Anbetung der Hirten, Zurbaran

Velazquez 225 Die Anbetung der Hirten, Zurbaran

Velazquez 013 Der heilige Petrus, um 1619

Velazquez 013 Der heilige Petrus, um 1619

Velazquez 021 Die Madonna reicht dem heiligen Ildefonso das Messgewand, um 1621

Velazquez 021 Die Madonna reicht dem heiligen Ildefonso das Messgewand, um 1621

Velazquez 016 Bildnis eines Mannes, um 1619

Velazquez 016 Bildnis eines Mannes, um 1619