Älteste Bewohner des Nordens

Asiens Hochland, die Bergrücken und Täler des Kaukasus, waren, so weit die Forschungen der Geschichtsschreiber des Nordens hinaufreichen können, die Gegenden, aus denen in der Nacht der Vorzeit die Stämme auszogen, welche endlich, nach langen Wanderungen, und vielleicht oft aus südlicheren Sitzen, die sie sich gewählt hatten, von benachbarten Völkern oder nachrückenden Stämmen verdrängt, die Küsten der Ostsee und die Gestade des nördlichen Ozeans erreichten. Der schon bei Strabo vorkommende Name der Aspurgianer *), welche auch Alanen hießen, sich selbst aber Asen nannten, führt auf eine nähere Spur vom Ursprünge eines Teiles der nordischen Völker; und neuere Reisende haben in den Gegenden, die noch von den Nachkommen dieses Volks bewohnt werden, mehr als ein Zeichen ihrer Verwandtschaft mit den alten Skandinaviern entdeckt **). Aber nur der Gotische Stamm scheint seinen Ursprung aus dieser Quelle herleiten zu können ***). Nicht also die Völker, welche, ungewiss, aus wie vielen Stämmen sie bestanden, schon früher festen Fuß im Norden gefasst hatten, und, obgleich auch asiatischen Ursprungs, doch mit den edleren Söhnen des Kaukasus auf keine Weise verwandt waren. Nur die Mythen der beiden Edda'en ****) geben uns einige Fingerzeige über die ältesten Bewohner von Skandinavien. Aber, so wie die Fabelsagen von den Urbewohnern Griechenlands den Geschichtsforscher in seinen Untersuchungen leiten, und, wo das Licht ihm fehlt, wenigstens eine schwache Dämmerung hervorbringen können: so lernen wir auch aus den Sagen der Nordischen Vorzeit Thußen, Jetten und vorzüglich Trolde als die frühesten Völker, besonders des höchsten Nordens, kennen; und wir irren uns kaum, wenn wir die jetzigen Finnen und Lappen für ihre Abkömmlinge halten, ihren Ursprung aber, wie den der Mongolen und Tataren, in den Thyrsageten und Massageten der alten Geschichte suchen.

Mit diesen rohen Söhnen der Natur, die wahrscheinlich troglodytisch in den Gebirgsklüften und unter der Erde wohnten, im äußersten Elende lebten und kaum die allerersten Begriffe von einem gesellschaftlichen Zustande aufgefasst hatten, wurden die neuen Ankömmlinge aus Asten schon in den frühesten Zeiten in Kriege verwickelt, deren Vorfälle zwar von keiner Geschichte erzählt werden, deren Wirklichkeit aber aus vielen Mythen unwidersprechlich erhellt. Und dass jene Stämme, wenn gleich oft von den gebildeteren Stämmen des Kaukasus überwunden, doch viele Jahrhunderte hindurch nicht ganz bezwungen wurden, sondern noch oft aus ihren unzugänglichen Schlupfwinkeln in den Gebirgen ihre Verfolger überfielen und sich ihnen durch Raub und Mord furchtbar machten, zeigen eben jene dunklen Sagen, in welchen Thußen, Jetten und Trolde als unterirdische Dämonen und mächtige Gebirgsgeister, und zugleich immer als die unversöhnlichsten und gefährlichsten Feinde der Götter des Nordens vorgestellt werden.


*) Strabo L. XI. c. 2. §. 11. ed. Tzuchucke Tom. IV. p. 385. Die Sitze der Aspurgianer waren zwischen den Städten Phanagoria und Gorgippia in der Chersonesus Taurica. Der mit dem Namen dieses Volks verwandte Beinahme ... findet sich auf einer bosporanischen Münze eines Königs Kotys. ... Dieser Kotys, der als Überwinder der Aspurgianer jenen Beinamen angenommen zu haben scheint, hat wahrscheinlich früher gelebt als der Kotys, der bisher der Erste hieß. Nördlicher als die Aspurgianer, im jetzigen Resan, kannte Ptolemäus das Volk der Asäer. Noch zu unserer Zeit findet man auf dem Kaukasus einen Stamm, den die Tataren Oß, und die Russen Osseten nennen. Selbst gibt er sich die Namen Ir oder Iron, d. i. Meder. Klaproths Reisen in den Kaukasus und nach Georgien II. S. 586. Auch scheint der Ursprung dieses Volks wirklich Medisch zu sein. Klaproths Kaukasische Sprachen. Ebendas. S. 179. Genauere Nachrichten und Vergleichungen der Sprachen der Kaukasischen Völker mit der Nordischen haben wir vom Prof. Rask nach seiner Zurückkunft aus Asien zu erwarten.

**) Suhm om de Nordiske Folks äldste Oprindelse S. 93 und anderwärts.

***) Der Unterschied, den Suhm und Schöning zwischen Goten und Jothen, als zwei verschiedenen Völkern, machen, kann, meines Erachtens, nie historisch erwiesen oder nur wahrscheinlich gemacht werden. Schöning selbst gesteht, dieser Unterschied habe anfangs nicht Statt gehabt, sondern sei in der Folge erst aufgekommen, und besonders nach der Ankunft des dritten Odins im Norden vergrößert worden. Norges Riges Historie II, S. 337

****) Über die Ausgaben der beiden Edda'en und die übrigen Quellen und Hilfsmittel zur Kenntnis der Religionen des Nordens vgl. Mones Geschichte des Nordischen Heidentums. I. Leipzig 1822. S. 216. folg.


Als Pytheas von Massalia im vierten Jahrhunderte vor Christi Geburt *) auf einem Handelsschiffe die nordischen Gestade besuchte, fand er diese Gegenden nicht allein schon ziemlich bevölkert **), sondern auch nicht ohne die ersten Begriffe von Kultur ***). Er kam nach Thule, von dessen Namen sich noch in Tellemarken, dem Namen einer Provinz des südlichen Norwegens, eine Spur erhalten hat, und segelte von dort aus in die Ostsee hinein, welche schon viele Jahrhunderte früher des Bernsteins wegen von den Phöniziern war besucht worden. Die nördlichsten Gegenden von Thule fand er von der Natur wenig begünstigt. Die Einwohner mussten von Hirse, Kräutern, wilden Baumflüchten und Wurzeln leben, und hatten nur wenig zahmes Vieh. Dass sie auch durch Jagd und Fischerei ihren Bedürfnissen abzuhelfen gesucht haben, lässt sich leicht voraussetzen, obgleich Pytheas davon schweigt. Aber dasjenige, was er berichtet, ist doch schon hinreichend, um zu zeigen, dass diese Völler bereits aus der ersten Rohheit herausgetreten waren. In den südlicheren Gegenden, die er auf dieser Reist besuchte, kannten die Einwohner schon Getreide, hatten große Scheuern, in welchen sie es droschen, trieben Bienenzucht und brauten Meth aus dem Honig ****). Die Natur war hier milder als an den nördlichen Küsten, und sie konnten ihre aus Asien mitgebrachten Kenntnisse in Ausübung bringen. Und da nun die Kultur selbst in Norwegen solche Fortschritte gemacht hatte, konnte sie im südlicheren Dänemark, welches ohnehin durch den Bernsteinhandel in einigem Verkehr mit den gebildeten Asiaten muss gestanden haben, nicht zurückgeblieben sein; vielmehr ist es sehr wahrscheinlich, dass sie selbst einige Schritte weiter fortgerückt war. Aber sie war ganz dem Geiste eines durchaus kriegerischen Volks angemessen: denn in diesem Lichte erscheinen uns die Stämme der Cimbrischen Halbinsel und der benachbarten Inseln da, wo sie zuerst in der Geschichte auftreten. Schlachten und Verwüstungen waren ihr liebstes Geschäft, und ihre wilde Tapferkeit, falls anders die Wut, womit sie ihre Feinde angriffen, Tapferkeit genannt zu werden verdient, ward schon damals und noch lange nachher mit Schrecken in den Jahrbüchern der gesitteten Völker erwähnt.

*) Adelung seht in der ältesten Geschichte der Deutschen S. 57. die Reise des Pytheas ungefähr ins Jahr 320. vor Christi Geburt.

**) Eine so frühe Bevölkerung des Nordens anzunehmen, streitet keinesweges gegen die Analogie der Geschichte. Die ältesten Nachrichten, die wir über den Bernsteinhandel haben, zeigen uns, dass Germanien viel früher bevölkert gewesen ist, als man gewöhnlich glaubt, und zwar weit vor dem Anfang aller Geschichte; indem man bei ihrer ersten Morgenröte schon alles in Leben und Tätigkeit, und hin und wieder bereits beginnenden Kunstfleiß, Handel und Gewerbe wahrnimmt. Vgl. Adelungs älteste Geschichte der Deutschen S. 10. Auch das nördlichste Sibirien war schon zu Herodots Zeiten bevölkert. Er kannte Sagen von Menschen, die sechs Monate im Jahre schliefen (IV. 25). Folglich konnte auch das südlichere Skandinavien weit früher bewohnt sein.

***) Über die Reise des Pytheas vergl. Schönings Abh. über die Kenntnisse der Alten vom Norden, in der älteren Sammlung der Schriften der königl. Dan. Ges. der Wissensch. Th. IX. und in Schlözers allg. Nord. Geschichte. Wedel Jarlsbergs Abhandl. über die ältere Scandinav. Geschichte S. 1. folg. und Adelungs älteste Gesch. der Deutschen 51. folg.

****) Welches doch Adelung von Thule leugnet. dessen Klima keine Bienenzucht erlaubt, aber von den Gegenden an der Weichsel, wohin Pytheas des Bernsteins wegen eigentlich reiste, zugesteht. S. 95.


Ungefähr zu derselben Zeit als Pytheas den Norden besuchte, welche mit der Regierung Alexanders des Großen beinahe zusammenfällt *), wanderten die Cimbern und Teutonen, durch eine der vielen Wasserftuten, welche der Cimbrischen Halbinsel und wahrscheinlich der Ostsee selbst allmählich ihre jetzige Gestalt gegeben haben, aus ihren alten Sitzen vertrieben, in Germanien ein, und durchzogen es mehrere Menschenalter hindurch; und als sie nun endlich in Gallien mit den Römern zusammentrafen, wie wild und furchtbar waren nicht diese Völkerschwärme, die den mächtigen Staat, welcher sich schon fast das ganze griechische Asien unterworfen hatte, an den Rand des Verderbens brachten, und nur durch die äußersten Anstrengungen des unüberwindlichen Marius bezwungen werden konnten **)! Es ist in neueren Zeiten bezweifelt worden, ob diese Cimbern und Teutonen wirklich ihre ersten Sitze an den Küsten der Ostsee und des deutschen Meeres gehabt haben? Aber da, wo keine Geschichte uns mit ihrer Fackel vorleuchtet, müssen alte Sagen und Etymologien zu Hilfe kommen; und diese stimmen doch alle für die nördlichen Sitze jener Völker ***). An ihre Enkel, als diese den Zug nach Gallien unternahmen, schlossen sich aber eine Menge von andern Stämmen an; und so mögen Bewohner der helvetischen Gauen, Ambronen, Sachsen und gallische Völkerschaften gemeinschaftliche Sache mit ihnen gemacht haben. Wie der Schneeball, der sich auf dem Gipfel einer Alpe löset, allmählich zur fürchterlichen Lavine heranwächst und alles in seinem Falle mit sich fortreißt: so zogen in den frühesten, wie in den spätesten Völkerwanderungen ganze Nationen aus, rissen alle die, durch deren Gegenden ihr Weg sie führte, mit sich fort, und kannten kein anderes Mittel ihren Sieg zu benutzen, als die gänzliche Einverleibung des überwundenen Volks. Daher entstehen auch in der Geschichte dieser Nationen so oft ganz neue Namen. Denn, wo der fremde Völkerstamm einbrach, da ward nur Er genannt, und was vorher gewesen war, hatte in dem Augenblicke selbst aufgehört zu sein!

*) Suhm om de Nordiske Folks äldste Oprindelse 241. Alexander bestieg den Macedonischen Thron im Jahre 336. v. Chr. G.

**) Joh. Müllers Bellum Cimbricum. Turici 1772., wo alle Stellen der Alten über diesen Krieg sorgfältig gesammelt und verglichen sind. Einige Nachträge sind in der Ausgabe s. Werke XII. Band hinzugefügt.

***) Suhm om de Nord. Folks äldste Oprindelse 263. 267. 281. Adelung lässt die Cimbern gleichfalls aus Jütland und Holstein stammen. S. 116. Ob die Harudes, welche in ihrem Gefolge genannt werden, wirklich aus dem Norden kamen, ist noch unentschieden. Suhm vergleicht ihren Namen mit Harsyssel, einem Distrikt in Jütland. Adelung scheint sie eher für einen deutschen Stamm zu halten, da sie auch im Heere des Ariovist befindlich waren. S. 14. Dass die Teutonen auch die östliche Küste von Jütland bewohnt haben, lässt Adelung gelten S. 109. 110. Er hält es aber für eine bloße und unbeweisliche Vermutung, dass auch die Bewohner der dänischen Inseln Teutonen waren oder mit unter diesem Namen begriffen wurden. Ich maße mir hierüber keine Stimme an, glaube aber doch für diese Vermutung den Umstand anführen zu können, dass ein Dorf in Seeland, Tybierg, in alten Urkunden den Namen Teutebierg führt.


Es ist vergeblich, nach einer Geschichte des Nordens in jenen frühesten Zeiten zu fragen. Selbst die Bruchstücke derselben sind verloren gegangen. Was Griechen und Römer vom Zuge der Cimbern erzählen, geht doch nur in so fern den Norden an, als diese Völker ursprünglich aus der Cimbrischen Halbinsel herstammten. Was sich aber im Norden selbst von jenen Zeiten erhalten hat, sind Nachhallt von Sagen, die mühsam in einer weit späteren Mythologie zusammengesucht werden müssen; oder auch stumme Denkmäler auf den Feldern von Dänemark, Schweden und Norwegen, welche aber erst durch Schlüsse jenem entfernten Zeitalter zum Teil zugeeignet werden können. Die Sage spricht zwar von mehreren Odinen, die im Norden geherrscht und göttliche Verehrung genossen haben: aber mit dem letzten Odin fängt erst die Heroenzeit des Nordens an. Aus seinem und seiner Genossen Blute entspringen die Halbgötter und die Stammväter der Regentenhäuser; und die Mythologie geht so allmählich, durch eine Dämmerung von fünf bis sechs Jahrhunderten, in Geschichte über.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kirchengeschichte von Dänemark und Norwegen. Band 1