Prunk, Luxus und Vergnügen

Fraglos war das Leben bis tief in das 15. Jahrhundert hinein ein weit härteres und ärmlicheres als in dem folgenden Zeitalter, da von Italien und vielleicht noch mehr vom burgundischen Hofe her Prunk und Luxus langsam nach Deutschland vordrangen. Einrichtung und Ausstattung des Hauses waren enge, der Raum zum größten Teil geschäftlichen Zwecken vorbehalten.

Erst im 15. Jahrhundert dehnten sich die Wohnräume und gewann das Behagen der Stube zugleich mit den Glasscheiben in unsere nord-deutschen Städte Eingang, Kein Wunder, dass man bei dem durch diese Verhältnisse bedingten Mangel einer häuslichen Geselligkeit, den Trieb darnach auswärts zu befriedigen suchte und jede sich darbietende Gelegenheit gründlichst ausnutzte. Jener genossenschaftliche Sinn, der das Mittelalter kennzeichnet, hat eine seiner Wurzeln auch in diesen wohnlichen Verhältnissen, und er veranlasste die zahlreichen kaufmännischen Brüderschaften, Gilden, Kompanien usw., die er allerorten ins Leben rief, für ihre Angehörigen Stätten zu bereiten, welche nicht bloß beruflichen Zwecken, sondern mehr noch solchen des geselligen Verkehrs zu dienen hatten.


Die Artus- und Junkerhöfe, Seglerhäuser und Schüttinge, Bursen und Säle und wie diese Versammlungs- und Trinkstuben heißen mochten, sie boten den Mitgliedern der Kaufmannsvereine die Möglichkeit, sich nach des Tages Last und Mühen auszuruhen und zu vergnügen. Die Bergenfahrer in Lübeck, deren geselliges Leben bisher am besten erforscht ist, weilten des Sommers im Norden, hielten aber dafür im Winter ihren Schulung allabendlich offen, auch des Sonntags. Gästen gewährten sie gern den Zutritt, hielten Spielleute, veranstalteten hier und da Tanzbelustigungen, verboten dagegen seit 1402 das Würfelspiel und verzapften nach 10 Uhr kein Bier mehr. Die Verwaltung und Aufrechterhaltung der Ordnung bei den Gelagen war Sache der alljährlich neu gewählten Schaffer, welche auch die Strafgelder für Ausschreitungen und Unbotmäßigkeiten einzuziehen hatten. Die Betonung der Beschädigung der zinnernen Trinkkannen durch Wurf oder Schlag erweist, dass es nicht selten recht lebhaft hergegangen sein muss, nicht minder die Vorschrift, dass wegen Zwisten, die im Schütting vorgefallen. Niemand sein Recht außerhalb des Hauses suchen dürfe bei Strafe von einem Liespfund Wachs. Dafür wurden freilich 1527 im Verlauf von 22 Wochen 34 1/2 Last Bier = 414 Tonnen verzapft*).

Anderwärts wird es ähnlich hergegangen sein, und darf man den Besuch dieser Klubhäuser wohl als die gewöhnliche Abend-Unterhaltung des Kaufmanns betrachten**). Doch lockten auch die Ratsweinkeller und die im 15. Jahrhundert sich mehrenden Hamburger, eindecket oder sonstigen Bierhäuser sowie die Fremdenherbergen sicherlich manchen an, zumal diese ihre Räume nicht so frühzeitig schlossen wie jene. Daneben gab das Kirchenjahr mit seinen vielen Feiertagen reichliche Gelegenheit zu geräuschvollen Festlichkeiten, an welchen Hoch und Nieder, die Geistlichkeit nicht ausgeschlossen****), sich nach Kräften vergnügten. Am gründlichsten wurden die Zeit zwischen Weihnachten und hlg. drei Könige und die letzten drei Tage vor Beginn der Fasten gefeiert; namentlich die letzteren wurden mit Tanz und Gesang, Spiel und Vermummung, Aus- und Umzügen verherrlicht. An diesen Tagen ruhte das Auge des Gesetzes und ließ die wohllöbliche Obrigkeit Gnade vor Recht ergehen, wenn die Ausgelassenheit der Masken oder die Derbheit der Scherze die Grenzen der Schicklichkeit überstiegen. Sie waren und hießen „dorendage“, an denen die gesamte Einwohnerschaft, Alt und Jung, den ehrsamen Rat mit einbegriffen, das Bedürfnis nach Erheiterung und Abwechslung zu Befriedigen suchte und übermütigem Frohsinn Tür und Tor öffnete. Entsprechend ihrer sozialen Stellung spielte die Kaufmannswelt, und zumal deren jugendlichere Hälfte, dabei eine hervorragende Rolle. In Lübeck durchfuhr sie, von den Frauen begleitet, auf hoch aufgebauten Wagen die Straßen der Stadt, um auf offener Gasse Schauspiele aufzuführen. In Göttingen sammelten die „kunstaveler“, unter Vorantritt von Pfeifern und von Frauen unterstützt, von Haus zu Haus „Pfander“ ein, d. h. Speise und Trank*), ähnlich wie es in Köln beim Karneval noch vor wenigen Jahren herging*****). An dergleichen Scherzen fehlte es nirgends und unfraglich war man überall bestrebt, sich auf den Eintritt der stillen Zeit durch verdoppelten Lärm und Unfug würdig vorzubereiten.

*) 1526 in 14 Wochen 23 1/2 Last.

**) Daraus weisen auch die Testamente vielfach hin. 1374 vermacht ein Lübecker „meis sodalibus proprie minen lachbroderen“ ein halbes Ohm Rheinwein (ca. 70 Flaschen); 1337 ein anderer 68 mit Namen aufgeführten Personen — fraglos lauter Genossen der lübecker Zirkelbrüderschaft — ein Fuber boni vini Rynensis, quod letis cordibus bibant amore mei, quando major pars dictarum personarum inuicem est congregata, tali condicione interposita, quod in hoc respici non debeat, quod 10 personae aut plures sint absentes. U. ö. m.

***) Vgl. das ergötzliche Schreiben des lübecker Protonotars Hermann von Hagen an Johann Hertze über das Verhalten eines Vikars, der „dessen gantzen vastelavent alse een Holsten Heinneke up eneme esele up der Straten in alle vrowen lage und in den winkeller gereden“ war. 1437, Lüb. UB. 7 Nr. 727.

****) Die Göttinger Juden lösten 1447 diese am Neujahrsabend und am Fastnachtmontag stattfindenden Besuche der jungen Gesellen von der Burse (eine Gesellschaft junger Kaufleute) mit l 1/2 Stof Wein pro Kopf ab. Bis dahin hatte jeder dem Besuch ein Stof verabfolgen müssen.

*****) Vielleicht auch noch hergeht. Meine kölner Erfahrungen datieren aus den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse