Gestaltung und Stoffe des Unterrichts

Gestaltung und Stoffe des Unterrichts wiesen dabei im Mittelalter keine sonderlichen Fortschritte auf, und erst seit dem 16. Jahrhundert führte die einseitige Wertschätzung der klassischen Bildung einen Wandel, aber auch eine Trennung unter den Bürgern herbei. Denn der Humanismus wirkte zwar umgestaltend auf den Unterricht an den Universitäten und auf deren Verhältnis zu den Lateinschulen ein, und bereitete infolgedessen auch dem Unwesen der fahrenden Schüler ein Ende, aber er schob damit auch dem im Mittelalter überaus häufigen Hin- und Herwandern der jungen Leute vom Gewerbe zum gelehrten Stande und umgekehrt einen Riegel vor, und er schädigte damit beide Stände.

Bis dahin, d. h. bis zur Invasion des Humanismus, wurde der Unterrichtsbetrieb auf unseren Schulen von der Kirche bestimmt und umfasste, abgesehen von Lesen, Schreiben, Rechnen, nur noch Latein und Kirchengesang. Sein Endzweck war eben nicht auf Wissenschaft und Bildung an und für sich selber gerichtet, sondern auf das rein Religiöse und kirchliche und auf die Bedürfnisse des praktischen Lebens. Die Braunschweiger Schul-Ordnung von 1478 fasst die Pflichten des Schulmeisters dahin zusammen, dass er den Schüler lehren soll „gude sede unde de frigen kunste na wontliker wise, unde sunderliken dat se latin spreken unde oren sangk leren“. Der Gesangsunterricht beschränkte sich jedoch auf das Einüben dessen, was in der Kirche gesungen wurde, und wohl überall mussten die Schüler beim Gottesdienste mitwirken; das Lateinlernen wiederum hatte weniger den Zweck, den Verstand, d. h. das formale Denken zu üben, als den Schüler zu befähigen, dem Gottesdienste zu folgen und Latein zu sprechen und zur Not auch zu schreiben. Die antiken Klassiker mit ihrem Geist und Gemüt erfrischenden Inhalt traten vollständig zurück, die Grammatik musste dafür Ersatz leisten, aber die Absicht, die Kenntnis der allgemeinen Geschäftssprache zu vermitteln, wurde erreicht*). Das Eindringen der Volkssprachen in die Kanzleien erpresste freilich bereits im 13. Jahrhundert dem Florentiner Boncompagni die auch für die Hanseaten zutreffende Klage, dass die Kaufleute in ihren Briefen jeden Schmuck der Rede verschmähen und sich ihres heimischen Idioms oder eines verderbten Latein bedienen**); im internationalen Geschäftsverkehr konnte der Gewerbsmann darum der Kirchensprache doch nicht entbehren.


*) Paulsen, Gesch. d. gel. Unterrichts, S. 25, führt ein Exercitium puerorum grammaticale aus dein 15. Jahrhundert an, an dessen Schluss sich die für uns nicht uninteressante Reklame Befindet: wer dieses Buches sich bedient, es sei Mann oder Weib, Kleriker oder Kaufmann, kann es ohne Lehrer und ohne viel Mühe zur Vollkommenheit in der Grammatik bringen.

**) Mercatores in suis epistolis verborum ornatum non requirunt, qnia fere omnes et singuli per idiomata propria seu vnlgaria vel per corruptum latinum ad invicem sibi scribunt et rescribunt, intimando sua negotia et cunctos rerum eventus. Rockinger, Briefsteller, I, 173.


Die A-B-C-Schützen wanderten in der Regel im Sechsten Lebensjahre zum ersten Male in die Schule, so Weinsberg und Sastrow, der Stralsunder Wessel im siebenten*) Weinsberg vertauschte nun „die kleidergin und pelz bis uff die fois hinab“ mit „broich-hosen und wambis“ und musste lernen „still sitzen und swigen“. Übereinstimmend berichten alle drei, dass Sie Lesen und Schreiben gelernt und in der Grammatik unterrichtet worden seien, so dass „he von der latinschen sprake etwas vorstan konde“, wie es von Wessel, der nur eine Schule besuchte, bemerkt wird. Vom Gesang ist bei ihm nicht die Rede, während Weinsberg bescheiden erzählt „hab auch cantum choralem geleirt, mehe ex usu dan ex arte“, Sastrow dagegen mit Sichtlichem Stolze berichtet: moste in die palmarum, nachdem ich die vorgehenden jare erstlich das kleine, darnach das grosse Hic est, und nach demselben das Quantus singen. Das war den knaben eine grosse ehre und iren eltern nicht die geringste freude, dan man gebrauchte darzu aus den schulen die wackersten knaben, die sich nicht entsetzten für der grossen menge der kleresei, auch weltlicher personen, und mit heller stimme sonderlichdas Quantus herausser heben konnten“.

*) Das Leben Wessels von Droge hat Mohnike als Anhang im 3. Bande der Sastrowschen Autobiographie abdrucken lassen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse