Geburt, Taufe und erste Kinderjahre

Beginnen wir, wie sich's gebührt, mit seinem Eintritt in die Welt, so verliefen Geburt, Taufe und erste Kinderjahre kaum anders als bei sonstigen Sterblichen. Solch reich ausgestattete Wochenstuben freilich, wie sie uns die Griffel von Israel van Meckenem oder Albrecht Dürer (im Marienleben) vorführen, dürften nur wenigen beschieden gewesen sein: die Freude über den Ankömmling war bei Hoch und Nieder in der Regel sicherlich die gleiche. Und an ihr nahmen nicht nur die Hausgenossen teil. Verwandten, Nachbarn, Freunden wurde die Nachricht durch die, häufig mit einem Blumensträußchen geschmückte, Magd des Hauses überbracht; Freundinnen und neugierige Nachbarinnen stellten sich alsbald ein — bei Maria in der Dürerschen Darstellung nicht weniger als elf an der Zahl — und stärkten sich mit reichlicher Speise und Drank zum Wohle von Wöchnerin und Kind. Die städtischen Obrigkeiten bekämpften diese Unsitte aber vergeblich; wer vermag etwas gegen die Frauen, zumal bei solcher Gelegenheit! An manchen Orten bekundete sogar die Gemeinde ihre Teilnahme und lieferte der Kindbetterin ein reichliches Quantum Holz, damit das Kindlein ordentlich gebadet werden könne, doch vermag ich aus hansischen Gegenden leider kein Beispiel dafür beizubringen.

Der Vater scheint der Geburt zumeist nicht beigewohnt zu haben. Er fehlt fast auf allen Kindbettszenen des 15. und 16. Jahrhunderts. Wir vernehmen wohl, dass er die Mägde, die ihm die Nachricht von dem Erscheinen des Sprösslings überbringen, reichlich beschenkt, dass er der trefflichen „bademoder“ gern mehr als die vorgeschriebene Gebühr verabreicht, aber nur vom Wallis erzählt uns Thomas Platter, dass dort „die Männer bei den Weibern in ihren Kindesnöten zugegen sein müssten, damit sie dann hernach desto mehr Geduld mit den Weibern hegen“.


Die Taufe erfolgte der Forderung der Kirche entsprechend möglichst bald nach der Geburt. Nikolaus Gentzkow, der Bürgermeister von Stralsund*) ließ seine Tochter am dritten Tage taufen, während von seinen Enkeln der eine am ersten, der andere am zweiten zur Kirche getragen ward. Nur selten wurde die Taufe mit dem ersten Kirchgang der Mutter verbunden, der gewöhnlich nach sechs Wochen stattfand. In dem einen wie in dem anderen Falle wurde dabei ein erheblicher Aufwand getrieben, nicht nur beim Gange zur Kirche, sondern mehr noch beim Mahle nach der Heimkehr, so dass wohl in allen Städten zahlreiche Verordnungen gegen die Schmausereien und das Übermaß der Patengeschenke erlassen worden sind. Geholfen haben sie wenig, denn so willkommene Gelegenheiten zum Feiern und Prunken ließ man sich ungern entgehen. Selbst wohlbestallte ehrsame Mitglieder des Rates zahlten lieber die Bußen, welche aus Übertretung der Zahl der Gäste und der Gerichte gesetzt waren. Als Frau Bürgermeister Gentzkow 1561 ihren Kirchgang hielt, hatte sie „beide dorntzen vol vruwen ane wat in den kernnaden sath“. Und „upn avend hadde ik ok beide dorntzen und slapkamern vul rnans und vruwen; mit den sat ik sulven bet um 2 in die nacht“: also weit über die Polizeistunde hinaus. Über die Unkosten tröstete sich der Gatte, denn „mi worden van guden luden wol 15 oder 10 stoveken win und claret geschenkt“. Kein Wunder, wenn bei solchen Taufschenken oder Kindbetthöfen die erhitzten Köpfe mitunter in Hader und Zwist gerieten, so dass manche Städte diese Gelage nur bei Tage gestatteten oder Überhaupt verboten. Erreicht wurde damit kaum etwas, denn man umging nun die Verbote dadurch, dass man die Mahle und Schenken in eine spätere Zeit nach der Taufe oder dem Kirchgang verlegte.

*) Sein Tagebuch ist herausgegeben von Zober im 3. Bande der Stralsunder Chroniken.

Von dem Verlauf der ersten Kinderjahre vernehmen wir aus hansischen Quellen nur herzlich wenig. Darin stimmen indessen alle Nachrichten überein: die Kindersterblichkeit war eine ganz unverhältnismäßig hohe, ebenso freilich auch der Kinderreichtum der Ehen ein durchschnittlich größerer als heutzutage. Der Reichtum findet seine Erklärung in dem Umstande, dass die Ehen vielfach schon in recht frühem Lebensalter geschlossen wurden und Wieder-Verheiratungen von Witwen und Witwern die Regel waren. Die Sterblichkeit werden wir hauptsächlich dem damaligen Stande der ärztlichen Kunst zuzuschreiben haben. Mit ihrer Unmenge von Medizinen und Hausmitteln aller Art behandelte sie nicht nur das neugeborene Kind in der Wiege, sondern unterstützte auch sein Zahnen, Gehen- und Sprechenlernen mit Dingen, die wie der Gebrauch von Wolfs- und Pferdezähnen und ähnlichen Amuletten selbst jetzt noch nicht ausgestorben sind. Auch mangelt es nicht an Beispielen, wo der Kampf ums Dasein Vater und Mutter zwang, die Kleinen zu vernachlässigen. Doch wird die große Mehrzahl sich der sorgfältigen Pflege der Eltern erfreut und das Geschick von Hermann Weinsberg in Köln geteilt haben*). Als er drei Jahre alt, erhielt er von der Großmutter den ersten Anzug, ein blaues Röckchen und rotes Hütchen mit hohen runden Aufschlägen, und gefiel darin der Mutter ganz ungemein. „Fillicht,“ fügt er schalkhaft hinzu, „do ich miner mutter irste kind war, dochte sei, ich weire seir schoin; dan ein jeder dunket sin ulgin**) ein deufgin***) sin.“ Und wenn uns Hermann weiter erzählt, dass er „puer puerilia tractavi“, den Eltern aus dem Hause entlaufen sei, um sich mit Gespielen auf der Straße zu vergnügen: so sind das Züge, die sich allerwärts wiederholt haben werden. Auch Bartholomäus Sastrow berichtet, dass er in seinen kindlichen Jahren zu Greifswald „fast wilt“ gewesen, aber seine Mutter„auch Barthelmewese dagegen gegeben, was er wohl verdient hette****).“

*) Seine Denkwürdigkeiten sind von Höhlbaum und Lau in 4 Bänden herausgegeben worden (Publikationen d. Gesellsch. f. rhein. Geschichtskunde XVI).

**) Kleine Eule.

***) Täubchen.

****) Sastrows Autobiographie hat Mohnike 1823 in 3 Bänden herausgegeben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse