Der Kaufmann Franz Wessel

So leicht und verhältnismäßig bequem wie Lubbe wurde es freilich nicht jedem. Franz Wessel musste bereits im 12. Jahre nach Falsterbo segeln und den Herbst über auf der Stralsunder Vitte tüchtig schaffen. Und auch in den nächsten Jahren musste er, ungeachtet vieler Krankheiten, wiederholt größere Fahrten unternehmen, die sich von Livland im Osten bis nach Holland im Westen erstreckten. Ja seine letzte größere Reise führte ihn auf einem Pilgerschiff unter mancherlei Fährlichkeiten bis nach Santiago de Compostella in Gallizien, wobei „wohl fünfzig Häfen in Norwegen, Schottland, Flandern, England und Frankreich“ angelaufen wurden.

Die Zahl der Häfen wird übertrieben sein, doch wurde auf solchen Pilgerfahrten auch das Geschäft keineswegs vernachlässigt. In Compostella erlebte Wessel die Krönung des Königs Philipp, des Vaters von Kaiser Karl V., aber die Reise, die er von Schonen aus, anscheinend ohne Vorwissen der Eltern angetreten, hatte so lange Zeit beansprucht, dass jedermann in Stralsund glaubte, er sei auf See geblieben oder sonstwie verdorben.


Im Jahre darauf starb sein Vater; Franz wurde selbständig, aber die Wanderlust war in dem nunmehr Dreiundzwanzigjährigen noch so mächtig, dass er zunächst nach Sternberg, Einsiedeln, Aachen, Trier, Düren, Maastricht und „andere orte lief, an denen afflates market was“, bevor er sich zur Ruhe setzte und heiratete. Er war in der Tat ein weitgereister Kaufmann, aber die Erfahrungen, die der Jüngling in der Fremde gesammelt, kamen dem späteren Ratmann und Bürgermeister zugute; er wurde von seiner Heimatstadt über zwanzigmal als Gesandter verschickt.

Wessel war der einzige Sohn eines wohlhabenden Vaters, und wir erfahren nicht, dass er auch in fremden Häusern gedient. Dieses war jedoch die Regel, und da hatten die Lehrlinge es nicht immer zum besten. Wir finden sie im gesamten Bereich des hansischen Handels. Der Vater von Sastrow wird von seinen Greifswalder Vormündern nach Antwerpen und Amsterdam gesandt, „von kaufmannschaft etwas zu fassen“; Heinrich von dem Wele in Riga schickt einen Neffen nach Brügge, andere wandern nach London, Bergen, Nowgorod, die meisten wohl in hansische Städte zu befreundeten Häusern.

Unsere niederdeutschen Quellen fließen für diese Periode des kaufmännischen Lebens bisher verhältnismäßig unergiebiger als die oberdeutschen. Wir können nur feststellen, dass die Lehrzeit recht verschieden bemessen war und zwischen zwei und zehn Jahren schwankte, d. h. sich nach Alter, Bildungsstand und Lebensstellung der Lehrlinge richtete. Förmliche Lehrlings-Ordnungen sind uns erst aus jüngerer Zeit überliefert, doch wird manche von den Bestimmungen sicherlich auch früher schon gegolten haben. Speziell in Lübeck rügte es der Rezess zwischen Rat und Bürgerschaft vom Jahre 1605, dass die gute Sitte abgekommen sei, wonach die Jungen, die sich dem Travenhandel, d. h. dem Großhandel im Gegensatz zum kaufmännischen Kleingewerbe der Krämer, widmen wollten, fünf oder sechs Jahre bei einem Kaufmann dienen mussten, bevor sie nach anderen Orten verschickt würden.

Der Rezess verfügte deshalb, dass die Lehrjungen vor Eintritt in den Dienst durch ihren Lehrherrn bei dem Ältesten der Schonenfahrer angemeldet und in des „Kaufmannes Buch“ eingetragen werden müssten. In Ausführung und Ergänzung des Rezesses erließen hierauf 1607 der Rat und im wesentlichen übereinstimmend die Schonenfahrer 1609 ausführliche Vorschriften über die Lehrlingshaltung, welche „nach dieser zeit gelegenheit verbessert“ waren, mithin mindestens zum Teil schon zum Inhalt älterer Kaufmannsordnungen gehört haben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse