Die Fluss- und Seeschifffahrt

Um nichts besser fuhr man zu Wasser. Auf den Flüssen, welche im Mittelalter bis in die kleinsten Läufe weit mehr zum Warentransport benutzt wurden als in den späteren Jahrhunderten, war die Sicherheit ebenso groß oder gering wie auf den Landwegen. Die Überlastung mit Zöllen und Zwangsrechten war die gleiche, die Grundruhr spielte sogar eine noch größere Rolle. Doch scheinen die hansischen Kaufleute — abgesehen vom Rhein — ihre Waren auf den Flüssen weit weniger häufig in eigener Person begleitet zu haben als zu Lande und vor allem zur See. Denn die Beschaffenheit der Flussfahrzeuge und ihr durch die Natur der Flusswege bedingter geringerer Umfang und Tiefgang gestattete nur die Mitnahme der Schiffsmannschaft*).

Dafür war und blieb die Seeschifffahrt das wichtigste Hilfsmittel des hansischen Handels, und wenn wir auch von einem so umfangreichen Passagiergeschäft nicht reden können, wie es die italienischen Seestädte, namentlich Venedig, weit über das Zeitalter der Kreuzzüge hinaus betrieben, so geleitete doch der norddeutsche Kaufmann seine Waren in der Regel persönlich über See. Auch als im Laufe der Zeit sich ständige Beziehungen zwischen bestimmten Häfen und Gebieten herausgebildet hatten, die Handelsgesellschaften. Lieger und Faktoren sich mehrten, bewogen säumige Schuldner oder sonstige Verhältnisse einen großen Teil der Handelsherren dazu, sich wiederholt den Unbilden des Meeres auszusetzen.


Und diese waren wahrlich nicht geringere als die bei Reisen zu Lande. Etwaige Seekrankheit mit ihren Begleiterscheinungen focht freilich nicht weiter an**); dafür drohten Seeraub, Kaperei, Strandrecht und mehr noch als zu Lande die Schädigung durch die Naturgewalten, Sturm und Unwetter, Schiffbruch und Strandung. Allerdings ruhte die Schifffahrt mit Rücksicht hierauf und aus klimatischen Gründen den Winter über, dennoch forderten Frühjahr- und Herbststürme zahlreiche Opfer. Die Briefkapelle der Marienkirche zu Lübeck bewahrt ein Gemälde***), welches den Untergang eines lübischen Dreimasters an der norwegischen Küste im Jahre 1489 darstellt. Der Sturm hat Haupt- und Kreuzmast zersplittert, die Besatzung sucht, zum Teil an Kisten und Planken geklammert, sich durch Schwimmen zu retten, einige Leute haben glücklich das felsige Ufer erreicht. Spruchbänder belehren uns, dass der Schiffer und 33 Männer ertrunken seien. Der unbekannte Stifter der Tafel, vermutlich ein aus dem Schiffbruch geretteter Bergenfahrer, knüpft daran die Mahnung:

Och, guden gesellen, holdet nicht to licht,
Er gi to scepe gat, gat jo to der bicht.
Et was so kort ene tyt,
Dat wy unses levendes worden quid.
En pater noster vor alle cristen seelen!


*) Die Geschichte der Flussschifffahrt und der Flussschiffergilden liegt noch arg im Dunkeln.

**) Das Lübecker Recht (ed. Hach 566) bestimmt sogar: welkereme schipmanne wee werdt van der see, alse dat he wedder gift, dat is to vorstaende, oft he seeck wurde, de schal sines lones entberen.

***) Bau- und Kunstdenkm. v. Lübeck, II, 320. Schon vorher auch bei Bruns, Bergenfahrer, S. 5, beschrieben.


Die ungefügen Verse bringen die Anschauungen der handel- und schifffahrttreibenden Kreise im Mittelalter treuherzig zum Ausdruck. Ein warmes religiöses Empfinden ließ Jeden vor Antritt der gefahrvollen Fahrt auch für das künftige Seelenheil Sorge tragen, und veranlasste im späteren Mittelalter die so überaus häufige Errichtung von Testamenten. Die Archive mancher Seestädte bewahren solche in überraschender Fülle, darunter nicht wenige, welche von ein und demselben Aussteller im Laufe der Jahre wiederholt, d. h. vor Antritt jeder Reise, aufgesetzt sind. Von Aemilius Lüchow, der 1389—1403 als Lübecker Ratsmann dem Reisen entsagt zu haben scheint, haben sich nicht weniger als fünf letztwillige Verfügungen aus den Jahren 1375—1384 erhalten. Heinrich Dunkelgud testierte mindestens sechs Mal, andere nachweislich 3—4 Mal. Aufzeichnungen, welche ganz abgesehen von ihrem Werte für die Erkenntnis kirchlicher, wirtschaftlicher und handelspolitischer Verhältnisse, insbesondere auch jene werktätige Fürsorge für Gesellen und Lehrlinge bezeugen, deren bereits zu gedenken war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse