Das Kontorleben der Kaufgesellen in Bergen

Diese warme Verteidigung der Kaufgesellen von Bergen mit ihrem Hinweis auf die ethische Seite des Kontorlebens wiegt die Klagen mancher Muttersöhnchen reichlich auf, und sie wird vielfach ergänzt durch die auf uns gelangten Testamente der Lübecker Bergenfahrer**). Sie bestätigen den ununterbrochenen Zuzug von jungen Leuten aus Binnendeutschland nach dem Kontor und deren Übersiedelung nach Lübeck nach erlangter Selbständigkeit. Nach den Berechnungen von Bruns waren von den Ausstellern jener Testamente höchstens 24 % geborene Lübecker, während 53 % westelbischen Gebieten und davon 29 % aus Westfalen allein entstammten. Der Rest entfällt auf ostelbische Landschaften.

Dieser stetige Nachschub wurde nach Ausweis der letztwilligen Verfügungen wesentlich dadurch befördert, dass die Bergenfahrer, sobald sie dazu im Stande, jüngere Verwandte aus ihrer Heimat zu sich beriefen, damit diese gleichfalls im nordischen Handel sich ihr Brot verdienten. Die Lübecker Bergenfahrerfamilie Paal hat sich derart einige Generationen hindurch aus Dülmen in Westfalen verjüngt. Der aus dem Hannoverschen stammende Brun Sprenger vermacht seine Geschäftsräume in Bergen mit Inventar seinen zur Zeit dort befindlichen nächsten Anverwandten, und bestimmt, dass sie nach deren Abzug entfernteren Angehörigen zustehen sollen, solange „erer welk levet, de dar kopslagen wil“. Weitere Beispiele für die Förderung jüngerer Verwandter und Berufsgenossen enthält fast jedes Testament.


*) Krause weist a. a. O., S. 117, mit Recht darauf hin. dass der spätere große Jurist Heinrich Husanus zu diesen Wildfängen gehört haben muss. Husanus war der Sohn eines Bürgermeisters von Eisenach, wurde im 12. Lebensjahre nach Bergen geschickt, war aber bereits nach zwei Jahren wieder daheim! Auf seine Beschreibung des Wasserspiels gehen alle landläufigen Darstellungen zurück.

**) Bruns, Die Lübecker Bergenfahrer, Hans. Gesch.-Quellen, N. F., II, hat allein aus dem lübecker Archiv 231 Testamente von Bergenfahrern aus den Jahren 1307—1529 mitgeteilt und ihren hohen Wert gebührend gewürdigt.


Diese Lübecker Bergenfahrer gehörten von Hause aus überwiegend ärmeren Bevölkerungsschichten an. Mehr als drei Viertel der Erblasser erklärten ausdrücklich, dass sie ihr Vermögen selbst erworben haben, und dementsprechend verfügten die meisten auch nur über mäßige Summen. Aber diese genügen, um den Männern einen sorgenlosen Lebensabend nach den Jahren angestrengter Arbeit zu sichern, und sie lassen damit den Widerstand der Kaufgesellen gegen den Wettbewerb der Söhne wohlhabender Familien im Handel zu Bergen durchaus gerechtfertigt erscheinen.

Nach überstandener Lehrzeit rückte der Lehrling zum Handlungsdiener auf; er wurde Knecht oder Geselle und wie die Bezeichnungen lauten mochten. Ob für diese bereits im Mittelalter die Lübecker Vorschrift von 1607 (S. 19) gegolten hat, mag dahingestellt bleiben. Tatsächlich begann indessen auch damals für den angehenden Kaufmann eine Zeit der Reisen, mochte er den Herrn begleiten oder in dessen Auftrage in die Fremde gehen. Diese Handelsfahrten waren für das Leben eines jeden hansischen Kaufmanns von ähnlicher, wenn nicht von größerer Bedeutung wie das Wandern der Handwerksgesellen für den zünftigen Meister oder das Studium au Universitäten für den Angehörigen gelehrter Berufe. Sie waren bedingt durch das Wesen des mittelalterlichen Handels und führten auch an ihrem Teile zu jenem Fluktuieren der Bevölkerung in unseren Städten, welches die zahllosen Erbschaftszeugnisse bekunden. Der Handel war und blieb überwiegend Eigenhandel, und für unseren Zweck können wir höchstens konstatieren, dass mit dem Aufkommen und der Ausbildung der Handelsgesellschaften aller Art sowie mit der Erleichterung des Verkehrs durch Handelsbriefe die Zahl der Gesellen, Faktoren, Lieger und sonstiger Gehilfen sich ständig mehrte. Dem älteren Kaufherrn gestatteten diese Wandlungen, häufiger als früher daheim zu bleiben, wiewohl er noch wie vor auf den persönlichen Ein- und Verkauf von Waren oder das eintreiben von Schulden nicht völlig verzichten konnte. In jedem Falle gehörte ein wechselvolles Reiseleben im Dienste des Großhandels zu den Notwendigkeiten im Dasein des Kaufmanns.

„Koplude, loplude“ lautet ein altes Wort, welches diese Seite des kaufmännischen Lebens kurz und prägnant zum Ausdruck bringt. Es stammt aus der Zeit, da der als Kaufmann verkleidete Ritter in der Literatur der stehende Held von Liebesabenteuern war, und Rudolf von im oberen Rheintal den guten Gerhard, einen Kaufmann von Köln, auf Reisen schickte. Gerhard lässt sein Schiff für eine dreijährige Fahrt ausrüsten, übergibt dem Sohne

„ein teil guotes, daz er solte han
damite er möhte sich began“,


und nimmt selbst nicht weniger als 50.000 Mark Silber mit. Ihn begleitet ein Geistlicher — das Gedicht ist etwa 1220—1230 entstanden —

ein schriber ouch bi mir beleip
der min zerunge an schreip
und der durch got mir ane strit
begie diu siben tagezit.


So ausgerüstet

„mit minem guote ich kerte
hin über mer gen Riuzen,
ze Liflant und ze Priuzen
da ich vil manegen zobel vant.
Von dannen fuor ich gen Sarant,
ze Damasco und ze Ninive:
da vant ich riches koufes me
von manegem richen phelle da
dann in der weit ie anderswa.
Der ich so vil an mich gewan
daz ich mich des vil wol versan,
swenne ich wider kaeme,
daz ich zwivaltic naeme
min silber wider und dannoch me*).“


*) Der Hervorhebung des Pelzhandels von Gerhard entspricht in eigen artiger Weise eine Erzählung des zeitgenössischen Caesarius von Heisterbach. Er berichtet, dass ein Mitbruder seines Klosters einigen Kölnern, welche nach Norwegen fuhren, 5 Schillinge mitgegeben hätte, ut ex eis compararent pellem ursi albam (Eisbärfell), quales regio illa gignit.

Dichterische Phantasie und mangelhafte geographische Kenntnisse des ritterlichen Voralbergers führen Gerhard dann weiter über Gebirge und Tal und Meere nach Marokko, England, Norwegen, um ihn schließlich wieder wohlbehalten in Köln eintreffen zu lassen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmannsleben zur Zeit der Hanse