Abschnitt. 5

Heutzutage sind die Anzeigen den Zeitungen aller Kulturländer unentbehrlich geworden. Sie bringen zumeist höhere Summen ein als die Abonnementsgebühren,*) und deshalb spekulieren die Verleger oft mehr auf viele Anzeigen, als auf viele Abonnenten. Die meisten Zeitungen würden ohne Anzeigen ein Defizit haben, oder ihre Ausgaben für Text. Bilder usw. wesentlich einschränken müssen. Deshalb sind die Anzeigen nicht bloß für den Verleger von Vorteil, sondern auch für die Leser. Sie bilden im modernen Kulturleben einen ganz bedeutenden wirtschaftlichen Faktor, und überall, wohin die Zivilisation vordringt, folgen ihr Zeitungen und Anzeigen. Es fehlte nicht an Stimmen, welche behaupteten, die Zeitungen dürften keine Erwerbsunternehmungen sein. So erging sich Ferdinand Lassalle in heftigen Angriffen gegen die Presse, ,,die unter dem Vorwande, geistige Interessen zu verfechten, durch das Annoncenwesen zu einer geschäftsmäßigen Geldspekulation wird“. Er forderte, daß in einem sozialdemokratischen Staate durch Gesetz jeder Zeitung verboten werde, irgendwelche Anzeigen zu bringen, und daß diese ausschließlich und allein den vom Staate oder den Gemeinden herausgegebenen Amtsblättern zuzuweisen wären. In neuester Zeit noch empfindet es Professor Karl Bücher mit Bitterkeit, daß .,auf demselben Blatte, oft auf derselben Seite, wo die höchsten Interessen der Menschheit Vertretung finden oder doch finden sollten, Käufer und Verkäufer in niedriger Gewinnsucht ihr Wesen treiben“. Rein theoretisch ist dies begründet, aber aus der Entwickelung des Pressewesens geht zur Genüge hervor, daß eine Scheidung des Geschäftlichen vom Idealen heute gar nicht mehr möglich ist.

Im Wesen der Reklame, auch wenn sie sich in den Grenzen des Erlaubten hält, ist das Bestreben begründet, das Ansehen der eigenen Leistungen auf Kosten der Wertschätzung fremder Leistungen in den Augen des Publikums zu heben. Wie die lobende Beurteilung der eigenen, so ist auch die abfällige Kritik der fremden Ware grundsätzlich durch Gesetze nicht verboten worden. Vom Standpunkt der geschäftlichen Moral aus findet aber das eine wie das andere seine Schranke in der Pflicht, unwahre Angaben, die das Publikum irreführen und den Mitbewerber widerrechtlich schädigen würden, zu vermeiden. Kredit gefährdende wissentlich unwahre Angaben waren schon früher durch das Strafgesetzbuch verboten. Durch das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb wurden dann die gröbsten Auswüchse auf dem Gebiete der Reklame beseitigt.
Inwieweit es Pflicht der anständigen Verleger ist, zweifelhafte Anzeigen zurückzuweisen, läßt sich nicht ohne weiteres .sagen, da es ihnen durchaus nicht immer möglich ist, die Reellität der eingesandten Anzeigen zu prüfen. Immerhin sollten diejenigen Zeitungen, die ihr Ansehen behaupten wollen, wenigstens die offenkundig schwindelhaften Ankündigungen zurückweisen.
Infolge des Mißbrauchs, der mit Ankündigungen von Heilmitteln getrieben worden ist, hat man in verschiedenen Ländern, so zum Beispiel in Deutschland, die Heilmittelanzeige durch strafgesetzliche Bestimmungen wenigstens einigermaßen erschwert.
Gegen die Übertreibungen der Reklame in den Straßen und Landschaften geht man aus Gründen des Heimatschutzes vor und vielfach auch mit Recht. In Preußen wurde mit Rücksicht auf die störenden Reklameschilder am Rhein das Gesetz vom 2. Juni 1902 gegen die Verunstaltung hervorragender Gegenden durch vordringliche Reklame erlassen. Das weitere Gesetz vom 15. Juli 1907 sieht vor, daß durch Ortsstatut das Anbringen von Reklameschildern usw. an eine Genehmigung seitens der Baubehörde gebunden werden kann. In Sachsen sind durch das Gesetz vom 10. März 1909 gegen die Veranstaltung von Stadt und Land die Polizeibehörden ermächtigt, Reklamezeichen aller Art, Aufschriften usw. zu verbieten, wenn diese geeignet sind, Straßen, Plätze, einzelne Bauwerke oder das Orts- oder Landschaftsbild zu verunstalten. In Paris hat sich 1911 eine Vereinigung ,,Freunde von Paris“ gebildet, um die Belästigung durch die Reklame zu bekämpfen.



*) In der Anzeigensteuervorlage von 1908 hatte die Regierung berechnet, daß der Ertrag der Anzeigen in den reichsdeutschen Zeitungen und Zeitschriften sich auf rund 412 Millionen Mark jährlich beläuft.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmännische Propaganda.