Sonderrabatt für bestimmte Käufer.

Manche Geschäftsleute glaubten sich dadurch eine vermehrte Kundschaft zuführen zu sollen, daß sie Mitgliedern gewisser Vereine oder Angehörigen eines bestimmten Standes, z. B. den Lehrern, Vergünstigungen in Form eines Sonderrabatts gewährten. Zeitweilig mögen sie einen Vorteil davon gehabt haben, aber je mehr auch die Konkurrenz dazu überging, den gleichen Sonderrabatt zu gewähren, desto geringer wurde der Nutzen. Deshalb haben in mehreren Städten die in Betracht kommenden Geschäfte durch eine gemeinsame Übereinkunft die Sonderrabatte wieder abzuschaffen gesucht.

Der Verband Berliner Spezialgeschäfte, dem fast alle namhaften Berliner Firmen - mit Ausnahme der in einem eigenen Verband Vereinigten Warenhäuser - angehören, hat 1911 eine Bewegung eingeleitet, die zur Abschaffung der Sonderrabatte führen soll. In einer längeren Erklärung im Berliner Tageblatt äußert sich der Verband dazu u. a. wie folgt:


,,Nach unseren Erfahrungen stöhnt ein jeder über die Belästigung und Schädigung durch die Gewährung von Sonderrabatten und ein jeder erklärt sich mit tausend Freuden zu ihrer Abschaffung bereit, wenn . . . sich nur die anderen — das sind die maßgebenden Geschäfte der betreffenden Spezialbranche - verpflichten, ein gleiches zu tun. Daß jedoch diese Beseitigung der Sonderrabatte unmittelbar im eigensten Interesse der betreibenden Geschäftsinhaber liegt und ebenso mittelbar, da sie im Interesse des kaufenden Publikums erforderlich ist, das in seiner überwiegenden Mehrheit von diesen Vergünstigungen nicht profitiert, läßt sich unschwer nachweisen.

Wahrscheinlich wird jener Kaufmann, der zuerst einwilligte, den Mitgliedern eines bestimmten Vereins Sonderrabatte zu gewähren, unter der Voraussetzung, daß sämtliche Mitglieder ihren entsprechenden Bedarf von nun an nur bei ihm decken würden, sich gesagt haben: Großer Umsatz, kleiner Nutzen. Allein der erhoffte Kundenzuwachs stellte sich nicht ein, denn die Konkurrenz bot dem Verein natürlich bald die gleichen oder noch größere Rabatte an und heute sind daher fast alle Vereine in der angenehmen Lage, ihren Mitgliedern in jeder Spezialbranche eine so stattliche Anzahl von Geschäften als Lieferanten empfehlen zu können, daß für jedes einzelne Geschäft jedenfalls nicht mehr Vereinsmitglieder als Kunden in Betracht kommen, als die, welche dort sowieso gekauft hätten. Darüber also kann der Vereinslieferant wie die Dinge heute liegen - gar nicht im Zweifel sein, daß er nur auf einen geringen Bruchteil der Mitglieder rechnen darf. Da sich aber auch nicht feststellen läßt, wie groß oder wie klein dieser Bruchteil ist, so kommt in seine Kalkulation ein Moment der Ungewißheit, zu dessen Ausschaltung sich ihm nur zwei Möglichkeiten loteten. Denn für die meisten Artikel — abgesehen von geschützten Marken und dergleichen — werden Rabatte in gleicher Höhe gewährt, was jedoch durchaus unkaufmännisch ist, weil ja die einzelnen Artikel mit ganz Verschiedenem Verdienst verkauft werden; der wahrscheinliche Gesamtbetrag der gewährten Vergünstigungen muss daher abgeschätzt und entweder vom Reinverdienst in Abzug gebracht oder den Geschäftsunkosten zugerechnet werden. Das bedeutet jedoch nichts anderes, als daß im ersten Falle den Mitgliedern der bevorzugten Vereine ein Geschenk aus der Tasche des Lieferanten, im zweiten Falle aus der Tasche des gesamten kaufenden Publikums gemacht wird.

Hat der Inhaber eines Detailgeschäftes - mag er viel verdienen oder wenig - die geringste Veranlassung, auf seine Kosten jenen Vereinen und ihren Mitgliedern direkte oder indirekte Vorteile zuzuwenden? Da von einer Gegenleistung nicht die Rede sein kann, so beantwortet sich diese Frage von selbst. Und auch der Wert sogenannter Imponderabilien steht kaum im Verhältnis zu den baren Verlusten, welche die Rabattgewährung dem soliden Geschäftsmann bringt. So darf der erzieherische Einfluß der Sonderrabatte — sie sollen dazu beitragen, dem Borgunwesen zu steuern und das Publikum an die Barzahlung zu gewöhnen — bezweifelt werden. Daß sich das Publikum auch ohne Rabatte an die Barzahlung gewöhnt, das zeigt uns die Praxis der Warenhäuser.

Auch wenn die Bevorzugung einzelner Käufergruppen - von Wiederverkäufern selbstverständlich abgesehen - nicht auf Kosten aller übrigen Kunden geschieht, bedeutet sie doch eine schlimme Ungerechtigkeit gegen diese, durch die das Vertrauen zur Reellität und Solidität eines Geschäftes stark erschüttert werden muss. Und diese Ungerechtigkeit führt zu einer Übervorteilung der großen Masse des kaufenden Publikums, wenn der Rabatt, was sich nur zu oft gar nicht vermeiden läßt, in den Warenpreis mit hineinkalkuliert wird. Dann hat die Gesamtheit dafür zu zahlen, daß verhältnismäßig wenigen Vorteile zugewendet werden. Und es ist ein schwacher Trost, wenn der eine oder der andere von diesen bevorzugten Vereinen stolz auf Wohlfahrtseinrichtungen hinzuweisen vermag, deren Schaffung ihm die Rabatte erst ermöglicht haben, denn noch immer hat man im allgemeinen kein rechtes Verständnis für Hilfs- und Gebefreudigkeit auf anderer Leute Kosten. An dem Rechte jedes Kunden, in jedem Geschäft für den gleichen Betrag qualitativ und quantitativ das gleiche zu erhalten wie irgendein anderer Kunde, sollte nicht gedreht und gedeutelt werden.

Der Verband Berliner Spezialgeschäfte möchte die Abschaffung der Sonderrabatte für Berlin erreichen. Er darf darauf hinweisen, daß größere Städte wie Köln, Dresden und Nürnberg in dieser Frage mit gutem Beispiel vorangegangen sind, oder doch wenigstens aussichtsreiche Versuche unternommen haben, die Sonderrabatte zu beseitigen. Aber natürlich sind wir uns auch darüber vollständig im klaren, daß in Berlin viel erheblichere Schwierigkeiten zu bewältigen sind als anderwärts, und deshalb möchten wir an den gesamten Detailhandel, besonders jedoch an die einzelnen Branchenverbände die Bitte richten, mit uns gemeinsam zu handeln. In dieser Frage herrscht eine erfreuliche Solidarität der Interessen aller am Detailhandel beteiligten Kreise, der Warenhäuser sowohl wie der Spezialgeschäfte jeden Umfangs und jeder Branche. Eine große Anzahl namhafter Geschäfte hat sich bereits durch Unterschrift verpflichtet, im Falle des Zustandekommens einer gemeinsamen Aktion künftighin keine Sonderrabatte mehr zu gewähren. Und wir hoffen, daß diese Zahl eine so stattliche sein wird, daß auch die Firmen, die sich heute unseren Bestrebungen gegenüber noch ablehnend verhalten, ihren Standpunkt mit der Zeit aufgeben werden. Denn die große Masse des kaufenden Publikums steht unserem Vorhaben zweifellos sympathisch gegenüber und wird sich die Geschäfte wohl zu merken wissen, bei denen jeder Kunde, wes Ranges und Standes er auch sein mag, gleichmäßig behandelt wird.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmännische Propaganda.