Abschnitt. 4

In einem Berliner Zigarrengeschäft arbeitete einige Zeit eine junge Dame im Schaufenster an der Anfertigung von Zigaretten vor den Augen des Publikums. Dadurch wurden natürlich viele Neugierige und Kauflustige angezogen. Eine andere lebende Reklame hatte sich der Inhaber eines Berliner Teppichgeschäftes ins Schaufenster gesetzt. Die Folge davon war, daß das Publikum in dichten Scharen das Fenster umlagerte, um die dort arbeitende fleißige Maid zu sehen. Für den Geschäftsinhaber war allerdings die Dame, welche das Hauptinteresse der Vorübergehenden erregte, eigentlich Nebensache. Der hauptsächliche Zweck der Schaustellung war, eine neue Stickmaschine ad oculos zu demonstrieren. Nun war die Maschine, welche die schönsten Kunststickereien auf Sammet, Plüsch usw. ausführte, wirklich praktisch und beachtenswert, aber die Methode, sie zu zeigen, hat vielfach Kopfschütteln erregt. Die stickende Maid im Schaufenster, die ihre Äuglein züchtig auf die Stickerei gerichtet hielt, hat manchem Spaß gemacht, die Mehrzahl wünschte aber wohl, daß diese Art von Menschenausstellung keine Nachahmung fände.

Eine mechanische Schaufenster-Figur befand sich eine Zeit lang in der Auslage eines Berliner Konfektionsgeschäftes, nämlich eine, mit Kostüm und Mütze angetane ,,Radlerin“, die ein ,,Rad reitet“, und zwar führten die Beine fortwährend die natürlichen Evolutionen aus, was jedenfalls durch Vermittlung eines elektrischen Motors erzielt wurde. Wo es sich im Schaufenster bewegt, da bleiben auch Leute stehen, mögen nun die Bewegungen durch ,,tanzende Mäuse“, durch ,,Meerschaum-Schnitzer“‘ ,,Diamanten-Schleifer“ oder auch mechanische Figuren hervorgerufen werden — an Zuschauern fehlt es gewiss nie. Aber diese Reklame eignet sich doch nicht für vornehme Geschäfte.


Einen guten Scherz lässt man sich schon gefallen, aber die Wirkung ist oft fraglich. Ein Damenmantelgeschäft in Hamburg glaubte die Damen durch folgendes Plakat anzuziehen:

„Jede Dame
findet in diesem Laden einen Mann,
der ihr das Neueste und Preiswerteste in Damenmänteln vorlegen wird.“

Über eine solche Aufschrift wird natürlich gelacht, aber sie wird kaum eine Dame veranlassen, deshalb das Geschäft zu besuchen.

Erwähnt sei auch das Plakat, das ein Geschäftsmann an seinem Schaufenster anbrachte, um das Publikum zu überzeugen, daß es bei ihm nur wirklich feste Preise gibt:

„Wer bei mir Kleider kauft,
möge immerhin versuchen, Von den angegebenen
festen Preisen
etwas abzuhandeln. Gelingt ihm dies, so
kann er sich das betreffende Kleidungsstück
umsonst mit nach Hause nehmen.“

Dieses Plakat soll seine Wirkung nicht verfehlt haben, und dem Publikum die Überzeugung beigebracht haben, daß es in dem Geschäft streng reell bedient wird. Ein solides Geschäft bedarf aber einer solchen Versicherung, wie sie in jenem Plakat ausgesprochen ist, nicht. Irgend ein Reklamemensch hat einmal den Schuhwarengeschäften empfohlen, im Schaufenster ein Paar recht kleine Damenstiefel auszustellen und daran die Aufschrift zu befestigen:

,,Die junge Dame, welcher diese Stiefel passen, erhält dieselben als Geschenk.“

Manche Damen mit kleinen Füßen, meinte er, werden versuchen, die Stiefel anzupassen und falls diese zu klein sind, wohl ein anderes Paar kaufen. Es empfiehlt sich aber nicht, sich allzuviel auf die Wirksamkeit eines solchen Scherzes zu verlassen.

Fragt man, in welchen Städten die schönsten Schaufenster zu finden sind, so antworten Fachleute: In Paris und Brüssel, oder in Brüssel und Paris. Denn manche Reisende behaupten, die belgische Hauptstadt sei der französischen in bezug auf die Schaufenster bereits über.

In Paris sind stellenweise wundervoll arrangierte Schaufenster, besonders in der Avenue de l’Opéra, der Rue Royale und der Rue de la Paix, wo die Geschäfte mit einem außerordentlich feinen Geschmack arbeiten, während auf den großen Boulevards neben einzelnen hervorragend schönen Auslagen viel Mittelgut ist.

In Brüssel findet man die elegantesten Schaufenster in der Rue Madelaine und der Montagne de la Cour, auch in der Rue Neuve und der Passage Hubert.

In London sind ebenso reiche als geschmackvolle Ausstellungen in den Schaufenstern der Regentstreet; anderswo, besonders auch in der berühmten Oxfordstreet, ist zwar unendlich viel zusammengestapelt, aber nicht immer mit dem feinsten Geschmack.

In Berlin wird jetzt unstreitig reicher und geschmackvoller ausgestellt als früher. Die Geschichte der Berliner Schaufenster ist die Geschichte der Berliner Entwickelung selbst. Man kann die zurückgelegten Staffeln auf dem Wege zum Weltstadttume ganz genau an der steigenden Pracht der Schaufenster verfolgen. Ja, noch mehr, man kann die zivilisatorischen Einflüsse des wachsenden, mächtig sich entfaltenden Kunstsinnes, des ästhetischen Gefühls in der Bevölkerung an den Schaufenstern ablesen.

Berlin hatte bis kurz vor dem deutsch-französischen Krieg eigentliche Schaufenster im heutigen Sinne überhaupt noch nicht. Die Auslagen waren bis dahin nicht viel mehr, als gewöhnliche Fenster einer Parterre-Wohnung. Erst nach dem Kriege tauchten in größerem Umfange große Fenster auf, die mit Kristallscheiben verglast waren. Allerdings gab es damals Scheiben in der Größe, wie wir sie heute gewöhnt sind, nicht, und es wurden daher mehrere Scheiben für ein einziges Fenster aufeinandergesetzt. Immerhin waren die großen Schaufenster eine bedeutende Errungenschaft. Über ein Menschenleben hat es gedauert, bis auf diesem Gebiete ein weiterer Fortschritt zu verzeichnen war.

Vor nunmehr ungefähr 10 Jahren entstanden in Berlin die modernen Metallschaufenster. Das erste, das im ,,Konfektionär“ abgebildet wurde, war ein laternenförmig vorgebautes, aus Messing konstruiertes Schaufenster an der Ecke der Leipziger- und Friedrichstraße.

Verfeinerter Geschmack und vervollkommnete Technik im Dienste der Industrie schufen seither Ladeninterieurs, die an Schönheit mit den Salons der vornehmsten Privathäuser konkurrieren können. Die neue Industrie der Schaufensterausstattung in Deutschland hat nur wenig Anlehnung an das Ausland zu nehmen nötig gehabt, weil sie selbständig schöpferisch tätig war. Die Kataloge der Firmen der Branche, die Tausende von Artikeln aufweisen, zeigen fast durchgängig Fabrikate, deren Herstellungsgedanke in Deutschland entstanden ist. Eine rege Ausfuhr bringt die Erzeugnisse der deutschen Schaufensterindustrie nach den verschiedensten Ländern, ja über alle Meere.

Wenn die gute alte Zeit sich damit begnügte, den Weinzeiger zum Zeichen einer gastlichen Stätte über der Pforte anzubringen oder einen schürzenumwundenen Stuhl vor die Tür zu setzen, um kundzutun, daß Blut- und Leberwurst frisch vom Kessel der Käufer harrten, so hat heute Gewerbe und Industrie ganz andere Mittel gesucht, auf die Sinne des Publikums zu wirken. Durch riesengroße Spiegelscheiben, deren Herstellung erst eine Errungenschaft der Neuzeit ist, fällt jetzt das Auge allenthalben auf bunteste Pracht und Fülle, und ein Weg durch die Hauptgeschäftsstraßen Berlins gleicht einem Spaziergang durch eine kleine internationale Ausstellung. Da gibt jeder Kaufmann mit größtem Raffinement ein möglichst charakteristisches Bild seiner Branche und taucht es zum Überfluß noch in ein ganzes Meer hell flutenden Lichtes.

Wien hat viele sehr schöne und elegante Läden, die sich in jeder Weltstadt sehen lassen können; auch Pest ist in entschiedenem Aufschwünge begriffen. Sehr schöne Ausstellungen und Schaufensterdekorationen haben Dresden, München, Stuttgart und vor allem Karlsruhe, das manche größere Stadt beschämen kann.

Von deutschen Provinzialstädten haben wohl Köln, Düsseldorf und Frankfurt a. M. die schönsten Auslagen. Den französischen und englischen Provinzialstädten kann man keine besonderen Komplimente machen; Bordeaux und Bradford stehen wohl in erster Linie. In Italien hat Mailand weitaus die schönsten Auslagen in den Schaufenstern. In der weltberühmten Passage zum Beispiel sind ganz herrliche Sachen, viel schöner als in Rom, das außer einigen hübschen Läden am Corso wenig Bedeutendes bietet, und Neapel, das in dieser Beziehung eine ganz gewöhnliche Provinzialstadt ist.

Im Orient und in Ägypten steckt die Kunst, ein Schaufenster elegant und doch nicht aufdringlich zu dekorieren, noch in den Kinderschuhen, dagegen steht Amerika obenan. Freilich, schreibt ein vielgereister Fachmann in der ,,Straßburger Post“, ist die amerikanische Art der Anordnung und Ausschmückung einer Ladenauslage nicht die unserige, aber jedes Land darf den Anspruch erheben, aus sich heraus beurteilt zu werden, nicht von unserem Standpunkt aus. Ein feiner Pariser Geschäftsmann dekoriert seine Schaufenster nach künstlerischen Gesichtspunkten, ein smarter Amerikaner dagegen erkennt nur die Wirkung der Reklame als bestimmend und berechtigt an. Wenn wir in New York oder Chicago die Läden mustern, so fällt uns zuerst die riesenhafte Größe der Schaufenster ins Auge. Für den Amerikaner kommt eben in erster Linie die Größe in Betracht; das ,,klein aber fein“ kennt und schätzt er nicht; alles muss big sein, womöglich the biggest in the world. So macht er seine Reklame in der Zeitung, so macht er seine Reklame im Schaufenster. Die Anordnung der ausgestellten Dinge berührt uns oft seltsam; sehr eigentümliche, oft laut schreiende Farbenzusammensetzungen; sehr seltsame, bizarre Formen, dazu blendende Beleuchtungseffekte, die stellenweise den Augen wehe tun. Aber - alles ist sehr wirkungsvoll! Der Vorübergehende wird sozusagen mit Gewalt an das Schaufenster hingezogen, er muss hintreten und sehen, so lebhaft ist die Beleuchtung, so mannigfach wechselnd der Glanz der Spiegel oder Mosaikplatten, mit denen die Schaufenster ausgelegt sind, so bizarr und phantastisch sind die Gegenstände zusammengestellt. Alles drängt sich bewundernd vor dem Schaufenster zusammen, und hinter diesem steht ,,Uncle Sam“ und lächelt befriedigt, während er den Kaugummi aus einer Backentasche in die andere schiebt. Die Reklame war wieder einmal gelungen. Und weiter hat seine Dekoration ja keinen Zweck.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kaufmännische Propaganda.