Erste Fortsetzung

Es geschah, was man hatte voraussehen können. Mit einem solchen Staatsrecht, mit solchen politischen Parteien zu regieren, war unmöglich. Gleichzeitig nahm das Klubwesen überhand; die Gärung der Pöbelmassen wuchs: zweimal war das Leben des Königs in Gefahr, als die von Demagogen inspirierten Massen, am 20. Juni 1792 und dann wieder am 10. August im Palaste erschienen, um der Monarchie den Garaus zu machen. Was die Kaiserin zu den Szenen des 20. Juni gesagt habe, ist uns nicht bekannt; als aber die Nachricht von der Suspension des Königs am 10. August eintraf, als man erfuhr, der König sei mit seiner Familie im Temple, ,,dans latour des Banqueroutiers", untergebracht, da brach die Kaiserin in den Ausruf aus : ,,Cela est horrible“. *)

Es folgte der Prozess des Königs und dessen Hinrichtung. Als die Nachricht von dieser Katastrophe nach St. Petersburg gelangte, erkrankte Katharina. Sie lag zu Bette und war in tiefer Betrübnis **). Der russische Hof legte auf sechs Wochen Trauer an. Mit Genugtuung erzählte man sich, wie in London, als die Nachricht von der Hinrichtung Ludwigs während einer Theatervorstellung dahin gelangte, das Publikum tiefen Abscheu vor dieser Tat an den Tag gelegt und die Fortsetzung der Vorstellung nicht gewünscht habe. Man meinte, England wolle jetzt Frankreich vernichten: „il faut absolument exterminer jusqu'au nom des Francais.“ — Bei der Abstimmung über das Todesurteil Ludwigs waren im Convent bekanntlich die herkömmlichen Regeln verletzt worden. Abgesehen von der auf die Deputierten von den Spitzführern der Klubs und deren Banden ausgeübten Pression hatte man u. A. festgesetzt, dass statt der in Frankreich sonst für ein Todesurteil erforderlichen Zweidrittelmajorität die einfache Majorität gelten sollte. Indem sich Katharina in hohem Grade missbilligend über eine so rabulistische Art der Gerichtsverhandlungen aussprach, bemerkte sie: „Cest une injustice criante même envers un particulier“ — Bald darauf erfuhr man, dass das Volk in Wien die dort befindlichen Franzosen misshandeln oder sogar töten wolle, und ein solches Ereignis wohl eintreten würde, wenn die Franzosen an die Königin Marie Antoinette, der Tochter Maria Theresiens, Hand anlegen würden. — In offenbar bitterer Stimmung sagte Katharina: „l’égalite est un monstre, que veut être roi" **).


**) Chrapowitzki, am 21. August, 1792, — Masson, I. 234 erzählt, Katharina habe Krämpfe gehabt. Dass Katharina bettlägerig gewesen sei, erzählt auch Chrapowitzki, Februar, 1793 — Chrapowitzki, 2. Februar, 5. Februar, 1793.

Mit dem Eintritt der Schreckenszeit war die Zeit der Beobachtung vorüber. Russland schickte sich an zu handeln, und zwar zu Gunsten der Emigranten,

Wir besitzen auch längere, ausführlichere Meinungsäußerungen Katharinas über den Sturz der Monarchie. Sie hat in dieser Zeit mancherlei politische Memoires über die Lage verfasst, u. A. ein von Solowjew in dessen Buche über den Fall Polens mitgeteiltes Gutachten vom 4. Dezember 1791, in welchem sie bemerkt, man brauche Frankreich nicht zu fürchten, es werde sehr bald zur Monarchie zurückkehren, oder ein späteres Gutachten, worin ausgeführt wird, dass selbst die Hegemonie Ludwigs XIV. für Europa nicht so gefährlich sei, als diese Republik. — In den Memoiren Gribowskis ist folgende Auslassung der Kaiserin über die Gefahr von Frankreich her reproduziert: „Wir dürfen den guten König nicht ein Opfer der Barbaren werden lassen. Die Schwächung der monarchischen Gewalt in Frankreich bringt alle Monarchien in Gefahr. Sollten wirklich die europäischen Herrscher nicht sich aufraffen wollen, um einem in Banden liegenden Souverain und seiner Familie zu helfen? Die Anarchie ist die schlimmste Geißel, besonders, wenn' sie unter der Maske der Freiheit, dieses die Völker berückenden Luftgebildes auftritt. Europa wird bald in Barbarei versunken sein, wenn man nicht eilt, es von der Anarchie zu befreien. Ich meinerseits bin bereit, mit allen meinen Kräften mitzuwirken. Es ist Zeit zu handeln, zu den Waffen zu greifen, um diese Rasenden zu zügeln. Es ruft die Religion, die Humanität, es rufen die heiligen Rechte Europas“.

Nach einem in lebhaften Gesprächen über die Revolution verbrachten Abende in Zarskoje-Sselo setzte sich Katharina nieder und schrieb ein Memoire, in welchem sie ausführte, welche Gefahr von Frankreich her drohe. Nie sei die Anarchie in dem einen Staate ohne Gefahr für alle Nachbarn. Anarchie mache die Völker arm, und an den Bettelstab gebrachte Völker seien stets bereit Krieg zu fuhren: reiche Völker dagegen seien mehr geneigt zum Frieden. Dabei aber könne auch ein materiell ruiniertes Volk, wenn es eine einheitlich starke Regierung habe, mit der Kraft der Verzweiflung im Kriege die Lust nach Beute verbinden und so an anderen Völkern eine Reihe von Freveltaten begehen usw.

Man kann nicht leugnen , dass eine solche Beurteilung der französischen Verhältnisse im Wesentlichen das Richtige traf. Das finanziell zerrüttete revolutionäre Frankreich verstand es, auf Kosten Europas Krieg zu fuhren. Es hatte eine starke Regierung. Es verübte Frevel an den Völkern Europas.

Wir bemerkten im Eingange, Katharina sei theoretisch liberal gewesen. Dieses hinderte sie nicht sich mit französischen Emigranten zu umgeben. Es kamen Bombelles, Senac de Meilhan, St. Priest, Choiseul-Gouffier, Esterhazy, endlich auch der Bruder des Königs Ludwigs XVI., Artois, nach St. Petersburg. — Merkwürdig aber ist dabei, dass der Erzieher der Pinkel Katharinas, der Großfürsten Konstantin und Alexander, Laharpe, auch in der Zeit, als die Emigranten in St. Petersburg eine hervorragende Rolle spielten, in seiner Stellung verblieb. Laharpe vermittelt durch seinen Bildungsgang, seine politischen Überzeugungen, seine Stellung zu den Parteien in der Schweiz einerseits und durch seine Beziehungen zu Katharina und Alexander andererseits zwischen der Revolution und dem alten Europa, zwischen der Epoche der Aufklärungsliteratur im achtzehnten Jahrhunderte und der Periode der Reaktion, welche auf den Wiener Kongress folgte. Es macht einen eigentümlichen Eindruck, einen Mann, welcher die Überzeugungen sehr exaltierter Doktrinäre der französischen Schreckenszeit teilte, eine so hervorragende Rolle spielen zusehen an einem Hofe, welcher den Vertretern des französischen ancien regime ein gastliches Asyl bot. Der begeisterte Schüler Lockes und Rousseaus, der Priester der Freiheit und des Rationalismus, welcher Cäsar tadelte und Brutus pries, welcher Julian erhob und Konstantin den Großen schmähte, wird Erzieher am Hofe einer Kaiserin, welche das Stabilitätsprinzip vertrat gegenüber der Umwälzung des Jahres 1789, das Interesse der absoluten Monarchie gegenüber den Doktrinen der Franklin, Lafayette, Mirabeau u. A., Erzieher eines Fürsten, welcher als Hauptgründer der heiligen Allianz die Reaktion einleitete gegen die Revolution, und an den Fürstenkongressen Teil nahm, die den Ideen des modernen Verfassungslebens, den säkularisierenden Tendenzen der Aufklärungsliteratur romantische Mystik und Patriarchalpolitik entgegensetzten. Es erscheint kaum begreiflich, dass Laharpe in seiner Doppelstellung sich erhalten konnte, dass er seine innigen Beziehungen zu hochfürstlichen Personen bis an deren Ende pflegte, dass er, welcher den Großfürsten Alexander und Konstantin im Geschichtsunterricht das schwärzeste Bild von den vorrevolutionären Zuständen Frankreichs entrollte, nicht von dem Emigrantenkreise am Hofe der Kaiserin Katharina aus dem Sattel gehoben, dass er, den die Kaiserin wohl scherzweise „monsieur le Jacobin“ nannte, von ihr nicht für wirklich gefährlich gehalten wurde, dass er, der auf dem Wiener Kongresse echt republikanische Grundsätze verfocht, in derselben Zeit von Kaiser Alexander den Andreas-Orden erhielt.

Früher wie später wären derartige Erscheinungen schwerlich möglich gewesen. Die Revolutionsepoche zeigt dagegen oft eine solche Mischung entgegengesetzter politischer Strömungen. Mirabeau wollte die Monarchie retten, Robespierre die Religion neu aufrichten. Als nicht liberal genug werden Necker und die Girondins über Bord geworfen. Bonaparte, welcher einst jacobinische Tendenzen verfocht, wird Konsul und Kaiser. Diderot, Voltaire und Lafayette stehen im Verkehr mit der Kaiserin Katharina neben dem künftigen König Karl X.; Alexander, welcher an Bauern-Emanzipation und liberalen Konstitutionalismus dachte, ist der Verfechter der Fürstenrechte gegenüber den destruktiven Bestrebungen der geheimen Gesellschaften; er, welcher die Cortesverfassung von 1812 guthieß und die spanischen Insurgenten der Napoleonischen Periode hochstellte, fühlte sich berufen, in den zwanziger Jahren der Hydra der Revolution den Kopf zu zertreten. Wie viele andere der Zeitgenossen Laharpes, so hat auch er selbst ein Janusgesicht und dies kann man auch von der Kaiserin Katharina sagen.

Die Ideen von Freiheit und Gleichheit, welche durch die französische Revolution einen Sieg feierten, erfüllten Laharpe mit Entzücken. Seine in diesem Sinne geschriebenen Geschichtsvorträge erschienen nicht bloß der Kaiserin musterhaft, sie wurden auch in der Schweiz, wohin die Handschrift geschickt wurde, in radikalen Kreisen fleißig gelesen. Von St. Petersburg aus nahm Laharpe Teil an den Schicksalen seiner Heimat. Er wirkte in der Schweiz durch Briefe und Gutachten, welche gegen das konservative Bern gerichtet waren, zu Gunsten des von Bern gemisshandelten Waadtlandes. Eine solche Intervention von Seiten des russischen Fürstenerziehers erregte den Unwillen der Vertreter des alten Europa, welche damals in Koblenz versammelt, sich an den russischen Gesandten, Grafen Rumjanzow, wandten und ihre Verwunderung darüber äußerten, dass Katharina einen so gefährlichen Revolutionsmann an ihrem Hofe dulde. Die Kaiserin hielt sich in solchen Dingen für durchaus mündig, gab dem Prinzen Eugen von Württemberg, welcher sich zum blinden Werkzeuge der Berner Partei hergegeben hatte, einen Verweis und scherzte mit Laharpe über die ihm schuldgegebenen Verbrechen. Sie trug ihm auf, ein Memoire zu seiner Rechtfertigung zu verfassen. Dieses Schriftstück, welches sich durch Freimut und publizistische Schärfe auszeichnet, zeigte, dass dem gefährlichen Republikaner auf diese Weise nicht beizukommen war. Die Emigranten schrieben es seinem Einfluss zu, dass die Kaiserin nicht energischer zu ihren Gunsten intervenierte. Sie suchten ihn zu verderben. Graf Esterhazy, Prinz Nassau-Siegen, Artois, — Alle hassten Laharpe. Im Gefolge Artois' befand sich der Baron soll auf Solothurn, dem die Berner den Auftrag erteilt hatten, den Sturz Laharpes zu bewirken. Doch nicht wegen seiner republikanischen Überzeugungen wurde Laharpe der Kaiserin unbequem, sondern aus einem andern Grunde: er lehnte es ab, an der zu Ungunsten des Großfürsten Paul beabsichtigten Änderung der Thronfolge durch persönlichen Einfluss auf den Großfürsten Alexander mitzuarbeiten, ja er suchte im Gegenteil ein innigeres Verhältnis zwischen dem Großfürsten Paul und dessen Söhnen anzubahnen, was ihm auch zum Teil gelang.

Die Autobiographie Laharpes berichtet folgende Anekdote aus jener Zeit des Aufenthalts französischer Emigranten am russischen Hofe. Als einige Emigranten sich in Lobeserhebungen über das ancien regime in Frankreich ergingen und Niemand ihnen zu widersprechen wagte, unterbrach der Großfürst Konstantin, welcher damals vierzehn Jahre zählte, die Franzosen und bewies, dass ihre Auffassung von den vorrevolutionären Zuständen in Frankreich eine grundfalsche sei. Alle Missbräuche und Übelstände der Privilegien der höheren Stände zählte der Großfürst her. Auf die Frage, wo er sich denn über diese Verhältnisse unterrichtet habe, entgegnete Konstantin, er habe mit Laharpe darüber in den Mémoires posthumes von Duclos gelesen. Die Kaiserin Katharina applaudierte ihrem Enkel und die Emigranten waren in nicht geringer Verlegenheit. —

Mochte Katharina auch den Emigranten an ihrem Hofe ein gastliches Asyl gewähren, ihnen Jahrgelder aussetzen, einigen von ihnen Ämter verleihen, so war sie doch weit entfernt, die Schwächen dieser Partei zu verkennen. Wiederholt erging sie sich in ihren Briefen in starken Ausdrücken über das läppische Benehmen der Emigranten in Koblenz, über die klägliche Rolle, welche sie in den Feldzügen gegen Frankreich spielten. Sie intervenierte für die Emigranten lange nicht mit solcher Energie und Hingebung, wie etwa Gustav III. von Schweden oder Friedrich Wilhelm II. von Preußen.

Dagegen ist es merkwürdig zu sehen, wie die offizielle russische St. Petersburger Zeitung jener Jahre, welche bis zur eigentlichen Schreckenszeit in Frankreich außerordentlich eingehende Berichte über die Pariser und Versailler Zustände zu bringen pflegte, durchaus ein Emigrantenblatt ist, sich zu den cynischsten Invektiven gegen die Hauptvertreter der Revolution hinreißen lässt und ein durchaus schiefes Bild der Ereignisse liefert.

Diese Zeitung erzählt sehr viel von den äußeren Ereignissen ohne irgendwie auf eine Beurteilung der in Frage kommenden Institutionen einzugehen. Die Straßenkrawalle sind das Lieblingsthema. Eine Würdigung der Bedeutung des Kampfes der Stände suchen wir vergebens. Der berühmten Sitzung vom 5. August 1789, der sogenannten Bartholomäusnacht des Eigentums, in welcher alle feudalen Institutionen über Bord geworfen wurden, wird kaum erwähnt. Dagegen gibt es viel Hohn und Galle gegen Männer wie Mirabeau, einen furchtbaren Wutschrei bei Gelegenheit der Erstürmung der Bastille, viel Hass und Groll gegen die damalige französische Journalistik. Alle entscheidenden Handlungen der Deputierten der Nationalversammlung werden auf möglichst schmutzige Motive, namentlich auf Habgier und Bestechlichkeit zurückgeführt; auch ist die Zeitung eifrig bemüht, Vieles in Frankreich durch angebliche Trunksucht der Liberalen zu erklären. Sehr oft werden die Letzteren geradezu als verrückt angesehen, wie denn auch Potemkin gelegentlich in einem politischen Gutachten äußert, Frankreich habe den Verstand verloren. — Die berühmtesten Redner der Nationalversammlung werden als Komödianten bezeichnet, die Versammlung selbst als ein Theater, die Verhandlungen erscheinen als eine Posse. Bacchus, heißt es wiederholt, sei der eigentliche Gott dieser neuen französischen Freiheit. Als Mirabeau, freilich etwas stark, den Minister Necker mit dem Pferde verglichen haben sollte, welches ein römischer Kaiser zum Konsul ernannt habe, bemerkt eine Korrespondenz aus Paris in der St. Petersburger Zeitung, man behaupte, Mirabeaus Kopf sei nur mit dem Heu gefüllt, welches jenes Pferd habe fressen sollen. Als Mirabeau bei Gelegenheit von Franklins Tode den Antrag stellte, öffentlich Trauer um den verdienten Republikaner anzulegen, schalt die St. Petersburger Zeitung, der Graf Mirabeau sei ein ganz ähnlicher Bösewicht wie jener Franklin, welcher den Ungehorsam gegen die Obrigkeit gepredigt und dessen ganze Weisheit in der Kunst bestanden habe, sich die Taschen zu füllen und allerlei Gaunerstreiche auszuführen. Die Abschaffung der Titel auf legislatorischem Wege zeuge nur davon, dass die Köpfe der Gesetzgeber von Alkoholgasen angefüllt gewesen seien. Für den Angriff auf das Schloss in Versailles durch die Pariser Volkshaufen in der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober 1789 werden der Herzog von Orleans und Mirabeau verantwortlich gemacht, während dem letzteren in dieser Hinsicht durchaus kein Makel anhaftet. Die Freiheit, heißt es einmal, sei nur eine Quelle der Bereicherung für deren Erfinder und ein Mittel der Bedrückung für alle anderen. Die Mitglieder der Nationalversammlung werden einmal schlechtweg „Esel der Freiheit“ genannt. Dass den Schauspielern bürgerliche Rechte eingeräumt werden, erscheint der St. Petersburger Zeitung ebenso absurd und lächerlich als die Einführung von Luxussteuern. — Als Mirabeau, wegen Anstiftung des Versailler Krawalls vom 5. Oktober angeklagt, freigesprochen wird, ist die Zeitung ganz entrüstet und ruft mit Emphase aus: O Cartouche, (der bekannte Räuber, welcher 1721 hingerichtet wurde) o Cartouche! du hattest deines Gleichen nicht; auferstehe, erscheine ja der Nationalversammlung und verlange eine Revision deines Prozesses, du kannst sicher auf eine Freisprechung rechnen!“ Als die rote Mütze Mode wurde, heißt es in der Zeitung, sei es jetzt leicht die Vernünftigen von den Hirnverbrannten zu unterscheiden, da die letzteren den „bonnet rouge“ trugen. — Der 10. August 1792 wird mit dem Falle Jerusalems verglichen. Die anfänglichen Misserfolge der Franzosen im Kriege mit den Alliierten werden mit Jubel begrüßt.

Über die eigentlichen terroristischen Ereignisse schweigt die St. Petersburger Zeitung. Der Korrespondent hielt sich offenbar nicht mehr in Paris auf. Auch mochte die Mitteilung allzuschlimmer Verbrechen in der russischen St. Petersburger Zeitung von Regierungswegen für unstatthaft gelten. Dagegen berichtet das Blatt sehr gewissenhaft von allen gegen die Revolution gemachten Demonstrationen in Wien, Brüssel, London, Konstantinopel usw. Die angeblichen Heldentaten der Emigranten werden mit den Tugenden der Römer auf eine Stufe gestellt. Offenbar wurden diese Artikel, wie auch aus der Sprache und deren Gallizismen und Fremdwörtern oder allzu wörtlichen Übersetzungen hervorgeht, französisch geschrieben und dann ins Russische übersetzt.

Von polizeilichen Maßregeln, welche in St. Petersburg und überhaupt in Russland gegen die französischen Revolutionsideen ergriffen wurden, ist in erster Linie jener Ukas zu erwähnen, welcher den in Russland weilenden Franzosen nur dann den ferneren Aufenthalt gestattet, wenn sie ihre Nichtübereinstimmung mit den Prinzipien der Revolution und ihre Entrüstung über die Hinrichtung des Königs feierlich erklärten. Man verlangte von den Franzosen einen förmlich royalistischen Eid, welcher auch (nach einer ungefähren Schätzung) von etwa 1.000 Franzosen in verschiedenen Städten Russlands geleistet wurde. Jede Nummer der St. Petersburger Zeitung enthält etwa zwei Monate hindurch Verzeichnisse solcher bon-gré-mal-gré-Royalisten. — Der Krieg gegen die Mode der französischen Revolution in Kleidung und Haartracht ist erst in der Zeit der folgenden Regierung des Kaisers beachtenswert. Unter Katharina ereignete sich indessen folgende Episode, welche allerdings schon den Anfang eines solchen Krieges zeigt. Katharina hatte dem Polizeimeister Rylejew den Auftrag gegeben nachzuforschen, ob es nicht in St. Petersburg bonnets rouges oder Jacobiner gebe. In der Tat entdeckte Rylejew am Fenster im dritten Stock eines Hauses am Admiralitätsplatze einen alten verabschiedeten französischen General, der zufällig eine rote Schlafmütze trug, verhaftete ihn sogleich und brachte den Erstaunten ins Palais. Katharina schalt Rylejew aus und verdoppelte die Pension des Generals. — Auch erzählt Gribowski, dass, als das Gerücht sich verbreitete, die Pariser Demagogen hätten an alle Höfe Emissäre geschickt, um die Fürsten zu ermorden, und der im Palais dejourierende General-Adjutant Passek die Wachen verdoppelte, dieses von der Kaiserin sogleich verboten wurde. Dass sie die Büsten Voltaires und Fox' in dieser Zeit aus einer Galerie der Eremitage in einen Winkel geworfen worden seien, erzählt Massen in seinen Mémoires secrets, die aber mit Vorsicht benützt werden müssen. — Glaubhafter erscheint die Anekdote, dass, als im Moniteur die Kaiserin „la Messaline du Nord“ genannt wurde und das Blatt in Folge dessen nicht ausgegeben werden sollte, Katharina ruhig bemerkte: „Puisque cela ne regarde que moi, qu'on le distribue.“

Zu einer Aktion in der auswärtigen Politik in Folge des Ausbruches der Revolution entschloss sich Katharina doch nur langsam. Schon durch seine geographische Lage konnte Russland nicht solche Gefahren befürchten, wie etwa die Rheinlande, die Schweiz, Italien. In gewissem Sinne konnte die Intervention von Seiten Preußens zu Gunsten der Emigranten zugleich als ein Akt der Defension gelten. Nahm Russland Teil an einem Kampfe gegen die Revolution, so musste das eine Folge komplizierterer Berechnung sein. Außerdem war Katharina weit entfernt von der Art Gefühlspolitik, wie eine solche von Gustav III. und noch mehr von Gustav IV., wohl auch von Friedrich Wilhelm II. vertreten wurde. Viel weniger als mit diesen Fürsten kann man sie vergleichen mit dem kühlen, leidenschaftslosen, ruhig berechnenden Leopold II. An eine Gefahr von der revolutionären französischen Propaganda für Russland glaubte Katharina schwerlich.

Dagegen gab es ganz andere politische Fragen, welche Katharina viel mehr beschäftigten: die polnische, die orientalische. Erst im Jahre 1790 hatte Russland den Frieden von Werelä mit Schweden geschlossen und konnte nun wenigstens von dieser Seite her ruhig sein. Dass Gustav III. mit solchem Eifer, ja nicht ohne Leidenschaft sich mit Frankreich beschäftigte, war der Kaiserin sehr lieb. Bereitwillig verstand sie sich zum Abschluss einer Allianz mit Schweden gegen Frankreich und bewilligte dem Könige nicht unbeträchtliche Summen, um ihn im Westen zu beschäftigen. Ausdrücklich hat sie es ausgesprochen, wie froh sie sei, dass sie Gustav eine Zeitlang mit den französischen Angelegenheiten in Anspruch genommen habe. Auch dass Preussens Aufmerksamkeit ganz nach dem Westen gerichtet war, galt ihr als ein großer Vorteil. Sie sagte wohl, dass sie sich den Kopf zerbreche, auf welche Weise sie recht wirksam die Höfe von Wien und Berlin zum Kriege gegen Frankreich aufreizen könne. Während sie selbst sich in dieser Zeit darauf beschränkte, einen mehr oder weniger lebhaften Verkehr mit den Emigranten zu unterhalten, dem Herzog Artois bei dessen Anwesenheit in St. Petersburg einen geweihten Degen zu verehren **) und etwa die Karte Westfrankreichs zu studieren oder gar über die Einnahmbarkeit Straßburgs Erkundigungen einzuziehen, war sie höchst unzufrieden, dass die preußischen und österreichischen Truppen nicht rascher und energischer gegen Frankreich vorschreiten. Ihre Ungeduld erklärt sich am besten durch einen Ausspruch, den sie im Gespräche mit ihrem Geheimschreiber am 14.December 1791 tat. Sie klagte über ihre Minister, welche ihre eigentlichen Absichten nicht recht verständen und bemerkte dazu: „Es gibt Motive, welche man nicht laut formulieren darf; ich' will die Anderen (d. h. Österreich und Preußen) engager dans les affaires pour avoir les coudées franches; ich habe hier viele unbeendete Angelegenheiten. Es ist nötig, dass Jene (Friedrich Wilhelm II. und Leopold II.) beschäftigt seien und mich nicht störten".*) Um noch entschiedener auf den Berliner Hof zu wirken, schrieb sie u. A. an Zimmermann oder an den Fürsten Ligne mit der Post, weil sie erwartete, dass man in Berlin ihre Briefe öffnen und lesen würde. Auch dort bestand ja das Institut der „Perlustration“ — In starken Äußerungen tadelte sie die Kriegführung der Alliierten, welche nach der allerdings kläglichen Kanonade von Valmy den Rückzug aus der Champagne antraten. — Aus Allem ist zu ersehen, wie in dieser Zeit die Beendigung der angefangenen Unternehmungen, d. h. weitere Annexionen in Polen näher lagen, als ein unmittelbarer Krieg Russlands gegen Frankreich. Die Wirren im Westen galten der Kaiserin nur als ein Mittel, die Machtstellung Russlands in Europa zu befestigen. Wer wird leugnen, dass dieser Zweck erreicht wurde, sowohl durch die diplomatische Action unter Katharina als durch die militärische in späteren Jahren.

Der Konflikt mit Frankreich unter Kaiser Paul, die glänzenden Siege Suworows; die Teilnahme Alexanders an den Kriegen von 1805, 1807 die Jahre 1812 bis 1815, besonders aber die Rolle, welche Russland auf dem Wiener Kongresse spielte, zeigen wie jener Gedanke Katharinas „je veux avoir les coudées franches'' auch in der Praxis sehr schwer wog. — Das revolutionäre Frankreich selbst bot dazu vielfach Gelegenheit.

*) Masson bemerkt, II. 106, Katharina habe wie Friedrich II. und Voltaire über den geweihten Degen gelacht, welchen der Papst dem Feldmarschall Daun geschenkt habe: dennoch habe sie in der Kirche des h. Alexander-Newski einen Degen für Artois weihen lassen, welcher dann freilich ebensowenig Wunder getan habe, als der Degen Dauns.—

Seltsam werden in dieser Zeit oft die Rollen vertauscht. Derselbe Napoleon, welcher auch als ein Sohn der Revolution gelten kann, dieselbe in Frankreich zu einem gewissen Abschluss brachte, sie aber in Europa an der Spitze der französischen Armee fortsetzte, gedachte — es sind darüber keine aktenmäßigen Belege, wohl aber schwerwiegende Zeugnisse von Zeitgenossen beizubringen — im Jahre 1 789 in russische Kriegsdienste zu treten. Derselbe Alexander, welcher die Politik Katharinas fortsetzte, wiederholt gegen Frankreich focht, die Solidarität der konservativen Interessen vertrat, suchte allen Ernstes 1814 für liberale Institutionen, für eine Verfassung in Frankreich zu wirken. — Ein seltsamer Gegensatz; Napoleon, dessen Invasion in Deutschland hier und da wenigstens die Wirkung hatte, anachronistische Institutionen, wie etwa die Folter oder die Bauernknechtschaft abzuschaffen, Napoleon, welcher Europa gegenüber zum Teil wenigstens die Prinzipien von 1789 vertrat, welcher aber für Frankreich als Repräsentant der Militärdiktatur und des Despotismus die Negation der Prinzipien von 1789 bedeutete, wird von demselben Russland bekämpft, welches so energisch gegen die französische Revolution protestiert hatte. — Und dasselbe Russland, welches Jahrzehnte lang einen prinzipiellen Gegensatz bildet zu dem politischen Fortschritte im Westen, welches auf den Kongressen von Troppau, Laibach, Verona gegen das Verfassungswesen der südeuropäischen Staaten zum Kampfe ruft, sorgt eifrig dafür, dass Frankreich eine Verfassung erhalte, eine beschränkte Monarchie werde, nicht wieder zurückkehre zu den Grundsätzen des ancien régime. — So wirksam war die politische Aufklärung, welche, germanischen Ursprungs, ihre Heimat in England hatte, welche aber durch Vermittlung Frankreichs ein Gemeingut Europas wurde, kosmopolitische Bedeutung gewann und sowohl zu den Zeiten Katharinas wie auch bis auf den heutigen Tag auch in Russland Früchte getragen hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Katharina II. und die Französische Revolution