Katharina II. Kaiserin von Russland im Urteile der Weltliteratur

I. Band: Die Literatur bis zu Katharinas Tode (1744—1796).
Autor: Bilbassoff, B. von Prof. (1838-1904) russischer Historiker, Erscheinungsjahr: 1896
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Katharina II., Kaiserin von Russland, Russen,
Dem unter Zustimmung Professor Bilbassoffs an mich herangetretenen Wunsche des Verlegers entsprechend, will ich versuchen, einige Worte zur allgemeinen Einführung der Geschichte Katharinas II. von Bilbassoff hierher zu setzen.

Professor Bilbassoff und sein Buch über Katharina II. sind ja dem deutschen Publikum nicht unbekannt. Die beiden ersten Bände seines Werkes sind bereits in deutscher Übersetzung erschienen und fanden bei der Kritik eine sehr günstige Aufnahme. Es hat sich nun allerdings nachträglich durch den Vergleich mit dem erst später erschienenen russischen Originaltext des zweiten Bandes gezeigt, dass diese erste Übersetzung doch bedenkliche Mängel zeigte: Missverständnisse des Textes, Verstümmelungen von Namensformen, kurz Defekte, welche den Verfasser wünschen ließen, in einer neuen, korrekten Übersetzung sein Buch in deutscher Sprache erscheinen zu lassen; und zwar das ganze, im russischen Manuskript fertige, die Geschichte Katharinas bis zu ihrem Tode umfassende Werk. Die russische Ausgabe, deren Edition in Russland selbst auf Schwierigkeiten bei der Zensur stößt, soll dann in gleichem Verlag mit der neuen mit großer Sorgfalt angefertigten Übersetzung erscheinen. Verfasser und Verleger haben es nützlich befunden, mit dem Schlussbande diese neue Übersetzung zu beginnen. Er erscheint unter dem besonderen Titel: „Katharina II., Kaiserin von Russland im Urteile der Weltliteratur“, und gibt uns die in nichtrussischer Sprache über Katharina II. bis heute erschienenen Werke in erschöpfender Vollständigkeit, im ganzen 1282 Nummern, von denen jede einzelne ihre Charakteristik und kritische Würdigung findet.

Schon hieraus lässt sich erkennen, dass wir es mit einer groß angelegten Darstellung der Geschichte Katharinas zu tun haben, welche sich das Ziel stellt, nicht nur zu erzählen, sondern zugleich zu überzeugen und Methode und Material der Arbeit dem Urteil der Leser zur Erwägung vorzuführen.

Nun wird man, nach dem was bisher gedruckt vorliegt, den vom Verfasser eingeschlagenen Weg nur billigen können, wenngleich die etwas wunderliche Anordnung der Erklärung bedarf, die uns Bilbassoff in seiner Einleitung gibt. „Es sind“, so schreibt er, „ausschließlich die von der Zensur erhobenen Schwierigkeiten, die mich genötigt haben, diesen Band auf die beiden ersten folgen zu lassen.“ Gegen die russische Zensur aber kämpfen bekanntlich selbst Götter vergebens.

Doch es liegt uns fern, mit jenen unüberwindlichen Zensur-Mächten zu kämpfen. Genug, der neue Band „Katharina II. im Urteile der Weltliteratur“ liegt uns vor. Wer die schier endlose Reihe der Schriften zur Geschichte Katharinas durchsteht, wie sie von 1744 bis heute, also in rund anderthalb Jahrhunderten erschienen sind, erhält ein deutliches Bild, wie in Liebe und Hass, in Bewunderung und Verachtung, durch Pamphlet und einseitiges Loben oder Tadeln, das Bild der merkwürdigen Frau verzerrt worden ist. Wenn irgend etwas, so rechtfertigt diese kritische Übersicht der Literatur das Unternehmen des Verfassers, ein neues, allseitig abwägendes, auf voller Beherrschung des Quellenmaterials, des gedruckten wie des archivalischen, aufgebautes Lebensbild der Kaiserin zu entwerfen. Es liegt in der Natur des so behandelten Stoffes, dass er befruchtend auf die Gesamtgeschichte der Zeit wirken muss. Was wir bis heute an Darstellungen der Zeit Katharinas besitzen, genügt doch nur sehr wenig. Weder Herrmann noch Raumer, noch, um die neuesten zu nennen, Brückner oder Waliszewski sind ihrer Aufgabe gerecht geworden. Finden wir bei den ersteren fast nur Rohmaterial, so geben die anderen unfertige und unvollständige Skizzen, die keinen Anspruch erheben können, ihren Gegenstand auch nur annähernd zu erschöpfen. Man lese hierüber die kritischen Ausführungen Bilbassoffs, die in der Hauptsache die Schwächen dieser Werke sehr richtig bloslegen, ohne dass wir uns darum mit allen von ihm abgegebenen Urteilen identifizieren möchten. Ebensowenig aber hatte die russische historische Literatur bisher des Stoffes Herr zu werden vermocht. Sehen wir von den einschlagenden Essays Kostomorows, die immer geistvoll und immer der Nachprüfung bedürftig sind, und von einer Reihe größerer und kleinerer Monographien ab, die einzelne Personen oder bestimmte Ereignisse aus der Regierung Katharinas betreffen, so hat nur Ssolowjew in seiner Geschichte Russlands versucht, eine ausführliche Geschichte der Regierung Katharinas zu schreiben. Aber einmal ist er über seiner Arbeit gestorben, sie reicht nur bis 1780, dann aber treten bekanntlich in den letzten, Katharina gewidmeten Bänden (Band 25 bis 29) die Mängel seiner historischen Methode besonders scharf zu Tage. Wir erhalten im Grunde nur Material, dessen Provenienz sich nicht einmal immer erkennen lässt. Auch ist sein letzter Band 1879 erschienen und gerade seither hat sich unsere Kenntnis der Zeit durch neue Publikationen wesentlich bereichert. Die russische historische Gesellschaft hat in ihrer „Sammlung“ die diplomatische Korrespondenz Katharinas veröffentlicht, Martens „Recueil des Traités“ bietet — so vorsichtig auch gerade dieses Werk angefasst werden muss — kostbare Aufschlüsse über den Gang der russischen Politik, vom „Woronzow Archiv“ ist eine Reihe sehr inhaltreicher Bände veröffentlicht worden, Brückners „Materialien zur Geschichte der Grafen Panin“ fallen zum Teil in die Zeit Katharinas, die Korrespondenz der Kaiserin mit Grimm liegt uns vor, englische, französische, zumal aber preußische und österreichische Publikationen haben ein reiches und neues Material hinzugetragen und nebenher geht die ungeheure Fülle der russischen Memoirenliteratur. Es ist so das gedruckte Material allein von kaum zu übersehendem Reichtum.

Professor Bilbassoff ist nun bemüht gewesen, auch die Archive, die russischen wie die ausländischen, heranzuziehen. Er hat in Berlin, Wien, Paris und London gesammelt und die dortigen Schätze nach Möglichkeit zu erschöpfen gesucht. Daneben standen ihm die noch unedierten Sammlungen der „historischen Gesellschaft“ zur Verfügung und die russischen Privatarchive der Nesselrode, Gagarin und Anderer boten weitere Ergänzungen. Kurz, an ehrlicher Arbeit und umfassenden Studien hat Bilbassoff es nicht fehlen lassen.

Bilbassoff war schon, bevor sein Werk über Katharina erschien, in der historischen Welt nicht unbekannt. Er hat sich seine Sporen durch eine Abhandlung über die Legende von der Päpstin Johanna erworben, die schon 1871 erschien, dann folgte eine lange Pause, die vorbereitenden Studien zur Geschichte Katharinas diente, 1884 veröffentlichte er eine Arbeit über Diderots Aufenthalt in Petersburg, 1887 folgte eine Publikation: „Die ersten politischen Briefe Katharinas", 1889 sein Buch „Jeanne Elisabeth, mère de Catherine II". Es wäre dann noch eine Reihe kritischer Arbeiten zu nennen, wie die sehr eingehende Besprechung des bekannten Buches von Maslowski, „Die russische Armee im 7jährigen Kriege“ und Anderes, stets Stoffe, die mit der Zeit Katharinas in Zusammenhang standen.

So ist ihm die große Arbeit gereift, deren Schlussband uns vorliegt. Es ist an dieser Stelle wohl kaum nötig darauf hinzuweisen, wie weite Gebiete der allgemein europäischen Geschichte es sind, die von einer wirklich umfassenden Geschichte Katharinas II. Befruchtung zu erwarten haben.

Von 1762 bis 1796, also länger als ein Menschenalter, hat Katharina sich auf dem russischen Zarenthron behauptet, zu einer Zeit, welche für die Entwicklung der Menschheit zu den allerbedeutsamsten gehört, deren Anfangs- und Endpunkte bezeichnet werden durch die rettende Wendung, die den großen Friedrich siegreich hervorgehen ließ aus den Nöten des siebenjährigen Krieges, und durch den dämonischen Genius Napoleon Bonapartes. An eben jenem 17. November 1796, an welchem Katharina ins Grab sank, errang Napoleon den entscheidenden Sieg bei Arcole, dessen Folgen den Frieden von Campo Formio herbeiführten und das Fundament legten zum Thron des neuen Imperators. Welche Gegensätze und welche Wandlungen liegen zwischen diesen Daten. Fast alle die großen geistigen und politischen Probleme, welche noch heute die Welt in Atem halten, sind damals geschürzt worden. Während die polnische Selbständigkeit zusammenbricht unter der Last einer Geschichte, die von eigener Schuld und fremder Tücke, zumeist aber von Händeln zu erzählen weiß, in welchen stets das Interesse des Einzelnen oder besten Falles der Partei das entscheidende war und nie das Vaterland, ersteht als neuer Faktor der Weltpolitik der republikanische Bund der Vereinigten Staaten von Nordamerika. England begründet sein indisches Kolonialreich und legt damit den Grund zu seinem überwiegenden Reichtum, wie zu jenem stetig wachsenden Interessengegensatz zu Russland, der schon die nächsten Nachfolger Katharinas von einem Zuge gegen Indien träumen ließ. In Frankreich bricht der älteste Thron des damaligen Europa zusammen, und die Männer der Revolution werfen in die zu engem politischen Philistertum erstarrte Welt die berückende Lehre hinein von der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, welche den orbis terrarum verjüngen soll und die neben dem Fortschritt, den sie bedingt, schließlich doch ausmündet in einen Weltenbrand sondergleichen und in eine Gewaltherrschaft, wie sie Niemand seit den Tagen der römischen Imperatoren zu planen gewagt hatte. In Österreich steigt und glänzt und verlischt, ohne dauernde Spuren zu hinterlassen, der edle Genius Joseph II., der große Friedrich sinkt ins Grab, um einem Nachfolger Platz zu machen, der die Kraft nicht zeigt, den preußischen Staat auf der Höhe zu halten, die jener unter heroischen Opfern erklommen hatte, im Orient aber splittert und kracht es in den Fugen des Osmanischen Reiches, als sollte das Ende der Türkenherrlichkeit kommen mit dem nächsten Wettersturm.

Welch eine Zeit politischer Aufregungen und Wandlungen und welche Zeit zugleich gewaltiger Denkarbeit philosophischen, poetischen und praktisch wissenschaftlichen Schaffens!

Man muss sich all diese Tatsachen gegenwärtig halten, um zu verstehen, was es bedeutet, unter der beispiellosen Fülle hervorragender Geister des ausgehenden 18. Jahrhunderts eine Größe zu sein. Und mit all ihren Schwächen und Menschlichkeiten war Katharina im Guten wie im Bösen, auch an dieser Zeit und an dieser Umgebung gemessen, eine außerordentlich hervorragende Erscheinung, die Niemand übersehen konnte, und die an jeder großen Entscheidung der Zeit Anteil genommen hat, fordernd oder hemmend, niemals neutral oder gleichgültig.

Das Wesentliche aber war doch, dass Katharina die russische Politik so tief mit den allgemein europäischen Interessen zu verflechten wusste, dass fortan eine Lösung des einmal geknüpften Zusammenhanges nicht mehr denkbar war. In diesem Sinne hat sie das Werk Peters des Großen zu Ende geführt und endgültig gefestigt. Die Umkehr zum Moskowitertum der vorausgegangenen Periode war nicht mehr denkbar.

Über Katharinas Wirksamkeit im Inneren Russlands haben wir die Aufschlüsse erst von Bilbassoff zu erhalten. Was wir bis jetzt wussten, war lückenhaft und durchaus unzureichend. Auch hier werden Licht und Schatten hart aneinander stoßen. Es wäre verfehlt, seinen Resultaten vorzugreifen.

Und damit mögen diese kurzen einleitenden Bemerkungen schließen. Es soll uns freuen, wenn sie der gewissenhaften und groß angelegten Arbeit den Weg zu ebnen beitragen. Bilbassoff hat mit der Veröffentlichung seines Buches eine mannhafte Tat getan. Mit seinen Resultaten wird die historische Kritik sich auseinander zu setzen haben.

Berlin, im November 1896.
Theodor Schiemann.

Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

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Das heutige Russland

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Russisches Kaiserpaar in historischen Kostümen

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Kosaken

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Reiterstandbild Peter I.

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Moskau - Kaiser-Proklamation

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Moskau - Ein reicher Händler mit seiner Frau

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Moskau - Glockenspieler

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Moskau - Der Kreml

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Moskau - Bettler und Obdachlose wärmen sich am Feuer

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Moskau - Die Zaren-Glocke

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Moskau - Kaiserliches Opernhaus

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Moskau - Roter Platz

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Moskau - Verkäuferin von Salzheringen

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Moskau - Wirtshausleben

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