Katharina II. Kaiserin von Russland. – Zu ihrem zweihundertjährigen Gedenktag am 2. Mai

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Liesbet Dill, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Zarin, Thron, Robustheit, Friedrich der Große,
Drei Frauen haben das Schicksal der jungen Katharina geteilt. Marie Antoinette, die mit vierzehn Jahren in der Reisekutsche ihr Vaterland verließ, um in einem fremden Land, ein Kind noch, einen ganz fremden Mann zu heiraten, den sie weder kannte noch liebte, und die tapfere, aufrechte, köstlich derbe Pfalzgräfin „Madame“, die Herzogin Charlotte von Orléans, die sich über ihre Verpflanzung an den Hof von Versailles, als Gattin eines „Mannes, der die Weiber nicht mag“, mit Briefschreiben und Lesen tröstete, während Marie-Antoinette sich als „eleganteste Frau Europas“ über die Leere ihrer Ehe und die Gefährlichkeit ihrer Lage in geselligen Zerstreuungen hinwegzutäuschen suchte. Neben diesen beiden starken Persönlichkeiten steigt wie ein Schatten die Erscheinung der 1918 ermordeten Zarin auf. Auch sie hat nicht auf diesen prunkhaften Thron gepasst, nicht in dieses unheimlich schwüle, halbasiatische Milieu, aber ihr fehlte die persönliche Robustheit, die Oberflächlichkeit und die Gewandtheit, sich durchzusetzen.

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Kaiserin Katharina II. von Russland. Nach einem Gemälde von H. Benner gestochen von Mecou



Die junge Prinzessin von Anhalt wurde — nachdem Friedrich der Große es abgelehnt hatte, „seine Schwester dem unheimlichen Zarenreich zu opfern“ — als Braut des Neffen der herrschenden Zarin Elisabeth nach Moskau geschickt. Nach mühseliger langer Reise sah sie sich von dem einfachen anhaltischen Hof in eine fremde, verwirrend üppige Welt versetzt. Geblendet sah sie sich um. Scheinbar demütig, scheinbar eingeschüchtert von der Barbarei ihrer neuen Umgebung, der Sittenlosigkeit des russischen Hofes unter Kaiserin Elisabeth, einer lasterhaften Frau ohne Herz, trunksüchtig und unberechenbar, die Katharina hasste, angeekelt von der rohen Behandlung, die ihr ihr sogenannter Gatte zukommen ließ, groß in ihren Anlagen, überragend kultiviert, ohne viel gelernt zu haben, lebte diese fünfzehnjährige Frau einsam zwischen Feinden in der Fremde, als Großfürstin zurückgesetzt und schlecht behandelt von den Hofleuten, von ihren russischen Verwandten als arme kleine deutsche Prinzessin über die Achsel angesehen, in peinlichster Abhängigkeit von der Kaiserin. Geld bekam Katharina in ihren ersten Ehejahren kaum etwas in die Hände, sie wurde sehr knapp gehalten, ihr Mann vertrank und verschwendete alles mit seinen Günstlingen und Mätressen.

Einsam und fremd wohnte die junge Frau in ihrem Winterpalast. Neben ihrem Schlafzimmer lag das Wohnzimmer der Mätresse ihres Mannes. Sie hörte ihn jede Nacht dort ein und aus gehen, mit seinen Soldaten spielen oder seine Hunde misshandeln . . . Sie sah mit bitterem Lächeln zu, sie wartete ab . . . sie wollte Kaiserin werden, sie wusste, dass dieser Tag einmal kam . . . Achtzehn Jahre hat sie geduldet und geschwiegen, als Großfürstin gelitten unter den kritischen Augen der hysterischen Kaiserin. Sie ertrug die miserabelste Behandlung mit schweigender Verachtung, fraß alle Enttäuschungen und Bitterkeiten des jede Entfaltung erstickenden Spionagesystems, das sie umgab, in sich hinein. Sie litt, aber sie klagte nicht. Als sie nach dem Tod ihres Vaters bitterlich weinte, befahl ihr die Kaiserin, die Trauer abzulegen, ihr Vater sei ja „kein Kaiser“ gewesen. Das macht hart . . . Katharina lernte schweigen und dulden und bereitete sich vor. Sie stellte sich gut mit den Feinden ihres Mannes, besonders mit der Geistlichkeit, die in Russland eine so große Rolle spielte.

Die junge Katharina glitt weder in die neue Sphäre hinein, noch ließ sie sich von ihr täuschen. Sie war großzügig, weitschauend und weltklug veranlagt. Dass eine so prachtvolle Frau mit solchen geistigen Fähigkeiten und gesellschaftlichen Talenten, die ihre Umgebung überstrahlte mit der Anmut und Würde einer starten Persönlichkeit, an einen treulosen Mann verheiratet, Liebhaber hatte, wer kann ihr das verübeln? Wenn man die Tagebücher und Handaufzeichnungen ihrer jämmerlichen Ehe liest, gewiss niemand.

Die Geschichte ihres ersten Wochenbettes ist unglaublich. Diese künftige Kaiserin über Millionen von Untertanen hatte an diesem Tag nicht einen Menschen zur Seite, der ihr bei ihren Schmerzen half. Nachdem das Kind geboren war, verließen sie alle. Man kümmerte sich um das Kind und überließ die Mutter ihrem Schicksal. Während draußen Russlands Glocken die Geburt eines Thronfolgers über die Lande riefen, wand sich die junge Mutter vor Schmerzen auf einem harten, schlechten, unbequemen Sofa, in einem kalten, viel zu großen Zimmer, frierend, zitternd vor Kälte, neben einer zugigen, halboffenen Tür, die auf das eisige Treppenhaus ging. Sie hatte Durst, Fieber, Frostschauer. Niemand kam, um nach ihr zu sehen. Bis die Hebamme sich herbeibemühte, dauerte es Stunden. Keine Hofdame, kein Mann, kein Arzt, keine Dienerin kam der jungen Mutter zur Hilfe, man hatte sie hilflos liegen lassen in dem kalten Zimmer. Rheumatische Schmerzen waren die Folgen dieser schlimmen Stunden. Dass sie diese Geburt überlebt hat, ist Beweis ihrer starken Persönlichkeit und eisernen Gesundheit. Und wie diese Geburt, war auch ihre Ehe . . . Als die Kaiserin Elisabeth 1761 starb, wurde es etwas besser. Aber ihr Mann lebte neben ihr und quälte sie mit satanischer Brutalität. Sobald sie Kaiserin war, kümmerte sie sich um ihr Land, schaffte nützliche Einrichtungen. Ihr Sohn, den sie von ihrem ersten Liebhaber, dem Kammerherrn Ssaltykow bekam, spielte in ihrem Leben keine Rolle. Ihr Gatte erst recht nicht. Sie war in der Hauptsache Kaiserin — und Weib.

Am 5. Juli 1762 wurde Peter III. im Landhaus Ropschau ermordet. Orlow, ihr Geliebter, hatte sie überrumpelt, oder die Tat ist, was man nicht genau weiß, mit ihrem Einverständnis geschehen. Ihre Tagebücher brechen jedenfalls an diesem gefährlichen Punkt ab. Katharina schweigt, und das Manifest erschien „Von Gottes Gnaden, Wir, Katharina die Zweyte, Kayserin und Selbsthalterin aller Reußen“ und so weiter. Zunächst blieb alles ruhig, Katharina nahm die Herrschaft energisch und entschlossen in die Hand. Sie stand mit der geistigen Elite der ganzen Welt in Briefwechsel, ihre enorme Arbeitsleistung gab ihr ein Übergewicht über ihre Umgebung, sie beherrschte ihre Minister, wusste überall Bescheid, ließ sich in Regierungsgeschäften nichts vorspiegeln. Sie war eine moderne Frau, mit künstlerischen Interessen, aber sie hat sich nie in dilettantischen Spielereien versucht, blieb immer Weib. Katharina ließ sich nur von ihren: gesunden Instinkt leiten. Sie wusste, was die fromme Kaiserin Theresia über sie alles gesagt hat, aber als ihr Sohn, Joseph II., nach Russland kam, empfing sie ihn mit Liebenswürdigkeit, der er verfiel . . . Katharinas Briefe sind wundervoll, sprühend vor Geist und Klugheit. Ironisch und gnädig behandelte sie ihre Feinde, ihre persönlichen Angriffe berührten sie nicht, ihr Leben war Arbeit und Kampf . . . Sie stand um sechs Uhr auf, las zwei Stunden und schrieb in ihrem Schlafzimmer Briefe, dann kamen die Minister, die Staatsgeschäfte, dann empfing sie in Audienz, X, nach Tisch ließ sie sich vorlesen und machte dabei Handarbeiten, sie war zu allem geschickt.

Als Kaiserin war sie rasch populär, das Volk jubelte, wenn sich die schöne Frau zeigte in den goldfunkelnden, diamantenbesäten Kleidern, mit den leuchtenden großen Augen, von denen so viel Majestät ausging, die so schmeicheln konnten, so zu locken und solchen Zorn auszudrücken verstanden. Ein leichtes, glückliches Leben hat Katharina wahrlich nicht geführt vielmehr ein schweres, verantwortungsreiches, immer von Gefahren bedrohtes. Ihre Günstlinge betrogen sie mit andern Frauen und bereicherten sich durch sie. Der Schlimmste, der einen sehr ungünstigen Einfluss auf Katharina ausübte, war Potemkin. Ihre berühmte taurische Reise, die zwei Millionen Rubel gekostet hat, war sein Werk. Katharina war mit Erfolgen gesättigt und ihrer Reize sich bewusst, aber ohne Eigenkult. Man sollte von der Pracht ihres Hofes reden. Sie kannte Friedrichs des Großen boshafte Bemerkungen über sie und seine eiskalte Ablehnung der Heirat seiner Schwester mit dem künftigen Zaren. Er denke nicht daran, „die Schwester den Barbaren zu opfern“. Sie wollte diesen beißenden Spott etwas dämpfen, indem sie „dem armen Preußen“ den Glanz ihres Hofes in die Augen funkeln ließ . . .

Wenn auch Potemkin ihr jene Gärten aus Tapeten errichten ließ und Häuser aus Pappe, täuschen ließ sie sich nicht. Sie wollte nur nicht sehen.

Sie dachte auch nicht daran, einen Günstling zu ihrem Gemahl zu erheben. Ihr Privatleben blieb ihre eigene Angelegenheit, mochte die Welt darüber spotten, sie beschmutzen, sie zerreißen, sie ging das Geschwätz der Höfe nichts an. Gefährliche Krisen hat sie durchgemacht, wirtschaftliche und politische, hat Kriege geführt, die nicht immer für das Land glücklich ausgingen; ihre Günstlinge, brachten sie oft in schlimme Lagen, aber sie hat sich immer durchzusetzen verstanden. Niemand kam an sie heran, kein Attentat, kein Hass, kein Spott traf ihre starke Persönlichkeit.

Ihre letzte Liebe galt Platow Subow, dem die sechzigjährige Kaiserin die Regierungsgeschäfte überließ. Er war intelligent, gerissen, verschlagen und dienstbeflissen. Er war ihr letzter Liebhaber. 1796 traf sie ein Schlaganfall, an dem sie starb . . .

Aus den Händen der toten Mutter nahm der Sohn, Kaiser Paul, der sein Lebtag die Mutter gehasst hatte und ihre Günstlinge und ihr nie den Tod seines Vaters verzieh, ohne Ehrfurcht das Zepter. Damit kam das Chaos über Russland. Er regierte nur fünf Jahre und wurde ermordet.

Im Schloss zu Berlin hängt ein wundervolles Bild von Katharina in Hoftracht. Als reife Frau, üppig, mit edelsteinfunkelnder Brust. Strahlend, in gesättigtem Triumph, mit kalter, überlegener Ruhe schaut sie uns an aus diesen unvergesslich klaren, sprühenden Augen, denen nur noch ein Augenpaar an Feuer glich, das Friedrichs des Großen. Und so steht die große Kaiserin in unserm Gedächtnis, deren zweihundertjähriger Geburtstag am 2. Mai an die bedeutende Frau erinnert

Kaiserin Katharina II. von Russland

Kaiserin Katharina II. von Russland