Ludwigslust, Sonntag den 6. Januar 1811

An Karl

— Unsre gute Prinzess hat uns ganz verwaist gelassen. Sie ist heute vor 8 Tagen nach Strelitz abgereist, woselbst sich alle Töchter des Herzogs versammeln. Der hiesige Erbprinz hat deshalb der Bitte des dortigen Herzogs um einen längern Aufenthalt nachgegeben, und unsre jungen Herrschaften werden erst den Dienstag zurückkommen. Sie haben den Tag ihrer Abreise den Unfall gehabt, dass an dem schönen weimarischen Wagen, worin sie fuhren, die Schwanenhälse plötzlich zerbrachen und sie genötigt waren, eine Viertelmeile zu Fuß zu gehen. Prinzess schreibt mir jedoch selbst, dass sie alles glücklich bestanden hätte; ferner dass sie den folgenden Tag aufs freundlichste sind empfangen worden, dass alles recht hübsch dort wäre, dass sie sich aber bei alledem ungemein freute, wieder nach Hause zu kommen.


Montag. Ich bin gestern durch einen Besuch von der kleinen Prinzess, die mit Fräulein Mecklenburg und dem Kartouche zu uns kam, in meiner lieben Beschäftigung aufgehalten worden. Es ist der kleinen Prinzess heimlich, uns zuweilen zu sehen, da wir ihrer lieben Mama doch auch so mit angehören. Es ist ein ganz ungewöhnliches und bedeutendes Kind. — Bei aller ihrer Stärke und Lebhaftigkeit ist sie von der allerzartesten Empfindlichkeit, und wir erstaunen oft, wie sie ihre Mutter, die ihr das Liebste und Höchste ist, in allem errät, was dieser angenehm oder widrig sein kann. Boschen will, dass ich Dir etwas von diesem interessanten Kind mit Worten hermalen soll, was Dich aber wohl mehr amüsiert haben würde, wenn Du es selbst gesehen und gehört hättest. Wir waren kürzlich bei Prinzess um den Teetisch versammelt, die kleine Prinzess dicht bei der Mutter, als der Erbprinz, in einer Ecke vom Zimmer einen Brief lesend, laut ausruft: „Mein Bruder Karl kommt!“ Dieser Prinz Karl ist in russischen Militärdiensten; er war lange abwesend, so dass die Kinder den Onkel nicht kennen. Zugleich muss ich auch bemerken, dass die kleine Prinzess eine Scheu und Furcht für alles Neue und Fremde hat. Der Erbprinz teilte diese Nachricht seiner Gemahlin mit dem größten Ausdruck von Freude mit, tanzend und springend, und diese nahm sie mit einem ganz freundlichen Kopfnicken auf. Aber auf dem sonst heitern Gesicht der kleinen Prinzess war ein Ausdruck des größten Schmerzes über die Ankunft des fremden Onkels sowohl als über die übertriebenen Freudebezeigungen ihres Vaters. In diesem Augenblick kommt ihr Bruder und sagt: „Freust Du Dich nicht recht, dass der Onkel kommt?“ „Nein!“ sagte sie ganz laut. „Was? Du freust Dich nicht auf den Onkel?“ „Nein!“ rief sie noch lauter. Unsre Prinzess konnte das Lachen nicht verbergen. Sie stand auf, kam zu mir und sagte, sie hätte das Kind gern an ihr Herz gedrückt, wenn sie nicht in diesem Augenblick zu viel Respekt für sie empfunden hätte. Man kann sich wirklich kein hübscheres Familienverhältnis denken als das unsrer Prinzess mit diesen Kindern. Die kleine Prinzess hat viele Gaben von der Natur erhalten. So kennt sie eine große Menge von Blumen und Kräutern und benennt sie richtig. Alles, was sie mit ihren Händen arbeitet, besonders das Blumenmachen, ist so schön und geschickt, dass man glaubt, es wäre von einer erwachsenen und geübten Person. Diese Geschicklichkeiten verbirgt sie aber sorgfältig vor dem Vater, und wenn ihr etwas darüber gesagt wird, so antwortet sie: „Papa berühmt sich.“ Das laute Lob, was er gegen Freunde über sie äußert, beleidigt ihre Bescheidenheit. Andre Eigenheiten gewöhnt sie sich täglich ab aus Liebe für die Mutter, und sie ist über alles glücklich, wenn diese ihr hie und da Unterricht gibt und sich mit ihr beschäftigt.

Dienstag den 8. — Deine und Goethes Güte und Sorgfalt bei der Auswahl von ihres lieben Kaaz Arbeiten wird der Prinzess große Freude machen. Sie ist wirklich dergleichen höchst benötiget, und es ist gar nichts dieser Art hier, was ihr Gefallen erregen könnte. Ich glaube, darüber wird sie so mager; denn die hübschen Bilder machen ihre größte Freude. — Es sollen in Schwerin recht hübsche Sachen gewesen sein, aber die Franzosen nahmen damals das Beste weg, und das Zurückgebliebne ist nicht nach der Prinzess Geschmack. Hierin herrscht überhaupt noch das Vandalische; bunte Farben und falsche Grazie erregt ihre Bewunderung. — Meine vortreffliche Prinzess lässt mich in keiner Not stecken, und behandelt mich immer als Kind und Mutter zugleich; denn sie kann es nicht ertragen, wenn ich Geldsorgen habe, und behauptet, dass sie mir’s gleich ansähe. Sonderbar ist es nur, dass sie in Weimar verlangten, dass ich mit den 500 Thalern dort bleiben sollte. Die Herzogin sagte es mir selbst, und auch Frau von Stein, die mir es auch noch einmal geschrieben hat, dass sie fürchtete, ich würde das Klima nicht vertragen und es bereuen — ohne mir mit einem Wort freies Quartier, Holz und dergleichen anzubieten. —

Mittwoch. — Unsre Prinzess ist gestern Abend gegen 5 Uhr glücklich von Strelitz zurückgekommen. Ich besuchte sie sogleich und wir freuten uns des Wiedersehens. Der Erbprinz empfing mich in der glänzendsten Laune, ganz entzückt von dem liebenswürdigen Betragen seiner Gemahlin und dem Beifall, den sie dort erhalten hätte. Prinzess war auch sehr zufrieden und rühmte sehr die Güte und Freundschaft, mit der man sie behandelt hätte. —