Ludwigslust, Montag den 19. November 1810

An Karl

Als am vorigen Mittwoch die Prinzess nach Schwerin abreisen wollte und ich ihr vorher noch einen Besuch abstattete, so schlug mir der Erbprinz vor mitzugehen. Prinzess wünschte es auch, und da ließ ich mich nicht lange bitten, beurlaubte mich von Boschen und meinen Hausgöttern, und gegen 2 Uhr fuhr ich mit Prinzess und ihren Damen ab. Der Erbprinz fuhr besonders. Um 5 Uhr kamen wir an, da wir sehr geschwind fuhren und auch auf halbem Weg Relais hatten. Sonst ist es ungefähr so weit als Gotha von Weimar. Der Weg dahin gewährt dem Auge nicht viel Ergötzliches. Es ist eine kahle Ebene, abwechselnd mit dünner Waldung und wenigen, nicht sehr hübschen Dörfern. Nabe an Schwerin kommt jedoch ein schönes Laubholz, alsdann der See, der 4 Meilen in der Länge und 1 Meile in der Breite hat. Er bildet einige Inseln und hat manche artige Abwechselung. Das uralte Schloss liegt daran und präsentiert sich wunderbar. Wir fuhren durch den großen Schlossgarten, der auch im alten Geschmack ist, aber doch angenehme Partien hat; alsdann zeigte sich das Haus vom Erbprinzen gleich vor dem Eingang der Stadt. Prinzess, die dieses Haus besonders liebt, nennt es Emilyhouse, weil es freundlich, reinlich und geschmackvoll eingerichtet ist. Unten sind auf jeder Seite zwei sehr artige Zimmer, wo ich mit Fräulein Tann auf einen Seite wohnte. Prinzess eilte, mich hinauf in ihre Zimmer zu führen, die wirklich allerliebst sind. Was mich aber am meisten bezauberte und einen bleibenden angenehmen Eindruck in meiner Seele zurücklässt, ist die Aussicht von den Fenstern der Prinzess auf das wunderbar alte Schloss. Es hat einen ganz fremden, nördlichen Charakter, und ich konnte nicht müde werden, dahin zu sehen, wo tausend fremde und alte Gestalten, die mir vormals im Traume erschienen sind, vor meine Seele traten. Das Lob von Götz auf dieses Schloss ist zu modern. — Ich habe an diesem Schloss bloß von der einen Seite 24 Türmchen gezählt. Ich kann Dir die Freude nicht beschreiben, die mir diese Aussicht sowie überhaupt mein Aufenthalt in Schwerin gemacht hat. Ich war viel allein mit Prinzess, während sie die Aussicht zeichnete, und wir waren wie in den vorigen glücklichsten Stunden, nur noch etwas besser, weil wir keine bösen Blicke und Worte zu scheuen hatten. Den Prinzen sehe ich nicht anders als einen sehr verständigen Haushalter seines Landes und Hauses, und der Prinzess ist es doch ganz bequem, dass er jede Kleinigkeit für sie besorgt, da er es mit der größten Leichtigkeit tut. Dafür findet sie sich auch in seine kleinen Eigenheiten, und vermeidet alles, was ihm unangenehm sein könnte. Ich muss sagen, dass ich noch kein mir angenehmeres eheliches Verhältnis gesehen habe, und Prinzess erscheint darin besonders liebenswürdig und geistreich. —


Am Donnerstag Vormittag nahm mich Prinzess mit ins Schloss, wo sie bei einer alten Prinzess, Ulrike, Besuch machte, die wie eine Fee und wie verzaubert in dem Schloss haust. Sie ist ganz kindisch, hat aber große Zärtlichkeit für Prinzess und hat sie mit 4 altmodischen Steinnadeln beschenkt, wovon die Brillanten recht hübsch sind. Das Schloss ist ein Labyrinth von schmalen Gängen und Treppen. — Eine Fräulein Vittinghofen von kaum 30 Jahren ist Hofdame bei dieser alten und schwachen Fürstin. Von dieser Fräulein, die schon von früher Jugend an dieser Stelle und übrigens auch eine artige und angenehme Person ist, kann die Prinzess nicht Gutes genug sagen. Sie wäre ein lebendiges Lexikon in der Geschichte und Erdkunde, und unterrichtet sich immer trotz der schlechten Gesellschaft, an die sie gekettet ist. Ich schäme mich, wenn ich meine Seelenkräfte dagegen ermesse, welche solch einem Druck nicht gewachsen sind. Den Donnerstag Abends brachten wir in den heimlichen, komfortabeln Zimmern in kleiner Gesellschaft mit dem Herzog recht angenehm zu. Der Herzog spielt jeden Abend. Freitag früh ging er weiter zur Jagd. Prinzess ging mit mir und noch einigen durch die hässlichen und schmutzigen Straßen nach dem Dom; auch ein uraltes, großes Gebäude. Man sollte glauben, die protestantische Kirche wäre in Verfall geraten, so hässlich und schmutzig sieht es darin aus. Die Stadt hat, einige hübsche und große Häuser ausgenommen, ein schlechtes Ansehen. Den Freitag Abends war große Assemblée bei Prinzess, wo der größte Teil des zahlreichen Adels sich versammelte. Die jungen Fräuleins warm alle hübsch und von schöner Gestalt. Es ist im ganzen schönes Blut, so wie bei den Engländern. Sonnabends 10 Uhr reisten wir vergnügt zurück und um 2 Uhr Mittags wurde ich von Boschen mit Freuden empfangen. —