Kampf dem Unfallteufel!

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Dr. Hans Boywidt, Rechtsanwalt, Syndikus der Arbeitsgemeinschaft von Reichsversicherungsträgern Groß-Berlins, Erscheinungsjahr: 1929

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Unfallgefahr, Arbeitsunfälle, Verkehrsunfälle, Haushaltsunfälle, Unfallverhütung, Unglücksfälle, Verunglückte, Unfallvermeidung, Unfallgefahr, Aufklärung, Starkstrom, Gas, Elektrogeräte, Kinder, Spielzeug, Unfallquellen
Erschreckend wächst die Unfallziffer. Sie ist in manchen Bezirken trotz aller Aufklärung und trotz aller Schutzmaßnahmen um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Ohne diese wäre die Unfallziffer noch erheblich höher. Angesichts der steigenden Zahl der Unglücksfälle gilt es aber, die Aufmerksamkeit immer mehr zu schärfen, denn jeder Verunglückte schädigt nicht nur sich und seine Angehörigen, sondern zumeist auch die Allgemeinheit. Dass eine große Anzahl von Unfällen vermeidbar ist und wie sie durch zweckmäßiges Verhalten in allen Lebenslagen vermieden werden können, das zeigt der nachstehende, von zahlreichen eindrucksvollen Abbildungen begleitete Artikel aus berufener Feder.

********************************************


Bei der Bekämpfung der Unfallgefahren muss von dem richtigen Grundsatz ausgegangen werden, dass Krankheiten zu verhüten noch wichtiger ist, als sie zu heilen. Trifft doch die Gesundheitsschädigung des einzelnen nicht nur den Verletzten selbst, sondern die Gesamtheit des Volkes. Daher ist der auch nur teilweise und vorübergehende Verlust einer Arbeitskraft im Interesse der ganzen Volksgemeinschaft zu vermeiden.

Von diesem Gesichtspunkt aus hat im Frühjahr dieses Jahres in Berlin eine große Volksaufklärung stattgefunden, die von den Trägern der sozialen Reichsversicherung — den Krankenkassen, Berufsgenossenschaften (Reichsunfallversicherung), der Invaliden- und Angestelltenversicherung — ins Leben gerufen wurde. Die Beteiligung der Bevölkerung an dieser Veranstaltung war sehr groß. Sie hätte noch größer sein können, wenn jeder einzelne sich der Verantwortung bewusst gewesen wäre, dass er nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber seiner Familie, seinen Arbeitskollegen, gegenüber seinem Vaterlande verpflichtet ist, sich über die Unfallgefahren und ihre Vermeidung zu unterrichten.


Nicht nur der einzelne Unfall, sondern die Summe aller Unfälle in den Betrieben, im Verkehrsleben und im Hause muss bekämpft werden. Nicht nur die Folgen für den einzelnen mit den Kosten für Arzt, Arznei und Krankenhaus, Verdienst- und Gewinnausfall, sondern auch die Folgen für die Allgemeinheit müssen vermieden werden, die Schäden erleidet durch jeden, wenn auch nur teilweisen Verlust der Erwerbsfähigkeit des Ernährers einer Familie, durch Produktionsstörungen und Materialschäden bei Unfällen in den Betrieben, durch Gefährdung ganzer Belegschaften sowie der Einwohner eines Hauses bei durch Unachtsamkeit herbeigeführten Explosionen, durch Familienzerrüttung infolge von wirtschaftlicher Not und Kinderverwahrlosung bei Fortfall der väterlichen Erziehung. Selbst jeder einzelne Unfall bedeutet einen Ausfall für die Wirtschaftskraft des deutschen Volkes, einen Ausfall in dem Kräftekomplex, den es für den Weltwirtschaftskampf benötigt. Wie hoch der Gesamtausfall durch Unfälle ist, kann man annähernd ermessen, wenn man berücksichtigt, dass nach der amtlichen Statistik des Reichsversicherungsamts in Deutschland sich im Jahre 1927 56.000 Unfälle allein bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften, in den gewerblichen Betrieben — ohne die landwirtschaftlichen Betriebe — ereigneten, welche zur erstmaligen Rentenentschädigung führten. Unfallmeldungen aus gewerblichen Betrieben des Deutschen Reiches insgesamt gingen in demselben Jahre rund 653.000 ein. Da die Zahl der beschäftigten Personen 10,8 Millionen betrug, erlitt etwa jede 17. Person einen Unfall. 5.300 Personen fanden den Tod. An Maschinen haben sich nur 21 Prozent dieser Unfälle ereignet. Die übrigen 79 Prozent sind, abgesehen von einer geringen Zahl unvermeidbarer Unfälle durch höhere Gewalt, zum allergrößten Teil mittelbar oder unmittelbar auf Ursachen zurückzuführen, die den Beteiligten selbst oder einen Arbeitskameraden betreffen. Hier handelt es sich in der Regel um unverantwortliche Sorglosigkeit, um Unachtsamkeit, soweit die Unfälle nicht auf Arbeitsübermüdung zurückzuführen sind, und um die Folgen mangelnder Einsicht in bestehende Gefahren und Unkenntnis dieser Gefahren. Die Einzelperson ist nicht genügend geschult, um die Gefahr zu kennen, blitzschnell zu erkennen und gewissermaßen unbewusst abzuwenden. Darum muss die gesamte Bevölkerung hierzu erzogen werden.

Die Amerikaner haben diese Notwendigkeit viel früher erkannt als wir. Da man weiß, dass eine weitere Verhütung von Unfällen in den Betrieben durch Verbesserung der Schutzvorrichtungen an den Maschinen bei dem heutigen Hochstande der Technik auf diesem Gebiet kaum mehr zu erreichen ist, geben sie Jahr für Jahr Millionen für eine Aufklärung über Unfallgefahr und ihre Vermeidung mit dem Erfolg aus, dass sich die Unfallkurve in zwölf Jahren um die Hälfte senkte. Sie wenden sich im Kampfe gegen die Betriebsunfälle nicht nur an die Arbeitnehmer selbst, sondern sie gehen auch hier in die breite Öffentlichkeit, um für ihre Gedanken die Familienangehörigen des Arbeiters, die Frau und die Kinder, zu gewinnen. Eine durchaus richtige psychologische Einstellung. Auch in Deutschland bricht sich diese Erkenntnis seit einigen Jahren immer mehr Bahn. Ein Beweis dafür ist die Veranstaltung der großen Volksbelehrung über die Unfallgefahren in Berlin.

Man hat erkannt, dass nicht nur das Wort und die Schrift als Hilfsmittel zu verwenden sind, sondern dass man auch das Bild und den Film verwenden muss. Daher werden die Unfallverhütungsvorschriften, soweit das Verhalten des Arbeiters in Frage kommt, hauptsächlich bildlich dargestellt und in den Betrieben zum Aushang gebracht. Als Probe, was die Unfallverhütungsbild-Gesellschaft m. b. H. in dieser Beziehung leistet, bringen wir einige ihrer bildlichen Darstellungen zur Unfallverhütung.

Das gleiche trübe Bild wie bei den Unfällen in den Betrieben bieten die Zahlen über die Unfälle im Verkehrsleben. In Berlin wurden im Jahre 1925 getötet und verletzt 5.500 Personen; im Jahre 1926 6.300 Personen; im Jahre 1927 9.200 Personen. Im letzten Vierteljahr 1927 kamen in Berlin durch Verkehrsunfälle ums Leben: 2 Kinder unter 6 Jahren, 5 Kinder von 6 bis 14 Jahren, 27 Menschen im Alter von 15 bis 60 Jahren und 6 Personen, die über 60 Jahre alt waren. Verletzungen durch Unfälle im Straßenverkehr erlitten in diesem einen Vierteljahr 2.194 Menschen. Diese erschreckenden Zahlen steigen jedoch noch fortgesetzt. Nach der Statistik der Berliner Verkehrspolizei für Februar 1928 wurden bei 110 Zusammenstößen 25 Menschen überfahren. Es ist erwiesen, dass nur in wenigen Fällen technische Mängel die Ursache des Unglücks waren, vielmehr liegt die Gefahr in dem Verhalten von Fahrzeugführern und Fußgängern. Rücksichtslosigkeit, Gedankenlosigkeit und Unkenntnis sind die Hauptursachen, gegen die keine Verkehrsvorschrift und keine Überwachung aufkommt. Dass dem so ist, beweisen am besten die zahlreichen Verkehrsunfälle bei den Eisenbahnen durch Auf- und Abspringen bei fahrenden Zügen, durch Anlehnen an ungeschlossene Türen, durch Gefährdung anderer Personen beim unvorsichtigen Öffnen der Türen. Hier kann sich niemand entschuldigen; denn die Sicherungen sind ganz präzis. Der Zug fährt zur bestimmten Minute ab, es wird das Abfahrtsignal gegeben, es wird abgerufen, und doch springen immer wieder Mitfahrende auf den bereits in Bewegung befindlichen Zug. Wenn nun jemand seine eigene Gesundheit und sein Leben gefährdet und für niemand zu sorgen hat, so mag das noch hingehen. Jeder trägt schließlich für sich selbst die eigene Verantwortung. Gewissenlos wird aber das Verhalten des einzelnen, sobald er dadurch seine Mitmenschen in Gefahr bringt. Dahin gehört das rücksichtslose Fahren von Fahrzeuglenkern, das unbedachte Verhalten bei Stapelungen auf freien Plätzen und bei Transporten, das Fortwerfen von Obstresten und ähnlichem auf der Straße, das nicht sachgemäße Sichern von Baugruben, das unvorsichtige Öffnen von Türen an Automobilen und Eisenbahnwagen.

Man möge nicht denken, dass dies alles sich nur auf Großstädte wie Berlin beziehe. Die aufgeführten Einzelheiten über Berliner Verhältnisse sind vielmehr typische Beispiele, und die Verhältnisse auf dem flachen Lande und in den kleinen Städten sind, an der Dichte der Bevölkerung gemessen, oft noch weit schlimmer. Dass die Unfälle in den größeren Städten verhältnismäßig doch geringer sind, liegt zum großen Teil daran, dass in ihnen die Verkehrsvorschriften verstärkt werden, dass das Wissen von Unfallgefahr und Unfallverhütung bei der großstädtischen Bevölkerung größer ist, weil die Wirkungen der Unfallgefahren und der Unfälle dichter in das Gesichtsfeld des einzelnen gerückt sind.

Die häuslichen Unfälle lassen sich in ihrer Gesamtzahl nicht erfassen, weil nur ein kleiner Teil zur Kenntnis der Allgemeinheit gelangt. Sie sind aber sicher weit zahlreicher als etwa die Betriebsunfälle, weil die Sicherungen nicht so groß sind und weil jeder auf sich selbst gestellt ist. In ihrer Wesensart ähneln sie vollkommen der überwiegenden Zahl der Betriebsunfälle. Ihre Ursachen bestehen beispielsweise in dem falschen Umgehen mit Gas. Wie oft wird das Zündholz erst herbeigeholt, nachdem der Gashahn bereits geöffnet war! Wie oft entsteht dadurch Gesundheitsschädigung, weil das bereits ausgeströmte Gas bei Anbrennen des Streichholzes explodiert! Wie oft wird Gasgeruch erst dann beachtet, wenn bereits ein Unglück passiert ist! Wie oft wird erst dann zu den Kontrollbeamten der Gasgesellschaften geschickt! Wie oft wird der Haupthahn abgestellt, ohne vorher zu prüfen, ob sämtliche Gashähne in der Wohnung geschlossen sind, wenn dann am nächsten Morgen der Haupthahn wieder geöffnet wird, erfolgt die Vergiftung eines Mitbewohners, der noch spätabends im Bett gelesen hat und darüber eingeschlafen ist. Im Gegensatz hierzu wird oft genug nicht der Wandhahn am Gaskocher oder an der Plättvorrichtung nach Gebrauch abgestellt, so dass spielende Kinder an dem Einzelhahn drehen und Gasmengen ausströmen lassen können. Arbeiten am Gasmesser und das Einsetzen von Gassparern sollten nur von Angestellten der Gasanstalten vorgenommen werden.

Die elektrische Kraftleitung wird gefährlich, wenn der Radiobastler oder eine sonstige Person sich klug genug dünken, den Monteur zu ersetzen. Kurzschluss mit Bränden, elektrischen Schlägen, die die Gesundheit schädigen, Hautverbrennungen sind die Folgen falscher Sparsamkeit. Auch das unvorsichtige Umgehen mit Erdöl und Spiritus beim Feueranzünden fordert in unserer angeblich so aufgeklärten Zeit noch immer Opfer. Wie gefährlich die Unvorsichtigkeit mit Benzin werden kann, hat der Tod der Tänzerin Lucie Kieselhausen bewiesen. Und doch gibt es immer wieder Leichtsinnige, die, während sie ihre Handschuhe mit Benzin reinigen, dem Herdfeuer zu nahekommen oder die brennende Zigarre wegzulegen versäumen. Schwer bestraft sich die Unachtsamkeit, Flaschen, die giftige Säure enthalten, nicht auffällig zu kennzeichnen. Die nicht genügend vorsichtige Prüfung der Festigkeit einer Leiter kann zu schweren Unfällen führen, zu noch schwereren die Bequemlichkeit, einen Rohrstuhl oder eine wacklige Kiste als Tritt zu benutzen, anstatt eine Leiter zu holen. Achte darauf, dass niemals der obere Fensterflügel geputzt wird, wenn der untere geöffnet ist! Gar zu leicht kann die putzende Person durch Erschrecken oder aus sonstigem Grunde in die Tiefe stürzen. Haushaltsmaschinen, Nähmaschinen sind nötig, aber man vermeide es, sich an ihnen zu verletzen, und achte selbst auf die kleinsten Verwundungen, denn sie können zu schweren Blutvergiftungen führen.

Der Küchenbetrieb bringt unzählige Unfallgefahren mit sich. Kartoffelschalen, Apfelsinenschalen und Obstkerne sind auch hier die Ursachen schweren Sturzes und gefährlicher Verletzungen. Heruntergefallene Nadeln, Reißstifte und Nägel, gedankenlos stehengelassene Fußbänke und Kisten im Gange haben schon oft Kinder in ihrer Gesundheit geschädigt und das Familienglück zerstört. Gib deinen Kindern kein Spielzeug in die Hand, das gesundheitsschädlich ist und Unfallgefahren birgt! Wenn du es ihnen gibst, überwache ihr Spiel.

Die ungeheure Gefahr, die aus Unfallmöglichkeiten droht, berechtigt zu der Forderung, dass die Unfallverhütung zu einem Lehrgegenstand in der Schule gemacht wird. Wenn aber ein Unfall eintritt, beachte die überall vorhandenen Einrichtungen zur ersten Hilfe und die Hilfsbereitschaft des Arztes. Denn Gesundheit ist Reichtum!

Kampf dem Unfallteufel, Titel

Kampf dem Unfallteufel, Titel

Kampf dem Unfallteufel, Achtung Starkstrom, Lebensgefahr

Kampf dem Unfallteufel, Achtung Starkstrom, Lebensgefahr

Kampf dem Unfallteufel, Das ist Fplge schlechten Stapelns

Kampf dem Unfallteufel, Das ist Fplge schlechten Stapelns

Kampf dem Unfallteufel, Denk an Frau und Kinder und übe Vorsicht bei der Arbeit

Kampf dem Unfallteufel, Denk an Frau und Kinder und übe Vorsicht bei der Arbeit

Kampf dem Unfallteufel, Eine schlechte Leiter kann dein Tod sein

Kampf dem Unfallteufel, Eine schlechte Leiter kann dein Tod sein

Kampf dem Unfallteufel, Gefehr, Der kurze Weg ist nicht immer der beste

Kampf dem Unfallteufel, Gefehr, Der kurze Weg ist nicht immer der beste

Kampf dem Unfallteufel, Öl ins Feuer gießen musst Du büßen

Kampf dem Unfallteufel, Öl ins Feuer gießen musst Du büßen

Kampf dem Unfallteufel, Nicht ableuchten, Seifenwasser benutzen

Kampf dem Unfallteufel, Nicht ableuchten, Seifenwasser benutzen

Kampf dem Unfallteufel, Solche schadhaften Teile sind sofort zu entfernen, da lebensgefährlich

Kampf dem Unfallteufel, Solche schadhaften Teile sind sofort zu entfernen, da lebensgefährlich

Kampf dem Unfallteufel, Vorsicht beim Staken

Kampf dem Unfallteufel, Vorsicht beim Staken

Kampf dem Unfallteufel, Vorsicht beim Umschreiten von Ecken

Kampf dem Unfallteufel, Vorsicht beim Umschreiten von Ecken

Kampf dem Unfallteufel, Wahrend des Ganges die Schutzvorrichtung nicht entfernen

Kampf dem Unfallteufel, Wahrend des Ganges die Schutzvorrichtung nicht entfernen