Den 29. September.

Gegen Abend setzte sich, der erteilten Order gemäß, die Equipage in Bewegung; unter Geleit Regiments Herzog von Braunschweig sollte sie vorangehen, um Mitternacht die Armee folgen. Alles regte sich, aber missmutig und langsam; denn selbst der beste Wille gleitete auf dem durchweichten Boden und versank, eh’ er sich’s versah. Auch diese Stunden gingen vorüber: Zeit und Stunde rennt durch den rausten Tag!

Es war Nacht geworden, und auch diese sollte man schlaflos zubringen; der Himmel war nicht ungünstig, der Vollmond leuchtete, aber hatte nichts zu beleuchten. Zelte waren verschwunden, Gepäck, Wagen und Pferde alles hinweg, und unsere kleine Gesellschaft besonders in einer seltsamen Lage. An dem bestimmten Ort, wo wir uns befanden, sollten die Pferde uns Aufsuchen; sie waren ausgeblieben. So weit wir bei falbem Licht umher sahen, schien alles öd’ und leer; wir horchten vergebens: weder Gestalt noch Ton war zu vernehmen. Unsere Zweifel wogten hin und her; wir wollten den bezeichneten Platz lieber nicht verlassen als die Unsrigen in gleiche Verlegenheit setzen und sie gänzlich verfehlen. Doch war es grauerlich, in Feindesland, nach solchen Ereignissen, vereinzelt, aufgegeben, wo nicht zu sein, doch für den Augenblick zu scheinen.


Wir passten auf, ob nicht vielleicht eine feindliche Demonstration vorkomme, aber es rührte und regte sich weder Günstiges noch Ungünstiges.

Wir trugen nach und nach alles hinterlassene Zeltstroh in der Umgegend zusammen und verbrannten es, nicht ohne Sorgen. Gelockt durch die Flamme, zog sich eine alte Marketenderin zu uns heran: sie mochte sich beim Rückweg in den fernen Orten nicht ohne Tätigkeit verspätet haben, denn sie trug ziemliche Bündel unter den Armen. Nach Gruß und Erwärmung hob sie zuvörderst Friedrich den Großen in den Himmel und pries den Siebenjährigen Krieg, dem sie als Kind wollte beigewohnt haben, schalt grimmig auf die gegenwärtigen Fürsten und Heerführer, die so große Mannschaft in ein Land brächten, wo die Marketenderin ihr Handwerk nicht treiben könne, worauf es denn doch eigentlich abgesehen sei. Man konnte sich an ihrer Art, die Sachen zu betrachten, gar wohl erlustigen und sich für einen Augenblick zerstreuen, doch waren uns endlich die Pferde höchst willkommen; da wir denn auch mit dem Regiment Weimar den ahnungsvollen Rückzug antraten.

Vorsichtsmaßregeln, bedeutende Befehle ließen fürchten, dass die Feinde unserm Abmarsch nicht gelassen zusehen würden. Mit Bangigkeit hatte man noch am Tag das sämtliche Fuhrwerk, am bänglichsten aber die Artillerie, in den durchweichten Boden einschneidend, sich stockend bewegen sehen; was mochte nun zu Nacht alles vorfallen? Mit Bedauern sah man gestürzte, geborstene Bagagewagen im Bachwasser liegen, mit Bejammern ließ man zurückbleibende Kranke hilflos. Wo man sich auch umsah, einigermaßen vertraut mit der Gegend, gestand man, hier sie gar keine Rettung, sobald es dem Feind, den wir links, rechts und im Rücken wussten, belieben möchte, uns anzugreifen; da dies aber in den ersten Stunden nicht geschah, so stellte sich das hoffnungsbedürftige Gemüt schnell wieder her, und der Menschengeist, der allem, was geschieht, Verstand und Vernunft unterlegen möchte, sagte sich getrost, die Verhandlungen zwischen den Hauptquartieren Hans und Sainte Menehould seien glücklich und zu unseren Gunsten abgeschlossen worden. Von Stunde zu Stunde vermehrte sich der Glaube; und als ich Halt machen, die sämtlichen Wagen über dem Dorf St. Jean ordnungsgemäß auffahren sah, war ich schon völlig gewiss, wir würden nach Hause gelangen und in guter Gesellschaft (_devant les Dames_) von unseren ausgestandenen Qualen sprechen und erzählen dürfen. Auch diesmal teilt’ ich Freunden und Bekannten meine Überzeugung mit, und wir ertrugen die gegenwärtige Not schon mit Heiterkeit.

Kein Lager ward bezogen, aber die Unsrigen schlugen ein großes Zelt auf, inwendig und auswendig umher die reichsten, herrlichsten Weizengarben zur Schlafstätte gebreitet. Der Mond schien hell durch die beruhigte Luft, nur ein sanfter Zug leichter Wolken war bemerklich, die ganze Umgebung sichtbar und deutlich, fast wie am Tage. Beschienen waren die schlafenden Menschen, die Pferde, vom Futterbedürfnis wach gehalten, darunter viele weiße, die das Licht kräftig wiedergaben; weiße Wagenbedeckungen, selbst die zur Nachtruhe gewidmeten weißen Garben, alles verbreitete Helle und Heiterkeit über diese bedeutende Szene. Fürwahr, der größte Maler hätte sich glücklich geschätzt, einem solchen Bild gewachsen zu sein.

Erst spät legt’ ich mich ins Zelt und hoffte des tiefsten Schlafes zu genießen; aber die Natur hat manches Unbequeme zwischen ihre schönsten Gaben ausgestreut, und so gehört zu den ungeselligsten Unarten des Menschen, dass er schlafend, eben wenn er selbst am tiefsten ruht, den gesellen durch unbändiges Schnarchen wach zu halten pflegt. Kopf an Kopf, ich innerhalb, er außerhalb des Zeltes, lag ich mit einem Mann, der mir durch ein grässlich Stöhnen die so nötige Ruhe unwiederbringlich verkümmerte. Ich löste den Strang vom Zeltpflock, um meinen Widersacher kennen zu lernen: es war ein braver, tüchtiger Mann von der Dienerschaft, erlag, vom Mond beschienen, in so tiefem Schlaf, als wenn er Endymion selbst gewesen wäre.

Die Unmöglichkeit, in solcher Nachbarschaft Ruhe zu erlangen, regte den schalkischen Geist in mir auf; ich nahm eine Weizenähre und ließ die schwankende Last über Stirn und Nase des Schlafenden schweben. In seiner tiefen Ruhe gestört, fuhr er mit der Hand mehrmals übers Gesicht, und sobald er wieder in Schlaf versank, wiederholt’ ich mein Spiel, ohne dass er hätte begreifen mögen, woher in dieser Jahreszeit eine Bremse kommen könne. Endlich bracht’ ich es dahin, dass er, völlig ermuntert, aufzustehen beschloss. Indessen war auch mir alle Schlaflust vergangen: ich trat vor das Zelt und bewunderte in dem wenig veränderten Bild die unendliche Ruhe am Rande der größten, immer noch denkbaren Gefahr; und wie in solchen Augenblicken Angst und Hoffnung, Kümmernis und Beruhigung wechselweise auf- und abgaukeln, so erschrak ich wieder, bedenkend, dass, wenn der Feind uns in diesem Augenblick überfallen wollte, weder eine Radspeiche noch ein Menschengebein davonkommen würde.

Der anbrechende Tag wirkte sodann wieder zerstreuend, denn da zeigte sich manches Wunderliche. Zwei alte Marketenderinnen hatten mehrere seidene Weiberröcke buntscheckig um Hüfte und Brust übereinander gebunden, den obersten aber um den Hals und oben darüber noch ein Halbmäntelchen. In diesem Ornat stolzierten sie gar komisch einher und behaupteten, durch Kauf und tausch sich diese Maskerade gewonnen zu haben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kampagne in Frankreich