Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe

Autor: Ueberlieferung
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Kaiser Rudolf von Habsburg, reich an Jahren, war in seinem Schlosse zu Germersheim einstens erkrankt und fühlte den Tod herannahen. Noch am selben Tag, meinten die Ärzte auf des Kaisers Frage, werde die letzte Stunde kommen.

"Auf nach Speyer!" befahl da der greise Held, "dort will ich den Tod erwarten. Blast die Hörner und bringt mein Roß!" Und das Tier, das ihn sonst zur Schlacht getragen hatte, bestieg er nun zum letzten Ritt. Von zwei Priestern begleitet, zog Rudolf, mit einem Fuß schon im Grabe, langsamen Schrittes gegen Speyer, um sich mit seinen vornehmen Ahnen zu vereinen, die dort im Dome bereits zur ewigen Ruhe eingegangen waren. Da begannen auf einmal die Glocken dumpf und klagend zu läuten, und wohin der Zug sich bewegte, standen die Leute und weinten und trauerten. Aus den Toren von Speyer eilten Ritter, Bürger und Frauen wehmütig dem Kaiser entgegen, um noch einmal sein mildes Antlitz zu sehen.

Der Kaiser trat in den hohen Prunksaal der Burg zu Speyer und setzte sich auf den goldenen Stuhl. Dann begann er für sein Volk zu beten bis zum Augenblick des Scheidens. Um die Stunde der Mitternacht erfüllte mit einem Male ein himmlischer Glanz den Raum: der geliebte Kaiser war entschlafen.

Der Dom wurde sein letzter Ruheplatz, und viel Volk drängte sich bei seiner Bestattung. Tief unten in der Gruft der Deutschen Kaiser ruht auch heute noch Rudolfs Sarg.