Kairo - Topographische Skizzen - 1. Stadt - Zitadelle, Moschee Sultan Hásan, Gräberstadt, Regierungsgebäude und Ministerien

Sonderabdruck aus den Mitteilungen der geographischen Gesellschaft.
Autor: Roesler, Robert, Erscheinungsjahr: 1872
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kairo, Araber, Orient, Alexandria, Memphis, Arabien, Syrien, Nil, Römer, Cannabae, Sunniten, Schiiten, Islam, Pilgerreise, Zitadelle, Ziegenherde, Blinde, Juden, Synagoge, Leseschule, Moscheen, Okellen, Bazare, Grabhöfe, Bauplätze, Datteln, Hausierer, Muezzin, Schleier, Harem, Straßenlärm, Kirchen, Moscheen, Gotteshäuser
Für die äußere Physiognomie der Stadt am charakteristischsten ist die am Abhänge des Gebel Mokáttam sich erhebende Zitadelle (qal a); sie ist das politische Zentrum Kairos, und unvergleichlich wertvoll als Belvedere durch das auf jedem Puncto derselben sich aufrollende originelle ja wahrhaft einzige Panorama. Nirgends aber ist mir die Orientierung, das Wiedererkennen des bereits bekannten schwerer geworden als hier. Zwei Monate eifrigen Umherstreifens lagen zwischen meinem ersten und zweiten Besuche dieser Stätte und doch wie wenig erkannte ich in dem monotonen Gewühl des braunen Häusermeeres, das man Kairo nennt. Allerdings gipfeln unzählige Spitztürme aus den Tiefen empor; aber da sie sämtlich eine einzige Kunstform repräsentieren und nur bei genauerem Studium die geringen konstruktiven Unterschiede offenbaren, leisten sie für die Orientierung dieser Stadt nicht die Dienste, die wir in einer europäischen Stadt von den meist sehr charakteristischen, individualisierten Turmformen empfangen. Auch fehlt es Kairo, als einer echt morgonländischen Stadt, an planvoller Anwendung, an breiten Hauptstraßen, an Gliederung des unendlichen Details. Versuchen wir es aber dennoch, unser eigener Cicerone zu sein.

Hier, dicht zu unseren Füßen, an dem wogenden farbenbeklebten Platze Rumejle erhebt die Moschee Sultan Hasan ihre hohen Mauern und die wundervolle Stalaktitenkuppel, das grandioseste Bauwerk des mittelalterlichen Kairo. Links von ihr inmitten des Wirrsals der Gässchen jenes große Viereck mit dem eigentümlichen massiven Minarett, ist die Moschee Tulûn. In derselben Richtung, am Rande des Stadtbildes jene langweilige moderne weiße Kasernfronte ist Qasr en-Nil, der Garnisonsort der Truppen, der Divan des Vizekönigs. Die große grüne Insel, die aus der allgemeinen grauen Bachsteinflut so lieblich hervorguckt, ist die Ezbeqie; an sie schließt sich rechts die lange Sykomorenhalle von Schubra, die Praterallee Kairos.

Wenn wir uns endlich aber meist vergeblich abgemüht haben, noch diese und jene bekannte Moschee zu erkennen, so überlassen wir uns dem mühelosen Eindruck der großen Landschaftsbilder. Die gelbe Wüstenstufe, von der die Pyramiden in unbezwinglicher Festigkeit in das reiche Tal hinabsehen, der grüne Saatgarten zu beiden Seiten des gepriesensten aller Ströme. Hinter uns die weiße, blendende Kalksteinmauer des Mokáttam, auf ihr eine Grabmoschee, das Ziel häufiger Pilger. Wir schweifen über die große Gräberstadt hin, in welcher zahllose Kuppeln und Türme von der schönen Kunstblüte des Mittelalters erzählen, während dort in einem Seitengässchen der Rumejle jenes moderne Machwerk einer Moschee, grün-gelb-blau-rot wie ein bunter Falter schillernd, das jämmerliche Darniederliegen neu-arabischer Architektonik dokumentiert. Die Gräberstadt verfällt und stirbt, wie das Leben, das dahin starb und das sie eingesargt hat in kunstvolle Arabesken, Bogen und Kuppeln. Nicht lange mehr und die Anschauung wenigstens wird kein Zeugnis ablegen für den arabischen Reisebeschreiber, der es rühmt, dass in der ganzen Welt kein schönerer und größerer Begräbnisplatz sei als dieser, nirgends herrlichere Grabgebäude und Kuppeln gesehen werden, und das ganze einer weißen Stadt gleiche.

Auf der Höhe der Qal a (Zitadelle) liegen die Regierungsgebäude und Ministerien, die Münze und das alte Palais Mohammed-Alis, welches sehr wohnliche Räume und allen freilich schon sehr verblassenden Luxus Europas in Pariser Spiegeln, Teppichen, Möbeln, Nippes umfasst, aber doch nirgends ein höheres Interesse anregt. Die Abneigung gegen figuralische Kunst erweist sich jedem orientalischen Apartemont sehr nachteilig.

Die große Moschee Mohammed Alis ist das gewaltigste Bauwerk auf der Zitadelle, das höchste, wirkungsreichste von ganz Kairo. Die beherrschende Lage auf der Höhe der Burg macht es überall hin sichtbar und bestimmt das Bild des modernen Kairo wesentlich und in vorteilhaftester Weise. Bei einer Prüfung in der Nähe kann man der Moschee jedoch kein unbedingtes Lob zugestehen; sie zeigt sich da überaus nüchtern. Die beiden Minarette an der der Stadt zugekehrten Seite, sind so auffallend schlank, dass sie das Ansehen von Flaggenstangen haben, nicht unähnlich denjenigen, welche sich auf dem Markusplatz erheben. Als Türme betrachtet, stehen sie tief unter den vielen geschmackvollen Turmkonstruktionen der älteren Moscheen. Die Reisebücher wie Busch, Scherer, reden fälschlich von 4 Minaretten und vermischen mit ihnen zwei niedere Türmchen von durchaus anderer Anlage, welche die Ecken der Rückseite zieren.

Auf der Zitadelle, einer Schöpfung Salaheddins, unterlässt man es nie den sogenannten Josefsbrunnen zu zeigen. Es ist ein in den Felsen der Burg gehauener, ausnehmend tiefer Ziehbrunnen (254 Fuß); ewig steigen seine kleinen roten Eimer seufzend und stöhnend den langen feuchten und kühlen Schacht auf und nieder, während oben ein par blinde Pferde einen Kreis abgehen und ein ewig knarrendes Wellrad drehen. Dieser Brunnen, den das Volk dem ägyptischen Josef zuschreibt, wie denn dieser und Moses in der historischen Sage besonders populäre Namen sind, um welche sich die lokalen Mythen am liebsten kristallisieren, hieß ehedem Halezûn. Seine Grabung verdankt man dem Sultan el-Ghûri. Überdies führt eine berühmte Wasserleitung auf festen gewölbten Lagen der Zitadelle reichliche Wassermengen aus dem Nil zu; Bäder heben das Wasser aus dem Fluss in die Wasserleitung. Vom Sultan El Ghûri herrührende Fonds sichern den beständigen Unterhalt derselben.

Der Mukáttam oder Mokáttam, so gering seine absolute Höhe ist, (120 p. F.) ist ein seiner Steilheit und Schroffheit wegen mühsam zu ersteigender Berg, ein in der Deltalandschaft sichtbares Wahrzeichen, der Punkt, welcher die Grenze der engen Talgasse und des niederen Tellerbodens anzeigt. Auch der Mukattam entging dem Rufe nicht, der sich seit der arabischen Zeit an alle Orten Ägyptens geheftet hat, dem, fabelhafte Schätze in sich zu bergen. Er sei voll von Gold, Perlen, Silber, kostbaren Gefäßen, wundersamen Schaugebilden, es sei der Schatz des Priesters Mokattam und der ägyptischen Könige, meldet Ibn al Vardi. Doch köstlicher und reeller als alles Gold erhitzter arabischer Schatzgräberphantasien ist die Fernsicht auf die Stätten der Lebenden und Toten, das wüste und das fruchtbare Blachfeld und den flüssigen Gott, von dem hier alles Leben kommt.

Die eminente Lage, der ausgedehnte Blick auf Stadt und Land reizte dazu, den Mukattam als Grabstätte zu erwählen, und da die Gräber frommer Personen auch die Wallfahrtsorte des wanderlustigen Islam sind, ist der Gebel el Mukâttam auch ein beliebtes Ziel der Pilger von nah und fern geworden. Schon Abd al Nabolsi nennt ihn, wie wir sahen, den schönsten und größten Begräbnisplatz der Welt, rühmt die herrlichen Grabgebäude und Kuppeln und vergleicht das Ganze einer Stadt. Doch der Verfall hat dieser Schönheit, bei der uns der Mangel jeder Vegetation wohl ein sehr störender Mangel zu sein scheint, großen Abbruch getan, ein Jahr um das andere bröckelt etwas los von den Spitzsäulen der Minarette, schwächt die Stützen der leicht geschwungenen Kuppeln und lässt einiges zu Boden fallen; dann wird der Stein Material zu neuen Bauten, wenn man so lange darauf wartet, und nicht früher zur Gewalt schreitet, denn hier liebt man nichts weniger als Erhaltung und Herstellung. Der leichtlebige Nomadencharakter des Arabers hat den soliden Konservativen Sinn des alten Ägypters ganz unterdrückt, doch gibt es einige mit Recht berühmte, ziemlich unversehrte Grabmonumente, der Blütezeit maurischen Stils in Ägypten angehörig.

Sie liegen nördlich vom Mukattam, vor dem Tor Bab el-Nasr in einer sandigen vegetationslosen Fläche am Fuß des Gebel el ahmar. Jedes der Monumente umfasst außer dem eigentlichen Grabe eine Moschee und ein bis zwei Minarette. In dieser Zweiteilung erinnern sie an die alt-ägyptischen Gräber, die außer dem eigentlichen Grabe noch einen Tempel zur Verrichtung von Totenzeremonien besitzen. Der Wechsel schwarzer und weißer, oder roter und weißer Quadern ist diesen Grabgebäuden gemeinsam mit den meisten Moscheen Kairos. Die Grabmonumente aber von denen ich reden will sind die des Sultans El Asrâf Abu'l Nasr Kaidbey († 1496) und des Sultans Barkûk, die bedeutendsten der Sultansgräber.

Barkuks Leben zeigt den beständigen Wechsel von Höhe und
Niedrigkeit, welchen die orientalische Dynastiengeschichte so häufig darbietet. Barkûk oder wie sein voller Name lautet El Melik el zahir Abu Seid Seif-el-din Barkûk ibn Aner Eldjerkesl begründete die Dynastie der cirkassischen Sultane in Ägypten. Als cirkassischer Sklave oder Mamlûk kam er aus seiner bergigen Heimat nach der Krim und von da nach Ägypten. Hier gehörte er zuerst dem Emir Jelboghâ. Nachdem derselbe ermordet worden, nahm er Dienste bei dem Statthalter von Damascus, kehrte aber wieder nach Ägypten zurück und trat unter die Mameluken des Sultans Schaban. In den Parteiungen, Umtrieben, Verschwörungen und Aufständen, die das mamlukische Ägypten ohne Unterlass erfüllten, gelang es seinem Ehrgeiz in Verbindung mit seiner Schlauheit sich empor zu bringen, er erlangte die Würde eines Atabeg und 1382 das Sultanat selbst. Er herrschte nicht besser als viele seiner Vorgänger und Nachfolger. Die Statthalter empörten sich eben so oft und so regelmäßig als früher, wurden eingesperrt und verloren ihre Köpfe, oder waren auch siegreich und errangen das Übergewicht. So namentlich Jelboghâ Aluasiri, der Statthalter von Haleb. Ganz Syrien brachte dieser in Aufruhr gegen Barkûk und die ägyptische Armee konnte es wohl wieder erobern aber nicht behaupten. Ein Treffen bei Chan Ladjin entschied gegen den Sultan. In Kairo wütete die Pest, als so schlimme Botschaft eintraf.

Die Herrschaft des Sultans wurde in dem Grade milder und gelinder, als die Unglücksfälle sich häuften. Er erließ jetzt Steuern und Zölle, machte den Truppen Geschenke, ernannte viele zu Emiren. Aber Vertrauen gewann er dadurch nicht. Auch der Statthalter von Gaza fiel ab und schon machte man sich auf eine Belagerung gefasst. In seiner Unentschlossenheit kam Barkûk nicht dazu, das Heer gegen den Feind an die Grenze zu führen. Er hatte Grund den Abfall der Kairiner in seinem Kücken zu fürchten. Das ungehinderte Vordringen Jelboghäs brachte alle Schwachen und Wankenden zum Abfalle. Schon lief ein großer Teil der mamelukischen Emire dem Feinde zu, um bei Zeiten mit ihm ein Abkommen zu treffen, das ihnen Stellen und Güter sicherte. Darüber verlor Barkûk den letzten Rest von Mut. Als er noch hörte, dass Jelboghâ in Salahie eingerückt sei, wo dieser zu seinem größten Erstaunen nicht auf den geringsten Widerstand stieß, da brach er inmitten der ihm noch treu gebliebenen Emire in kindische Tränen aus, bat sie um Rat, beschenkte sie und beschwor sie ihm die Treue nicht zu brechen, sondern die Stadt, die er nun verbarrikadieren ließ, und die feste Zitadelle zu verteidigen. Doch die Desertion wurde nur immer massenhafter. Als die Vorposten des Feindes vor Kairo standen, ließ Barkûk die Truppen versammeln, und man hoffte, er werde sich nun in der zwölften Stunde dem Feinde entgegenwerfen. Noch hatte er tapfere Emire um sich die seiner Sache ihr Blut weihen wollten. Aber Barkûk brachte sich auf die Zitadelle in Sicherheit und sendete nur ein kleines Corps in den Kampf. Da war es um seine Herrschaft geschehen. Die obersten Würdenträger entflohen zu Jelboghâ. Auch Barkûk unterhandelte mit seinem Gegner, vertraute ihm aber nicht, sondern entwich (1. Juni 1389) heimlich aus der Zitadelle, und wurde von einem seiner Emire bei einem Schneider verborgen gehalten. Kairo verfiel einer Plünderung, zuerst des Pöbels, dann des Feindes. Sultan Hägi, welchen Barkûk abgesetzt hatte, bestieg den Thron wieder.

So elend und feig sich Barkûk benommen hatte, es gelang ihm doch wieder in den Besitz der Herrschaft zu treten. Die Zwietracht unter den Mamelukenhäuptern und die Bedrückung, welche sie ausübten, gaben ihm bald Gelegenheit einzugreifen. Bereits im neunten Monate hielt er von allen mit Jubel begrüßt, wieder seinen Einzug in die Hauptstadt. Das ganze Volk, die Gelehrten. Scherife, Fakire, Schêche, die Juden, in der Hand die Tora und die Christen das Evangelium, sowie die ganze Besatzung von Kâhira war ihm bis außerhalb der Stadt entgegengezogen um ihn zu bewillkommnen und den Einzug des Fürsten zu verherrlichen. Alle Straßen, durch die er kam, waren mit kostbaren Teppichen belegt, und sein Gefolge wurde mit einem Regen von goldenen Münzen überschüttet, die festlich geschmückte Stadt empfing ihn wie einen heilbringenden Befreier. Sultan Barkûk war so klug bei diesem Einritte sowohl den Anhängern Sultan Hâgi's als dem niederen Volke zu schmeicheln. So lenkte er sein Pferd zur Seite, so dass der neben ihm reitende Sultan Hâgi über die ausgebreiteten Teppiche zu reiten kam und die Symbole der Herrschaft über dem Haupte des letzteren schwebten und es aussah, als sei Hâgi der Gefeierte. Dem Volke aber gab er die kostbaren Teppiche und alles ihm zugeworfene Gold preis, das bei ähnlichen Anlässen das Gefolge sich hatte zueignen dürfen. Er regierte nun bis zum Jahre 1399, fortwährend bedroht von Timûr und seinen Tataren, von Bajesid und den Osmanen. Mit richtigem Blicke hielt er die letzteren für die gefährlicheren Feinde. Man rühmte seine Wohltätigkeit und Liebe zu den Gelehrten. Er führte gemeinnützige Bauten auf, darunter eine große Schule (medrese) in Kairo und hinterließ dennoch bei seinem Tode 1.500.000 Golddenare und eben so viel in Waren, 5.000 von ihm gekaufte Mameluken, mehrere tausend Pferde, Kameole, Maultiere und Esel. Er hatte diese Schätze erworben, wie man im Orient immer erworben hat, durch allerhand Erpressungen und Blutvergießen. Der Leser fragt, wie er dabei zu dem Ruhme der Wohltätigkeit gelangen konnte? Indem er den Gelehrten Geschenke machte, gewann er deren feile Federn. Die Seufzer der Bedrückten sind verklungen, die ruhmredigen Blätter phrasenspinnender Schmeichler sind geblieben.

Eine Nilbarke

Eine Nilbarke

Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre

Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre