Der Nil und seine Inseln

Der westlich von Kairo fließende Nil bildet angesichts der Stadt, deren Längenaxe in der Richtung von Süd nach Nord liegt, zwei große Inseln, die Geziret el Rudah (Roda) und die Geziret Bulaq (Bulak). Der ersteren, welche nur ein schmaler Wasserraum von Masr el atiqe, oder Altkairo trennt, hat ihre üppige Vegetation den Namen Garten (Roda) schlechthin verliehen. Sie hieß ehedem Geziret Misr und Geziret al hisn. Den letzteren Namen führte sie nach dem Kastelle, das der Nil hinwegriss. Fromme Frauen suchen die Insel auf, wegen des sogenannten Baumes der Fatime, Fremde um den dar el Mikiâs oder Nilmesser zu schon. Der Baum der Fatimo gehört zu denjenigen Bäumen, welchen mau die Eigenschaft zuschreibt, weibliche Fruchtbarkeit zu fördern. Die Betende schlägt einen Nagel in den Stamm, hängt daran ein buntes Läppchen und zieht getrost ihres Weges. Der Nilmesser aber liegt am oberen südlichen Ende der Insel, an dem vorüber die Überfahrt von Altkairo nach Gizeh stattfindet. Es ist inmitten eines Gartens ein quadratischer Raum; jede der Wände zeigt eine Nische, gekrönt von einem Spitzbogen, der von Halbsäulen getragen wird. Oberhalb der Bogen ziehen sich kurze kufische Inschriften. Höher als diese umläuft in Art eines Frieses eine fünfte kufische Inschrift den gesamten Raum. In seiner Mitte erhebt sich der Pegel, eine Säule mit 15 Absätzen, von denen eben acht aus dem Wasser hervorragten. Jeder Absatz beträgt eine Elle und ist wieder in Palmen eingeteilt. Eine 16. Elle wird durch den gemauerten Abakus der Säule repräsentiert, auf welchem als Stützpunkt ein Gebälk ruht, das die Decke halbiert. Das Wasser tritt in den brunnenartigen kühlen Raum durch eine gegen den Nil mündende Türe ein. Den Grund fand ich sehr verschlammt, so dass ein in das Wasser gehaltener Stab nur 3 Ellen tief eindrang. Das ist die moderne, aber schon sehr alte Form des Nilmessers, auf dessen Bulletins zur Zeit der Nilschwelle eine Million Menschen mit gespanntester Aufmerksamkeit warten.

Der Nordspitze von Geziret Bulak gegenüber liegt der große Flusshafenplatz Bulak mit Arsenal und Werften und regem Verkehr des Auf- und Abladens. Er steht durch eine Flügelbahn mit dem Bahnhofe zu Kairo in Verbindung, eine Allee läuft auf die Ezbekieh aus, und bildet eine belobte, die Schaulust des Fremden fort und fort reich lohnende Straße. Nicht dieses Treiben aber will ich schildern, sondern das stillste Plätzchen in Bulak aufsuchen, dasjenige wo die alte Zeit ihr wohlgepflegtes einsiedlerisches Daheim hat, das Museum. Es ist die Schöpfung Ismail-Paschas und des ebenso geschmackvollen, als ununterbrochen tätigen August Mariette. welcher das Amt eines Direktors an dem Museum bekleidet. Sehe ich ab von der herrlichen Lage am prächtigen Nil und einem Garten, der zwischen dem Museum und dem Wohngebäude des Direktors prangt, so finde ich das einfache ebenerdige Gebäude sehr ähnlich dem alten provisorischen Museum für Kunst und Industrie im Ballhause zu Wien. Auch das Bulaker Museum gilt nur für provisorisch, und es soll ihm ein reicherer würdigerer Bau am Ezbekiehplatze zu Teil werden. Es ist dies auch dringend notwendig, da schon vor Jahren viele Funde in den Magazinen deponiert werden mussten, weil es an Raum zur Aufstellung fehlt. Die Funde sind aber eine bis jetzt unerschöpfliche Quelle zur Vermehrung dieses Museums, das wenn es nicht schon alle ähnlichen Sammlungen Europas übertrifft, sie endlich alle weit hinter sich zurücklassen wird und muss, so unerschöpflich an Altertümern zeigt sich der Boden Ägyptens.


Auch ist die Liberalität, mit welcher es sechs Tage in der Woche je acht und eine halbe Stunde dem Publikum geöffnet wird, wohl geeignet manche Sammlung in Europa zu beschämen. Ein musterhafter, sorgfältig gearbeiteter Katalog unterstützt die Benützung außerordentlich. *)

*) Aug. Mariette-Bey, Notice des principaux Monuments exposés dans les Galeries provisoires du Musée d'Antiquites Egyptiennes à Boulaq. Alexandria 1864.

Die Anordnung des Hauses ist aber folgende: Aus einer Vorhalle (Grand Vestibule) tritt man in den weiten Mittelraum, genannt Salle du Centre. An ihn schließen sich links und rechts die beiden Säle Salle de l'Ouest und Salle de l'Est; rechts von diesem folgen die zwei kleinen Vestibüle de la Salle des bijoux und die Salle des bijoux selbst. Alle Zimmer zeigen geschmackvolle Ornamentierung und zweckmäßige gefällige Aufstellung. Die Aufschriften sind in den beiden Sprachen arabisch und französisch. Man beabsichtigt nämlich, auch das arabisch redende Publikum, also das eigentlich nationale Element heranzuziehen und in ihm den Sinn für die großartige Vorzeit seines Landes zu erwecken. Aber da müsste die Volkserziehung nicht erst in den Anfängen und die bild- und geschichtsfeindliche Religion der Belebung des Sinnes für die heidnische Vergangenheit nicht als ein mächtiges Hindernis im Wege liegen. Ich sah nur wenige Nichteuropäer das Museum mit einigem Interesse durchwandern. Doch der Freund und Kenner der Kunst und Kultur Altägyptens findet sich hier bald reich belohnt. Denn neben der überwältigenden Menge von Kleinkunst in den sakralen Objekten, die natürlich auch hier den Hauptbestandteil bilden, begegnet auch der weltliche königliche Schmuck in reicher Vertretung. Der Goldschmuck der Königin Aah-hotep der im Jahre 1867 zur Ausstellung an die Ufer der Seine geschickt worden ist, hat dort längst die allgemeine Bewunderung erregt durch den Geschmack der Erfindung, die Feinheit und Sorgfalt der Ausführung und die überraschende Virtuosität der Technik. Unter den ikonischen Statuen gebührt den wohlerhaltenen des Königs Schafra (Chephren), gefunden mit 8 anderen im Tempel des großen Sphinx, einen der ersten Plätze nicht nur in Bulak, sondern in allen Museen, vielleicht kann sich nur der berühmte Ramseskopf in Berlin mit ihr messen. Der ebenso kräftige als freie Meißel erregt bei diesem Werke Staunen. Augenscheinlich hat die Kunst vor 60 Jahrhunderten bereits in Ägypten eine Höhe erreicht, die sie in der großen Plastik wenigstens nicht länger zu behaupten wusste. Die Statue aus grünem Diorit zeigt den König in der typischen Sitzstellung; die linke Hand ruht auf dem Beine, die rechte hält eine Opferbinde; der heilige Sperber breitet schützend die Flügel über ihm aus. Auch der reichgeschmückte Thronsitz zeigt ebenso schöne Komposition als gewandte Behandlung. Wenn dieses Werk durch Ernst und Sicherheit unsere höchste Achtung gewinnt, so zieht die Alabasterstatue der äthiopischen Königin Ameniritis durch den Liebreiz der Erscheinung immer von neuem an; sie ist fürwahr das gefälligste Werk der ägyptischen Kunst. Die Königin im großen Haarschmuck der Göttinen erhebt sich auf grauem Granitsockel; die Geisel in der linken Hand erklärt sich aus ihrer Stellung als Regentin oder „Lenkerin des Nordens und des Südens" zu welcher sie ihr Bruder Sabaka erhoben. Weniger verständlich ist mir die Börse in ihrer rechten; zeigt sie die Macht zu belohnen an, wie die Geisel jene zu bestrafen? Zu den immer fort sich mehrenden Schätzen, zu welchen auch wertvolle Holzstatuen archaischen Stils gehören, ist jetzt auch der Besitz jenes Steines von Tanis getreten, der uns um eine neue wichtige Urkunde zur Chronologie der Ägypter, die Ägyptologen um eine neue Probe der unerschütterlichen Richtigkeit der Grundsätze ihrer Wissenschaft bereichert hat.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches KAIRO - Topographische Skizzen