KAIRO - Topographische Skizzen
*) Sprechen aber Kär nicht Kaïre aus, wie es Fremde oft tun.
**) So weiß denn auch der Ritter Arnold von Harff (Pilgerreise in den Jahren 1496 bis 1499, herausgegeben von Dr. E. von Groote. Köln 1860) von drei Namen (S 86): dese stat (Alkayr) hayt trij namen, die eyne heyscht Babylonia, die ander Thayr (!), die drytte heyscht Maschera. Es ist zweifellos Kayr zu lesen und der Herausgeber hätte den Schreibfehler unbedenklich tilgen können.
Jede große Stadt des Islam scheint dem Ankömmling ein Labyrinth zu sein. Bas moderne Kairo hat diesen Typus schon zum Teil abgestreift und es beginnt einige Ordnung in sein Straßengewirre einzudringen, seit es der Dampf so nahe an Brindisi, Triest und Marseille gerückt hat, so dass es nach Algier und Alexandria der besuchteste Punkt des afrikanischen Kontinents geworden ist. Man hat Straßenzüge gebrochen, die so enge sie auch den Verkehr noch einschnüren, so lebensgefährlich das Gedränge in ihnen zuweilen dem Neuling auch erscheinen mag, doch einen ansehnlichen Fortschritt bedeuten. Vor allem wichtig ist die Straße vom Bahnhofe über den Ezbekiehplatz, den Muski und seine Fortsetzungen bis zur Zitadelle, die an Länge derjenigen fast gleichkommt, welche vom Nordbahnhofe bis zum Elisabethbahnhof Wien durchschneidet, und an Breite, Regelmäßigkeit, architektonischer Schönheit, Reinlichkeit und Ordnung von derselben weit übertroffen wird, hinwiederum durch Intensität der Bewegung, lärmendes Treiben, Buntheit der Bilder, Reichtum ethnographischen Stoffes diese hinter sich lässt. Die Ringstraße in Wien und der Toledo Neapels sind ruhige einförmige Straßen verglichen mit dem Muski. Wohl macht die Flucht der Wagen in ihrem ungehinderten rasenden Laufe vielen Lärm, aber er ist eintönig, und setzt er zufällig eine Zeit lang aus, so ist die Straße wenigstens in Wien fast unheimlich still, während in Kairo das Ohr ohne Unterlass von den mannigfaltigsten Stimmen und Tönen gesättigt wird. Hier ist der Lärm hauptsächlich ein Produkt der Passanten, der Ausrufer, der Treiber und Kutscher, der lebendigen leidenschaftlich immer laut redenden Volksmenge.
Ich nenne die belebtesten der erwähnten Straßen noch einmal, um mit ein par Worten bei ihnen zu verweilen. Die Ezbekieh ist eine parkartige Baumanlage, von staubigen Wegen durchschnitten, ein wilder pflegeloser schmutziger Hain, in dem prachtvolle Stämme sich erheben. Überall darin stößt man auf Schutthaufen, stellenweis dient sie langwolligen Schafen zur Weide. Sitzplätze, gepflegter Rasen sind unbekannte Dinge. Die Ezbekieh hat aufgehört ein Volksbelustigungsplatz wie der Wurstelprater zu sein und ist noch nichts anderes besseres geworden. Es umgeben sie auf drei Seiten stattliche Häuserfronten, darunter große Hotels, die Konsulate der europäischen Mächte und einige Paläste.
Nach zwei Hauptrichtungen wälzt sich von hier der gehende, reitende und fahrende Menschenschwarm fort, nach innen zu auf den Muski, nach außen hin, in die Umgebung der Stadt, auf die Schubrastraße. Die Allee längs derselben ist unbestreitbar eine der schönsten Alleen der Welt. Hier drängen sich zu gewissen Stunden die elegantesten Wagen und die Reitpferde der vornehmen und Scheinwelt Europas, zu beiden Seiten zeigt sich in Villen und Palästen der Reichtum der Einheimischen und Fremden. Die lachende Vegetation, die milde weiche Luft, der historische Hintergrund in den von fern her blickenden Pyramiden machen einen Ritt oder eine Fahrt auf dieser Bahn an einem Winterabend zu einem der angenehmsten Genüsse die die Stadt bietet.
Der Muski aber ist die Straße der reichsten Läden und Magazine der Europäer, denn die Bazare der Einheimischen liegen in den inneren ziemlich abgelegenen Teilen der mächtigen Stadt. Der Muski ist die europäischste Straße Kairos, ist aber doch nicht so europäisiert, dass nicht auch hier auf Schritt und Tritt das Morgenland seine bunten Gestaltungen zeigte. Es ist die Straße des Durchzugs für alle Welt, von oben nach unten, von unten hinauf; aus den Seitengassen strömt die moslimische Bevölkerung wie unendliche Bienenschwärme herbei, so dass sich dem Auge allerorten eine heitere Mischung von westlichem und östlichem wie in keiner Stadt darbietet.
Versuche ich es einige der Bilder aus diesem Meere des Treibens wie es jeder Tag schafft und jede Nacht hinwegtilgt festzuhalten? Hände und Handwerk der Einheimischen sind nirgends wie bei uns in da. Innere der Häuser zurückgezogen ; drängt schon im Süden Europas alles Thun, Handeln und Feilschen mehr auf die Straße, so bewegt es sich hier durchaus im Freien. Nicht nur der Höcker auch der Kaufmann bietet in offenen Läden feil ; vor diesen auf dem Wege sitzt der Kauflustige, raucht und nippt auch wohl Kaffee, bis der Handel zu Stande kommt. Doch nicht in lautem Zweigespräch, sondern in ruhiger gelassener Auseinandersetzung, in gemäßigtem Zuwarten, denn der Orientale hat vor allem Zeit. Durch den Blick auf unendliche solche Szenen gewinnt das Auge unablässig ein farbenreiches Schauspiel.
Doch man mag sich nicht allzusehr der Betrachtung eines solchen Bildes hingeben, will man nicht plötzlich unsanft an die Mauer geworfen werden, wenn etwa ein Trupp Esel beladen mit Grünfutter oder Ziegelschutt, oder auch eine Reihe hässlicher Kamele mit Steinplatten oder Ballen von Reisig der Baumwollstaude den engen Raum der Straße ausfüllen. Du setzest dann gehend, oder reitend auf jenen köstlichen nicht hoch genug zu schätzenden Eseln des Landes deinen Weg fort; auf einmal schlagen laute Rufe an dein Ohr. Du hörst sie bei längerem Aufenthalte so oft, dass sie sich dir fest einprägen. Die häufigsten dieser Warnrufe sind je na nah (deine Rechte d. i. Seite), simâlak (deine Linke), riglak (dein Fuß). Du siehst dich um, ein Wagen im eiligsten Laufe durchtobt die Straße und ihm eine gute Strecke voraus läuft ein Mann den sie Sais nennen. Wie der lungenstarke ägyptische Vorläufer graziös die nackten Beine auswirft, wie gut ihm sein bunter Anzug, sein gesticktes Wams lässt, wie stark und metallisch sein Ruf erschallt, mit welchem er die Passanten vom Fahrwege scheucht, wie artig er jeden seiner Rufe mit einer Anrede an den eben im Wege schreitenden begleitet, als da sind ja sidi o Herr, ja Sitte o Frau, ja bint o Mädchen, o Kind, j i sêch o Alter, o Greis, ja ragol o Mann u. s. w. Und Laufen und Schreien greifen ihn sichtlich so wenig an, als jene zahlreichen Eseljungen, eine Sorte der pfiffigsten, geriebensten Gamins, die sich ganz desselben Gebrauchs bedienen, um ihrem sprengenden Esel und dem jeweiligen „Mosju" dem sie für ein par Franken dienen Raum zu schaffen.
Da kommt dir ein Blinder entgegen, in Ägypten eine häufige Erscheinung; er fällt dir vor allem durch die Art auf, wie er sich leiten lässt; seine Hand ruht auf dem Kopfe des führenden Kindes, und dies gibt ihm eine ungemein malerische Haltung. Dort keucht eine gekrümmte Gestalt den Weg herauf; tiefgebeugt ist ihr Rücken und Ströme Wassers fließen in den Sand wo sie geht. Der Mann trägt einen schwarzen glatten seltsam aussehenden Schlauch auf den Schultern. Es ist eine ganze Ziegenhaut deren Hals und Füße zugebunden sind; aus einer freigelassenen Öffnung strömt das Wasser zur Bespritzung der immer staubigen Straßen. Unsere Wassertonnen und Guttapercharöhren sind eine noch unbekannte Einrichtung. Nicht minder ursprünglich erscheint dir der halbnackte Wasserträger; mit einem großen Erdkruge aus Kenne beladen, klappert er mit zwei Messingschalen die als Trinkgefäße dienen vernehmlich durch alle Straßen, wo er sein Getränk anbietet. Da wo es keine öffentlichen Saugbrunnen gibt, ist sein Artikel, das in der Tat köstliche Nilwasser, bei dem Volke sehr geschätzt.
Jetzt, du kannst deinen Augen nur nicht gleich trauen, siehst du dort dicht an der Mauer einen splitternackten Mann stehen und niemand achtet auf ihn, so ungeniert, ja ostensibel er seinen unschönen Leib ausstellt. Es ist ein Magnûn wie ihn die Leute nennen, ein Verrückter und darum unantastbar oder heilig, vielleicht auch heuchelt er nur Verrücktheit um Almosen zu erpressen und sich des Geruchs der Heiligkeit zu erfreuen.
Du hast eben eine Ziegenherde betrachtet und dich an den ungemein langen Ohren und den merkwürdigen Tölpelgesichtern derselben ergötzt, da schreckt dich ein durchdringendes Geheul auf; es geht von Leuten aus, die im schnellsten Tritte dahingehen, sie sind vorüber ehe du noch weißt, was der düstere Aufzug bedeuten soll ; es ist wie du dir später sagen lassest eine Beerdigung. Nicht lange und ein Schwärm sprengender Kawassen (Polizeisoldaten) fliegt durch die Straßen, bis an die Zähne bewaffnet, starke Männer mit energischen Physiognomien, die völlig verschieden sind von denen des Landes. Sie sind aus der Fremde herbeigezogen, aus Bosnien und Albanien. Ihnen folgt ein prächtiger Zug Wagen, flankiert von Reitern: der Harem des Vizekönigs. Die Vorhänge der Fenster sind herabgelassen und wehren jedem vorwitzigen Europäer, ein Muselman hebt ohnedies das Auge zum „Verbotenen" nicht auf.
Welche Völker und Trachten ziehen da fort und fort an dir vorüber, Engländer auf der Heimkehr aus Indien, gebräunt, mit seltsamen helmähnlichen Hüten, und weithin wehendem Nackenschleier aus Mousselin, Neger aus Dongola, Abessinier und Nubier oder Berbern mit wohlgeformten Leibern und bronziertem Teint, stolzblickende Beduinen auf hohen Dromedarrücken, zerlumpte Mekkapilger aus Maghreb u. s. w. Dein Ohr füllen zehnfach verschiedene Ausrufe aller Feilbieter und Hausierer, sie bieten dir mit mancherlei Sprüchelchen Datteln und Bohnen, Apfelsinen Backwerk, Lupinen, Bananen, Eier und Melonen an, darein erklingt der Ruf der Muezzine: Gott ist Gott. Du lenkst in eines der stillsten dunkelsten Nebengässchen ein; nicht lang, da braust ein nie gehörter Lärm auf dich ein; du kannst seine Ursache erkennen, wenn du den Blick durchs offene Fenster wirfst. Da sitzen auf den Hacken unzählige Kinder und wiegen sich wie die frömmsten Juden in einer Synagoge Polens, und schreien dazu aus aller Kraft ägyptischer Lunge etwas von einem Blatte oder Buche herunter. Keiner nimmt dabei auf den andern Rücksicht keiner lässt sich auch vom andern stören. In ihrer Mitte sitzt eben so sich gebärdend ein ältlicher Mann, es ist der Schullehrer und was um ihn tollt seine eifrige Leseschule. Wenn wir E. Renan folgen, hat auch der Herr Jesus so lesen gelernt.
Das Reich des Lärms ist also in Kairo von unendlicher Mannigfaltigkeit, aber das Auge geht fürwahr nicht leer aus. Farben über Farben, helles grelles Licht und kräftige Schatten. Weniges ist plastisch, alles jedoch malerisch, das Innere der Moscheen, der Okellen (Verkaufshöfe), die Bazare, die Grabhöfe, Bauplätze, Bild auf Bild. Und es ermüdet das Anschauen nicht gleich den einförmigen regelmäßigen Szenen unserer Städte, lässt du dich einen Gesellen nicht anfochten, der überall ist wohin du auch gehest, der Schmutz.
Abb. 3. Gräberfeld hinter der großen Pyramide von Gize
Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.
Abb. 2. Pyramiden von Gize
Hieroglyphenzeichen
Abb. 4. Eine Mastaba von Gize
Abb. 11. Rekonstruktion des Sonnentempels des Neweserrê
Abb. 7. Holzstatue des Schêch el-beled
Abb. 13 u. 14. Pfeilergang und Kammer aus dem Portalbau des Chephren
Abb. 8. Wand aus dem Grabe des Rahotep
Eine Nilbarke
Abb. 16. Um Gnade flehende Libyer und die Geschichtsgöttin aus dem Tempel des Sahurê in Abusir
Abb. 9. Skizze einer Wand aus dem Grabe des Ptahhotep in Sakkara
Tafel 07 Kalksteinstatue des Schreibers im Louvre
Tafel 03 Eingang der Mastaba des Mereb
Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer
Tafel 11 Säulen aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir
Tafel 06 Köpfe der Kalksteinstatuen des Rahotep und der Nofret
Tafel 13 Scheingefäß aus vergoldetem Holz mit Fayenceeinlagen
Tafel 17 Kopf der Kupferstatue des Merenrê
Tafel 16 Kopf der Kupferstatue Pepi’s I.
Tafel 14 Kopf eines Asiaten (links) und eines Puntiers (rechts) unter den Tatzen der Sphinx
Tafel 15 Schiff mit asiatischen Gefangenen, aus dem Totentempel des Sahurê in Abusir