Siebenundzwanzigstes Kapitel. - Ohne daß ich es wollte, oder auch nur bemerkte, war indessen eben jener unbeugsame Republikaner aufmerksam auf mich geworden, der seine Pferde lieber tödten, als eine Gunstbezeugung des ...

Ach! daß der Mensch hier so viel vergehen sieht,
eh' er selbst vergeht.
Jean Paul.

Ohne daß ich es wollte, oder auch nur bemerkte, war indessen eben jener unbeugsame Republikaner aufmerksam auf mich geworden, der seine Pferde lieber tödten, als eine Gunstbezeugung des preußischen Generals hatte annehmen wollen. Er suchte während des Winters jede Gelegenheit auf, mich näher kennen zu lernen; mein Onkel Lehmann, der inzwischen aus einem angehenden Hagestolz in einen jungen Ehemann sich verwandelt hatte, wurde halb und halb sein Vertrauter und kam seinen Wünschen hülfreich entgegen. Heinrich Floris Schopenhauer*), so hieß der Mann, der während einer bedeutenden Reihe von Jahren mich treulich durchs Leben begleitet hat, wußte wenigstens die Gewißheit, daß ich seine Hand nicht ausschlagen würde, von mir zu erhalten, ehe er an meine Eltern sich wandte, was damals, in jenen aller Romantik abholden Tagen, ohne Vorwissen der am meisten dabei betheiligten Hauptperson noch oft der Fall war. Furchtlose Offenheit war ein Hauptzug seines Charakters; auch kannte er mich schon genug, um vorauszusehen, daß mein bei der kindlichsten Anspruchslosigkeit doch stolzes Gemüth eine andere Handlungsweise nie ertragen haben würde.


Aus freiem Entschluß sprach ich in Gegenwart meiner Eltern das erbetene Ja sogleich aus, sogar ohne die damals gewohnte Bedenkzeit von drei Tagen mir vorzubehalten. Alfanzereien dieser Art strebten meinem geraden Sinne immer entgegen, und ohne es zu wissen, stieg ich durch dieses mein ungeziertes Benehmen in der Achtung des vorurtheilfreiesten Mannes, den ich je gekannt.

Noch vor Vollendung meines neunzehnten Jahres war mir nun durch diese Verbindung die Aussicht auf ein weit glänzenderes Loos geworden, als ich jemals berechtigt gewesen zu erwarten; doch daß dies in so früher Jugend meine Wahl nicht bestimmen konnte, ja daß ich kaum daran dachte, wird man mir hoffentlich zutrauen.

Ich meinte mit dem Leben abgeschlossen zu haben, ein Wahn, dem man in früher Jugend nach der ersten schmerzlichen Erfahrung sich so leicht und gern überläßt. Meine Eltern, alle meine Verwandten mußten meine Verbindung mit einem so bedeutenden Manne, wie Heinrich Floris Schopenhauer in unserer Stadt es war, für ein sehr glückliches Ereigniß nehmen, doch haben weder mein Vater noch meine Mutter sich erlaubt, meinen Entschluß leiten zu wollen, obgleich Herrn Schopenhauer's Betragen gegen mich zu auffallend war, als daß seine Erklärung sie hätte überraschen können.

Sein stets gleiches, rechtliches Betragen, seine warme Freiheitsliebe, seine ausgebreiteten merkantilischen Kenntnisse neben der ungewöhnlich geistigen Bildung, die er während seines mehrere Jahre währenden Aufenthaltes im Auslande, besonders in Frankreich und England, sich erworben, hatten die Liebe und das Vertrauen seiner Mitbürger in hohem Grade ihm gewonnen; ich durfte stolz darauf sein, diesem Manne anzugehören, und war es auch.

Glühende Liebe heuchelte ich ihm eben so wenig, als er Anspruch darauf machte, aber wir fühlten Beide, wie er mit jedem Tage mir werther wurde. An das bedeutende Mißverhältniß zwischen acht und dreißig und achtzehn dachte ich kaum; es konnte keineswegs mir störend auffallen, war doch auch mein Vater fünfzehn Jahre älter als meine Mutter.

Mein Brautstand währte nur wenige Wochen; vom 10. April bis zum 16. Mai ist eine gar kurze Zeit; viele meines Geschlechts achten die Brauttage für die glücklichsten ihres Lebens; mir waren sie es nicht, obgleich ich gegen das Gefühl, sowohl in der Familie als in der Gesellschaft plötzlich eine Hauptperson geworden zu sein, nicht ganz gleichgiltig bleiben konnte. Auch mag ich nicht leugnen, daß die geschmackvollen und zum Theil sehr kostbaren Geschenke mich freuten, mit welchen mich, die auch in dieser Hinsicht an Mäßigkeit Gewöhnte, mein Bräutigam verschwenderisch überhäufte; das liebste von allen war mir immer der aus den seltensten und duftendsten Blumen zusammengesetzte Strauß, der Morgens mein Erwachen begrüßte. Sonntags und bei großen festlichen Gelegenheiten war ein solcher Strauß ein althergebrachter Tribut, den jede Braut zu erhalten erwarten durfte; ich erhielt den meinigen alle Tage, weil mein Bräutigam behauptete, daß jetzt in seinem Kalender lauter Sonntage ständen.

Das Frühjahr war gekommen, der Frühling noch nicht; während bei meinen durch sorgsame Pflege lange frisch erhaltenen Blumen ein Meer von Duft mich umschwebte, starrte draußen noch Alles in Schnee und Eis. Sibirische Kälte, wie sie die ältesten Leute erlebt zu haben sich nicht erinnerten, hatte im grimmen Winter des Jahres 85 bei uns geherrscht. In den Monaten Januar und Februar waren die Vögel bei hellem Sonnenschein aus der eisigen Luft erstarrt zur Erde niedergefallen, vor Kälte klafften im Walde große Bäume mit lautem Gekrach aus einander, hungernde Wölfe kamen heulend bis dicht vor die Thore der Stadt, Menschen und Thiere erfroren, und die Schildwachen auf den höchsten Posten der Wälle mußten deshalb alle Viertelstunden abgelöst werden.

Bis zum Ende des Monats März lag die Natur in starrem Todesschlaf, als werde sie nie wieder erwachen; bis in den Monat April hinein konnte man nur zu Schlitten über den bergehoch liegenden Schnee sich den Weg bahnen, und der mit Eis bedeckte Weichselstrom wurde sogar der Länge nach noch befahren.

Bänglich beklommen sah ich indessen dem Herannahen unseres Hochzeitstages entgegen, und wahrlich ein solches Fest eignete schon an und für sich selbst in jenen Tagen sich ganz dazu, die myrthengekrönte Königin desselben im Voraus in Schrecken und Furcht zu versetzen. In so zahlreichen und angesehenen Familien, wie die unsrige, zeigten altreichsstädtischer Prunk und altreichsstädtische Gebräuche sich dabei in ihrer vollen Kraft.

Schon bei der Einladung der Hochzeitsgäste mußte großer Rath gehalten werden, um keinen und keine der Vettern und Muhmen zu übersehen, die auf diese Ehre Anspruch machen konnten; die verwandtschaftliche Nähe, in der sie zu dem Brautpaare standen, wurde dabei auf das genaueste erwogen. In jener Zeit, zu ihrer Ehre sei es gesagt, hielt man weit mehr auf Verwandtschaftsbande als in unsern jetzigen Tagen; sie wurden bis über den dritten und vierten Grad hinaus beachtet, was aber freilich bei solchen Gelegenheiten die Zahl der Gäste fast bis ins Unübersehliche vermehrte.

Dichtes Gedränge zahlreicher Neugieriger aus den geringeren Klassen füllte oft schon um vier Uhr Nachmittags Straße und Beischläge vor dem Hochzeitshause, um die Braut aus dem Wagen steigen zu sehen, denn im elterlichen Hause dieses Fest zu feiern, erlaubte selten der Raum und war auch übrigens nicht gebräuchlich. Alle Fenster der benachbarten Häuser waren mit zu diesem Schauspiel eingeladenen Gästen besetzt, die ebenfalls der Ankunft der Kutschen ungeduldig entgegensahen.

Die schönsten Pferde, die brillantesten Equipagen der Stadt paradirten bei solchen Gelegenheiten, selbst die nicht zum Feste geladenen Eigner derselben liehen sie sehr bereitwillig zum Herbeifahren der Gäste her, die der Bräutigam alle abholen ließ, sie mochten eigene Equipage besitzen oder nicht; so erforderte es damals der Gebrauch. Kutscher und Bediente prangten dabei in Gallalivree mit weißen Handschuhen, weißseidenen Strümpfen und einem mächtigen Blumenstrauß im Knopfloch; sogar die Pferde wurden mit schneeweißen Leinen anstatt der gewöhnlichen Zügel regiert.

Endlich rollte gegen fünf Uhr der erste Wagen heran; in kurzen Wintertagen schufen Fackeln die früh eingetretene Nacht zum hellen Tage um. Im höchsten Putz, den Hut unterm Arm, mit weißen Glaceehandschuhen, Haarbeutel und Degen stürzten zwei der jüngsten Vettern des Bräutigams zum Hause hinaus, die Beischlagstreppe hinunter, um die Aussteigenden zu empfangen und in der Hausthüre zwei andern jungen Herren zu übergeben, denen die Pflicht oblag, sie hinauf in den zur Trauung bestimmten Saal zu begleiten. Diese Ceremonie wiederholte sich oft mehr wie zwanzig Mal; den jungen Gäste-Empfängern verging darüber Lust und Athem, bis der zuletzt ankommende Geistliche endlich den Beschluß machte. Bald nach ihm kam das Brautpaar, eine Art Beifallsgeschrei pflegte es gewöhnlich zu empfangen.

Von allen vier Führern umgeben, wankte die bleiche, zitternde Braut an der Hand ihres Verlobten durch die sie umdrängenden Zuschauer, die sich keineswegs entblödeten, ihre meistens sehr unzarten Bemerkungen nur zu hörbar einander mitzutheilen.

Auf dem die kirchliche Feier andeutenden Teppich, vor dem die Stelle des Altars vertretenden Tisch, die Agende in der Hand, im vollen Priesterornat, erwartete der Geistliche das Brautpaar. Nach Rang, Nähe der Verwandtschaft und Alter geordnet, bildeten die Hochzeitsgäste ihm zu beiden Seiten einen Halbkreis. Ein Choral wurde unter Musikbegleitung gesungen und leitete die gleich darauf erfolgende Trauung ein.

Ein paar langweilige Stunden waren nun zu überstehen; an Tanz konnte bei vornehmen Hochzeiten nicht gedacht werden, dies Vergnügen blieb an solchem Tage dem Mittelstand überlassen, und die Musik ließ erst bei Tafel sich wieder hören. Bei dem mehrere Stunden währenden Souper flossen die köstlichsten Weine in Strömen und begeisterten die älteren Herren zu kühneren Witzworten und Gesundheiten, bis endlich die Zeit des Aufbruchs herankam. Und wieder hatte vor dem Hause das Volk sich versammelt, zwar in weit kleinerer Anzahl, doch deshalb zur widerwärtigsten Lustigkeit um so aufgelegter.

Die ganze Gesellschaft, von einer langen Reihe Fackeln begleitet, fuhr jetzt wie in Prozession nach der Wohnung des neuvermählten Paares; die Frauen bemächtigten dort sich der Braut, die Männer des Bräutigams. Mit ausführlicher Beschreibung dieses aus ferner dunkler Zeit herstammenden Gebrauchs will ich mich und meine Leserinnen verschonen, der unerträglichste Theil desselben, die Strumpfbands-Ceremonie, war schon damals in der feinen gebildeten Societät dahin abgeändert, daß eine der älteren Verwandtinnen der Braut eine Rolle Band unter die Herren warf, und es ihnen überließ, dieses Andenken an dieselbe auf selbst beliebige Art unter sich zu vertheilen.

Mein Bräutigam theilte mit mir den Widerwillen gegen den Gedanken, in solcher ernsten das Glück oder Unglück meines künftigen Lebens feststellenden Stunde mich gleichsam zum Schauspiel herzugeben, und beschloß, mich davon zu befreien.

Unser Hochzeitstag schien noch ins Ungewisse hinausgeschoben zu werden, während er in aller Stille mit Mühe und Kosten uns die Erlaubniß auswirkte, nach nur einmaligem Aufgebot von der Kanzel gleich in der Kirche uns trauen zu lassen. Ob er diese von unserem Schutzherrn, dem Könige von Polen, oder durch den Offizial vom Papste erhalten, ich weiß es nicht, und habe nie daran gedacht, ihn zu fragen. Seit Menschengedenken war dieser Fall, der die ganze Stadt in Verwunderung setzte, nicht vorgekommen, und meines Wissens hat später kein zweites Paar unserem Beispiel gefolgt.

Ganz einfach in weißen Mousselin gekleidet, den unerläßlichen Myrthenkranz im Haar, fuhr ich am zweiten Pfingstfeiertage mit meinem Verlobten nach Aller Engel, einer von einigen Häusern umgebenen sehr hübschen Kirche, auf halbem Wege nach Langfuhr, seitwärts gegen die Mitte der dorthin führenden, prächtigen Lindenallee. Unser Beider Eltern und Geschwister erwarteten uns dort, um uns an den Altar zu begleiten**) Nach der Trauung fuhren wir nach meines Gatten einfachem Landhause vor Oliva.

Ohne weitere Andeutung, als nur zum Mittagsessen geladene Gäste, erwarteten Jameson und mein Onkel Lehmann uns dort, eilten an unseren Wagen und fragten, ehe sie mich aussteigen ließen, nach meinem Namen, den ich zu ihrem großen Vergnügen ihnen nicht gleich zu nennen wußte. Unsere vor der Kirche haltenden Kutschen hatten beim Hinausfahren das Ereigniß des Tages ihnen verrathen; nur von unseren nächsten, theilnehmendsten Freunden umgeben, brachten wir den Tag in heiterer Stille zu, herzlich froh, der geräuschvollen Feier desselben ausgewichen zu sein.

Es war am 16. Mai, Vorhaus und Zimmer waren mit duftenden Blumen und Kränzen reichlich geschmückt, im Freien erhob kaum ein Schneeglöckchen das farblose Köpfchen aus der eben aufthauenden Erde. An tiefen Stellen und im Schatten der Hügel lag noch Eis und Schnee, alles war öde, die Bäume streckten noch wie klagend ihre nackten Zweige zum Himmel auf. Nur an einer einzigen Stelle des Gartens, welche jeder Sonnenblick im Laufe des Tages traf, verkündeten an einer Hagebuchenhecke einige wenige dem Aufbrechen nahe Knospen, daß noch nicht alles Hoffen auf den Frühling verloren sei.

Spurlos ist die Kirche von der Erde verschwunden, vor deren Altar ich getraut worden bin, und kein Stein bezeichnet mehr die Stätte, wo sie einst gestanden. Bei der letzten Belagerung meiner Vaterstadt wurde sie abgetragen oder abgebrannt, ich weiß nicht, welches von beiden; auch nicht, ob bei ihrer Zerstörung die Kirchenbücher gerettet wurden***). Von unseren Hochzeitsgästen ist nur noch die jüngste meiner Schwestern am Leben.

Sechs der sieben zwischen Strieß und Oliva unbeschreiblich schön belegenen Landhäuser, unter ihnen auch das eben als unser Eigenthum erwähnte ****), versinken verödet und einsam langsam in sich selbst.

In einiger Entfernung von einander erbaut, lehnen sie mit ihren zum Theil recht grandiosen, von uralten herrlichen Buchen und Rüstern umschatteten Gartenanlagen, an den ebenfalls mit großen ehrwürdigen Bäumen prangenden Anhöhen, welche den Saum eines bis in Kassuben hinein sich erstreckenden Waldes bilden. Feld und Wald, die Halbinsel Hela mit ihrem Lenchtthurm, die offene See, die Rhede mit den aus blauer Ferne heransegelnden Schiffen, der Hafen, der diesen als erwünschtes Ziel sich eröffnet, der in die Ostsee sich ergießende Weichselstrom, mit der Festung Weichselmünde an seinem Ufer, die ganze reich angebaute Umgegend, die über die hohen Wälle der Stadt hervorragenden, noch weit höheren Thürme, alles dieses zusammen aus den Fenstern dieser etwas hochliegenden Häuser gesehen, gewährt eine der reichsten und entzückendsten Ansichten, die ich kenne; sie alle waren das Eigenthum durch Wohlhabenheit sich auszeichnender Familien und wurden während der Sommerszeit von diesen bewohnt.

Jedermann beeiferte sich, die ihm empfohlenen Reisenden in diese Gärten zu führen, was die gastfreien Eigenthümer sehr gern gestatteten. Niemand ging, besonders an Sonntagen, an ihnen vorüber, ohne wenigstens ein paar Minuten dem raschen, lebendigen Spiel ihrer Springbrunnen zuzusehen, von denen mehrere den reichen Wasserstrahl sechzig bis siebzig Fuß hoch himmelan warfen, der dann, den schönsten Regenbogen bildend, wie aufgelöst in Rubinen und Diamanten, sich seinem Bassin wieder zusenkte.

Lautlos, unbewohnt, dem langsamen Verfalle geweiht, stehen die einst so freundlichen Landhäuser jetzt da, Unkraut und Nesseln wuchern in den Gängen der Gärten; die größte Zierde derselben, die herrlichen alten Bäume, sind größtenteils umgehauen und ausgerottet, das liebliche Plätschern und Rieseln der Fontainen ist verstummt, ihre Röhren und Wasserleitungen zerbrochen, die Stätte, die sie schmückten, versumpft.

In der das dazu nöthige Material ohnehin sparsam bietenden Umgegend von Danzig hatte die bis zum völligen Erdrücken auf dieser Stadt lastende Oberherrschaft der Franzosen die Anlegung von Chausseen verhindert. Vor einigen Jahren erst (1824) wurde damit angefangen und schnell vorgeschritten, doch so, daß die große, über Oliva in die weite südlichere Welt führende Poststraße jetzt in bedeutender Entfernung an jenen Landhäusern vorbeigeht.

Durch das bequeme Neuere schnell verwöhnt, scheut man nun, den alten sandigen, durch lange Vernachlässigung noch mehr verdorbenen Weg zu einem freilich wenig eintragenden und sehr kostspielig zu unterhaltenden Besitzthum, zu welchem besuchende Freunde eben wegen jenes für Menschen und Pferde beschwerlichen Weges nur selten und spärlich sich einstellen würden, und wählt lieber andere bequemer liegende Orte, die keinen so bedeutenden Aufwand erfordern, zum Sommeraufenthalt.

Das größte dieser Landhäuser, ein wirklich schloßartiges Gebäude, wird, wie ich höre, jetzt zu einer wohlthätigen Anstalt, einem Hospital für Alte, Kranke und Gebrechliche eingerichtet.5) Das letzte in der Reihe der sieben, in einer ausgezeichnet schöneren Lage noch als die übrigen, nahe beim Flecken Oliva, ist das einzige, welches noch von dem Eigner unterhalten wird, der das von seinen edlen Eltern auf ihn vererbte Eigenthum ganz im Sinne derselben erhält, verwaltet und während der schönen Jahreszeit es bewohnt6).
Unser ehemaliges, durch seine terrassenartige Anlage und seinen Springbrunnen sich auszeichnendes Landhaus theilt das Schicksal der übrigen, der jetzige Besitzer desselben wohnt in der weit entfernten Stadt Memel, (Kaufmann Meyer) und mehrere Jahre vergehen, ehe er es einmal auf einige Wochen besucht. Die Gartenpartien, die nach meiner Angabe angelegt wurden, der Berg, den mein Mann mit den köstlichsten Obstarten terrassenartig bepflanzen ließ, Nesseln und wucherndes Unkraut bedecken auch diese.
Was ich in meiner Jugend geliebt, was mich gefreut, was mich beglückte in meinen eignen Frühlingstagen, Lebloses und Lebendes, Alles, Alles ist dahin! versunken, verschwunden, wie nie gewesen! Warum fiel gerade mir dieses trübe Loos, das Männer weit leichter zu tragen wissen als wir Frauen! Gleich einem dunklen Nachtvogel schwebt in farbloser Dämmerung mein rückblickender Geist nur noch über Gräbern und formlosen Ruinen.
Zurück, zurück von diesen Gedanken, damit ich nicht in zweckloses Mitleid mit mir selbst verfalle und das noch härtere Geschick so vieler Tausende meiner Zeitgenossen darüber aus den Augen verliere!




*) Er ist 1747 geboren, wurde am 19. November 1780 Danziger Bürger und Kaufmann. Er starb 1806 in Folge eines unglücklichen Falles in Hamburg.

**) Die Trauung vollzog der damalige Prediger zu „Aller Engel“ Johann Christian Teschke, welcher an dieser Kirche von 1768–1800 fungirte.

***) Die Kirche wurde während eines heftigen Gefechtes zwischen den Belagerern und den Vertheidigern Danzigs am 3. April 1807 ein Raub der Flammen. Dabei werden die Kirchenbücher verbrannt sein, aber die Trauung des Schopenhauerschen Ehepaares ist nicht in ihnen, sondern in denen der Marienkirche, zu deren Sprengel die Neuvermählten gehörten, beurkundet. – Da heißt es nun wörtlich: „1785. d. 16. Mai: „Sind auf Nachgeben des Herrn Präsidenten Herrn Joh. Gottfried Reyger, Hochedlen Gestreng. Herrlichkeit in der Kirche zu Allen Gottes Engeln, Ein für allemal proclamirt und sogleich nach der Frühpredigt copulirt worden: Heinrich Florus Schopenhauer &c. &c.“

****) Es ist dies, wie nicht nur aus der Schilderung der Verfasserin hervorgeht, sondern auch anderweitig unzweifelhaft bestätigt wird, der sogenannte 3. Pelonker-Hof, in welchem seit 1868 das Danziger Kinder- und Waisenhaus ein glücklich gewähltes Asyl gefunden hat. Vorher haben allerdings die Besitzer vielfach gewechselt, manche Anlagen mögen verschwunden sein, aber noch heute erfreuen die Wald- und Gartenpartien jeden Besucher durch ihre überraschende Schönheit.

5) Die dort seit 1833 untergebrachte Armenanstalt pflegt noch heute die prächtigen Waldungen und unterhält den köstlichsten Aussichtspunkt, den es auf der Pelonker Hügelkette giebt.

6) Angelegt von den Eltern des 1857 verstorbenen Oberbürgermeisters von Danzig, Geheimrathes von Weickhmann ist es in seiner ganzen Schönheit wieder in den Besitz eines Großneffen des um seine Vaterstadt hochverdienten Mannes gekommen. – Fügen wir hinzu, daß auch die übrigen „Höfe“ sich in guten Händen befinden, so können wir constatiren, daß die zu ihrer Zeit berechtigte Klage der Verfasserin eine erfreuliche Wendung erfahren hat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jugendleben und Wanderbilder