Abschnitt 5. Als ich so weit gekommen war mit meiner Rede, da kam ich nicht weiter. Da erhob sich ganz Irland wider mich. ...

Als ich so weit gekommen war mit meiner Rede, da kam ich nicht weiter. Da erhob sich ganz Irland wider mich. Da nahm ich meine längsten Beine in die Hand. Da machte ich, daß ich fortkam.

Wieschen sagt, ich soll das nicht schreiben, weil sich das nicht schicken tut. Ich sage: Wieschen, sage ich; das verstehst du nicht. Ich habe versprochen, alles so aufzuschreiben, wie es richtig war. So gehören die lausigen Geschichten auch dazu. Ich will dir sagen, schlimmer ist es bei Pharao und seinen Plagen auch nicht gewesen, und das steht in der Bibel. Aber wir konnten man nicht ausziehen. Nein, Wieschen, das Kapitel von der irländischen Laus muß mit hinein. –


Da war ein Mädchen auf dem Schiff, die kam weit her aus Breslau oder da herum. Die sagte: Ich bin 28 Jahre und sehr gebildet, und ich sollte mit ihr kommen nach Baltimore. Aber sie war lebendig von Läusen, und ich sprach: Du hast noch nicht genug Bildung gelernt, denn du hast dich auf dem Schiff erst einmal gekämmt, und das auch man im ganzen ziemlich mittelmäßig. Sie sprach: ja, das will ich auch noch tun, wenn wir erst an Land sind. Hier lohnt sich das nicht. Ich sagte: von meinetwegen sollte sie sich man keine Umstände machen, und ließ sie stehen. Nachher hatte der Franzosendoktor oft mit ihr zu tun in den Ecken vom Schiff.

Auch habe ich einen Tag gesehen, da saß der erste Offizier auf den Knien und betete. Ich dachte: Das muß ein frommer Mann sein; vor dem muß man Ehrfurcht haben. Darum ging ich auf den Zehen an ihm vorbei. Und dann stand er auf und stach einen Matrosen mit dem Messer ins Bein, weil er ihm nicht fix genug in den Mast kommen konnte. Die Wörter, die er dabei brauchte, stammen auch nicht aus der Bibel. Da dachte ich: Also so sind die Frommen hierzulande. Als der Matrose oben war, setzte er sich wieder auf die Knie und betete weiter. Da bin ich um ihn rumgegangen und hab ihn so von der Seite aus angesehen, aber von ferne, und dabei hab ich gedacht: Erst beten, dann stechen, dann wieder beten, woans reimt sich das? Da möchte ich aber keinem von der Sorte abends im Dunkeln begegnen ohne einen dägten (tüchtigen) Handstock. Wenn ein Pastor da gewesen wäre, dann hätte ich ihn gefragt. Aber ich will doch lieber bei meinem Glauben bleiben, und Ehrfurcht habe ich auch nicht mehr vor ihm gehabt, und auf den Zehen tat ich auch nicht mehr gehen, wenn er betete.

Das Schiff aber fuhr unterdes immer weiter, ohne Wegweiser, ohne Traden (Wagenspuren) und Geleise. Das Blaue auf dem Wasser wollte gar nicht aufhören, und zuletzt war uns allen ganz wässerig und elendig zumute von all dem Wasser. Viele wurden auch krank. Wir dachten schon, daß Amerika gar nicht mehr kommen täte, und einer sagte: Ihr sollt mal sehen, dies geht nicht mit rechten Dingen zu, und wir werden noch ganz von der Erde runterfahren. Aber der Mensch kommt nirgends runter von der Erde, so weit er auch reist; höchstens kommt er in die Erde. Wir hatten uns auch alle steif gesessen und gelegen, weil wir uns nicht ordentlich ausarbeiten konnten. Schade, daß da nicht ein paar Faden (1Faden = 4 Raummeter) Holz kleinzumachen waren oder ein paar hundert Ruten Roggen zu mähen. So sagte ich zu dem Kapitän: Dies ist eine traurige Gegend, da möchte ich nicht wohnen. Da hat er sich ein bißchen gelacht und weitergeraucht auf seinem Stummel. Da kuckte er wieder ernsthaft über das Wasser. Da war nichts zu sehen. Aber er tat es doch und war gleichwie ein Mann, der ein Ziel hat und sieht weder zur Rechten noch zur Linken. Von solchem Mann kann man lernen, wie man sein Leben machen muß, wenn man vorwärts will.

Zuletzt kam Amerika doch. Da waren alle froh. Ich auch, denn der oberste Koch gab mir einen Dollar und sagte: Du hast deine Sache gut gemacht. Da bin ich hingegangen und hab mich gründlich reingemacht und meine Matratze mit allem, was drin rumhüpfte, über Bord geworfen. Die anderen machten es auch so, und wir freuten uns noch mal alle zusammen, daß wir den alten Lausekasten verlassen konnten. Aber der Franzosendoktor hat noch Schacht gekriegt in einer düstern Ecke, und heute weiß er noch nicht, bei wem er sich dafür zu bedanken hat. Der Erste Offizier trat auch mit den Füßen auf ihm rum. Ob er nachher wieder gebetet hat, kann ich dir nicht schreiben.

Als wir beinah nach Amerika ran waren, ließ der Kapitän uns zusammenkommen und hielt uns eine Rede. Er war ein braver Mann, darum haben wir gut zugehört; bloß es hat keiner verstanden, was er wollte. Er fing an zu schelten und hielt uns die Rede noch einmal. Es hat ihn keiner verstanden. Da schalt er noch mehr, und zuletzt jagte er uns alle hinaus. Aber es hat ihn keiner verstanden, und heute weiß ich es noch nicht.

Als wir ans Land kamen, mußten wir uns alle aufstellen und wußten nicht, warum. Bloß der Franzosendoktor fehlte. Zuletzt kam er hinter uns angeschlichen. Er dükerte sich noch mehr und ging mit dem schlesischen Mädchen mit der Bildung und den Läusen unter ihrem Kleid sitzen, und sie sagte nichts. Die Schiffsleute haben ihn gesucht und geflucht. Es war umsonst. Als die Offiziere und Schiffsleute fort waren, kam er wieder hervor und lief davon. Sie lief hinter ihm her. An der Straßenecke hielt er still. So gingen sie zusammen fort. Ich möchte wohl wissen, was er ausgefressen hatte.

Als wir wieder auf dem festen Lande waren, zählte ich mein Geld. Ich hatte noch zwei Taler und vier Schilling. Dazu den Dollar vom obersten Koch. So, dachte ich, bei der ersten Million bist du schon. Wenn du die zweite voll hast, dann kann’s dir nicht fehlen. Dann kaufst du dir ganz Amerika und was dabei noch rumbaumelt.

Lieber Herr Lehrer, in der Schule hast du uns gelehrt, daß die Sonne im Sommer hier aufgeht, wenn sie bei euch untergeht. Lieber Herr Lehrer, ich muß dir mitteilen, daß das eine Irrlehre ist. Die Sonne geht hier auch morgens auf und abends unter. Ich hab gleich den ersten Tag gut aufgepaßt. Mit dem Mond ist das hier auch so beschaffen wie bei uns zu Hause. Auf der Reise ist mir auch richtig klar geworden, wozu es gut ist, daß die Erde so rund ist. Das ist darum, Sonne und Mond könnten sonst nicht so gut rumkommen um die Erde. Und wir wären mit dem Schiff sonst nicht so gut nach Amerika gekommen. Das hat alles seinen Sinn und Verstand.

Lieber Herr Lehrer, ich muß dir mitteilen, da ist etwas, was ich nicht verstanden habe. Auf der Fahrt von England nach Amerika ist die Sonne sieben Wochen und zwei Tage lang morgens richtig aufgegangen und abends richtig unter. Das hat alles seinen Schick wie bei uns zu Hause. Aber als wir hier ankamen, da wurden die Uhren ungefähr sechs Stunden nachgestellt. Lieber Freund, du mußt mir das mal ganz richtig erklären, warum das sein mußte. Ich weiß nicht, wo die sechs Stunden geblieben sind. Vielleicht liegen sie auch da, wo unsere Matratzen liegen.

Siehe, das ist ein großer Packen geworden und kein Brief. Ich hab auch beinah ein Vierteljahr lang daran geschrieben. Nu kiek tau, ob du twüschen de Ulen und Kreien dörchfinnen kannst. Ich hab für den nächsten Brief schon wieder zwei Pfund Papier in Chicago bestellt. Man bloß, es ist noch nicht fertig.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Jürnjakob Swehn der Amerikafahrer