Ernst, Heinrich Wilhelm (1812-1865)

Dieser weltberühmte Violin-Virtuose wurde 1814 zu Brünn geboren, und erhielt seinen ersten Unterricht in der Musik von einem Herrn Sommer, der von Profession eigentlich ein Bäcker, und dann von dem Musiklehrer Leonhart. Seine eigentliche Bildungsschule in der Musik, für welche Kunst er schon sehr zeitlich Liebe und Talent bekundete, war in Wien, wohin er, aufgemuntert durch den Beifall, den er sich schon damals in seiner Vaterstadt bei einem öffentlichen Konzert erworben, im Jahre 1825 kam. – Er genoss hier den Unterricht des Professors Böhm. Kaum hatte der junge Schüler die Anfangsgründe der Musik so recht erfasst, so warf er sich schon mit vollem Feuereifer in die Fußstapfen Paganinis, dessen Erscheinen in Wien im Jahr 1828 sehr einflussreich und vorteilhaft auf die Künstlerlaufbahn Ernst's wirkte. Paganini galt ihm als höchstes Vorbild; er war ihm so anhänglich ergeben, und genoss dessen Zutrauen in einem solchen Grade, dass er ihm, trotz der mündlichen Schweigsamkeit, die man an Paganini tadelt, teilweise Aufschlüsse seiner mechanischen Mysterien offenbarte. Mit der Anhänglichkeit an Paganini, verband Ernst schon in seiner frühesten Jugend die lobenswerte Eigenschaft, dass er von jedem Meister im Fache seiner Kunst die vortrefflichsten Seiten und Züge sich anzueignen wusste. Mit Takt und Glück strebte der Jüngling dem höchsten Ziele nach, so, dass er schon im Jahre 1829 in die Welt ziehen konnte, um teils seiner eigenen Vervollkommnung wegen, teils durch ein geniales Spiel auf sein Talent aufmerksam zu machen. Sein erster Ausflug war nach München, wo aber seine Hoffnungen durch mannigfache Hindernisse scheiterten, so zwar, dass er entmutigt die Violine aus der Hand legte, und sich durch 8 Monate mehr mit dem Klavier beschäftigte. Von München ging er alsbald nach Paris. Auf seiner Reise gab er Konzerte in Augsburg, Stuttgart und Würzburg, wo er sich wohl Beifall, aber wenig äußeren Lohn erworben. Wie konnte es auch anders sein? Der damals, Alles zu sich hinreißende Paganini, ließ für Andere wenig Ausbeute zurück. Ernst fühlte sich aber eben über diese Vernachlässigung, die ihm widerfahren, so tief gekränkt, dass ihn eine Schwermut überfiel und er sich 5 Tage in sein Zimmer verschloss, ohne Jemanden sehen zu wollen. Von Nürnberg ging er nach Frankfurt a. M., wo er wieder mit Paganini sich traf und trotz dem, dort mit Beifall Konzerte gab. Er trug in denselben die Paganinische Wunder-Variation (in G-dur) zum Staunen aller Anwesenden, worunter auch Paganini selbst war, vor, denn diese Variation, die wie alle Paganinis nicht im Drucke erschienen war, spielte Ernst dem Meister Nicola nur aus dem Gedächtnisse nach. Hier traf es sich, dass Ernst eines Tages Paganini besuchte und ihn, mit der Gitarre in der Hand, beim Komponieren überraschte. Als ihn aber dieser erblickte, sprang er vom Sitze auf, eilte zum Bette, verbarg dort sein Manuskript und sprach: „Ich muss mich nicht nur vor Ihren Ohren, sondern auch vor Ihren Augen hüten.“

Von da nahm er seinen Weg über Mannheim und Karlsruhe nach Baden-Baden, wo ihn Geldverlegenheit und ein zartes Verhältnis zu einem sehr interessanten Wesen 9 Monate lang gefesselt hielten; und dort verfiel er wieder in eine solche Schwermut, dass er neuerdings die Violine aus der Hand legte, und sich mehr mit dem Pianoforte beschäftigte, welches aber von nicht langer Dauer war. Er setzte seine Reise nach Paris fort, wo er im April 1831 ankam und woselbst er gleich die erste Woche seines Aufenthalts daselbst den Zutritt in ein gräfliches Haus erhielt. Die Töchter waren musikalisch, und Ernst begleitete in Gegenwart der Gräfin eine Tochter derselben auf seinem Instrumente, auf der Violine. Die Gräfin, eine sehr musikalische Dame, erkannte in unserem Ernst den großen Meister, und forderte ihn auf, noch an demselben Abend in einer Gesellschaft von hohen Adeligen zu spielen, in welche sie ihn einführen wolle. Der leichtsinnige junge Mensch sagte zu, und sein Succeß (lat., glücklicher Erfolg) war – glänzend. Darauf fasste er Mut zu einer Kunst, und gab ein Konzert im Saale der großen Oper. Bei seinem Erscheinen auf der Bühne ward er vom Publikum mit gellendem Pfeifen empfangen, und nur das Orchesterpersonale, überzeugt von der Vortrefflichkeit eines Spiels, war im Stande, das tobende Publikum zur Ruhe zu bringen. Der unerschrockene Ernst spielte, und spielte mit solcher Meisterhaftigkeit, dass ein siegreicher Erfolg um so größer war, als es dem Publikum an Vertrauen gemangelt. Ernst gab dann noch mehrere Konzerte mit dem selben ungeteilten Beifall.

Von Paris ging er nach der Schweiz, und lebte dort ein volles Jahr der stillen. Zurückgezogenheit und der Pflege seiner Kunst. Der milde Himmelsstrich dieser Gegend schien am Geeignetsten, einem Gemüte jene Sanftmut zu verleihen, mit der er in späteren Zeiten, durch sein Instrument wiedergebend, so viele Herzen erheben und begeistern sollte. Von da ist auch sein Glanzpunkt zu datieren. Seit seiner Rückkehr aus der Schweiz war sein Ruhm begründet, und er reiste nun in Deutschland, Belgien, Frankreich und Polen, und erntete der Lorbeerkränze viele. Als er in Frankreich war, begab er sich eigens nach Marseille, wo sich Paganini aufhielt, um ihn dort zu hören, und, wie wir oben erzählten, von diesem Meister die Kunst abzulauschen; und um zu diesem seinem hohen Zwecke zu gelangen, wendete er alle ihm zu Gebote stehenden Mittel an. Er besuchte Paganini so oft es ihm nur möglich war, aber jener spielte nicht, so oft Ernst bei ihm war, und wir finden den Ausdruck gerechtfertigt, wenn wir sagten, dass er neidisch verschlossen war. Da gelang es dem Freunde Ernsts, Herrn Frank, der sein steter Begleiter auf allen seinen Reisen war, durch Vermittlung einer alten ihm verwandten Sergeanten-Witwe, das an Paganinis Wohnung stoßende Zimmer zu mieten; und Ernst hielt sich hier Tage und Nächte verborgen, belauschte Paganinis Spiel, zeichnete so viel als möglich dessen Kompositionen auf, was ihm vorzüglich mit der berühmten Sonate auf der G-Saite über die Preghiera aus „Mosé“ gelang. Andererseits fand er aber auch Mittel, sämtlichen Proben von Paganinis Konzerten im Marseiller Theater beizuwohnen, wodurch er seinem Zwecke immer näher kam.


Von Marseille wollte er nach Italien reisen und dort ein Jahr verweilen; allein er wurde unterwegs krank und kehrte wieder nach Paris zurück, wo er damals auch die ehrenvolle Einladung erhielt, bei Hofe vor der königlichen Familie zu spielen.

Eine Anekdote aus seinem Leben als Jude ist so interessant und bezeichnet seinen ehrenhaften Charakter als solcher so kräftig, dass wir keinen Anstand nehmen, selbige zu erzählen. Ernst ist in Warschau und gibt unter dem größten Jubel des Publikums Konzerte, gibt auch Konzerte für die Armen ohne Unterschied der Konfession (wie er denn überhaupt seine Kunst nicht für sich allein ausbeutet, sondern immer bereit ist, wo es gilt, ein frommes wohltätiges Werk zu unterstützen) und wollte den andern Tag nach der Residenzstadt Russlands reisen, wo die Tage und Stunden zu seinem Konzerte festgesetzt waren. Da erscheint auf einmal ein Kommissär und fordert von ihm die Judentaxe, die jeder seiner Glaubensgenossen für den Aufenthalt in Warschau zahlen müsse. Beleidigt in seiner Stellung und gekränkt in seinem Gefühle, zahlt Ernst die verlangte Summe, berichtet aber augenblicklich nach Petersburg, dass er nach dem Vorgefallenen sein gegebenes Wort nicht einlösen könne. Seinen Brief bekommt der Kaiser zu Gesicht; er schickt gleich zwei eigene Boten ab, den beleidigten Künstler zu besänftigen, aber Ernst geht nicht nach Petersburg, und geht lieber nach seiner geliebten zweiten Vaterstadt Wien, wo er sich an der Mutter-Brust Trost für die erhaltene Beleidigung holte, und wo er ihn in vollem Maße fand.

Er gab in Wien im Jahre 1840 in dem großen Redoutensaale sein erstes Konzert, und zwar zu denselben Preisen, wie acht Tage zuvor Liszt. Seine teilnehmenden Freunde, die seine Künstlerreife noch nicht kannten, zagten deshalb. Was den Erfolg dieses Konzertes betrifft, so wollen wir einen Zeugen erzählen lassen:

Vollständig, berichtet uns derselbe, war der errungene Sieg, und die folgenden beiden andern Konzerte holten im Übermaß das Versäumte nach. Ernst überraschte mit eigenen schön und geschmackvoll erfundenen und wirksam instrumentierten Kompositionen. Die drei Sätze des einleitenden Konzertinos bildeten recht eigentlich eine Stufenleiter seiner eminenten Virtuosität, im Allegro imponierend durch Kühnheit und geistigen Aufschwung, im Andante sanft rührend und im Rondo Valse mit fröhlichem Scherz und tändelnder Bravour zum Entzücken hinreißend. Alles überragt jedoch die bloß mit dem Piano begleitete Elegie, ein Bild höchster Anmut und Zartheit, reiner, seelenvoller, zum Herzen dringender Gesang, dessen tiefen Eindruck selbst nicht einmal das brillante Schlussstück zu verlöschen vermochte. Bei dem zweiten und dritten Konzerte wurde um die Eintrittskarten gebuhlt.

Von dem weiteren Verlaufe der Ernstischen Konzerte berichtet derselbe, wie folgt: Ernst, der epochemachende Violin-Virtuose, veranstaltete vor dem Antritt seiner Künstlerreise nach Ungarn, sein letztes Konzert im k. k. großen Redoutensaale an einen Normaabend, an welchem wegen der in der Hofkapelle abzuhaltenden Exequien beide Hofbühnen stets verschlossen bleiben. Er spielte das Otello Concertino, die Festvariationen über ein holländisches Nationallied und den allbeliebten Carneval de Vemise. Gegen 3.000 Kunstliebhaber mochten sich wohl zusammengepfercht haben, und da den Händen zum Applaudieren kaum Spielraum war, so mussten die Lungen herhalten, um den Gefeierten in enthusiastischer Begrüßung zu huldigen. Allgemach scheint man von dem Abwege der leitenden Vergleichung zurückzukehren, und der Wahrheit näher zu kommen, dass Ernst mit seinen mehr oder minder berühmten Nebenbuhlern höchstens die Porträtähnlichkeit des Tonwerkzeuges gemein haben, und ein Charakter parallel ebenfalls mit Ole Bull sich beiläufig wie Süd und Nordpol verhalten müsse. Stupende Technik, siegreiche Überwindung aller Arten von Schwierigkeit, lässt sich sogar ohne eminentes Talent, bloß durch rastlose Studien erringen, und wird mit dem Beisatz einer erklecklichen Dosis von Galanterie, die der Mystifikation sich hingebende Menge immerdar alarmieren; die Seele aber, der Gesang des Spiels kann nicht erlernt werden, wenn der Gefühlsausdruck, welcher mit der Zeit zur vollsten Reife gelangt, im Keime zum Künstlertum nicht schon vorhanden. Ernst erscheint als Ausnahme im modernen Geschmacksverfall; ihm gilt der gediegene Vortrag als Grundbasis, sein Ton ist Sirenensang, gleichwie der Menschenkehle entströmend; aber diese rührend ächzenden Klagen, die in ihrer hohen Weihe an das Dasein besserer Welten gemahnen, und nachhallend das Herz mit süßer Wehmut erfüllen, sind denn doch nur Nebenvorzüge gegen der Töne hinreißende Schönheit und Großartigkeit. Weiß er doch einen einzigen Laut so unbegreiflich lang zu dehnen, drückt mit diesem einen Laut die mannigfaltigen wechselnden Gemütsstimmungen in den ergreifendsten Bogenschwingungen aus, und lässt am Ende ihn still und leise verhauchen, damit er alsdann erst im fühlenden Busen des inspirierten Herzens zu leben beginne. Also ist ein Spiel zum Entzücken und erobert dem dabei so anspruchslos bescheidenen Künstler Aller Herzen.

Soweit über das Gesamturteil über Ernst. Als er von seiner Künstlerreise zum ersten Mahle nach Wien zurückkehrte, da wurde sein Ruhm befestigt, und nun zog er mit dem Segen des Vaterlandes wieder hinaus in die große Welt, und ein Klang ertönte in Aller Herzen, und sein Ton erweckte jedes schlummernde Gefühl. Mitten in seiner Pilgerreise besuchte er immer wieder seine Vaterstädte Wien und Brünn, denn es zog ihn hin mit gewaltigem Bande der Liebe und Anhänglichkeit.

Von Wien zog Ernst damals verschiedenen Einladungen zu Folge nach Brünn, Peth, Preßburg, Linz, und begab sich, indem er sich auf seiner Reise in den Städten: Salzburg, München, Augsburg, Stuttgart, Karlsruhe und Straßburg aufhielt, wieder nach Paris, wo er bis zum Herbste 1841 blieb und dann eine Reise nach den bedeutendsten Städten Deutschlands, Frankreichs, Polens fortsetzte, auf welcher Reise er eine Welt von Beifall erwarb. Im Jahre 1842 folgte er einer besondern Einladung an den Hof von Darmstadt und im Februar 1843 zur Vermählungsfeier des Kronprinzen nach Hannover. Von da ging er über Wiesbaden, Bremen und Hamburg nach Kopenhagen und London, und kehrte im August desselben Jahres nach Paris zurück, wo er im Oktober den sehr schmeichelhaften Ruf nach Hannover erhielt und unter königlichen Bedingungen als königl. Konzertmeister mit der Erlaubnis 10 Monate des Jahres reifen zu dürfen angestellt wurde. Im Jahre 1844 ging er wieder nach England, erregte dort die größte Sensation und kehrte aufs Neue ruhmbekränzt, nachdem er in London 2 Konzerte für wohltätige Zwecke gegeben, und in Anwesenheit des Kaiser Nicolaus und des Königs von Sachsen gespielt hatte, nach Paris zurück. Von da aus besuchte er die Rheingegenden, Wiesbaden, Weimar, Leipzig und Prag, und begab sich dann wieder nach Wien. Eine Anekdote aus der jüngsten Zeit sei uns noch zu erzählen vergönnt. Eine Familie aus Wien feierte im Sommer 1846 die Hochzeit ihrer Kinder in einem ungarischen Grenzstädtchen, und Ernst ist ein willkommener Gast. Während die Gesellschaft froh und lustig beim Mahle saß, kam eine so eben vorbeiziehende Zigeunerbande ins Zimmer und spielte nach ihrer Weise einige Nationallieder vor. Als dieselben vollendet, nahm der Künstler Ernst die Geige aus der Hand des Vorspielers, und zum Entzücken der ganzen Gesellschaft spielte er seinen berühmten Karneval mit der gewohnten Meisterschaft. Als man dem erstaunten Zigeuner-Anführer sagte, dass dies der weltberühmte Ernst sei, nahm er mit großer Rührung seine Violine und sagte: Nun bist du mir teuer geworden und um nichts in der Welt gebe ich dich wieder preis. Ernst veranstalte nun eine Sammlung, und brachte bei der fröhlichen Gesellschaft ein hübsches Sümmchen für die Zigeuner zusammen.

Im Herbste 1846 gab Ernst mit demselben Beifall und mit derselben Bewunderung in Wien Konzerte. Er zog sofort nach Russland. Schon sein erstes Konzert brachte beispiellose Wirkung hervor. Man nannte und pries ihn „den ersten Sänger“ auf seinem Instrumente. Seine Bravour übertraf alles seither Geleistete. – „Ernst feierte die eklatantesten Triumphe in St. Petersburg. Seit langer Zeit ist kein Virtuose daselbst so fetiert worden, wie dieser geniale Sänger auf der Violine. Der Vieuxtemps-Enthusiasmus ist durch Ernst bis auf den Gefrierpunkt gekommen. Wenn Ernst Konzerte gibt, gibt es Rubel und Jubel in Menge. Die St. Petersburger sind obendrein noch so galant und nennen ihn gar nicht bei seinem Namen. Sie heißen ihn den deutschen Paganini.“ So lautet es in einem neuerlichen Berichte aus St. Petersburg.
S. Deutsch.
Ernst, Heinrich Wilhelm (1812-1865) österreichischer Violin-Virtuose und Komponist

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Paganini, Niccolò (1782-1840) italienischer Geiger, Gitarrist und Komponist

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