Abrabanel, Isaak. (1439-1508) (Auch Abarbanel, Abrabanele, Abarbinel, Abrabaniel etc.)

Dieser überaus denkwürdige Mann, ein Spielball des launenhaften Schicksals, wurde zu Lissabon im Jahre 1439 von vornehmen Eltern geboren, und genoss eine seinem Stande angemessene Erziehung. Bibel und Talmud waren die Gegenstände, die von frühester Jugend an seinen Geist spornten und seinen Scharfsinn entwickelten. Wahrscheinlich war er, wie die Meisten seiner Zeitgenossen dazu bestimmt worden, diesem Studium sein Leben und seine Kräfte zu weihen. Aber noch zur Zeit fühlte er sich zu einer sicheren Stellung im Leben berufen, und seine reichen Geistesgaben verliehen ihm das volle Recht solche Hoffnungen zu nähren. Er warf sich mit allem Eifer und aller Beharrlichkeit auf die Fächer der Staatswissenschaft, worin er solche Fortschritte machte, dass in kurzer Zeit der König (Alphons V) auf ihn aufmerksam wurde, und ihm seine Gunst zuwendete. Alphons brachte ihn seinem Throne nah, so, dass Abarbanel die höchsten Stellen bekleidete.

Aber nicht lange sollte er dieses beneidenswerte Los genießen. Er sollte kämpfen sein Leben lang mit dem Unglücke, und sollte des Schicksals Tücke in vollem Maße erfahren; denn, wie er sich selbst ausdrückt: „der Tod stieg durch seine (Alphonsens) Fenster und Untergang in seinem Palast.“ Alphons starb, und sein Sohn Juan folgte ihm auf den Thron. Juan aber hatte nicht die Einsicht und die Erfahrung seines edlen Vaters; er hasste alle seine Edlen und war arglistig gegen alle seine Diener. Besonders entfremdete er sich alle Freunde seines Vaters, die Fürsten und Hohen des Landes, und beschuldigte sie des Einverständnisses mit dem französischen Hof, um ihn vom Throne zu stürzen. In Folge dieses Argwohns ließ er die Treuesten und Angesehensten des Landes ermorden; nur Wenige retteten ihr Leben durch schnelle Flucht. Abarbanel fiel bei ihm gleichfalls in Ungnade, wie er selbst in folgenden Worten erzählt: „Auch mir zürnte der König, obwohl nicht Unrecht in meiner Hand und nicht Trug in meinem Munde war, weil ich in früheren glücklichen Tagen in enger Freundschaft mit den entflohenen Fürsten lebte, die sich oft bei mir Beratung holten. Er klagte mich der schwersten Verbrechen an, hasste mich mit aller Kraft seiner Hand, und hielt mich für einen Verbündeten mit den Verschwörern, denn, meinte er, meine Freunde würden nichts unternommen haben, ohne mir etwas darüber zu sagen. Auch schadenfrohe böse Menschen, die mich gerne vom Throne verdrängen wollten, um meinen Platz einzunehmen und mein Vermögen zu erben, trugen das Ihre bei, indem sie mich verleumdeten mit ihren Schlangenzungen, und von mir redeten, was ich weder gesprochen noch gedacht.“


Eines Tages ließ ihn der König zu sich rufen, unter dem Vorwande, er möge sich, so er sich unschuldig wisse, verteidigen. Diesem Befehle Folge zu leisten, war Abarbanel schon auf dem Wege zum König, als ein Freund ihn warnte und sprach: „Gehe nicht hin, rette Dein Leben, denn es steht in Gefahr, man trachtet Dir darnach.“ Er verließ nun eilends Stadt und Land, ohne Abschied von seiner Frau noch von seinen Kindern zu nehmen, all sein Habe seinen Feinden zurücklassend. Am andern Morgen, als seine Flucht ruchbar wurde, befahl der König, ihm nachzujagen, ihn zu ergreifen, und sogleich zu töten.

Aber Gott rettete ihn aus dieser Not, denn die Häscher holten ihn nicht ein, und er langte glücklich in Kastilien an. Hier war er wohl seines Lebens sicher, aber er befand sich dennoch in einer sehr traurigen Lage. Er war hier in einem Lande, dass er nicht und das ihn nicht kannte, lebte getrennt von den Seinen, entblößt alles Vermögens, ohne sichere Zukunft unstät und flüchtig. Alphons nahm all seine zurückgelassenen Güter an sich, und gab seine Familie dem Elende und der Not preis. Von Kastilien schrieb er wohl dem Könige, beteuerte seine Unschuld, schilderte seine traurige Lage, flehte um Verzeihung; aber der harte Fürst blieb unzugänglich.

Dieser Zeit (1484) verdanken wir aber seinen vortrefflichen Kommentar zu dem Buche Samuel; denn bei seiner nun so unwillkommenen Muße strebte ein Geist nach Beschäftigung, und er unternahm diese Arbeit; wie überhaupt alle seine wissenschaftlichen Hervorbringungen nur in solchen Perioden entstanden, in denen eine Berufspflichten ihm Zeit gönnten.

Bald wurde er aber wieder dieser Sphäre entrückt, in welcher er sich schon heimisch fühlte; denn als er den Kommentar zum Buche der Könige beginnen wollte, ward Ferdinand von Spanien, der damals sehr mächtig über Kastilien, Aragon, Katalonien und andere Gebiete herrschte, auf ihn aufmerksam. Er ließ ihn zu sich kommen, und Abarbanel fand Gunst sowohl in seinen, als in den Augen seiner Edlen, so, dass Ferdinand ihn in seine Dienste aufnahm. Acht Jahre bekleidete er nun hohe Ämter am Hofe, und erwarb sich ein großes Vermögen. Er sollte da von erlittenen Drangsalen sich erholen, aber zugleich Kräfte sammeln zu neuen Missgeschicken.

Im neunten Jahre seines Dienstes zog Ferdinand das Schwert, und eroberte das Reich Granada samt der herrlichen, vielbevölkerten, hochberühmten Hauptstadt gleichen Namens. Diesen Sieg schrieb Ferdinand seinem Gotte zu, dem er sich nun zu großem Danke verpflichtet fühlte. Wodurch, sagte er zu sich selber, könnte ich ihm, der mir so großen herrlichen Sieg verliehen, wohlgefälliger erscheinen, als indem ich ihm zuführe das Volk, welches im Finstern wandelt, die zerstreute Herde Israels, indem ich zu seinem Glauben zurückführe die abtrünnige Tochter – oder wenn ich sie wegtreibe in ein anderes Land, dass sie nicht ferner in meinem Lande wohnen und nicht bestehen vor meinen Augen? – –

Er gab nun wirklich den Befehl, entweder sollen alle Juden, die in seinem Staate wohnen, sich zum Christentum bekehren, oder binnen drei Monaten denselben verlassen.

Abarbanel, als er von diesem Gesetze Kunde erhielt, wendete alle möglichen Mittel an, um den König von seinem Entschlusse abzubringen. Er bot alle seine Beredsamkeit auf, machte alle erdenklichen Vorschläge, und veranlasste, dass seine gewichtigsten und vertrautesten Freunde sich verwendeten. Aber Alles war vergebens. Ferdinands Wille blieb. Anfangs unerschütterlich. Als sich aber der König und die Königin Isabelle schon geneigt fühlten, dem Drängen und Bitten Abarbanels nachzugeben, da erschien plötzlich Torquemada, der Inquisitor, und rief: „Judas hat seinen Herrn für dreißig Silberlinge verkauft, Eure Hoheit wollen ihn für dreißigtausend Goldstücke verkaufen. Da ist er, nehmt ihn hin und verkauft ihn eilends.“ Durch diese Rede ward die ganze Verhandlung zerstört; das Gesetz trat in Wirksamkeit, und da jene Juden fest an ihrem Glauben hingen, so waren wenige, die sich zum Christentume bekehrten, und es zogen, nach Abarbanels Angabe, dreimalhunderttausend Juden aus ihrer Heimat, ohne zu wissen, wohin sie ihr Geschick führen werde. Einige zogen nach Portugal und Navarra; aber auf dem Wege überfiel sie die Pest, zu der sich bitteres Leid und Hunger gesellte und sie aufrieb.

Unter denen, welche sich auf gut Glück einschiffen, war auch Abarbanel. Der Zufall brachte ihn nach der hochgepriesenen Stadt Neapel. Es war im Jahre 1493, Abarbanel lag nun wieder seinen Studien ob, und bearbeitete den Kommentar zu den Büchern der Könige. Nebstbei wusste er sich bei Ferdinand, dem König von Neapel, bemerkbar und nützlich zu machen, so, dass dieser ihm seine Hilfe und seinen Beistand versprach, welches Versprechen er wohl nicht halten konnte, weil er gleich darauf, 1494, starb. Sein Sohn Alphons bestieg den Thron, fühlte sich aber auf demselben nicht glücklich, überließ die Regierung seinem Sohn und schiffte sich nach Sizilien ein, wo er ruhig zu leben gedachte, aber nach einem Jahre in einem Kloster starb.

Abarbanel war ihm als treuer Anhänger bis nach Messina gefolgt, ließ aber seine Familie und sein Vermögen zurück. Bei Carls VIII. Einfall in Neapel aber reiste er nach Korfu. Hier ist seine Geschichte etwas dunkel, denn er gibt dieUrsache seiner schnellen Reise, die eigentlich als eine Flucht zu betrachten ist, nicht an.

In Korfu fand er zu einer größten Freude seinen in Lissabon begonnenen Kommentar zum fünften Buche Moses, den er für verloren gehalten, und er vollendete denselben zu Monopolis, wohin er sich mit seiner Familie begab. Von nun an lebte er der Erziehung seiner Kinder, deren er folgende drei hinterließ: R. David, Arzt in Neapel, R. Salomo (wahrscheinlich Rabbiner in Venedig) und R. Joseph, mit dem er noch in seinem späten Alter nach Venedig reiste, um einige Streitigkeiten zwischen der Republik und dem Könige von Portugal zu schlichten, wobei sein Sohn eine große Rolle gespielt haben soll. In Venedig kommentierte er noch den Pentateuch; Jeremias, Ezechiel und die kleinen Propheten. Abarbanel starb im Jahre 1508 in einem Alter von 69 Jahren. Er wurde in Padua begraben, aber seine irdische Hülle fand hier nicht Ruhe, denn während der ununterbrochenen wütenden Kriege ward selbst jede Spur seines Grabes verwischt, so, dass man seine Ruhestätte nicht mehr finden kann. Abarbanel hat sich besonders durch eine hohe Gelehrsamkeit einen unsterblichen Ruf erworben. Seine hinterlassenen Werke sind: 1) Der bereits erwähnte Kommentar des Pentateuchs, der 1551 und 1579 in Venedig, Hannover 1710 usw. gedruckt ist; 2) Der ebenfalls genannte Kommentar zu den ersten und zu den letzten Propheten, die Beide schon vielfach gedruckt sind; 3) Ein Kommentar zu dem Buche Daniel unter dem Titel: „Quelle des Heils“, welcher zuerst in Ferrara 1551 gedruckt erschien; 4) noch ein Kommentar zu der Hagada unter dem Titel: „Sebach Pessach“, Opfermahl des Pessach, gedruckt in Venedig 1545, und so noch mehrere Male; 5) Ein Buch über die Erschaffung der Welt, das den Titel hat: „Die Werke Gottes“ und in Venedig 1592 erschien; 6) „Der Bote des Heils,“ ein Wort über den Messias, erschien zu Saloniche 1526 usw.; 7) Ein Kommentar zu den Sprüchen der Väter, der in sehr hohem Ansehen steht, und führt den Titel: Nachlath Aboth, „das Erbteil der Väter“, Venedig 1545; 8) „Die Chronik der Alten.“ Eine Erklärung des 37. Kapitel. Enoch; 9) „Die Formen der Fundamente.“ Ein philosophisches Werk, gedruckt mit dem Atereth Sekenim in Sabionetto 1557; 10) „Teschuboth.“ Antworten an Rabbi Saul. Venedig 1574. Dieses Werk verfasste er zwei Jahre vor seinem Tode; 11) „Die Rettungen eines Gesalbten.“ Jeschuoth Meschicho. Über Tradition und talmudsche Beweise des Messias (Mos.); 12) „Lahakat Hanbim“, die Versammlung der Propheten, handelt von den verschiedenen Graden der Prophezeiungen von Moses und den andern Propheten. Dieses Werk ist eigentlich eine zweite Bearbeitung des Machse Schadai, „die Blicke Gottes“ (Manuskript); 13) die Gerechtigkeit der Welten, „Zedek Olamim“, handelt von der gegenwärtigen und künftigen Welt, von Lohn und Strafe, von der Auferstehung c. (Manuskript; blieb unvollendet); 14) „Jemoth Olam.“ Die Tage der Welt. Eine Chronik der Judenverfolgungen (Manuskript); 15) „Die neuen Himmel.“ Schomain Chodoschim, in welchem er mit neuen Gründen die Erschaffung der Welt beweisen will, und worin er das 19. Kapitel des zweiten Teiles More erläutert. (Manuskript)
      S. Deutsch.